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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 99

Fremdsprachenbestände Öffentlicher Bibliotheken

Situationsanalyse und Bedarfsermittlung von zentralen Serviceleistungen

Judith Schleyer, Waltraud Langer-Weber, Anette Mangeot-Kunzner

Im Rahmen des 7. Deutschen Bibliothekskongresses 1997 in Dortmund fand das 1. Arbeitstreffen der Großstadtlektoren statt. Dieses Treffen (betitelt "Zwischen Mainstream und Bestandsprofil, zwischen Titelbreite und Fremdleistungen") hatte die Absicht, die Diskussion über neue Wege für Großstadtlektorate und über die Möglichkeit für Kooperation, Vernetzung und Aufgabenteilung in Gang zu setzen.

Die Diskussion wurde 1998 (während der DBV/vba-Tagung) weitergeführt. Während des 2. Arbeitstreffens wurde unter anderem der Bedarf an Lektoratskooperation im Bereich der Fremdsprachen (Auswahl, Erwerbung, Erschließung) behandelt und die Durchführung einer Umfrage über die "viability", eine zentrale Serviceleistung im Bereich Fremdsprachen, vorgeschlagen.

Die Lektorate der Stadtbücherei Frankfurt am Main, der Stadtbibliothek Bremen und der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen haben diese Aufgabe übernommen und die Umfrage durchgeführt. Ziel war es, zu erkunden, ob ein zentraler Service ökonomisch vertretbar wäre. Mit unserer "Barometer-Umfrage" wollten wir herausfinden, ob Interesse an einer zentralen Serviceleistung besteht, für welche Fremdsprachen sie angeboten werden sollte und ob sich dieses Interesse, wenn vorhanden, auch in der Bereitschaft, eine solche Leistung zu finanzieren, widerspiegelt.

Es folgen die bereits auf dem 3. Arbeitstreffen während der vba-Tagung in Meiningen am 17. Juni 1999 vorgestellten Ergebnisse.

Allgemeine Informationen

Von 106 verschickten Fragebögen (12 an Bibliotheken der DBV-Sektion I und 94 an Bibliotheken der DBV-Sektion II) wurden 72 beantwortet (= 68%). Dieser sehr gute Rücklauf kann bereits als ein Indiz für das Interesse und den Bedarf an einer Fremdsprachen-Serviceleistung gewertet werden.

Den numerisch größten Rücklauf (54 Bibliotheken) erhielten wir aus Kommunen von 100.000 bis 300.000 Einwohnern (Ew.). Aus Städten knapp unter 100.000 Ew. kamen 4 Antworten und 13 beantwortete Fragebögen aus Städten über 300.000 Ew. (wir haben hier die Büchereizentrale Flensburg nicht eingerechnet). Bei unseren Auswertungen haben wir uns eher auf die Kommunen von 100.000 bis 300.000 Ew. konzentriert, um den beabsichtigten finanziellen Einsatz ermitteln zu können.

Zusätzlich zu der Größe der Kommunen wollten wir die Größe der Bestände und die Zahl der aktiven Leser erfahren. Die Aussagen über die Größe der Gesamtbestände konnten wir aus folgenden Gründen leider nicht analysieren:

Da diese Zahlen somit nicht vergleichbar sind, konnten wir auch keine Aussage zur Zahl der aktiven Leser machen.

Aktuelle Praxis des Bestandsaufbaus (hier: Fremdsprachen)

Gehören fremdsprachige Angebote zum Profil/zu den Schwerpunkten Ihrer Bibliothek/Ihres Bibliothekssystems?

Mit dieser Frage haben wir versucht, die ganze Bandbreite der Bedeutung des fremdsprachigen Angebotes zu erfassen. Die Zahlen (insgesamt haben 78% die Frage bejaht) belegen eindeutig, dass der Fremdsprachenbestand grundsätzlich einen großen Stellenwert für die meisten Bibliotheken hat. Auffallend war, dass das Verständnis und die Handhabung der beiden Begriffe "Schwerpunkt" und "Profil" sehr unterschiedlich waren.

So benannten z. B. einige Bibliotheken mit geringem Budget (z. B. DM 600,- für 12 aufgelistete Sprachen) dieses Angebot als "Profil/Schwerpunkt", wohingegen andere mit einem Budget von DM 10.000,- die Frage verneinten. Somit sind unter quantitativen Gesichtspunkten die Antworten nur relativ zu werten.

Außerdem hatten wir den Eindruck, dass Medien zum Spracherwerb, die in der Regel bei der Sprachwissenschaft angeboten werden, in einzelnen Fällen zur Fremdsprachensachliteratur gezählt wurden.

Fremdsprachenbestand als Schwerpunkt/Profil:

Einwohner

Ja

Nein

kein Fremdsprachen-Bestand

unter 100.000

2

---

2

über 100.000

21

15

2

über 200.000

11

5

---

über 300.000

3

---

(1 keine Angabe)

über 400.000

1

2

---

über 500.000

7

---

---

Unter 1.000 bis 3.000 Bände ist die angegebene Größe des Fremdsprachenbestandes bei 55% der antwortenden Bibliotheken (7 haben keine Angaben gemacht) von Kommunen über 100.000 bis 300.000 Ew. Die Kommunen über 300.000 Ew. haben erwartungsgemäß einen Bestand von 10.000 bis über 20.000 Medieneinheiten. Als problematisch erwies sich, dass die angegebenen Zahlen sich teils auf das ganze Bibliothekssystem, teils ausschließlich auf die Zentralbibliotheken beziehen.

35% der Bibliotheken haben keine Angabe gemacht oder konnten keine Aussage machen, da es keinen gesonderten Fremdsprachenetat gibt. Deutlich wird, dass über die Hälfte der Bibliotheken (von 100.000 bis 300.000 Ew.) für den Fremdsprachenerwerb nur einen relativ geringen Betrag (bis zu
DM 4.000,-) bereitstellen.

Lediglich 50% der antwortenden Bibliotheken über 300.000 Ew. verfügen über wesentlich höhere Etats (DM 10.000,- bis DM 60.000,-)

Fremdsprachenetat:

keine
Angaben

kein gesonderter
Fremdsprachenetat

bis
DM 1.000,-

DM 1.000,-
bis 4.000,-

DM 4.000,-
bis 6.000,-

DM 6.000,-
bis 20.000,-

8

11

4

17

9

5

Folgende Sprachen werden schwerpunktmäßig angeboten:

Unbestritten an erster Stelle stehen Englisch und Französisch. Erwartungsgemäß bieten fast alle Bibliotheken diese Sprachen in allen Sparten [Erwachsene und Kinder- und Jugendliche (Sach- und Schöne Literatur)] an. Türkisch ist eindeutig an dritter Stelle zu nennen, ebenfalls in allen Sparten. Das Mittelfeld bilden ohne nennenswerte Unterschiede in der Rangfolge: Italienisch, Russisch, Serbisch-Kroatisch-Bosnisch, Spanisch und Polnisch.

Skandinavische Sprachen und Niederländisch spielen nur in den jeweiligen Grenzgebieten eine Rolle. Griechisch und Portugiesisch haben insgesamt stark an Bedeutung verloren.

Arabisch und Persisch spielen in Sektion I-Bibliotheken eine deutlich größere Rolle als in Sektion II-Bibliotheken. Alle anderen Sprachen sind quantitativ zu vernachlässigen.

Insgesamt wurde deutlich, dass lediglich in den Sprachen Englisch, Französisch und Türkisch Sachliteratur im Erwachsenenbereich gekauft wird. In allen anderen Sprachen spielt sie keine Rolle.

Mehr als die Hälfte der Bibliotheken bejahte die Frage nach einem eigenen Lektorat für Fremdsprachen, jedoch verfügen nur wenige über ein eindeutig ausgewiesenes Fachlektorat für Fremdsprachen. In den meisten Bibliotheken werden die Fremdsprachen lediglich neben anderen Aufgaben mitbetreut. Die Zahl der dafür aufgewendeten Arbeitsstunden ist dementsprechend gering.

Als Bestellgrundlagen und Bezugsquellen werden eindeutig die ekz-Listen als primäre Bezugsquelle genannt (über 90%), dicht gefolgt von Spezialbuchhandlungen. Alle anderen Quellen, auch ekz-Standing-Order, sind von untergeordneter Relevanz. Außerdem ist festzustellen, dass der Einsatz von Internet für die Erwerbung bislang noch keine große Rolle spielt.

Die meisten Bibliotheken (zwischen 100.000 bis 300.000 Ew.) praktizieren bei der Katalogisierung und verbalen Sacherschließung eine Mischform aus vollständiger und/oder pragmatischer Eigenproduktion und ekz-Fremddatenübernahme für die Bestandserschließung. Die Fragestellung lässt keine Differenzierung nach Sprachen zu.

Formen der Bestandserschließung:

(vollständige) formale und inhaltliche Erschließung im Hause (ohne Fremddaten)

24

pragmatische Handhabung der Erschließung (ohne Fremddaten)

27

Übernahme von Fremddaten: ekz

23

DBI

3

DDB

2

VLB

1

Zukünftiger Bedarf

Würden Sie das Fremdsprachenangebot Ihrer Bibliothek aufbauen/erweitern, wenn Sie zentrale Serviceangebote in Anspruch nehmen könnten?

Falls ja, in welchen Sprachen und mit welchem (ca.-) Betrag?

Annähernd 50% der Bibliotheken (100.000 bis 300.000 Ew.) würden ihr Angebot an Fremdsprachen erweitern. Deutlich wurde, dass viele Bibliotheken dieses Vorhaben nur bei entsprechender Personal- und Etataufstockung durchführen können. Leider wurden nur selten konkrete Geldbeträge angegeben, so dass dieser Teil der Frage nicht ausgewertet werden konnte.

Auch bei der Frage nach AV- bzw. elektronischen Medien sind Englisch und Französisch am häufigsten genannt worden, gefolgt von Spanisch, Italienisch, Türkisch und Russisch

Anzumerken ist hierbei, dass insgesamt 50% der Bibliotheken keine Angaben zu der Frage nach Erweiterung im Non-book-Bestand gemacht haben.

Die Auswertung der Auswahl anzukreuzender gewünschter Serviceangebote ergab:

Der größte Bedarf an Serviceleistungen besteht wiederum für die bereits eingangs aufgeführten Sprachen Englisch, Französisch, Türkisch, Italienisch, Russisch, Serbisch-Kroatisch-Bosnisch, Spanisch und Polnisch.

Zusammenfassung der Analyse der ausgewerteten Daten

Der gute Rücklauf des Fragebogens, der offensichtlich hohe Stellenwert des Fremdsprachenbestandes, die geringe Zahl von Bibliotheken, die über ein Fremdsprachenlektorat verfügen sowie der Wunsch von über 50% der Bibliotheken, ihren Fremdsprachenbestand zu erweitern, lässt uns zu dem Schluss kommen, dass ein großer Bedarf an zentralen Dienstleistungen vorhanden ist.

Andererseits ist ebenso deutlich geworden, dass die meisten Bibliotheken vor erheblichen Finanzierungsproblemen stehen. Dies belegen schriftliche Kommentare wie z. B. "gekauft wird am Ende des Jahres, wenn noch Geld übrig ist" oder "nur unsichere Verbindlichkeit".1

Eine von uns anvisierte zentrale Dienstleistung müsste aber in jedem Fall auf einer ökonomisch gesicherten Basis arbeiten und setzte ein deutliches höheres Finanzvolumen voraus. Da dies auf Grund der finanziellen Unsicherheiten nicht möglich zu sein scheint, müssen wir versuchen, andere Lösungswege zu finden.

Eine praktikable Möglichkeit wäre sicherlich, eine neue Form der Zusammenarbeit mit Spezialbuchhandlungen anzustreben. Wünschenswert wären spezielle bundesweite Angebote für öffentliche Bibliotheken mittels annotierter Listen, ergänzt durch Katalogisate für die weniger geläufigen Sprachen wie z. B. Russisch oder Arabisch.

Die Zukunft, oder besser: die elektronische Zukunft wird es vielleicht einmal möglich machen, dass Online-Bibliothekskataloge und Online-Buchhandlungen den Bibliotheken den Bestandsaufbau im Fremdsprachenbereich erleichtern werden.

Da dieses Ziel wohl erst einmal Zukunftsmusik bleiben wird, könnte ein erster pragmatischer Schritt das Erstellen einer Adressenkartei von Bezugsquellen sein. Dabei wäre noch zu klären, in welchem Umfang und von welcher Institution diese Liste verbindlich betreut und publiziert oder im Internet zugänglich gemacht wird.2

Das Fremdsprachenlektorat der Stadtbücherei Frankfurt am Main ist gerne bereit, einen Anfang hierfür zu leisten, indem es sich als Sammelstelle für die bereits bestehenden Adressenlisten der einzelnen Bibliotheken anbietet. Wir würden uns über möglichst zahlreiche Zusendungen freuen, um einen bundesweiten, kontinuierlich zu aktualisierenden Datenpool starten zu können. Dieser Pool wird demnächst über die Homepage3 der Stadtbücherei Frankfurt einzusehen sein.

Sie können uns erreichen:

Judith Schleyer

Tel: (0 69) 2 12-3 85 92
E-Mail: judy.schleyer@stadt-frankfurt.de

Waltraud Langer-Weber

Tel: (0 69) 2 12-3 59 54
E-Mail: waltraud.langer-weber@stadt-frankfurt.de

Anette Mangeot-Kunzner

Tel: (0 69) 2 12-3 83 19
E-Mail: anette.mangeot-kunzner@stadt-frankfurt.de

1 Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität wird im Bereich des Fremdsprachenbestandsaufbau von einer anderer Umfrage bestätigt (Beyersdorff, Günther: Bedarfsgerechter Bestandsaufbau? Bibliotheksdienst 33 (1999) 5, S. 776-780)

2 Der Beratungsdienst Soziale Bibliotheksarbeit im DBI hat im Internet http://www.dbi-berlin.de/dbi_ber/sozbib/bezugsq.htem eine Liste von Bezugsquellen für fremdsprachige Medien bereitgestellt.

3 Diese Adresse wird zu gegebener Zeit an dieser Stelle bekanntgegeben.


Stand: 26.11.99
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