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Hans Peter Thun
Eine Einführung in das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland
DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT
1998


2. Bibliotheks- und Informationswesen

International wird im bibliothekarischen Bereich das Kompositum "Bibliotheks- und Informationswesen" häufig verwendet. In dieser Darstellung wird aber der Begriff Informationswesen sehr selten vorkommen, denn das entspricht dem deutschen Bibliothekswesen und dem durchschnittlichen Selbstverständnis deutscher Bibliothekare. Man wird in den Titeln deutscher Fachliteratur, in Programmen und Projekten, selten den Begriff Bibliotheks- und Informationswesen als wirklich fachliches Kompositum finden, sondern eher als Aufzählung von Bereichen, um deren Zusammengehörigkeit und Verknüpfungen man zwar weiß, die man aber nicht als Einheit sieht.

Prinzipiell ist das deutsche Bibliothekswesen eingebaut in eine Informationslandschaft, die bereits vor mehr als 20 Jahren durch das Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm) beschrieben wurde und in der die wissenschaftlichen Bibliotheken mit Zentralen Fachbibliotheken und Sondersammelgebieten ihren Platz finden. Diese nicht sehr übersichtliche Landschaft reicht von Informationsstellen der Privatwirtschaft und Hochschulen bis hin zu Fachinformationszentren für Chemie, Energie, Physik und Mathematik, Geowissenschaften und Technik und Werkstoffe und findet auch Verzahnungen über gewisse staatliche Förderprogramme und Projekte (IuD-Programm, DBV-OSI, SUBITO). Die Bundesregierung bemühte sich im Rahmen eines Förderprogramms sowohl um die Koordinierung als auch Entwicklung eines Informationssystems, in dem Bibliotheken neben Buchhandel, Verlag, Informationsvermittlungsstelle und Fachinformationsstelle nur einen Teilbereich bilden und in dem oft eher ein kooperatives Nebeneinander von Einrichtungen zu konstatieren ist, die in Deutschland keine eng verwobene Einheit bilden. Es darf daher nicht erstaunen, daß in der folgenden Beschreibung das Informationswesen im engeren Sinn nicht dominiert - das entspräche nicht der deutschen Sichtweise.

Das Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation wurde 1974 erstmals aufgelegt. Es war, entsprechend der föderalen Vorgaben, nur ein infrastrukturelles Programm, das Rahmenbedingungen für einen ansonsten freien Informationsmarkt schaffen sollte. Heute heißen diese Ziele:

Zunächst bezog das Programm eine recht große Zielgruppe ein, die vom Bürger und von gesellschaftlichen Gruppen über den Praktiker bis zum Wissenschaftler und Forscher reichte und sah die Begründung von 16 Fachinformationssystemen (FIS) vor. Die Weiterführung 1985-88 verschrieb sich bereits nicht mehr allgemein der Förderung von IuD, sondern hieß nun Fachinformationsprogramm der Bundesregierung und verfolgte nicht weiter den flächendeckenden Anspruch seines Vorgängers, nennt als Zielgruppe nur noch den Fachnutzer. Eine zweite Fortschreibung des Programms endete offiziell 1994. Sie förderte 16 Fachinformationseinrichtungen und Datenbankhosts, die insgesamt (zu Beginn des Programms 1990) 283 Datenbanken anboten.

Die Fortsetzung dieser Programme heißt "Information als Rohstoff für Innovation : Programm der Bundesregierung 1996-2000".

Hinsichtlich des Bibliothekswesens sieht dieses Programm die folgenden Maßnahmen vor:

"Die Bundesregierung wird - zum Teil gemeinsam mit den Ländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft - folgende Maßnahmen fördern:

Stärker als in vielen anderen Ländern, insbesondere den angelsächsischen, unterscheidet man in Deutschland zwischen Öffentlichen (meist als Gattungsbegriff groß geschrieben) und wissenschaftlichen Bibliotheken. Wissenschaftliche Bibliotheken sind dabei alle die Einrichtungen, die ihre Bestände und Dienste vornehmlich für die wissenschaftliche Ausbildung, die Forschung und Lehre, sowie die wissenschaftliche Unterstützung wirtschaftlicher Aktivitäten aufbauen und anbieten. Zwar sind zumeist auch die großen wissenschaftlichen Bibliotheken, insbesondere die wissenschaftlichen Universal- und Hochschulbibliotheken, für die allgemeine Benutzung offen, doch eben die Tatsache, daß sie ihre Bestände eher für eine eingeschränkte, wissenschaftlich orientierte Benutzerschaft aufbauen, unterscheidet sie nach den deutschen Definitionen von den Öffentlichen Bibliotheken. Diese sollen nach deutschen Vorstellungen "öffentlich" in vierfacher Hinsicht sein: In Trägerschaft der Öffentlichkeit (Gemeinde, Kirche, Öffentliche Gebietskörperschaft), Angebot an Beständen und Diensten für die Interessen der gesamten Öffentlichkeit, zugänglich für jedermann und mit Öffnungszeiten ausgestattet, die es jedem Bürger ermöglichen, die Einrichtung zu nutzen.

Wer das Bibliothekswesen der Bundesrepublik verstehen will, muß ganz unten in der föderalen Hierarchie beginnen, um eine Logik zu erkennen.


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