Publikationen Hierarchiestufe höher
Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Frankreich

Als deutsche Bibliothekarin in Frankreich
Petra Alzuyeta Teil II

Bibliothèque-Médiathèque de Nantes

Nantes (247.000 Einwohner), die Hauptstadt des Départements Loire-Atlantique, ist mit dem TGV von Angers aus in einer halben Stunde zu erreichen. Ich hatte Gelegenheit, einen kleinen Eindruck von der Stadt und der Bibliothek zu bekommen.

Schon beim Aussteigen aus der Straßenbahn an der Haltestelle "Médiathèque" schaut man auf einen grau gehaltenen Bau aus Stahl und Glas.

1985 wurde die Bibliothek eröffnet. Mit einer Rolltreppe geht es auf die Ebene, auf der sich der Eingang befindet. Das Innere wirkt ein wenig wie ein Labyrinth. Auf sechs verschiedenen Ebenen mit teilweisem Einblick durch Fenster oder Galerien befinden sich die Abteilungen der Bibliothek. Wegweiser und Plan sind übersichtlich, dennoch fällt die Orientierung auf den unterschiedlichen Ebenen nicht gerade leicht. Die Bibliotheken in der Bibliothek (Discothèque, Jugendbibliothek und Logithèque mit ca. 1.000 Disketten) haben ungünstigerweise unterschiedliche Öffnungszeiten. Die Benutzungsbedingungen sind ähnlich wie die in der Médiathèque von Angers.

Eine interessante Sonderabteilung besteht aus Karten, Plänen und Manuskripten. Diese Dokumente können nur vor Ort benutzt werden.

Die Bestände sind bis 1958 rückwirkend in einem OPAC erfaßt. Für die Altbestände gibt es bis zu diesem Zeitpunkt noch Kataloge. Dem Benutzer stehen mehrere PCs zu Recherchen auf CD-ROM zur Verfügung.

Die Bibliothek wird sehr gut genutzt, nicht zuletzt von den Studenten der Universität.

Bibliothèque Saint-Barthelemy

Nur wenige Kilometer von Angers entfernt liegt der Ort Saint-Barthelemy. Die Bibliothek wurde 1982 in "La Ranloue", einem restaurierten Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, eröffnet. Dieses befand sich damals im Herzen des Waldes von Verrière, in dem die Grafen von Anjou auf Jagd gingen.

Dieser historische Rahmen ist einerseits bestens für Veranstaltungen, Ausstellungen u.ä. geeignet, hat aber andererseits durch die Auflagen des Denkmalschutzes (z. B. Erhaltung der Treppe, der Räume) für den modernen Bibliotheksbetrieb einige Nachteile. So ist die Discothèque im 1. Stock (1985 eröffnet) nur über eine steile Treppe erreichbar. Das gleiche gilt für die Sachbuchbestände, die dort untergebracht sind. Oben angekommen, laden die Räume mit ihren alten Deckenbalken, Kaminen und Fußböden zum Verweilen ein.

Die Stadtverwaltung hat der steigenden Benutzerzahl Rechnung getragen und fördert die Bestandserweiterung mit einem angemessenen Etat. Die Bibliotheksarbeit wird von vier Angestellten der Stadt und drei ehrenamtlichen Helfern geleistet.

Wie häufig in kleinen Gemeinden, so findet auch hier ein Teil des kulturellen Lebens statt: Ausstellungen, Veranstaltungen in speziell dafür vorgesehenen historischen Räumen bieten den richtigen Rahmen. Im 2. Stock gibt es ein kleines und größeres Appartement, dort werden auswärtige Gäste (wie Autoren, Maler) untergebracht. Bei schönem Wetter finden Veranstaltungen auch im Garten statt, der so angelegt wurde, wie er im 17. Jahrhundert aussah: mit kleinen Pavillons an den Ecken der den Garten umschließenden Mauern. Hier finden vor allem für Kinder und Jugendliche, die sich teilweise auch selbst an der Bibliotheksarbeit beteiligen, Veranstaltungen statt.

Die Bibliothek Saint-Barthelemy hat einen Bestand von 15.906 ME (1993) und eine Gesamtausleihe von 65.168 ME. Bei den Ausleihzahlen ist immer zu bedenken, daß - wie in den anderen erwähnten Bibliotheken - die Zahl der Entleihungen begrenzt ist. Auch hier müssen die Benutzer einen Jahresbeitrag bezahlen. Die Öffnungszeit beträgt nur 13 Stunden pro Woche. Diese Kleinstadt-Bibliothek ist ebenfalls voll automatisiert.

Bibliothèques de Comités d'Entreprise

Les Bibliothèques de Comités d' Entreprise, die Werks- und Unternehmensbibliotheken, gibt es seit 1945. Sie geben vor allem den Arbeitern die Möglichkeit, an kulturellen Veranstaltungen in ihren Betrieben teilzunehmen, dienen als kulturelle Zentren und der Leseförderung. Es gibt heute 125 Comités d' Entreprise mit 223 Bibliotheken.

In Angers heißt das Comité d'Entreprise "Inter-CE-DAAC". Eine von diesem Firmenausschuß eingestellte Bibliothekarin betreut 10 Bibliotheken, die sich in Banken, Firmen und Unternehmen befinden. Sie ist für den Bestandsaufbau, die Ausstattung und das Veranstaltungsprogramm zuständig.

Die Bibliotheken sind in ihrer Größe und Ausstattung sehr unterschiedlich. Je nach Unternehmensgröße gibt es sehr kleine (20 qm), aber auch solche, die mehr als 150 qm groß sind. Ebenso unterschiedlich sind Bestandsgröße, Ausleihzahlen und Öffnungszeiten. Die Bibliotheksarbeit vor Ort wird von Betriebsangestellten übernommen. Alle drei Monate findet zwischen diesen ehrenamtlichen Mitarbeitern und der Bibliothekarin eine Zusammenkunft statt, auf der ein gemeinsames Aktivitätenprogramm entwickelt wird.

Seit die Bibliotheken nicht mehr nur von ehrenamtlichen Mitarbeitern, sondern auch von einer ausgebildeten Kraft betreut werden, die gezielten Bestandsaufbau betreibt, sind die Ausleihzahlen in allen Bibliotheken stark angestiegen. Viel entliehen werden vor allem Bilderbücher und Comics, die Eltern für ihre Kinder mitnehmen, sowie Unterhaltungs- und Hobbyliteratur. Die Bibliotheken werden während der Pausenzeiten auch zur Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre und zum Schmökern genutzt.

Bibliothèque Départementale de Prêt de Maine et Loire

1. Allgemeines

Die Bibliothèque Départementale de Prêt (BDP) de Maine et Loire ist eine der 96 BDP, die 27,6 Millionen Einwohner in 35.669 Kommunen, die weniger als 10.000 Einwohner haben, mit Büchern und anderen Medien versorgen. Bis 1985 wurden die BDP vom Staat verwaltet, seit der Dezentralisierung 1986 liegt die Kompetenz bei den Départements. Die BDP hat dafür Sorge zu tragen, daß die Ausleihmöglichkeiten denen in den städtischen Gebieten entsprechen. Sie ist dafür verantwortlich, ein zusammenhängendes Netz von Bibliotheken im Gesamtbereich des Départements aufzubauen.

2. Ausstattung

Die BDP Maine et Loire wurde 1990 neugebaut. Sie befindet sich in Avrillé, einem Ort nahe Angers. In dem modernen, hellen Gebäude (1.400 qm) arbeiten ein Bibliothekar im Staatsdienst (Direktor), 1 Bibliothekar und 6 Bibliotheksassistenten, 4 Magaziner, eine Verwaltungskraft und zwei technische Angestellte.

Bestellwesen, Katalogisierung und Recherchen, Ausleihverbuchung im Bibliotheksbus und Statistik laufen über EDV.

Es gibt drei Bibliotheksbusse (Bibliobus) und einen englischen Bus, der insbesondere für Werbezwecke eingesetzt wird, sowie ein Dienstfahrzeug.

Die BDP hatte 1993 einen Bestand von 167.310 ME, davon 69.508 Bücher für Erwachsene und 83.409 Bücher für Kinder und Jugendliche, 14.043 CDs und Kassetten, 350 Videos und Ausstellungsmaterialien.

3. Aufgaben

Die BDP versorgte 1993 208 Kommunen, das sind 57,1 % des Départements. 42 neue kommunale Bibliotheken werden seit 1992 von der BDP betreut, auch 1994 kamen neue Bibliotheken, die die Dienste der BDP beanspruchen wollen, hinzu. Die BDP hilft den Bibliotheken bei der Ausstattung der Örtlichkeiten, bei Buchanschaffungen, Katalogerstellung (auch OPAC) sowie bei Veranstaltungsprogrammen. Die BDP bietet Ausstellungen an, die sie an die Kommunen für die Dauer von 2 Monaten ausleiht. Sie stellt zu verschiedenen Themen eine Auswahl an Büchern, Zeitschriften, Dias, Videos, CDs und Hörkassetten zusammen.

Der rote, englische Bus dient vor allem der Öffentlichkeitsarbeit der BDP und soll einen Beitrag zu kulturellen Aktivitäten in ländlichen Gegenden leisten. Er wird insbesondere für Schulen eingesetzt und unterstützt das ehrenamtliche Bibliothekspersonal in den Kommunen. Die obere Etage des Busses wird zu Ausstellungszwecken genutzt, die untere, um neue Medien zu präsentieren. Die erste Werbeaktion, die die BDP mit dem Bus veranstaltete, war Europa gewidmet.

Eine weitere wichtige Aufgabe der BDP ist die Ausbildung des ehrenamtlichen Bibliothekspersonals. Es wird eine Grundausbildung zur Organisation und Verwaltung einer Bibliothek und eine spezialisierte Ausbildung (z. B. Jugendliteratur, EDV in Bibliotheken, Schreibwerkstatt, der Weg des Buches, Buchhandel, Ausstattung und Reparatur von Büchern) angeboten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter erhalten vierteljährlich "Le petit bleu", ein Informationsblättchen mit Berichten über die Aktivitäten der BDP und der kommunalen Bibliotheken sowie einer Auswahl an Neuerscheinungen.

Seit Oktober 1993 fahren die Bibliotheksbusse nicht mehr nur die Kommunalbibliotheken direkt an, sondern daneben gibt es - bisher drei - Zusammenschlüsse mehrerer Bibliotheken zu einem Bibliotheksnetz.

Dieses funktioniert so:

Die BDP fährt mit dem Bibliobus eine Bibliothek des Netzes, das aus 3-6 Kommunalbibliotheken besteht, dreimal jährlich an. Diese Bibliothek übernimmt eine Verwaltungsfunktion. Das ehrenamtliche Personal der teilnehmenden Kommunalbibliotheken kommt an festgelegten Terminen zu dieser Bibliothèque de Relais, sucht im Bus eine vorher genau bestimmte Anzahl von ME (nach Einwohnerzahl der Kommune berechnet) aus und transportiert sie im eigenen PKW in die jeweilige Bibliothek. Der Vorteil des Systems liegt für die BDP darin, daß sie nicht jede einzelne Kommunalbibliothek anfahren muß. Die BDP kann daher ein vergrößertes Angebot an ME machen und auch die Unterstützung bei technischen Fragen und im Veranstaltungsbereich erweitern. In jedem Netz trifft ein Verwaltungskomitee Entscheidungen darüber, wie die ME der BDP unter den Kommunen verteilt werden; in welcher Weise und wie oft die ME zwischen den Kommunalbibliotheken rotieren, wie Veranstaltungen und Ausstellungen realisiert, Buchbestellungen gemeinsam durchgeführt werden können und wie Mobiliar zusammen bestellt werden kann.

Um weitere Kommunen dafür zu gewinnen, sich zusammenzuschließen, bietet die BDP mehrere Anreize: es werden jeweils 400 Bücher mehr geliefert. Die Bibliothèque de Relais erhält eine Summe von 10.000 Francs (3.000 DM) zum Kauf von Büchern für jede hinzugewonnene Kommunalbibliothek sowie einen längeren Ausleihzeitraum für neue Bücher, ein Drittel mehr Bücher, wenn das interkommunale Netz 3,50 F (1 DM) pro Einwohner für den Kauf von Büchern ausgibt. Ferner ein Drittel mehr Bücher, wenn ausgebildetes und festangestelltes Personal beschäftigt wird. Ein Drittel mehr Bücher, wenn das Netz eine Kommunalbibliothek dabei hat, die mehr als 1.000 Einwohner hat und schließlich ein Drittel mehr Bücher, wenn sich mehr als 4 Kommunalbibliotheken zusammengeschlossen haben.

4. Das interkommunale Netz in Chaudron-en-Mauges

Das Bibliotheksnetz besteht aus sechs Bibliotheken, die sich in der Region Mauges befinden. Insgesamt gibt es 8.280 Einwohner in den sechs Kommunen. Von der BDP werden 3.360 ME deponiert. Die Rotationsstelle befindet sich in Chaudron-en-Mauges (rund 1.000 Einwohner) - und zwar nicht in der kleinen Bibliothek des Ortes, sondern in einem eigens dafür vorgesehenen Raum im benachbarten Rathaus. Hier findet der Austausch der Bücher und anderen Medien sowohl mit der BDP als auch den anderen 5 Bibliotheken statt. Während das Personal des Bibliobusses die deponierten Medien mit Hilfe eines Laptops zurückbucht, suchen die ehrenamtlichen Helfer im Bus neue Bücher aus, die danach erfaßt und auf Listen ausgedruckt werden. Die Bücher sind so ausgestattet, daß sie auch mit Buchkarten in den Bibliotheken ausgeliehen werden können.

Wenn die ehrenamtlichen Helfer aller sechs Kommunen ihre Medien ausgesucht, verbucht und abtransportiert haben, beginnt für das Personal der BDP (eine Bibliothekarin und ein Bibliotheksangestellter, der gleichzeitig Fahrer ist) das Zurückräumen der deponierten Bücher in den Bus und nach Ankunft in der BDP das Einsortieren in die dortigen Regale.

Zusammenfassung

Das vierwöchige Praktikum in Frankreich hat mir die Möglichkeit gegeben, einen Eindruck von der Struktur und Organisation des französischen Bibliothekswesens zu bekommen. Ich konnte das Erfahrene mit der hiesigen Bibliothekssituation vergleichen und viele Anregungen und neue Impulse für die Bibliotheksarbeit mitnehmen.