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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Frankreich

Bericht eines bibliothekarischen Studienaufenthaltes in Paris vom 14.11. bis 11.12.1993
Gabriele Urban

Im Rahmen eines deutsch-französischen Austauschprogramms, organisiert von der Bibliothekarischen Auslandsstelle in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Ministère de l'Enseignement Supérieur et de la Recherche, hatte ich die Gelegenheit eines vierwöchigen Studienaufenthaltes in Paris, um einen Einblick in das französische Bibliothekswesen zu gewinnen.

Da ich aus einer Universitätsbibliothek kam, bot man mir die Möglichkeit, vor allem Universitätsbibliotheken zu besuchen: die Bibliothek der Universität Paris IV, der Universität Paris III, die Bibliothek Sainte-Geneviève, die Bibliothèque de la Sorbonne, aber auch Prestigeobjekte wie die Bibliothèque Publique d'Information im Centre Pompidou, die Mediathek in der Cité des Sciences in La Villette oder die Baustelle der Bibliothèque de France; außerdem wurde mir die Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine in Nanterre vorgestellt.

Bibliothèque Universitaire Paris IV - Grand Palais

Wie im Namen angedeutet, ist die Bibliothèque Universitaire Paris IV der Faculté de Lettres et sciences im Grand Palais untergebracht, einem Prachtgebäude im Stil des 17. Jahrhunderts, das mit seiner wunderbaren Aussicht auf den Invalidendom und den Eiffelturm für die Weltausstellung von 1900 am Ufer der Seine errichtet wurde.

Die Universität und die Bibliothek Paris IV besetzen freilich nur einen winzigen Teil des Gebäudes, die restlichen Räume sind nach wie vor Ausstellungsfläche, was für die Bibliothek Platzprobleme mit sich bringt.

Der Bestand im Grand Palais beträgt etwa 130.000 Bände und um die 1.300 Zeitschriften (laufende und abgeschlossene). Circa 70 % davon sind im Magazin untergebracht - sehr zum Leidwesen der Bibliothekare, die am liebsten alles freihand aufstellen würden, was sicherlich benutzerfreundlicher wäre. Folgende Fachgebiete sind vertreten: Germanistik, Slawistik, Italienisch, Rumänisch. Sie entsprechen dem Profil der Universität Paris IV. Die wirtschaftswissenschaftliche und die juristische Literatur stehen in der Filiale von Clignancour, die Dissertationen in einem Gebäude der Sorbonne.

Die Erwerbung wird von den jeweiligen "Conservateurs" (Fachreferenten) in die Wege geleitet, wobei Vorschläge der Professoren sowie der Studenten berücksichtigt werden. Da es sich um eine kleine Bibliothek handelt und die meisten "Bibliothécaires" ein abgeschlossenes Fachstudium haben, übernehmen diese auch Aufgaben von "Conservateurs" und betreuen eigenständig bestimmte Fächer.

Madame Dervichian, die stellvertretende Direktorin der Bibliothek, die gleichzeitig für die EDV verantwortlich ist, hatte gerade ein Akzessionierungsprogramm ausgearbeitet. Leider bildet dieses mit der ebenfalls automatisierten Ausleihe und der Katalogisierung kein integriertes System. Trotzdem bedeutet die automatisierte Akzessionierung eine Erleichterung in vielen Bereichen: für die statistische Erfassung, für die Bearbeitung von Rechnungen, beim Reklamieren.

Die Daten stehen den Benutzern zur Verfügung, die somit die Neuerwerbungen verfolgen können; außerdem können sie über eine Mailbox ihre Wünsche (mit Begründung) äußern und nach einer bestimmten Zeit nachsehen, ob sie erfüllt werden konnten oder nicht.

Die Katalogisierung erfolgt seit etwa dem Ende der Achtziger Jahre online im Verbundsystem SIBIL, ein in der Schweiz erarbeitetes Katalogisierungssystem, das von vielen Bibliotheken vor allem Südfrankreichs und einigen Pariser Bibliotheken übernommen wurde. (Die SIBIL-Zentrale ist in der UB Montpellier.)

Im Zuge der formalen Katalogisierung werden gleichzeitig die Schlagworte vergeben; verwendet wird dabei die Schlagwortnormdatei RAMEAU (Répertoire d'autorité-matière encyclopédique et alphabétique unifié), die seit 1988 existiert und die Überarbeitung einer kanadischen Normdatei ist.

Neben dem Online-Publikumskatalog existiert weiterhin der Zettelkatalog, der allerdings nicht mehr weitergeführt wird. Da es keinen klaren Schnitt gibt, sind sowohl Benutzer wie Mitarbeiter der Bibliothek angehalten, im Zweifelsfall in beiden Katalogen zu prüfen. Der Online-Katalog, der den Lesern zur Verfügung steht, umfaßt leider nicht den gesamten SIBIL-Verbund, sondern nur die Bestände von Paris IV. Entschädigt werden sie aber durch die Kataloge auf CD-ROM, die sie konsultieren können: Myriade (das französische Zeitschriftendatenbanksystem), Catalogue du Quartier Latin (Verbundkatalog der Bibliotheken Sainte-Geneviève, Sorbonne und Cujas).

Die Ausleihe ist automatisiert; es wird das ziemlich verbreitete System MOBIBOB angewandt.

Die Bibliothek Paris IV ist an den auswärtigen Leihverkehr PEB (Prêt entre bibliothèques) angeschlossen, der über eine elektronische Mailbox abgewickelt wird.

Seit einiger Zeit haben die Leser die Möglichkeit, einen PC mit Drucker - und natürlich mit eigenen Disketten - für ihre Arbeit zu benutzen.

Die moderne Technologie ist also in dieser kleinen Bibliothek sehr gut vertreten, was sowohl vom Bibliothekspersonal als auch von den Benutzern mit Begeisterung aufgenommen und als Arbeitserleichterung empfunden wird.

La Bibliothèque Sainte-Geneviève

Die Bibliothèque Sainte-Geneviève - von ihrem Status her gleichzeitig öffentliche und Universitätsbibliothek - besitzt einen der bedeutendsten Altbestände Frankreichs. Als Klosterbibliothek gegründet, öffnet sie schon vor der Revolution ihre Pforten für das Publikum. Dank dieser Tatsache sowie der politischen Orientierung des Abtes wird die Bibliothek von den Revolutionären zwar nationalisiert, aber ihr Bestand wird nicht verstreut; im Gegenteil, er wird noch mit Werken aus anderen, säkularisierten Bibliotheken bereichert.

Sainte-Geneviève führt 1838 unter ihrem damaligen Namen "Bibliothèque du Panthéon" die Abendöffnung ein: zweimal wöchentlich von 18 - 22 Uhr. 1930 wird der bisher öffentlichen Bibliothek der Status einer Universitätsbibliothek hinzugefügt.

Das Gebäude, in dem die Bibliothek heute residiert, wurde zwischen 1843 - 1850 von Henri Labrouste errichtet, dem Architekten der Bibliothèque Nationale. Es entspricht den modernsten Anforderungen eines Bibliotheksbaus Mitte des vorigen Jahrhunderts. Den ganzen Stolz des Hauses bildet immer noch der wunderbare Lesesaal, der für 400 Personen konzipiert wurde, heute aber (im Zeitalter der Massen-Universitäten) 715 Leseplätze umfaßt. Den alten Bau hat man im Laufe der Zeit mit zwei modernen ergänzt: 1954 mit dem Bibliographiensaal, 1961 mit dem Katalogsaal.

Die Bibliothek Sainte-Geneviève kann etwa 3 Millionen Dokumente ihr eigen nennen: ca. 4.500 Handschriften, ca. 1.400 Inkunabeln, 3.250 laufende Zeitschriften. Untergebracht sind sie in der sogenannten "Réserve", in der der Bestand vor 1810 steht sowie Werke zur Kunstgeschichte, Kunstkataloge und wertvolle gegenwärtige Drucke, oder in den Magazinen für den allgemeinen Bestand.

Sainte-Geneviève ist eine Universitätsbibliothek mit einer deutlichen Orientierung hin zu den Geisteswissenschaften. Die im Altbestand im wesentlichen vertretenen Fachgebiete sind: theologische Literatur, Geschichte, Geographie, Medizin, alte Periodika, etwa 500 Bände zur Musik des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Diese Fächer finden sich auf den gegenwärtigen Erwerbungslisten wieder: es wird gekauft, was traditionsgemäß schon immer gesammelt wurde.

Seit 1926 hat Sainte-Geneviève das Pflichtexemplarrecht der Drucker für: Theologie, Philosophie, Jura, Medizin, Naturwissenschaften und Technik.

Die Erwerbung und der Katalog bilden in dieser Bibliothek eine Abteilung. Die zweite große Abteilung umfaßt die Benutzung und die Magazine.

Seit 1989 wird im Verbund mit der Bibliothèque Nationale im System BN-OPAL katalogisiert. Dies bietet nicht nur die Möglichkeit der Fremddatenübernahme, sondern auch die Zusammenarbeit in der retrospektiven Katalogisierung.

Madame Boisard, die Bibliotheksdirektorin, sprach von diesem Projekt, das sie mitinitiiert hat, und das nach Fachgebieten durchgeführt wird. So wurden zusammen mit der Bibliothèque Nationale die Bibeln katalogisiert sowie die "Imitations de Jèsus-Christ".

Bei den neuen Beständen war man gerade dabei, von einer auswärtigen Firma die Konversion von ca. 200.000 Titeln durchführen zu lassen, um wie die BN alle Publikationen ab Erscheinungsjahr 1970 im Online-Katalog zugänglich zu haben.

Den Benutzern dieser Präsenzbibliothek steht ein OPAC auf CD-ROM zur Verfügung, der die Bestände von Sainte-Geneviève, Sorbonne und Cujas beinhaltet, der sogenannte "Catalogue du Quartier Latin". Dieser Gemeinschaftskatalog erscheint sechsmal im Jahr (zweimonatlich), verzeichnet aber keine Zeitschriften. Die Periodika sind in "Myriade" erfaßt, die CD-ROM-Version der Zeitschriftendatenbank.

Wie in Paris IV bleibt in Grenzfällen die doppelte Prüfung im Zettelkatalog und im OPAC nicht aus.

Nachschlagemöglichkeiten auf CD-ROM gibt es in Sainte-Geneviève sehr viele: CD-Thèses, Amtliche Druckschriften, Adreßbücher, FRANCIS (Datenbank für Geistes- und Wirtschaftswissenschaften), Enzyklopädien, Lexika.

Die Betreuung der Leser im Lesesaal und in der Bibliographiensammlung wird von den "Bibliothécaires" und den "Conservateurs" aller Abteilungen gesichert, die reihum Auskunftsdienst machen: täglich von 10 - 22 Uhr, auch samstags.

La Bibliothèque de la Sorbonne

Die Bibliothèque de la Sorbonne, von ihrem Status her interuniversitäre Bibliothek für die Universitäten Paris I, III, IV, V und VII, verwaltungsmäßig zur Universität Paris I gehörend, ist nach der Bibliothèque Nationale die wichtigste französische Bibliothek für die Fachgebiete französische und frankophone Literatur, Geschichte, Philosophie und Humanwissenschaften.

Der Bestand umfaßt ca. 2,5 Millionen Bände und 4 - 5.000 laufende Periodika. Die Magazine der Sorbonne sind fast voll. Man wartet hier ungeduldig auf die Fertigstellung des Centre Technique du Livre - einem Büchersilo für die Bibliothèque de France und die Universitätsbibliotheken von Paris - im Jahre 1996. Um die nächsten zwei Jahre zu überbrücken, wurden die Kellergewölbe ausgebaut und in Magazine umgewandelt, was für mich, die Besucherin, den Eindruck, in einem Labyrinth zu sein, noch verstärkte. (Die Verteilung der Magazine und der Mitarbeiter-Zimmer erschien mir ohnehin im ganzen Haus sehr kompliziert, so daß ich ständig in Gefahr gewesen wäre, mich zu verlaufen, hätte ich mich allein durch die ehrwürdigen Gewölbe bewegen müssen.)

Wie Sainte-Geneviève besitzt auch die Sorbonne einen bedeutenden Altbestand (Dokumente vor 1800). Bis vor etwa anderthalb Jahren standen alle Magazine der Bibliothek offen für die Pariser Professoren - auch jene mit den alten Büchern. Heute sind diese weitgehend von der Benutzung ausgeschlossen; sie können nur mit Genehmigung konsultiert werden, und man versucht, die nötigsten Restaurierungsarbeiten durchzuführen. Ein Teil der Altbestände, wie z. B. Handschriften, stehen in der Réserve. Dazu gehört auch die Bibliothek des Philosophen Victor Cousin mit ihren zahlreichen wertvollen Exemplaren in sehr schönen Einbänden. Die Sammlung ist sehr gut erhalten, weil sie bisher im allgemeinen Katalog der Sorbonne nicht nachgewiesen war und somit keinen allzu großen Strapazen ausgesetzt wurde.

Der Altbestand wird nicht mehr bereichert, er wird nur noch mit Werken zur Geschichte der Sorbonne ergänzt.

Die Erwerbung findet wie überall über Geschenk, Tausch und vor allem über Kauf statt, wobei den CADIST-Fächern (den Sondersammelgebieten) Geographie, Geschichte des Mittelalters, Neuere Geschichte (XV. - XIX. Jahrhundert) besondere Beachtung geschenkt wird. Die Akzession ist nicht automatisiert - im Gegensatz zur Ausleihe und zum Katalog.

In der Zeitschriftenabteilung wird nach dem Kardex-Prinzip akzessioniert. Für die Leser sind die Zeitschriften nur noch im CD-ROM-Katalog Myriade nachgewiesen. Er hat aber den Nachteil, daß einzelne Jahrgänge nicht nachgetragen und die Aufnahmen nicht abgeschlossen werden. Braucht man genaue Angaben zu einzelnen Periodika, bleibt ein Prüfen am Kardex nicht aus.

Eine Mitarbeiterin dieser Abteilung beschäftigt sich nur mit der Katalogisierung für den CCN (Catalogue collectif national), die Vorlage für Myriade. Dabei werden nicht nur die eigenen Zeitschriften eingegeben, sondern auch jene der anderen Pariser Universitätsbibliotheken (vergleichbar mit dem GKU).

Seit 1987 wird im SIBIL-Verbund katalogisiert. Im Falle des Altbestandes ist es schwierig, alle bibliographischen Daten unterzubringen, die bei alten Büchern von Belang sind. Da ein Ende der SIBIL-Katalogisierung abzusehen ist, arbeitet man in der Sorbonne an einem eigenen Katalogisierungssystem, das dem reichhaltigen Altbestand gerecht werden soll.

Ab 1987 ist der Bestand im Catalogue du Quartier Latin auf CD-ROM nachgewiesen.

Wie in anderen Universitätsbibliotheken auch, teilen sich die "Bibliothécaires" und die "Conservateurs" den Auskunftsdienst.

Was die Ausleihe angeht, fand ich erstaunlich, daß die Leser lediglich vier Bücher in den Lesesaal bestellen können; davon dürfen dann zwei für zwei Wochen ausgeliehen werden. (Für die Professoren liegt die Ausleihfrist bei vier Wochen, die Anzahl der Bücher bei sechs Monographien.) Das ist wahrscheinlich mit eine der Ursachen des riesigen Andrangs im Lesesaal. Andererseits werden nur solche Bücher ausgeliehen, die für die eigene Arbeit unerläßlich sind, und die Gefahr, daß Leser Publikationen blockieren, die sie nicht unbedingt benötigen, wird erheblich reduziert.

Die Bibliothèque de la Sorbonne ist an den auswärtigen Leihverkehr (PEB) angeschlossen.

In der Bibliographiensammlung werden immer mehr Nachschlagewerke auf Papier durch CD-ROM-Bibliographien (im Moment etwa 30) ersetzt. Davon kann man in vielen deutschen Bibliotheken nur träumen.

La Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine (BDIC)

Die BDIC ist eine der wichtigsten Informationsstellen Frankreichs für moderne und Gegenwartsgeschichte, für Literatur zur internationalen Politik und internationalen Beziehungen.

Ihre kuriose Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte schlägt sich in ihrem Bestand nieder. Während des Ersten Weltkrieges als Sammlung zum Zeitgeschehen von den aus dem Norden nach Paris geflüchteten Eheleuten Leblanc begonnen, wurde dieser Bestand bald so reichhaltig, daß die Leblancs keinen Platz mehr dafür in der eigenen Wohnung hatten. Sie schenkten das gesammelte Material: Bücher, Postkarten, Bilder, Flugblätter, Spielzeug, Kinderbücher, Karten u.v.m. dem Staat. So entstand die Einrichtung "Bibliothèque et musée de la guerre". Die Sammlung der Familie Leblanc wurde weitergeführt und ergänzt und trägt seit 1923 den Namen "Bibliothèque de documentation". Sie ist öfter umgezogen, bis sie ihren heutigen Platz auf dem Gelände der Universität Paris X in Nanterre gefunden hat. Das Museum mit permanent wechselnden Ausstellungen ist im Hôpital des Invalides untergebracht.

Seit 1917 hat die BN das Pflichtexemplarrecht für die Literatur zu den Weltkriegen an die BDIC abgegeben. Während der deutschen Okkupation war die Pflichtexemplarstelle der BN in Clermont-Ferrand, so daß die Literatur der Résistance-Zeit lückenlos vertreten ist.

Die BDIC ist CADIST-Bibliothek für das Fachgebiet internationale Beziehungen und Zeitgeschehen.

Der Bestand der Bibliothek ist nicht auf wissenschaftliche Literatur reduziert; er umfaßt auch Belletristik, die während der beiden Weltkriege erschienen ist oder ein Spiegelbild der politischen Lage einzelner Länder darstellt, Propagandabroschüren und graue Literatur aus verschiedenen Ländern. Die fremdsprachige Literatur ist hier wahrscheinlich zahlreicher vertreten als die französischsprachige.

Von Emigranten und Flüchtlingen wurden der Bibliothek einige wertvolle Privatarchive geschenkt, die durchaus brisantes Material bergen.

Als Magazinbibliothek ist der Bestand der BDIC über die Kataloge zugänglich. Es gibt einen Zeitschriftenkatalog, einen alphabetischen und einen nach eigener Systematik aufgebauten systematischen Katalog, auf dessen Karten ausführliche Inhaltsangaben zum jeweiligen Dokument zu finden sind.

Mademoiselle Patrois, die Leiterin des Katalogs, die mich durch die Bibliothek führte, war ziemlich unglücklich darüber, daß diese Art der sehr ausgiebigen inhaltlichen Erschließung nun, seit man dabei ist, im BN-OPAL-Verbund zu katalogisieren, nicht mehr möglich ist.

Als Schlagwortnormdatei dient RAMEAU.

Die Bibliothek hat etwa 2.000 laufende Periodika, deren inhaltliche Auswertung seit einigen Jahren aufgegeben wurde, seit es genügend Nachschlagematerial gibt.

Als Forschungsstelle zur Gegenwartsgeschichte ist die BDIC die Herausgeberin zahlreicher Publikationen, unter anderem der Zeitschrift "Matériaux pour l'histoire de notre temps". Die Mitarbeiter dieser Bibliothek, die in ganz Frankreich einen hervorragenden Ruf genießt, sind oft mit Recherchen für den Rundfunk, das Fernsehen oder die Presse beschäftigt. Regelmäßig werden die Recherchen für die in Frankreich sehr populäre Fernsehreihe "Histoire parallèle" durchgeführt.

La Bibliothèque Publique d'Information (BPI)

Die BPI, im Centre Pompidou untergebracht, hat eine Vorreiterrolle im öffentlichen Bibliothekswesen Frankreichs. Sie ist eine multimediale Einrichtung, unentgeltlich benutzbar, die sich eines riesigen Publikumserfolgs erfreut - ca. 13.000 Leser pro Tag. (Es muß aber ehrlicherweise zugegeben werden, daß ein Großteil davon Studenten sind, die, von der Lesesaalplatz-Misere in den Universitätsbibliotheken getrieben, auch nicht davor zurückschrecken, sich für anderthalb Stunden in die Schlange zu stellen, nur um einen Platz in den - sehr angenehmen - Lesesälen der BPI zu ergattern.)

Der Bestand der Bibliothek ist in seiner Gesamtheit freihand aufgestellt, wobei das Fachgebiet und nicht das Medium eine Rolle spielt. Systematisch (nach der Dezimalklassifikation) werden Bücher, Zeitschriften, Tonträger, Videos usw. zusammengeführt.

Die Bibliothek besitzt keine Magazinfläche, deshalb wird nichts archiviert. Die Wahrung der Aktualität des Bestandes bleibt eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Mitarbeiter. Was den Anspruch der angeschafften Literatur angeht, wird durchaus Universitäts-Niveau angestrebt, was zusätzlich dazu beiträgt, daß die BPI bei Pariser Studenten - vor allem der Anfangssemester - äußerst beliebt ist.

Den Zugang zu den Medien bekommt man (außer direkt am Regal) über die einfach benutzbaren OPACs. Es kann nach Verfasser, Titel oder Schlagwort gesucht werden, wobei die Schlagwortrecherche oft ziemlich enttäuschend ist.

Das Katalogisierungssystem ist GEAC, eine Variante von BN-OPAL.

Für die Schlagwortvergabe benutzt man auch hier RAMEAU.

Die Mitarbeiter der BPI haben das Glück, mit einem integrierten Akzessionierungs- und Katalogisierungssystem zu arbeiten, wobei viel über Fremddatenübernahme geschieht.

Die Aufteilung in Erwerbung, Katalog, Benutzung ist aufgehoben. Ein Drittel der Arbeitszeit wird der Auskunftstätigkeit gewidmet, um die langen Öffnungszeiten zu gewährleisten: Di. - Fr.: 12 - 22 Uhr, Sa., So. und Feiertage: 10 - 22 Uhr.

Es ist faszinierend, was dem Publikum an moderner Technologie geboten wird: ein Sprachlabor zur Erlernung von 116 Sprachen und Dialekten, 14 PCs mit 250 geladenen Programmen, um den neuesten Stand der Software kennenzulernen, die Möglichkeit von Datenbankrecherchen (die allerdings von einem Mitarbeiter der Bibliothek durchgeführt werden und die einzige nicht kostenlose Leistung sind).

Natürlich gibt es hier Tonträger (10.000 Schallplatten, 5.000 CDs), Videos, Laserdiscs sowie genügend Abspiel- und Fernsehgeräte.

La Médiathèque de la Cité des Sciences

Im Norden von Paris auf einem Gelände ehemaliger Schlachthöfe ist die Cité des Sciences entstanden, ein Museum für Wissenschaft, Technik und Industrie.

Eigentlich wollte man an dieser Stelle einen Verladeplatz für Schlachtvieh hochziehen. Der Plan wurde zwar fallengelassen, aber ziemlich spät - man hatte eine Bauruine im Wert von vielen Millionen Francs. Unter dem Druck der Öffentlichkeit kam endlich die rettende Idee der Einrichtung eines Museums für Wissenschaft, Technik und Industrie in diesem Problemviertel von Paris, in La Villette. Der an die neuen Bedingungen angepaßte Bau mit dem von den Umständen aufgezwungenen futuristischen Erscheinungsbild bekam eine sinnvolle Funktion, und man tat auch etwas für die Bevölkerung des Viertels, vor allem für die Jugendlichen, die man mit einer derartigen Einrichtung vielleicht einerseits motivieren konnte und andererseits von der Straße bekam.

Eine besondere Stellung in der Cité des Sciences nimmt die Médiathèque ein. Ihre Benutzung ist kostenlos, nur für die Ausleihe ist eine Gebühr von FF 200 im Jahr zu entrichten.

Auf einer Fläche von 8.000 m² sind 300.000 Bände freihand aufgestellt, ergänzt von 2.700 laufenden Zeitschriften. Es gibt Videogeräte, auf denen Lehr- und Dokumentarfilme zu bestimmten Themen gesehen werden können, eine Reihe von PCs mit Programmen zur Berufsbildung und Erziehung oder mit didaktischen Spielen.

Zugänglich ist der Bestand über den OPAC, der die Abfrage nach Titel, Autor, Körperschaft, Schlagwort und Stichwort ermöglicht. Den Lesern stehen in der gesamten Mediathek 70 Terminals zur Verfügung; der OPAC kann auch über Minitel befragt werden.

Die Recherche nach dem Schlagwort bereitet - trotz ihrer Beliebtheit -auch hier Schwierigkeiten.

Die Formalkatalogisierung erfolgt im System GEAC.

Weil ich aus der Akzession kam, erklärte mir Monsieur Agostini, der mich durch die Mediathek führte, vor allem die Erwerbungspolitik.

Sowohl die Mediathek als auch die gesamte Cité haben eine dreifache Aufgabe:

  1. eine pädagogische; den jungen Leuten sollen neue Entwicklungen auf dem Gebiete der Technik und der Naturwissenschaften nahegebracht werden. Der enge Kontakt zu Lehrern und Schulen ist dabei selbstverständlich.

  2. eine berufsbildende und -orientierende Aufgabe für Leute, die im Berufsleben stehen, die aber eher die praxisorientierte und weniger die rein wissenschaftliche Literatur suchen (z. B. Techniker, Ingenieure, Krankenpfleger usw.)

  3. dem breiten Publikum jeden Alters und jeder Berufsgruppe sollen die wissenschaftlichen Errungenschaften und die neuen Techniken vor Augen geführt werden.
Die Erwerbungspolitik der Mediathek wird somit zum Drahtseilakt; einerseits soll nicht zu schwierige Literatur angeschafft werden, andererseits ist man um ein bestimmtes Niveau bemüht - jede "Vulgarisation" will vermieden werden. Im Unterschied zur BPI, die - wie erwähnt - sich durchaus ein Universitätsniveau für ihr Publikum und ihre Bestände vorstellt, will die Mediathek von La Villette ein Ort für Leute sein, die im Beruf stehen, für Schüler, die einen "praktischen" Beruf anstreben, für Berufsanfänger und Auszubildende.

Der Bestand der Mediathek entspricht nicht dem einer Universalbibliothek; es gibt zwar einige allgemeine Nachschlagewerke, ansonsten sind vor allem Naturwissenschaften vertreten. Wirtschaftswissenschaften und Geisteswissenschaften tauchen nur in dem Maße auf, in dem sie mit den Naturwissenschaften verflochten sind.

Die Aufstellung erfolgte systematisch, wobei Print-Medien und audiovisuelle zusammenstehen.

Von der Arbeitsorganisation her sind die Mitarbeiter der Mediathek - in Anlehnung an die zu betreuenden Fachgebiete - in Referaten vereinigt und beschäftigen sich in gleichem Maße mit der Erwerbung, der Katalogisierung, der Benutzerberatung und -betreuung.

Bisher wurden die Bücher in Mehrfachexemplaren angeschafft. Da in letzter Zeit die Mittel nicht mehr ganz so üppig fließen, ist man dazu übergegangen, nur noch zwei Exemplare eines Werkes zu kaufen: eins für die Ausleihe, ein zweites für den Präsenzbestand.

Sowohl die Cité des Sciences als auch die Mediathèque, finanziell vom Ministère de la Recherche Scientifique abhängig, arbeiten oft mit der Industrie zusammen, die die Möglichkeiten der Promotion für ihre Produkte mit Begeisterung wahrnimmt und Ausstellungen organisiert und sponsert.

Schlußfolgernd möchte ich meinem Bericht noch einige allgemeine Bemerkungen hinzufügen.

In der Personalstruktur der französischen Bibliotheken überwiegen ähnlich wie in Deutschland - die weiblichen Mitarbeiter. Unterschiede, und zwar erhebliche, kann man in der Hierarchie erkennen. Während in deutschen Bibliotheken der Anteil an Frauen immer kleiner wird, je höher die hierarchische Stufe ist, gibt es in Frankreich sehr viele Abteilungsleiterinnen und Direktorinnen. Begründet wird das oft damit, daß die Bezahlung im französischen Bibliothekswesen noch schlechter ist als in Deutschland und somit nicht attraktiv genug für Männer. Ich habe mich aber gefragt, ob das der einzige Grund ist.

Andererseits ist es in französischen Bibliotheken oft so, daß die hohen und höchsten Positionen von Frauen eingenommen werden, die niedrigsten aber, die Stellen in den Magazinen z. B., von Männern. Wie mir eine französische Kollegin anvertraute, ist in solchen Fällen die Arbeitsatmosphäre manchmal nicht unproblematisch.

Was die Kostenverteilung angeht, haben in der Erwerbung die Neuanschaffungen absolute Priorität; Abstriche werden oft beim Binden gemacht.

Sehr viel Geld und Energie wird in die Ausstattung mit moderner Technologie investiert, die seit vielen Jahren triumphierend Einzug in französische Bibliotheken hält. Ich hatte den Eindruck, daß man viel offener, unverkrampfter und experimentierfreudiger Neuerungen gegenüber ist. Die Technik wird von den Mitarbeitern nicht überbewertet, sondern lediglich als Arbeitserleichterung und Arbeitsinstrument akzeptiert.

Die französischen Kollegen arbeiten 35 Stunden in der Woche in den UB und 36 Stunden in den öffentlichen Bibliotheken; der Jahresurlaub beträgt 7 Wochen, wobei in den UB jeweils zwei Wochen in der Weihnachtszeit und an Ostern hinzukommen, da die Einrichtungen geschlossen bleiben.