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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Norwegen

Schulbibliotheken in Norwegen
Sissel Nilsen

Obwohl es seit 1947 gesetzlich erforderlich ist, Schulbibliotheken zu haben und die dafür vorhandene Grundlage recht gut ist, verlief die Einführung von Schulbibliotheksprogrammen in Norwegen nicht ganz unproblematisch. Um den Übergang von einer Phase in die nächste zu erleichtern und eine effizientere Auswertung von Ressourcen zu ermöglichen, wurde das Bildungssystem sowohl in den Grundschulen als auch in den Oberschulen durch die vor kurzem eingetretenen Schulreformen umstrukturiert. Selbststudium ist für den Lernprozeß unentbehrlich, somit werden die Schulbibliotheken immer bedeutsamer.

Allgemein wird gesagt, daß der Zustand einer Schulbibliothek sehr viel über die Einstellung der Schule zur Bildung und Erziehung sowie zum Lehren und Lernen aussagt. Leider vernachlässigen viele Länder ihre Schulbibliotheken bei bildungspolitischen Entscheidungen. Zusätzlich ist es Lehrern und Bibliothekaren nicht immer bewußt, wie wichtig es sein kann, den Gesetzgebern verständlich zu machen, was eine Schulbibliothek eigentlich ist und wie sie als integrierter Bestandteil der Schulbildung eingesetzt werden sollte.

In unserer komplizierten Gesellschaft ist es wichtiger denn je, die grundlegenden Lerntechniken für die Arbeit und das Privatleben zu beherrschen. Es ist unbedingt erforderlich, daß Kinder und Jugendliche die Fertigkeiten lernen, wie man Informationen erwirbt, erfragt, auswählt und im letzteren Falle wie man die "information skills" sowie das neu erworbene Wissen als Fundament für die Bildung und für ein lebenslanges Lernen einsetzt. In diesem Zusammenhang ist die Schulbibliothek lebenswichtig. Fast überall auf der Welt sind die Schulen die einzigen Stellen, die es uns ermöglichen, jedes Kind zu erreichen, egal aus welchem Elternhaus es kommt. Indem sie die Kluft zwischen den Informationsstarken und Informationsschwachen schließen, stellen die Schulbibliotheken für die Schüler eine genauso lebenswichtige Institution dar, wie Öffentliche Bibliotheken für die allgemeine Bevölkerung als solche.

Schulbibliotheken - gesetzlich erforderlich

In vielen Ländern wird eine Verbesserung der Schulbibliotheken angestrebt; auch nicht-bibliothekarische Organisationen sind um ihren Zustand besorgt. Im Oktober 1995 hat das Internationale Buchkomitee, z.B. bei einer Sitzung in Paris eine Empfehlung zum Thema Schulbibliotheken herausgeben.

In Norwegen hat es einige Probleme bei der Einführung von Schulbibliotheksprogrammen gegeben, obwohl es seit 1947 gesetzlich erforderlich ist, daß Grundschulen eine Schulbibliothek haben. Bis 1985 fielen Schulbibliotheken unter das Volksbüchereigesetz, was in der Tat für ihre Entwicklung ein Hindernis darstellte, da die Schulbehörde nicht dazu verpflichtet war, die Verantwortung für sie zu übernehmen und ihnen daher keine hohe Priorität einräumte. Als 1985 das Volksbüchereigesetz revidiert wurde, sind die Paragraphen bezüglich der Bereitstellung von Schulbibliotheken von den Schulbildungsgesetzen für die Grund- und Mittelstufen sowie die Oberstufe (etwa die 11. - 13. Jahrgänge) übernommen worden.

Die Grundstufen- und Mittelstufenbildung und -erziehung fallen in den Verantwortungsbereich der kommunalen Verwaltung, während die regionalen Behörden die Oberstufenbildung und -erziehung übernehmen. Sowohl das Ministerium für Bildung und Erziehung als auch das Parlament stellen feste Richtlinien für Lehrpläne usw. auf, so daß die kommunalen Verwaltungen in keinster Weise die Freiheit haben, alles zu machen, was ihnen gefällt.

Richtlinien

Damit für alle Kinder eine angemessene Bibliotheksversorgung gesichert ist, wurde ein neuer Passus in das Volksbüchereigesetz als auch in das Gesetz für Grundstufen- und Mittelstufenbildung und -erziehung eingefügt, der eine offizielle Kooperation zwischen der Schule und der öffentlichen Bibliothek vorsieht. Der Grundgedanke war, den Schulen das bibliothekarische Fachwissen des Personals in den öffentlichen Bibliotheken zugutekommen zu lassen und den Kindern eine möglichst gute bibliothekarische Versorgung zu geben.

Das erwähnte Gesetz sieht folgendes vor: "Die Schulen nehmen sowohl eine pädagogische als auch eine allgemein kulturelle Aufgabe wahr und müssen eine dauerhafte Kooperation mit der öffentlichen Bibliothek in der Gemeinde aufbauen." Vom Ministerium für Bildung und Erziehung wurden recht detaillierte Richtlinien für die Bereitstellung von Schulbibliotheken sowie für die Kooperation mit den öffentlichen Bibliotheken erlassen.

In den im November 1994 revidierten Richtlinien werden in neun Paragraphen die Aufgaben der Schulbibliotheken, ihre Funktion in den Schulen und die Medien der Bestände bestimmt. Dazu gehören auch Angaben zum Personal, zur Rolle der Schulbibliothek als Teil eines nationalen Bibliotheksverbundsystems, zur Kooperation zwischen den Schulbibliotheken einer Gemeinde sowie mit den Öffentlichen Bibliotheken.

1995 wurden die Richtlinien über die Kooperation zwischen Schulbibliotheken und den öffentlichen Bibliotheken überarbeitet. Ihre Ziele bestehen darin,

Eine veränderte Lernmethodik

Zwar sind die Bestimmungen in dem Gesetz für die Oberstufenbildung und -erziehung bezüglich der Schulbibliotheken etwas lockerer, jedoch sieht das Gesetz ein Schulbibliotheksangebot in jeder Schule vor. Dafür gibt es allerdings keine weiteren Richtlinien. In der neuen Bildungsreform für Oberstufenbildung und -erziehung "Reform 94" wird allen Jugendlichen ein gesetzlich verankertes Recht auf eine dreijährige Ausbildung im Vollzeitstudium im Alter zwischen 16-19 Jahren eingeräumt. In den "Allgemeinen Zielsetzungen" heißt es unter anderem, daß das Bildungssystem umstruktuiert wird, um den Übergang von einer Phase in die nächste zu erleichtern und eine effizientere Auswertung der Ressourcen zu ermöglichen.

Heute hat sich die Lernmethodik so verändert, daß Schulbibliotheken erforderlicher sind als je zuvor. Der Unterricht soll zum Selbststudium ermutigen. Die Schüler werden beraten, wie sie selber die Verantwortung für ihre eigene Bildung übernehmen sollen. Rund 70% des Unterrichts werden auf der Grundlage der Projektarbeit als Unterrichtsmethode durchgeführt. Die bisherige Methode, die sich auf den Lehrer und das Lehrbuch stützt, ist 'out'.

Die Grundlage für den Aufbau von Schulbibliotheken in Norwegen ist recht gut; trotzdem läßt ihre Entwicklung noch einiges zu wünschen übrig. Nur in sehr wenigen Gemeinden ist es möglich gewesen, qualifizierte Bibliothekare anzustellen und nur selten werden Lehrern spezialisierte Programme zur Schulbibliotheksausbildung angeboten. Qualifiziertes Personal in Schulbibliotheken ist aber unabdingbar. Ich glaube, daß die Schulbehörden und Direktoren bisher nicht bereit gewesen sind, den Schulbibliotheken eine höhere Priorität einzuräumen. Allerdings hat man in manchen Gemeinden und regionalen Verwaltungsgebieten erkannt, daß Schulbibliotheken nicht nur für die Schüler sondern auch für die Lehrer ein bedeutendes Hilfsmittel darstellen.

Kooperation zwischen den Öffentlichen Bibliotheken und Schulbibliotheken

Laut Bibliotheksstatistik leihen die Kinder in einigen Gemeinden mehr Bücher aus und lesen mehr als in anderen Gemeinden. In Lesetests, die in einzelnen Gemeinden durchgeführt wurden, hat man festgestellt, daß die Ergebnisse aus einer großen Gemeinde mit einem der besten Schulbibliothekssysteme in den Schulen der Grund- und Mittelstufen sowie mit der längsten Kooperation zwischen Schulbibliotheken und öffentlicher Bibliothek erheblich besser ausgefallen sind, als die aus anderen Gemeinden. Nach Meinung der Schulbehörden ist das zum Teil den Schulbibliotheken und den Bemühungen der Bibliothekare und Lehrer zu verdanken, Leseprojekte zu initiieren.

In dieser Gemeinde werden Bibliothekare schon seit vielen Jahren in einer Teilzeitbeschäftigung an jeder Schule eingestellt. Diese arbeiten eng mit der Abteilung für Schulen in der Öffentlichen Bibliothek zusammen, die von der Schule sowie der Bibliotheksverwaltung gemeinsam finanziert wird. Alle Bücher für die Schulen, ob Sachbücher, Belletristik oder die Klassenbestände, werden über diese Einrichtung eingekauft. Bei der Arbeit an einem besonderen Projekt kann eine Klasse oder eine Schule eine Reihe von Büchern bekommen, die von der Abteilung für Schulen und auch aus den Magazinen der zentralen Öffentlichen Bibliothek stammen und die eigenen Bestände der Schulbibliothek ergänzen sollen. Alle Klassen werden zweimal - in der dritten und siebenten Klasse - zu einem Besuch der Öffentlichen Bibliothek eingeladen, bei dem man über die Dienstleistungsangebote, die Sammlung für regionale Geschichte, die Musikabteilung und das CD-ROM-Netz berichtet sowie Buchbesprechungen für sie anbietet. Außerdem gibt es ein spezielles Programm für die Vorschulklassen, bei dem auch die Eltern sich beteiligen können.

Da die Bestände der Schulbibliotheken meist nicht ausreichen, helfen die Öffentlichen Bibliotheken öfter bei der Durchführung verschiedener Leseprojekte mit. Die Räumlichkeiten werden oft auch von den Schulen benutzt, um ihre Projekte oder Arbeitsergebnisse auszustellen sowie dort für Kindergärten zu spielen usw. Für die anderen Gemeinden Norwegens ist diese Kooperation vorbildlich.

Die Regierung steht mit Nachdruck zum Prinzip der Chancengleichheit und eines gleichen Hochschuleinstiegs für alle Kinder, egal wo sie im Land leben. Sogar die Kollegen der Universitäts- und Hochschulbibliotheken machen heute noch darauf aufmerksam, daß die Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Selbststudium unter Studenten sehr unterschiedlich ausgebildet sind. Die Studierenden aus den Regionen mit guter Bibliotheksversorgung durch die Schulen und Öffentlichen Bibliotheken kommen öfter besser zurecht, als die aus den Gebieten mit einem weniger entwickelten Bibliothekssystem.

Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern

Seit vier Jahren räumt der Norwegische Bibliotheksverband dem Aufbau von Schulbibliotheken erste Priorität ein. Uns ist bewußt geworden, von welcher Bedeutung es sein kann, Einfluß auf Politiker auszuüben bzw. Präsenz in den Medien zu haben. Wir müssen wissen, welche Richtlinien in Arbeit sind, sowie welche Dokumente und Themen sich beim Ministerium in der Vorbereitung für das Parlament befinden. Deshalb ist es auf formeller und informeller Basis notwendig, z.B. im Ministerium anzurufen, Fragen zu stellen, einen Brief zu schreiben oder fachliche Hilfe anzubieten.

In den letzten Jahren haben wir dies recht systematisch gemacht. So konnten wir einen Schulbibliothekar in ein Komitee berufen, das sich mit der Bereitstellung methodischer Hilfsmittel für die Lehrer im Schulbibliothekswesen beschäftigt und in dem die Grund- und Oberschulen zum ersten Mal als Ganzes zusammenwirken. Dies soll zu besserer Nutzung der Schulbibliotheken führen.

Wenn man die Absicht hat, die politischen Entscheidungsträger in Angelegenheiten der Schulbibliotheken zu beeinflussen, ist es wichtig, sich Wege in die Lehrerorganisationen und in die Schulämter auf kommunaler sowie regionaler Ebene zu bahnen und einflußreiche Personen beispielsweise als Referenten bei Seminaren einzusetzen.

Ab 1997 wird eine neue Schulreform für die Grund- und Mittelstufen eingeführt. In diesem Zusammenhang hat der Bibliotheksverband vieles unternommen, um seinen Einfluß bei den Formulierungen über die Aufgabe und Definition der Schulbibliothek geltend zu machen. Daß beispielsweise die Vorlage des Ministeriums ans Parlament erheblich klarer war als sein Entwurf, hatte zur Folge, daß auch der parlamentarische Ausschuß die Bedeutung einer effektiven Schulbibliotheksversorgung noch mehr betonte. Bei einer Sitzung während der Norwegischen Buchmesse Oktober 95 berichtete der Vorsitzende des Parlamentarischen Ausschusses für Bildung, Erziehung und Forschung stolz, daß sogar der Präsident des Bibliotheksverbandes Zufriedenheit über die Erwähnungen der Schulbibliotheken in ihrem Dokument geäußert habe. Treffen mit Politikern auf formeller sowie informeller Basis sind nach wie vor extrem wichtig.

Wir haben vor kurzem einen Staatsbericht zur Revision und Vereinfachung der Bildungsgesetze erhalten und intern erfahren, daß der Ausschuß die Schulbibliotheken aus dem Gesetz -wie auch andere Teile des Schulsystems - streichen wollte. Jedoch glaube ich, daß das Lobbying eine Menge gebracht hat. Vom Bibliotheksverband wurden zusammen mit den Schriftstellerorganisationen Briefe über die Bedeutung von Schulbibliotheken an jedes Ausschußmitglied geschrieben. Zwar sind die Bestimmungen über Schulbibliotheken im Vorschlag für das Bildungsgesetz erhalten geblieben, doch ist der Paragraph über die Schulen der Oberstufen zu schwach, da er lediglich den Zugang zu einer Bibliotheksversorgung für Schüler vorsieht. Damit könnte der Zugang zu einer Öffentlichen Bibliothek weit von der Schule gemeint sein, was uns nicht genügt. Aus Gesprächen mit Abgeordneten des Parlaments wissen wir, daß ihnen dies bewußt ist und daß sie vermutlich den Paragraphen ändern werden, wenn das Ministerium es nach der Anhörung nicht tut.

Der Rechtsausschuß möchte gar keine Richtlinien mehr, doch darüber ist keiner sehr glücklich, weder die Lehrerorganisationen noch der Bibliotheksverband, also versuchen wir weiter, das Ministerium zu überzeugen, die Richtlinien wenigstens noch ein paar Jahre beizubehalten.

Die Schulbibliotheksinitiative

Im November 1995 startete der Norwegische Bibliotheksverband eine große Informationsinitiative zum Schulbibliothekswesen, die auch jetzt noch eine große Medienpräsenz hat. Unsere Partner bei der Initiative waren unter anderen die Verbände der norwegischen Wirtschaft und Industrie. Wir haben drei ganzseitige Werbeanzeigen entworfen, die binnen einer Woche in 43 norwegischen Zeitungen einzeln veröffentlicht, gleichzeitig als Poster gedruckt und an jede Schule bzw. Öffentliche Bibliothek in Norwegen verteilt wurden. Im ganzen Land wurde außerdem eine Informationsbroschüre an alle Schulen verteilt, sowie an jeden Politiker im Parlament, bzw. im regionalen oder kommunalen Rat. Eine Pressemitteilung mit Postern und Broschüren ging an die Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender. In diesem Zeitraum drehten sich die Presse- und Rundfunkberichte in vielen Regionen Norwegens sehr oft um das Thema Schulbibliotheken, so daß sich eine recht große Menge von Zeitungsausschnitten beim Bibliotheksverband angesammelt hat.

Der Kampf um die Schulbibliotheken muß weiter geführt werden. Aufhören können wir nicht. Doch hoffen wir, daß durch unsere Initiative mehr Menschen in Norwegen die Bedeutung der Schulbibliotheken für die Entwicklung ihrer Kinder bewußt geworden ist.

Anmerkungen:

Knuth, Rebecca. "School Librarianship and Macro-Level Policy Issues: International Perspectives". In: IFLA Journal, Nr. 4 (1995).

Øyno, Ellen. "Promoting a reading culture. Co-operation between school and public libraries to promote enjoyment of reading. Experiences from the municipality of Bærum, Norway". In: School Libraries Worldwide, IASL, Nr. 1 (1996).

(Sissel Nilsen, Bibliotheksdirektor, Bærum Öffentliche Bibliothek, Mitglied des IFLA Fachgremiums, Norwegen.)

(Der Artikel erschien in SCANDINAVIAN PUBLIC LIBRARY QUARTERLY, vol. 29/No 1/96, p. 15-17. Die Übernahme erfolgt mit frdl. Erlaubnis der Redaktion.)
(Übersetzung: Kristen M. Reynolds/ DBI)