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Hans Peter Thun
Eine Einführung in das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland
DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT
1998


1. Politische Struktur

Als man nach dem 2. Weltkrieg dem westlichen Teil Deutschlands eine neue staatliche Ordnung gab und dabei beschloß, dieses in Form eines dezentral strukturierten Bundesstaates zu tun, geschah das nicht ohne Absicht. Durch eine möglichst große Dezentralisierung sollte die Macht auf viele Ebenen verteilt werden, sollte letztlich nach Möglichkeit verhindert werden, daß sich Macht artikulieren konnte, daß auf diesem Territorium, von dem aus dieser Krieg seinen Anfang genommen hatte, noch einmal ein starker, zentral organisierter Staat entstehen konnte. Die föderale Struktur schien zudem einer demokratischen Grundidee am nahesten zu kommen, war möglicherweise auch der Staatsform der USA nachempfunden.

So besteht unser Staat heute aus 16 Ländern mit großer Selbständigkeit, die durch die Klammer einer Bundesregierung zusammengehalten werden. Dem Ganzen wohnen Ideen des sog. "Subsidiaritäts-Prinzips" inne, das - auf den Staat bezogen und vereinfacht ausgedrückt - besagt, daß jedes Glied des Staatswesens selbständig sei, soweit seine Kräfte ausreichen, diese Selbständigkeit auch erfolgreich wahrzunehmen. Es wird oft bestritten, daß dieses Subsidiaritätsprinzip etwas mit dem Föderalstaat zu tun habe, aber gerade auf dem kulturellen Sektor sind Verwandtschaften hier gar nicht zu leugnen, denn wenn auch in der deutschen Föderation das Prinzip der Selbständigkeit in unterschiedlicher Intensität ausgeprägt erscheint, ausgerechnet auf dem Gebiet von dem hier die Rede ist, der Kultur, schlägt es bis auf die unterste Ebene durch, verlagert also die Zuständigkeit nicht nur auf die Länder, sondern - wenn es um die Öffentlichen Bibliotheken geht - auf die kleinste Einheit, die Kommunen.

Zuständig für alle kulturellen Angelegenheiten, also auch die Bibliotheken, ist nicht der Staat, es sind die Länder und, was das Gros der Bibliotheken ausmacht, die Kommunen. Jedem Dorf, jeder Stadt, bleibt es also überlassen, ob und wie man eine Öffentliche Bibliothek einrichten möchte. Die Universitäts-, Hochschul- und Landesbibliotheken sind zwar eingebunden in die Hochschulgesetzgebung, es gibt aber keine eigentlichen Bibliotheksgesetze in Deutschland, und dementsprechend niedrig ist auch der finanzielle Aufwand der öffentlichen Hand für das Bibliothekswesen: Von den Gesamtausgaben aller öffentlichen Haushalte entfallen in diesen Jahren nur ganze 0,16% auf die Bibliotheken.

Nur dort also, wo kulturelle Aufgaben nicht mehr von den Gemeinden wahrgenommen werden können, also bei den ganz kleinen Dörfern einerseits, bei universitären und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, bei großen Kulturinstituten, übergreifenden, nicht orts- oder bei ländergebundenen Interessen andererseits, setzen Förder- und Trägermaßnahmen überörtlicher Art ein, von den Kreisen über die Länder, bis schließlich zum Bund, der das wissenschaftliche und Öffentliche Bibliothekswesen über das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) durch die Förderung von speziellen Projekten unterstützt, sofern sie geeignet sind, die Struktur des Bibliothekswesens insgesamt zu verbessern.


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