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Bibliothekswesen international in den Zeitschriften des DBI
Belgien

Schulbibliotheken in Flandern
Els Bervoets

Der Begriff "Schulbibliotheken" gilt in Flandern sowohl für Bibliotheken in Hochschulen als auch in Ober- und Grundschulen. Er umfaßt also den gesamten Unterrichtsbereich mit Ausnahme der Universitätsausbildung. Der Bericht gibt die aktuelle Situation sowie neuere Tendenzen der Entwicklung wieder.

Selbstverständlich gibt es sehr große Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulbibliotheken, was den Inhalt und die Arbeitsmethode betrifft. Sie sind nicht nur unterschiedlich aufgebaut, sondern sind auch in ihrer gesetzlichen Normgebung und der Situation hinsichtlich des Personals verschieden.

Viele Schulbibliothekare in Flandern wollen ihre Bibliothek nicht von der Außenwelt abschließen, sondern Informationen austauschen und gemeinsam Projekte in verschiedenen Verbänden und Arbeitsgruppen realisieren. Der nachstehende Überblick über die aktuelle Situation und die Tendenzen auf diesem Gebiet soll dies deutlich machen.

Die Hochschulen

Die Bibliotheken der Hochschulen, die keine Universitäten sind, sind am besten ausgebaut. Da in den Hochschulen mit vierjährigem Studiengang die Not an leicht verfügbarer wissenschaftlicher Dokumentation schon seit langem bekannt ist, verfügen sie jetzt über gediegen ausgebaute Bibliotheken. Die Hochschulen mit dreijährigem Studiengang und dem Abschluß 'Graduaat' wurden durch den königlichen Erlaß vom 30. April 1977, in dem das Amt des Bibliothekars für den höheren Unterricht außerhalb der Universität eingeführt wurde, errichtet. Die meisten von ihnen haben in den späten siebziger oder in den frühen achtziger Jahren eine Bibliothek aufgebaut. Am Anfang waren es kleine Bibliotheken, vom Bibliothekar geleitet, der wie ein Allroundkünstler und oft mit beschränkten Mitteln aber viel En-thusiasmus, die Dozenten und Studenten mit Informationen versorgte. Schrittweise wurde so-wohl die Qualität des Angebots wie auch die Dienstleistung erhöht. Neben Büchern und Zeitschriften gab es audiovisuelle, später auch digitale Medien und als letzte Erwerbung das Internet. Der Bibliotheksunterricht und der effektive Umgang mit diesen verschiedenen Informationsquellen wurde immer notwendiger und breitete sich ständig aus.

Das Dekret vom 13. Juli 1994 bezüglich der Hochschulen der Flämischen Gemeinschaft gilt als Wendepunkt. Es gibt den Hoch-schulbibliotheken die Möglichkeit, sich zu vollwertigen wissenschaftlichen Bibliotheken zu entwickeln, die den Universitätsbibliotheken gleichwertig sind. Die 163 oft kleinen Hochschulen wurden verpflichtet, sich zu 29 Hochschulen mit je einem Minimum von 2000 Studenten zu vereinigen. Dadurch verschwanden einige sehr kleine Hochschulen, andere wurden zusammengefügt. Ein solches Vorgehen verläuft selbstverständlich nicht ohne Probleme oder Konflikte. Es schafft aber auch Möglichkeiten, Kräfte zu bün-deln und zu einer höheren Qua-lität zu kommen. In einigen Hochschulen blieben die früheren Einrichtungen mit ihren Bibliotheken bis jetzt erhalten. Die neue Organisationsstruktur regt in mehr oder minderem Maße die Zusammenarbeit und Teambildung zwischen den Bibliothekaren an. In unserer digitalen Welt ist der Austausch von Informationen zwischen geografisch entfernten Orten perfekt möglich; es ist die wichtigste Herausforderung für die Hochschulbibliothekare, diese Möglichkeiten zu nutzen und zum Gewinn der Bibliothekbenutzer einzusetzen. Wichtige Voraussetzungen sind die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und die Flexibilität der Bibliothekare, aber ebenso die aktive Mitarbeit und Beteiligung der Hochschulleitung und der Behörden. Es sollte Garantien geben, daß genügend Personal und Mittel zur Verfügung stehen. Einsparungen sind in der heutigen Übergangsphase nicht angebracht.

Wie steht es mit der Personalausstattung? Das Dekret vom 13. Juli 1994 sieht eine Beschäftigung von unbestimmter Dauer für das Amt des Bibliothekars vor, der entweder den Status von Unterrichtspersonal oder von Verwaltungs- und technischem Personal hat. Die Diplomvoraussetzungen für diese Stelle sind verglichen mit anderen Berufen sehr hoch: 'Licentiaat'-Examen ergänzt durch den Abschluß des zusätzlichen Studienganges Informations- und Bibliothekswissenschaft oder ein Graduiertendiplom Bibliotheks- und Informationskunde. Der Beruf genießt aber bis jetzt nicht das Prestige, das die hohen Diplomanforderungen vermuten lassen. Außerdem sind die Hochschulen nicht verpflichtet, solche Stellen zu vergeben. Eine Umfrage im Frühjahr 1996, ausgeführt von der Abteilung Schulbibliotheken der VVBAD bei ihren Mitgliedern, hat ergeben, daß nur 12 von den 29 Hochschulen das Amt eines leitenden Bibliothekars vergeben hatten.

Die weitere personelle Ausstattung der Hochschulbibliotheken wird im Dekret nicht festgelegt. Im Augenblick werden die Stellen hauptsächlich an diejenigen vergeben, die vor dem Dekret das Amt des Bibliothekars ausübten und für die Übergangsregelungen mit drei möglichen Varianten vorgesehen sind: Beibehaltung des Amts des Bibliothekars ad personam mit vordekretalem Status (Erziehungshilfspersonal), Aufnahme in das Verwaltungs- und technische Personal oder Aufnahme in das Unterrichtspersonal. Gemäß der Um-frage sind ungefähr 67 % der Bibliothekare im früheren Status geblieben, ca. 7 % gehören dem Verwaltungs- und technischen Personal und ca. 27 % dem Unterrichtspersonal an.

Selbstverständlich umfaßt das professionelle Funktionieren einer Hochschulbibliothek viel mehr als den Status ihres Personals. Auf diesem Gebiet befinden wir uns noch in einer Übergangsphase. Die fusionierte Hochschule hat eine viel komplexere Struktur als vorher, und jede Dienststelle und jedes Projekt muß noch seinen Platz im Ganzen suchen und finden. Die Zusammenarbeit zwischen den Bibliothekaren wächst langsam auf ein Bibliotheksteam hin; direkte Kontakte mit der Geschäftsführung der Hochschule sind komplizierter. Die Aufgaben sind vielfältig: neben dem Unterricht spielen angewandte wissenschaftliche Forschung und soziale Dienstleistungen eine wichtige Rolle, neben der Grundausbildung gibt es jetzt auch Weiterbildung, Teil- und Fernunterricht. Der Dokumentationsbedarf für alle diese verschiedenen Unterrichtsformen sollte von der Hochschulbibliothek erfüllt werden kön-nen. Das Dekret fordert deshalb eine ständige Qualitätskontrolle und eine mehr auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmte Dienstleistung.

Der Sekundarbereich

Im Sekundarunterricht verfügen nicht alle Schulen über eine Bibliothek. In einer Schule mit mindestens 540 Schülern gibt es eine Stelle für die Verwaltung einer Bibliothek - sie hat zwar den zweideutigen Namen "Sekretär-Bibliothekar" - aber die Schulverwaltung ist nicht verpflichtet, diese Stelle zu besetzen: man hat die Wahl zwischen dem Amt eines Sekretär-Bibliothekars oder einem pädagogischen Assistenten. Die Diplomanforderungen für die Sekretär-Bibliothekare sind ein pädagogisches Diplom sowie ein Zeugnis, das die Fähigkeit zur Führung einer Öffentlichen Bibliothek bestätigt. Die Bezeichnung der Stelle läßt offen, in welchem Maße die Person sich Vollzeit für die Bibliothek einsetzen kann oder auch andere Sekretariatsarbeiten zu leisten hat.

Obwohl schon seit den siebziger Jahren im damaligen erneuerten Sekundarunterricht (VSO) auf die Eigenbetätigung der Schüler und den effizienten Umgang mit Informationsquellen sehr viel Wert gelegt wird, hat dieser Gedanke nicht zu einem systematischen und allgemeinen Aufbau der Bibliotheken im Sekundarbereich geführt. Noch immer ist es Sache einer örtlichen Initiative: wenn die Direktion bei der Realisierung des pädagogischen Konzepts den unersetzlichen Wert einer Schulbibliothek erkennt, dafür Personal und Mittel freimacht und dabei auf den freiwilligen Einsatz von Lehrern, Elternkomitee oder Freundeskreis rechnen kann, ist eine ausgezeichnete, gut funktionierende Bibliothek möglich. Einzelne Bibliotheken sind automatisiert; die Bidoc-Software, die auch in vielen Öffentlichen und Hochschulbibliotheken eingesetzt wird, erzielt sehr gute Ergebnisse.

Die Abteilung Schulbibliotheken der VVBAD versucht, die existierenden Bibliotheken ausfindig zu machen und die Verantwortlichen miteinander in Kontakt zu bringen zur Weiterbildung und zum Austausch von Informationen. Bis jetzt sind uns etwa hundert Bibliotheken bekannt, kaum 5 % der etwas mehr als 2000 Sekundarschulen in Flandern. Nur 13 des uns bekannten Personals sind Sekretär-Bibliothekare. Auch das ist sehr wenig im Vergleich mit z. B. dem Amt eines Chefsekretärs das von 600 Personen ausgeübt wird.

Die Tatsache, daß eine Schule nicht über eine eigene Bibliothek verfügt, soll aber nicht bedeuten, daß überhaupt nichts unternommen wird, um die Schüler zu geübten Informationsbenutzern zu erziehen. Ein guter Kontakt mit der örtlichen Öffentlichen Bibliothek kann vorzügliche didaktische Möglichkeiten bieten. Auch hier spielen die Umstände eine Rolle: die Entfernung zwischen Schule und Öffentlicher Bibliothek, die Flexibilität und Kreativität der Lehrer und des Bibliothekars.

Der Grundschulbereich

Im Grundschulbereich ist kein Posten für die Führung einer Bibliothek vorgesehen. Die Abteilung Schulbibliotheken der VVBAD hat keine Kontakte mit Bibliotheken dieser Unterrichtsstufe. Es gibt darüber auch wenig Literatur. Mir ist nur eine Publikation aus dem Jahre 1993 bekannt, die einen Überblick der Situation in Limburg gibt. Demnach existiert in 10 % der Grundschulen eine Art Bibliothek oder Dokumentationszentrum, geleitet von freiwilligen Lehrern oder Eltern. Gestaltung und Umfang dieser Bibliotheken werden nicht spezifiziert. Außerdem hat eine Verwaltung, die nur von Freiwilligen wahrgenommen wird, oft einen Mangel an Kontinuität zur Folge.

Trotzdem sind die Leute, die sich damit beschäftigen, oft sehr motiviert und bereit, sich weiterzubilden: die speziellen Kurse, die von der Bibliotheksschule in Gent für sie organisiert werden, haben großen Erfolg. Viele sind Wegbereiter bei der Einführung des neuen ZIZO-Klassifizierungssystems, das im Hinblick auf die Jugendbibliotheken entwickelt wurde und geben damit einen Impuls, der auf Dauer konstruktiv zum Ausbau der Schulbibliotheken in Grundschulen beitragen kann. Genau wie im Sekundarbereich haben selbstverständlich auch einige Grundschulen sehr intensive Kontakte mit der örtlichen Öffentlichen Bibliothek. Gemeinsam wird eine Vielfalt lesefördernder Aktivitäten entwickelt.

In letzter Zeit werden in den Berichten der Screenings und in den Diskussionen über die Ziele sowohl im Grund- als auch im Sekundarbereich deutlich Tendenzen sichtbar, die einen besseren Ausbau und eine Unterstützung der Schulbibliotheken befördern.

Zusammenarbeit und Berufsvereine

Da die Schulbibliotheken im Hochschulbereich am besten ausgebaut sind, ist es selbstverständlich, daß die berufsmäßige Zusammenarbeit dort am weitesten vorangeschritten ist. Seit 1981 gibt es innerhalb des Berufsvereins VVBAD eine Zusammenarbeit. Eine Gruppe von Schulbibliothekaren, hauptsächlich aus dem Hochschulbereich, organisiert Zusammenkünfte zur Weiterbildung ihrer Mitglieder, um die Schulbibliotheken und das Image des Bibliothekars zu fördern und um berufliche Kontakte zwischen Kollegen zu stimulieren. Die Arbeitsgruppe der ersten Stunde entwickelte sich später zu einer Subsektion und wurde 1988 eine selbständige Sektion. Auch außerhalb der flämischen Grenzen nimmt die Abteilung Schulbibliotheken am Gesprächsforum teil. So wurde 1994 mit den niederländischen Kollegen der Abteilung Hochschulbibliotheken des NVB (Niederländischer Bibliotheksverband) eine lehrreiche Studienreise zu den Bibliotheken von Portsmouth und Brighton University organisiert. Seit 1991 nimmt alle drei Jahre einer der Vorstandsmitglieder am IFLA-Kongreß teil. Auch mit dem vor kurzem errichteten Verein von Schulbibliothekaren der französischen Gemeinschaft in Belgien "Prodoc. edu", ist eine gute kollegiale Zusammenarbeit zustandegekommen. Auch außerhalb des VVBAD gibt es einige erwähnenswerte Initiativen. Innerhalb des VVKHO (Vlaamse Vereniging voor Katholiek Hoger Onderwijs) bestehen seit einiger Zeit bereichsbezogene Arbeitsgruppen für Hochschulbibliothekare und eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppen der Abteilungen Pädagogik und Gesundheitspflege haben bereits jahrelang Zeitschriften exzerpiert und verfügen jetzt über eine Datenbank mit tausenden Nachweisen aus wissenschaftlichen Zeitschriften in niederländischer Sprache.

Zur Zeit werden Verhandlungen geführt, um diese Datenbanken in das Elektron-Projekt aufzunehmen. Das Ziel dieses Projekts ist die Herstellung eines flämischen Netzwerks für elektronische Lieferung wissenschaftlicher Dokumente, vor allem wissenschaftlicher Zeitschriften direkt ins Büro des Endnutzers. Das Elektron-Projekt vom VOWB (Flämisches Beratungsgremium für wissenschaftliche Bibliotheksarbeit) richtet sich an flämische Universitäten und Hochschulen. Das VOWB, entstanden aus der Zusammenarbeit zwischen Universitätsbibliotheken innerhalb des Flämischen Interuniversitären Rats (VLIR), wird zur Zeit umstrukturiert, um noch mehr als vorher die Hochschulbibliotheken bei ihrer Tätigkeit einzubeziehen. Diese positive Entwicklung deutet darauf hin, daß die Hochschulbibliotheken seit der Verschmelzung mehr und mehr zu vollwertigen wissenschaftlichen Bibliotheken heranwachsen, um somit in der Zukunft auf gleicher Ebene mit universitären Bibliotheken zusammenarbeiten zu können.

Eine andere Initiative im gleichen Sinne ist die "Arbeitsgruppe Bibliotheken, Hochschulen der Provinz Antwerpen, Universität Antwerpen", die 1995 gegründet wurde. Diese Arbeitsgruppe ist zusammengesetzt aus den Hauptbibliothekaren oder den Bibliothekaren-Koordinatoren aller betreffenden Institute. Ziel soll es sein, Informationen auszutauschen und Abmachungen zu treffen über allerhand bibliotheksbezogene Angelegenheiten: zentrale Kataloge, Ausleihbedingungen, Reprorechte, Bestandsaufbau, Dokumentenlieferung, Themenerschließung und integrale Qualitätskontrolle.

Schlußfolgerung

Die Schulbibliotheken in Flandern sind ein Sektor, der in Bewegung ist, in dem vieles lebt und der ein Potential an motivierten Menschen umfaßt. Wir leben in einer faszinierenden Zeit mit den digitalen Medien als große Herausforderung. Unsere Aufgabe ist es, Informationsvermittler zu sein zwischen Lieferant und Endnutzer, das heißt, den jungen Leuten, die im 21. Jahrhundert unsere Gesellschaft bilden. Trotzdem wird das Bild unseres Berufs nicht hoch eingeschätzt und die Wichtigkeit gediegener Schulbibliotheken auf allen Ebenen des Unterrichts zu wenig anerkannt.

Die Ursache liegt im Fehlen einer vollwertigen Vollzeitausbildung als Bibliothekar innerhalb der höheren Ausbildung und die damit verbundene Anerkennung des durch diese Ausbildung erhaltenen Diploms. Es wäre nützlich, dafür in anderen europäischen Ländern Anregungen zu sammeln.

In einer Zeit der Globalisierung und Digitalisierung ist es mehr denn je notwendig, Kontakte und Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg zu knüpfen und dies nicht nur im Hinblick auf die Ausbildung sondern auch auf alle Aspekte des Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationswesens.

(Els Bervoets, Bibliothekarin, Katholische Hochschule Mechelen/Belgien, Vorstandsmitglied der Vlaamse Vereniging voor Bibliotheek-, Archief- en Documentatiewezen)


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