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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Großbritannien

Books not bombings: Bibliotheken in Nord-Irland
Peter te Boekhorst

Wer wie die Teilnehmer einer vom British Council organisierten Studienreise die Gelegenheit hat, sich über das nord-irische Bibliothekswesen ausführlich zu informieren, ist beeindruckt von der Vielfalt und dem Leistungsstand bibliothekarischer Dienstleistungen in diesem Teil Europas, von dem die Medien behaupten, er befinde sich am Rande des Bürgerkriegs.

Zu den Besonderheiten der nord-irischen Bibliothekslandschaft zählt die im Zentrum Belfasts gelegene Linen Hall Library, eine von den wenigen im Bereich der Britischen Inseln noch existierenden "subscription libraries". Für einen Beitrag von £ 30 jährlich kann jeder den reichhaltigen Bestand der 1788 gegründeten Bibliothek nutzen. Doch auch Nichtmitgliedern steht die Bibliothek offen, die sie nicht zuletzt wegen der "Club"-Atmosphäre schätzen. Journalisten und Wissenschaftler aus der ganzen Welt nutzen die einzigartige Sammlung zur nord-irischen Geschichte und Gegenwart.

In der breiten Bevölkerung Nord-Irlands zeichnet sich seit Jahren ein immer größeres Interesse für die lokale und regionale Geschichte ab. Hier sind die Bestände der über 100 Öffentlichen Bibliotheken besonders gefragt. Sie verfügen zumeist über ein vielfältiges Angebot an sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Literatur. Außerdem helfen sie vielen Benutzern bei der Ahnenforschung, die sich gerade in Nord-Irland großer Beliebtheit erfreut, da hier die Frage der Abstammung für das Selbstverständnis und das soziale Zugehörigkeitsgefühl des einzelnen bis auf den heutigen Tag prägend sein kann.

Die bedeutendsten wissenschaftlichen Bibliotheken sind die der beiden Universitäten des Landes, der 1845 gegründeten Queen's University Belfast und der 1984 aus der New University of Ulster und der Ulster Polytechnic hervorgegangenen University of Ulster. Bei beiden fällt auf, daß ihre Bestände auf mehrere Standorte verteilt sind. Während im Falle der Queen's University Belfast neben der Zentralbibliothek 5 Fachbereichsbibliotheken existieren, besteht die University of Ulster praktisch aus 4 verschiedenen und bis zu 50 Meilen voneinander entfernten Standorten, die über eigene Bibliotheken verfügen: Belfast, Jordanstown, Magee and Coleraine. Zwangsläufig ist der Grad der Automatisierung sehr hoch: für den Benutzer sind über einen OPAC abrufbare aktuelle Titel- und Ausleihdaten unerläßlich. Seit 1987 werden die Titel unter Nutzung der Datenbank des Birmingham Libraries Cooperative Mechanization Project (BLCMP) katalogisiert und die Anzahl der im OPAC nachgewiesenen Titel durch retrospektive Konversion erhöht. Eine weitere Besonderheit der nord-irischen Universitäten ist der relativ hohe Anteil von Teilzeitstudenten. Die Bibliotheken berücksichtigen die Bedürfnisse dieser Studenten, die nach der regulären Arbeitszeit Kurse besuchen, in ihrer Erwerbungspolitik, den Ausleihmodalitäten und den Öffnungszeiten.

Neben einem vielseitigen Bibliothekswesen hat sich in Nord-Irland ein kleines, aber sehr facettenreiches Verlagswesen entwickelt. Im Bereich politikwissenschaftlicher sowie sozial- und wirtschaftshistorischer Literatur ist das Institute auf Irish Studies tätig.

Die 1971 gegründete Blackstaff Press bietet eine beeindruckende Auswahl an anspruchsvoller zeitgenössischer Literatur, die sich mit dem Leben in dieser Region beschäftigt und mit den politischen und sozialen Problemen auseinandersetzt.

Nebenbei bemerkt, von den gewalttätigen Auseinandersetzungen der paramilitärischen Kampfverbände von Protestanten und Katholiken, Unionisten und Nationalisten wird das Bibliothekswesen weniger in Mitleidenschaft gezogen als das alltägliche Leben. Die Öffentlichen Bibliotheken werden noch am ehesten in ihrer Arbeit vom Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten beeinträchtigt. Wir haben aber nur von einem einzigen Fall in Derry erfahren, wo die Zweigstelle einer Öffentlichen Bibliothek Ziel eines Brandanschlags war. Eine vergleichsweise harmlose Folge der politischen Situation ist, daß die Rotation der Mitarbeiter zwischen den einzelnen Zweigstellen nicht konsequent durchsetzbar ist. Will man Konflikte vermeiden, muß in einigen Gebieten die Konfessionszugehörigkeit der Bibliothekare der der Mehrheit der Benutzerschaft entsprechen. Ansonsten gelten die Bibliotheken - öffentliche wie wissenschaftliche - als neutral, d. h. sie sind nicht Schauplatz des gewalttätigen Konflikts zwischen den verfeindeten Gruppierungen.