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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Niederlande

100 Jahre Öffentliche Bibliotheken in den Niederlanden
Gernot U. Gabel

Vor einhundert Jahren wurde in den Niederlanden die erste Öffentliche Bibliothek eröffnet. Nach dem Vorbild der 1850 in England einsetzenden "Free public library"-Bewegung kam 1892 eine Gruppe von Bürgern überein, in Utrecht einen "Openbaren Lesezaal en Bibliotheek" einzurichten. Diese ausschließlich aus privaten Mitteln unterhaltene Einrichtung bot jedermann, ohne Ansehen von Konfession, Stand oder Beruf, die Möglichkeit, den Lesesaal zu benutzen und Bücher auszuleihen, allerdings gegen eine geringe Gebühr. Da aber weder der Staat noch die Gemeinden der Lesesaal-Bewegung finanzielle Unterstützung zuteil werden ließen, kamen weitere Bibliotheksgründungen zunächst nur mühsam zustande.

Das änderte sich seit 1908, als auf Betreiben von Dr. Henri Greve (1878 - 1957) die "Centrale Vereeniging voor Openbare Lesezalen en Bibliotheeken in Nederland" gegründet wurde. Ihr gelang es 1921, die Regierung zu einer bescheidenen finanziellen Förderung der Öffentlichen Bibliotheken zu bewegen. Bis 1940 war deren Zahl auf 62 angestiegen, die fast ausschließlich in Städten existierten und nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung als Leser verzeichneten. Ein regelrechter Aufschwung setzte mit den fünfziger Jahren ein, als man Jugendabteilungen einrichtete, Schallplatten und Noten in den Bestand aufnahm und der beruflichen und Erwachsenenbildung mehr Gewicht einräumte.

1972 schlossen sich die verschiedenen Bibliotheksvereine des Landes zum "Nederlands Bibliotheek en Lektuur Centrum" (NBLC) mit Sitz in Den Haag zusammen. Dieser schlagkräftigen Interessenvertretung, die zugleich als Dienstleistungszentrale fungierte (gegenwärtig etwa 300 Mitglieder), gelang es 1975, im niederländischen Reichstag ein Bibliotheksgesetz mit weitreichenden Vorschriften durchzusetzen. Danach sind die gesamten Personalkosten sowie 15 Prozent aller übrigen Kosten einer Bibliothek von der öffentlichen Hand zu tragen. Dank dieser finanziellen Verpflichtung von Gemeinde, Provinz und Staat stieg die Zahl der Bibliotheken wie der Benutzer in den folgenden Jahren stetig an.

Heute gibt es in unserem Nachbarland 11 provinzielle Bibliothekszentralen und mehr als 1.200 Öffentliche Bibliotheken, die über einen Medienbestand von rund 45 Millionen Einheiten verfügen. Die 4,3 Millionen registrierten Leser (etwa 30 Prozent der gesamten Bevölkerung, darunter 64 Prozent der Jugendlichen!) haben 1990 mehr als 185 Millionen Bücher, Schallplatten, Kassetten und Videobänder entliehen.


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