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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 99

Reformierungsaspekte des bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiums

Stephan Büttner, Wolfgang Jänsch, Jens Krause, Heidrun Vogel

1. Einführung

Seit einiger Zeit sind die klassischen Magister- und Diplom-Ausbildungsgänge im Hochschulbereich "ins Gerede" gekommen. Mit der Neufassung des Hochschulrahmengesetzes (HRG), das die probeweise Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen (B.A./M.A.) an deutschen Hochschulen vorsieht, soll u.a. die Profilbildung und der Wettbewerb im deutschen Hochschulwesen gestärkt werden.

Das Institut für Bibliothekswissenschaft (IB) an der Humboldt-Universität zu Berlin hat sich diesem Auftrag des HRG gestellt und in 1998/99 einen konsekutiven Masterstudiengang "Bibliothekswissenschaft" entwickelt. Zu Beginn der Entwicklung dieses Studienganges führte das IB eine qualitative und quantitative Befragung unter privaten und öffentlichen Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationseinrichtungen (BID) durch.

Ziele der Analysen waren:

Die wichtigsten Ergebnisse werden im folgenden dargestellt. Die Volltexte der Studien liegen im IB auf Anfrage vor und können bei Bedarf eingesehen werden.

 

2. Qualitative Analyse

Schwerpunkte der qualitativen Analyse waren:

Befragt wurden 25 Mitarbeiter aus Bibliotheken, Dokumentationsstellen, Weiterbildungseinrichtungen und Arbeitsämtern sowie sieben Absolventen des Magisterstudienganges Bibliothekswissenschaft.

Es sprachen sich spontan sehr viele BID-Einrichtungen für eine Verkürzung des Studiums und die Einführung von international vergleichbaren Studienabschlüssen, insbesondere des Bachelor-Abschlusses im BID-Bereich aus. Die Termini "Bachelor (BA)" bzw. "Master (MA)" wurden dabei bewusst nicht genannt.

Als Vorteile einer Studienzeitverkürzung werden gesehen:

Als Nachteile einer Studienzeitverkürzung werden u.a. gesehen:

Die BID-Einrichtungen forderten eine stärker praxisorientierte und realitätsnahe Ausbildung. Die Praxisphasen sollten zwischen drei und sechs Monaten umfassen, Praktika vor Beginn des Studiums werden als sinnvoll angesehen.

Die vermittelten EDV-Kenntnisse entsprechen oft nicht den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Insbesondere sollte die Fähigkeit zum Lernen beigebracht werden. Erlernt werden sollen neben den EDV-Grundlagen vor allem Standardanwendungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und der Umgang mit Datenbanken. Der Umgang mit dem PC, dem Internet, Datenbanken etc. sollte in den Curricula festgesetzt werden.

Die Befragten bemängelten fehlende betriebswirtschaftliche Kenntnisse, die nach Abschluss des Studiums in Weiterbildungen nachgeholt werden müssen. Vermittelt werden sollten Kenntnisse über Kostenrechnung, Marketing, Controlling und Qualitätsmanagement, um betriebswirtschaftliche Hintergründe zu verstehen.

Generell wurde von den BID-Einrichtungen die mangelnde Rezeption des Berufsbildes bibliothekswissenschaftlicher und dokumentarischer Absolventen 'beklagt'.

 

3. Quantitative Analyse

Schwerpunkte der quantitativen Analyse waren:

In der quantitativen Analyse wurden 719 Informations- und Dokumentationseinrichtungen (IuD) in Deutschland befragt. Die Rücklaufquote betrug 30%. Insgesamt konnten 177 Fragebögen (24,6%) ausgewertet werden.

In den befragten IuD-Einrichtungen arbeiten im Durchschnitt 4 IuD-Mitarbeiter. Nach geplanten Stellenerhöhungen in den nächsten 4 Jahren befragt, bezifferte jeweils eine Einrichtung die Stellenerhöhung auf 3-5 Stellen bzw. >5 Stellen. 16 Einrichtungen wollen mehr als 2 Mitarbeiter einstellen - der Rest (immerhin 90%) gaben an, dass sie keine neuen Mitarbeiter einstellen werden. Insgesamt sind von den 177 IuD-Einrichtungen ca. 26 neue Stellen geplant. Extrapoliert man diesen Stellenzuwachs auf alle 719 befragten Einrichtungen, so beabsichtigen die IuD-Einrichtungen in den nächsten 4 Jahren ca. 105 neue Stellen zu schaffen. Hieraus lässt sich ein zusätzlicher Bedarf an IuD-Fachkräften für die folgenden Jahre in den befragten Einrichtungen von jährlich 26 Personen prognostizieren. Hinzu kommt noch der Ersatzbedarf an Personal.

Eine alleinige Qualifikation oder Ausbildung im IuD-Bereich genügt den meisten IuD-Einrichtungen nicht - ein starkes Plädoyer für das Magisterstudium. Neben der IuD-Qualifikation sind weitere Fachkompetenzen entscheidend. Die Abschlussbezeichnungen sind erst von zweitem Interesse. Bei der Befragung nach den 'Wunschabschlüssen' spielen die BA / MA-Abschlüsse mit Nennungen unterhalb einer 5%-Marke keine Rolle. Es war bei dieser Frage jedoch eine sehr hohe Mehrfachnennung zu verzeichnen - ein Indikator für eine Unentschlossenheit oder Gleichgültigkeit gegenüber der Abschlussbezeichnung. Sehr häufig formulierten die Einrichtungen verbal ihren Wunsch nach einem Hochschulabschluss, der zum jeweiligen Fachgebiet der Einrichtung passt.

Viel wichtiger als die Abschlussbezeichnung sind den IuD-Einrichtungen die Qualifikationen der Absolventen. In folgenden Bereichen sind die IuD-Fachkräfte den Anforderungen z.Z. nicht gewachsen:

Welche Fähigkeiten / Kompetenzen müssen IuD-Fachkräfte nun konkret vorweisen können?

 

4. Resümee

Es bleibt festzuhalten:

Sowohl die Fachhochschulen als auch die Universitäten erheben den Anspruch, die geforderten Kenntnisse derzeitig zu vermitteln - offensichtlich spiegelt sich dies aber aus der Sicht der Praxis bei den ausgebildeten Absolventen nicht wider. Die Forderung zum Praxisbezug ist vehement. Steht dies im Widerspruch zum Grundsatz, dass Bildung nicht wirtschaftlichen Verwertungsinteressen unterworfen werden darf? Eine pauschale Ablehnung der Verwertungsinteressen der Wirtschaft ist u.E. nicht mehr opportun. Die Hochschuleinrichtungen schaffen den Arbeitsmarkt der Zukunft. Deshalb kommt es darauf an, den Bezug zur Praxis nicht zu verlieren.

Interessant sind auch die Aussagen zur Thematik der BA/MA-Abschlüsse. Die explizite Nachfrage zu gewünschten Abschlüssen zeigte eine gewisse Gleichgültigkeit der Abschlussbezeichnung gegenüber - ganz im Gegensatz zu den Studieninhalten. Einigkeit herrschte jedoch in der Auffassung der Verkürzung der Studienzeiten - und damit für die Einführung eines BA-Studienganges.

Die mangelnde Rezeption des Berufsbildes sollte eine Aufgabe für die berufsständigen Verbände sein - eine Lobby fehlt anscheinend nach wie vor.

Die Autoren schlagen weiter vor, nach dem Vorbild der American Library Association (ALA) die Ausbildungsinhalte und die Abschlüsse von einer unabhängigen Kommission (z.B. der DGI) in bestimmten Abständen akkreditieren zu lassen. Solch eine Akkreditierung hat sich anscheinend in den USA bewährt. Obwohl es dort nicht nur akkreditierte Ausbildungseinrichtungen gibt, besteht wohl hinreichend Bedarf an Fachpersonal. Die Akkreditierung könnte ein Mittel zur Erhöhung des Wettbewerbes auf dem Ausbildungssektor sein und Qualitätsmaßstäbe setzen.


Stand: 26.11.99
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