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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien

Licht am Ende des Tunnels?
Graham Small

Der Autor wirft einen Blick auf die Entwicklung der Schulbibliotheken in England. Er sieht für diese auch unter den gewandelten technologischen Bedingungen eine erfolgreiche Zukunft, vorausgesetzt, die Schulbibliotheken überleben die nächsten drei bis fünf Jahre.

Ich bin sicher, daß wir alle die gleichen Erinnerungen an unsere Schulbibliotheken in den fünf-ziger und sechziger Jahren haben. In der Grundschule war die "Bibliothek" eine Büchersam-mlung, die dort aufbewahrt wurde, wo gerade Platz war - meistens im Flur oder in der Ecke des Klassenzimmers - und sie wurde zum ruhigen Lesen oder als Belohnung für die vorzeitige Erledigung einer Arbeit genutzt.

In den höheren Schulen war die Bibliothek entweder zweckgebunden eingerichtet mit Holztäfelung und schweren hölzernen Regalen oder einfach ein Raum am Flurende, der Bücher enthielt. Sie wurde meistens nicht durch Personal betreut.

Während der sechziger und siebziger Jahre trat eine leichte Besserung ein. Eine große Anzahl von Grund- und Sekundarschulen wurde gebaut, um die rapide zunehmende Zahl der Schüler aufzunehmen und die Zusammenführung von kleineren Schulen zu "Einheitsschulen" zu ermöglichen. Die Mehrzahl dieser neuen Schulen hatten zweckgebundene Bibliotheksräume.

Zur gleichen Zeit machten einige wenige LEAs, das sind die örtlichen Schulbehörden 1), den An-fang mit der Einrichtung von aktiven Dienstleistungen für Schul-bibliotheken und der Beschäftigung von qualifizierten Bibliothekaren in Schulen. Führend war die Inner London Education Authority (ILEA), die die zentrale Versorgung mit einem qualifizierten Bibliothekar in jeder Sekundarschule vorsah, ebenso Fortbildungskurse, ein Auswahlverfahren und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten für Schulbibliothekare. Andere LEAs lieferten ebenfalls wichtige Beiträge - besonders erwähnenswert sind Hert-fordshire, Bedfordshire und Strathclyde - aber ILEA wurde sowohl im In- wie auch im Ausland als das Modell angesehen.

Die achtziger Jahre brachten eine explosionsartige Entwicklung des Bildungswesens, deren Wucht die Schulbibliothek auf die Hauptbühne brachte. Der 1984 veröffentlichte Lisc-Bericht School Libraries: the foundations of the curriculum 2) betonte den Stellenwert der Schulbibliothe-ken als das Zentrum der Erziehungsbemühungen. Hierauf folg-te die Einführung von GCSEs 3) mit ihrer Betonung auf materialiengestützes Lernen. Im Jahr 1988 kam das Bildungsreformgesetz und der Nationale Lehrplan, in dem festgelegt wurde, daß allen Schülern die Kenntnisse zum Auffinden und zur Nutzung von Informationen vermittelt werden müßten. Es entstand der Eindruck, daß die Schulbibliotheken anerkannt waren.

Das Bildungsreformgesetz - ein zweischneidiges Schwert

Es stellte sich jedoch heraus, daß dieses nicht der Fall war. Die Empfehlungen des Lisc-Be-richts wurden nicht umgesetzt und die Empfehlung zum mediengestützen Lernen kam zur gleichen Zeit wie die Kürzungen der Schuletats.

Die Gesetzesvorschriften für den Nationalen Lehrplan waren ein großer Sprung vorwärts, aber die Pläne für die Übertragung der finanziellen Verantwortung auf die Schulen enthielten ungenügende Sicherungen, um eine Unterfinanzierung zu verhindern. Die LEAs durften nur 10% des Bildungsetats zum Zwecke der Finanzierung von zentralen Dienstleistungen zurückbehalten (mit einer Reduzierung auf 7,5 % nach fünf Jahren), der Rest ging an die Schulen, die ihre eigenen Etats verwalteten.

Einige Grundleistungen, die von den 7,5 % finanziert werden muß-ten, waren vorgegeben. Schulbibliotheksdienste gehörten nicht dazu. Diese wurden von den Schulen durch Einkauf in die Dienstleistungen finanziert oder durch andere geldeinbringende Aktivitäten. Die Mittel, die den Schulen für die Bezahlung der School Library Services zugeteilt wurden, sind nicht ausdrücklich als solche bestimmt worden und konnten von dem leitenden Schul-gremium nach Gutdünken verwandt werden 4).

Zur gleichen Zeit wurde ein Finanzierungsverfahren für die Schulen eingeführt, das auf den durchschnittlichen Lehrerkosten basierte. Das bedeutete, daß die Schulen, die einen höheren Anteil von älteren und erfahrenen Lehrern beschäftigten, mehr zahlen mußten als nach diesem Schlüssel zulässig war. Im Ergebnis erhielt eine beachtliche Anzahl von Schulen Etatzuteilungen für den Schulbetrieb, die unter den zu erwartenden laufenden Kosten lagen.

Um es kurz zu machen: In den achtziger Jahren wurde zwar der Bildungswert der Schulbibliotheken erkannt, aber die Möglichkeiten zur wirksamen Finanzierung dieser Einrichtungen wurden gleichzeitig eingeschränkt.

Mitte der neunziger Jahre hatten wir auf der Plusseite der Ent-wicklung die neuen Ausführungen zum Nationalen Lehrplan, die 'schlanker', kürzer waren und mehr Bezug zum Auffinden und zur Nutzung von Informationen hatten als die ursprünglichen Regeln. Wir haben eine verstärkte Betonung des selbständigen bzw. des medienunterstützten Lernens sowie der Bewertung von Grund-fertigkeiten im Auffinden und Nutzen von Informationen. Wir haben eine kleine aber beständige Zunahme der Zahl der qua-lifizierten Bibliothekare, die in Schulen beschäftigt werden, und wir haben die Empfehlung von Coopers/Lybrand, daß Schulbibliotheksdienstleistungen zentral finanziert werden sollten 5).

Auf der negativen Seite ist die Tatsache zu verzeichnen, daß die Empfehlungen des Lisc-Berichts selbst nach 10 Jahren noch immer nicht umgesetzt sind. Das Bildungsgesetz von 1993 ermuntert zudem die Schu-len, sich aus der LEA-Kontrolle zu lösen 6). Zwei weitere LEAs haben 1995 die Schließung ihrer School Library Services bekanntgegeben, womit sich die Anzahl jetzt auf acht beläuft, und wir müssen mit weiteren Kürzungen rechnen.

Die kommenden Jahre

Oberflächlich betrachtet sieht die Zukunft nicht rosig aus, denn unsere schulbibliothekarischen Angebote sind keine verbindlich vorgeschriebenen Dienstleistungen, und das macht uns bei den anstehenden Etatentscheidungen verwundbar.

Die Auswirkung der Gesetzgebung hat eine Situation geschaffen, bei der die School Library Services abhängig sind von einem sich reduzierenden zentralen Etat, entgeltwirksamen Aktivitäten und/oder der Rückzahlung von Finanzen, die den Schulen zugeteilt wurden. Die Schulen, die sich dafür entscheiden, sich nicht wieder bei uns einzukaufen, reduzieren den Etat der School Library Services.

Acht LEAs bieten jetzt keine School Library Services mehr an. Nach dem neuesten Lisc-Bericht werden daher ersatzweise die Leistungen der örtlichen Öffentlichen Bibliotheken im zunehmenden Maße genutzt.

Es ist jedoch nicht alles so pes-simistisch zu sehen wie es scheint. Es gibt auch stärkende Faktoren. So haben wir eine gute bildungspolitische Basis. Der Nationale Lehrplan und pre-16 GNVQ 7) empfehlen eine starke Schulbibliothek, nicht nur für die Bereitstellung von unterstützenden Materialien sondern auch bei der Sicherstellung, daß die Schüler sie effektiv zu nutzen wissen.

Wir verfügen über enge Verbindungen zu Lieferanten und Verlegern und nutzen diese, um günstige Kaufbedingungen auszuhandeln, nicht nur für die Bibliothek sondern für die ganze Schule. Einige School Library Services bieten daher bereits eine zentrale Kaufvereinbarung an.

Informationen sind unser Geschäft

Zudem betont der Nationale Lehrplan die Notwendigkeit, daß die Schüler in der Lage sein sollen, Informationen aufzufinden und effektiv zu nutzen. Wer ist besser geeignet, die Koordinierung dieser Informationen zu übernehmen als wir? Wir bieten bereits Fortbildungskurse für Bibliothekseinführungen und für den Umgang mit Informationen an. Wir haben die Erfahrungen und das Know-How. Es ist aber erforderlich, dieses in Zusammenarbeit mit den Lehrkräften zu organisieren und zu strukturieren.

Es gibt andere Stärken in unserem Beruf, die uns so vertraut sind, daß wir gar nicht an sie denken. Zum Beispiel steht uns heutzutage eine noch nie erlebte Fülle an Informationen in unterschiedlichen Formaten und Medien zur Verfügung. Um es kurz zu sagen: Es gibt zu viele Informationen, als daß die Menschen damit fertig werden könnten und hier wird es eher Zuwachs geben, wenn wir in das nächste Jahrhundert gehen. Damit diese Informationen den Menschen nützen können, müssen sie und der Zugang zu ihnen organisiert werden. Und wenn es etwas gibt, was Bibliothekare können, dann ist es die Organisation des Zugriffs auf die Informationen. Hier ist eine Gelegenheit, die darauf wartet, genutzt zu werden.

Wir haben auch umfassende Er-fahrungen mit CD-ROM und deren Inhalten gemacht. Jetzt gibt es eine Technik, um Multimedia- CD-ROMs zu vernetzen, ohne daß sie irgendeine ihrer Multimedia-Funktionen einbüßen. Obwohl das im Augenblick noch verhältnismäßig teuer ist, werden die Kosten sicherlich in den nächsten Jahren sinken, so daß sie innerhalb des Finanzierungsrahmens der meisten Schulen liegen werden. Vernetzte CD-ROMs sind kostengünstiger als der Betrieb von einzelnen Einheiten. Die School Library Services sollten ihre Sachkenntnisse besonders den Sekundarschulen anbieten, um sich so auf diesem Sektor zu profilieren. Die Bibliothekare in den Schulen können die Verantwortung für die Betreuung eines dort stationierten CD-ROM-Netzes übernehmen, was sowohl logisch als auch kostengünstig wäre.

Wir haben desweiteren Erfahrungen mit der Nutzung von Online-Datenbanken (z. B. Dialog, Data Star, Campus 2000 oder sogar Prestel). Die Schulbibliothekare können bei einzelnen Online-Suchvorgängen helfen, die von den Schülern als Teil ihres Technologiekurses durchgeführt werden müssen, indem sie ein Formular-Suchblatt zur Spezifizierung der Datenbank und der Suchstrategie anbieten. Auf diese Weise wird der Verbrauch der Anschaltzeit kontrolliert und die Suchstrategien der Schüler verfeinert, während die Leitungs- und Telefonkosten auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Es gibt Internet, an das alle Schulen bis zum Jahr 2000 angeschlossen sein werden. Diejenigen von uns, die bereits Erfahrungen sammeln konnten, wissen, daß es ein wunderbares Kommunikationsinstrument ist, aber als Retrievalquelle viel zu wünschen übrig läßt. Die Tatsache jedoch, daß es allgemein genutzt wird, bedeutet, daß wir nicht nur mit den Arbeitsvorgängen vertraut, sondern auch bereit sein müssen, mit alternativen Quellen einzuspringen, wenn es die gewünschten Antworten nicht liefern kann. Seine Hauptstärke liegt darin, daß es uns den regelmäßigen Kontakt zu Kollegen in allen Bereichen und Informationsgebieten ermöglicht, was bisher recht umständlich war.

Die Zukunft

Es gibt zwei Meinungen zur Entwicklung der Schulbibliotheken. Die eine sieht uns auf die informationstechnologische Achterbahn aufspringen mit CD-ROMs und Online-Datenbankanbindungen, die Schüler und Lehrer von einzelnen Workstations aus bedienen, weit entfernt von einer schulischen oder außerschulischen Zentralbibliothek. Die andere sieht uns zurückgelassen beim Rennen der Technokraten und von den Computerleuten zur Seite geschoben. Uns bliebe demnach, wenn wir überhaupt weiter beschäftigt werden, nur noch das Abstauben von ungenutzten und ausgeblichenen Pergamenten in einer vergessenen Ecke der hochtechnisierten, industrieorientierten Schule der Zukunft. Ich teile keine dieser Ansichten.

Ich meine, unsere Zukunft steht in Verbindung mit unserer speziellen Fachausbildung. Unser Geschäft ist die Information. Wir sind mit der Begleitung der Schüler - und wenn wir ganz ehrlich sein wollen auch der Lehrer - durch das zunehmend komplizierter werdende Spinnennetz der Informationen in all seinen Formen beauftragt. In dem Maße, wie von den Schülern verlangt wird, sich die benötigten Informationen verstärkt selbständig zu beschaffen, in dem Maße wird unser Fachwissen zunehmend gefragt sein. Dies geschieht bereits in der Sekundarstufe.

Was die Informationstechnologien angeht, sollten wir uns nicht blenden lassen. Sie spielen alle eine Rolle, sie sind in einigen Sachen gut, aber keine von ihnen ist gut in allen Dingen. Es ist unser Beruf, ihre Stärken und Schwächen zu kennen und Empfehlungen für ihre beste Nutzung zu geben.

Die Schulbibliothek im Jahr 2100 - eine Vision

Die Schulbibliothek im einundzwanzigsten Jahrhundert - vorausgesetzt sie überlebt die nächsten drei bis fünf Jahre - wird traditionelle wie elektronische Informationsquellen in einer Vielzahl von verschiedenen Medien zur Verfügung stellen. Wahrscheinlich wird sie von einem ausgebildeten Bibliothekar geleitet werden, unterstützt durch eine Schreibkraft. Während der Schulstunden wird die Bibliothek mit Gruppen besetzt sein und von einzelnen Personen während des ganzen Tages über besucht werden. Sie wird als Zentrum für selbständiges Arbeiten und Studieren dienen. Der Schulbibliothekar wird über die Verfügbarkeit und die Nutzung der Informationsquellen beraten und die Schüler hinsichtlich ihres privaten Lesestoffs anleiten. Ihre Rolle im Bildungsprozeß wird sowohl von den Lehrkräften wie auch von den Schülern anerkannt und unterstützt werden.

Was ich beschrieben habe, stellt die beste heutige Praxis dar und ist der Typ von Bibliothek, wie er von HMI beschrieben wird 7). Mit der Zeit wird der wissenschaftliche und finanzielle Druck die Schulen allmählich zur Übernahme dieser Praxis zwingen, da sie sowohl hohe wissenschaftliche Standards bietet als auch kostengünstig ist. Wenn dieser Druck stärker wird, werden mehr Schulen sie in ihre Entwicklungspläne aufnehmen und sie wird eher die Regel als die Ausnahme werden. (Graham Small ist Direktor für Unterrichtsforschung am ADT College)

Literaturhinweise und Abkürzungsschlüssel

1) LEA: Local Education Authority (Schulbehörde, etwa den Schulämtern vergleichbar)

2) Office of Arts and Libraries:
School Libraries: the foundations of the curriculum. (Library and Information Series 13.) HMSO, 1984.
Lisc: Library and Information Services Council

3) GCSE: General Certificate of Secondary Education

4) Creaser, Claire:
A Survey of Library Services to Schools and Children in the UK 1993-94. Lisu, 1994.

5) Coopers & Lybrand/Department of National Heritage:
School library Services and Financial Delegation to Schools. HMSO, 1995.

6) Department of National Heritage:
Investing in Children: the future of library services for children and young people. (Library and Information Series No. 22.) HMSO, 1995

7) pre - 16 GNVQ: General National Vocational Qualifications (Richtlinien für die berufliche Bildung)
HMI: Her Majesty's Inspectorate (Schulinspektorat der LEA)
Department of Education and Science:
Better Libraries: good practice in schools; a survey by HM Inspectorate. HMSO, 1989.

(Gekürzte Wiedergabe des Artikels: "Light at the end of the corridor for schools?" in Library Association Record 9 (1995) 97. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Library Association London; Übersetzung: E. Bruhn)