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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 10, 99

Fragen und Antworten zu Multimedia-Trends im Hochschulbereich

Wolfgang Binder

 

Der Rahmen

Von den Multimedia-Initiativen verschiedener Bundesländer - es seien hier stellvertretend Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen genannt - hat auch der bibliothekarische Sektor durch erhebliche Mittelzuflüsse für diesbezügliche Projekte und Beschaffungen profitiert. Diese Entwicklung erfordert eine Aufarbeitung über projektbegleitende Papiere und Publikationen hinaus. Es geht hier nur teilweise um den Aufbau von Multimedia-Spezialsammlungen. "Multimedia" ist - pars pro toto - inzwischen schon zu einem Sammelbegriff für elektronische Literatur- und Informationsangebote avanciert, die Multimedia-Dokumente beinhalten oder deren Sammlung intendieren. Der Beitrag versteht sich nicht als einführender Überblick zu "Multimedia und Bibliotheken", sondern eher als kritisch-informativer Einstieg mit Kommentar. Es geht um die Rolle, die multimediale Informationen im Hochschulbereich spielen bzw. im Begriff sind zu spielen, und um die Frage, wie Bibliotheken sich mit ihren Angeboten und Dienstleistungen dazu verhalten sollen. Entsprechend der Intention der meisten bibliotheksbezogenen Multimedia-Initiativen liegt der Schwerpunkt auf der studentischen Informationsversorgung, die vorrangig über zentrale Angebote ("digitale Bibliotheken") realisiert werden soll. Der Beitrag bezieht neben dem Bereich der Lehre aber auch den der Forschung mit ein.

Den Erörterungen im Detail seien folgende präliminarische Feststellungen vorausgeschickt:

  1. Ein für Sinn und Nutzen wissenschaftlicher Gebrauchsbibliotheken konstitutives Prinzip ist die Ausrichtung der Angebote an Nachfrage und ("vorhersehbarem") Bedarf. Die Konsequenzen dieses Prinzips für neue mediale Formen sind Akzeptanz und ein in der Benutzung bestätigtes Feedback.
  2. Ein hierzu komplementärer Gesichtspunkt ist der sog. Versorgungsauftrag, der auch die konzeptionellen und organisatorischen Aspekte der Bereitstellung umfasst. Grundsätzlich ist eine zentrale Bereitstellung elektronischer Studienmaterialien eine effektive Möglichkeit zur Realisierung einer "flächendeckenden" bibliothekarischen Versorgung, die Zukunft hat, die untersucht und ausgebaut werden sollte. Wichtig ist aber, dass ein realer Bedarf zu vertretbaren Kosten gedeckt wird.
  3. Die Kosten zentraler Multimedia-Angebote müssen bezogen auf ihren Nutzen und Informationswert einem Vergleich mit traditionellen Medien standhalten1) .
  4. Die Veränderungen, die durch Multimedia im Hochschulbereich zu verzeichnen oder zu erwarten sind, betreffen nicht nur Informationsprodukte, sie betreffen auch Strukturen. Veränderungen im Lehr- und Forschungsbetrieb wirken ihrerseits zurück auf die Art und Weise, in der Informationen eingesetzt, genutzt und nachgefragt werden. Die Bibliotheken sollten daher das sich wandelnde mediale Umfeld der Hochschule im Blick haben, neue Impulse und Anforderungen aufgreifen und sich in einen konstruktiven Dialog mit allen Instanzen einlassen, die in diesem Bereich Informationen produzieren und benötigen.

Multimedia im universitären Kontext

Es ist nützlich, den Einstieg in Multimedia über die Multimedia-Konzepte der Hochschulen zu wählen, um das universitäre Umfeld einzubeziehen. Allein die Kurzfassungen derselben für das Land NRW füllen ein 154-seitiges Dokument (2., Download-Fassung). Wenn man die modische Rhetorik mancher Beiträge einmal beiseite lässt, lassen sich folgende Schwerpunkte identifizieren:

Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die Bibliotheken?

Auch wenn dies alles richtig ist, und die Liste noch erweitert werden kann, gibt es Fragezeichen hinsichtlich der Rolle, die die Bibliotheken hier spielen werden. Es sei vorweggenommen, dass das kommerzielle Marktangebot - zumindest das deutschsprachige - an hochschultauglichen Multimedia-Produkten bisher sehr dürftig ist. Damit ergibt sich die folgende Situation: Die Fakultäten und Fachbereiche decken ihren Multimediabedarf weitgehend durch Eigenentwicklungen. Die Bibliotheken andrerseits, werden von ihren traditionellen Informationslieferanten, den Verlagen, weithin im Stich gelassen. Für diese sind die Bibliotheken wegen ihrer chronischen Mittelknappheit schlechte Kunden; während letztere meist noch Dringenderes zu beschaffen haben. In einer Situation, in der sich unter dem Stichwort "Multimedia" in Lehre und Forschung neue Kommunikationstrukturen und Informationskonzepte etablieren, von denen die Bibliotheken nicht unberührt bleiben werden, sind diese nicht in der Lage, in diesem Sektor ihre traditionelle Rolle als Informationsanbieter auszufüllen.

Auch auf konzeptioneller Ebene gibt es noch Klärungsbedarf. So lässt sich beispielsweise aus den zitierten Konzeptpapieren kein allgemeingültiges Multimedia-Konzept für Bibliotheken ableiten. Einige Beiträge hierzu haben durchaus Substanz. In anderen geht es eher um eine bibliothekarische Verortung von Hilfs- und Nebenfunktionen, ohne dass das Profil der Bibliothek recht deutlich wird.

Natürlich können und sollten die Bibliotheken als Anbieter elektronischer Informationen dort ihre Akzente setzen, wo ihre Stärken liegen. Ein erfolgreiches Konzept ist die Integration elektronischer Informationsangebote und Dienstleistungen in Form digitaler Bibliotheken. Deren aktuelle hochschulübergreifende Varianten präsentieren sich gelegentlich auch unter der Überschrift "Multimedia". Die Begründung dieses schon länger verfolgten Konzepts liegt allein in seinem Benutzungswert. Der technische Rahmen ist aber geeignet und wird auch genutzt, um Multimedia-Produkte - alte wie neue, Verlagsangebote wie Eigenentwicklungen - zentral verfügbar zu machen2) . Auch wenn nicht alle relevanten Anwendungen regional bereitgestellt werden können, so können dadurch doch die lokalen Angebotsdefizite erheblich reduziert werden. Lokale Multimedia-Konzepte, die den Anforderungen am jeweiligen Hochschulort Rechnung tragen, werden damit aber nicht obsolet.

Die Relevanz verschiedener Angebots- und Produktbereiche

Eine Charakterisierung der wichtigsten Merkmale von Multimedia ist überfällig. Wie der Name andeutet, integrieren Multimedia-Dokumente mehrere Medien- bzw. Informationstypen: Abbildungen, Text, Bewegtbilder, Computer-Simulationen usw. "Echte" Multimedia-Dokumente basieren auf dem essentiellen Einsatz sog. "kontinuierlicher Medien" wie Audio und Video. Die anderen, "unechten" Multimedia-Produkte bezeichnet man auch als "Verbunddokumente". In diesen spielen üblicherweise Text-Informationen eine hervorgehobene Rolle. Weitere konstitutive Merkmale von Multimedia sind Interaktivität und das Vorliegen sämtlicher Informationen in digitalisierter Form.

Nach dieser terminologischen Vorbemerkung sollen verschiedene multimediale Produkt- und Anwendungsbereiche aus der bibliothekarischen und Nutzerperspektive untersucht werden. Wegen des offenkundigen Didaktik-Bezugs von Multimedia werden auch andere elektronische Studienmaterialien eingeschlossen.

Als erstes soll auch hier der Bereich der Forschung betrachtet werden. Es ist noch nicht allgemein bekannt, dass Multimedia in Teilbereichen auch zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der wissenschaftlichen Kommunikation geworden ist. Viele Sachverhalte, z. B. in der Biochemie, sind so komplex, dass sie erst in der Visualisierung, in der multimedialen Aufbereitung, eine angemessene Darstellungsform finden. Es gibt hier ein bescheidenes, aber qualitativ gutes Verlagsangebot, z. B. auf Multimedia spezialisierte Zeitschriften - oder auch Einzelprodukte mit wissenschaftlichem Informationswert wie die primär für die Lehre entwickelte Simulation "The dynamic cell" (Springer). Zu den von Wissenschaftlern selbst erstellten Produkten zählt z. B. "Kongress-Multimedia" in Form PC-basierter Präsentationen. Multimedia-Kandidaten im Internet findet man unter Projektseiten, Konferenzseiten, Reports, Dokumentationen - also bevorzugt in zusammenfassenden Darstellungen und Überblicken. Vorzeigebeispiele aber sind Fortgeschrittenenkurse, die zum Teil direkt an die aktuelle Forschung heranführen (6). Der Kurs "Principles of protein structure - using the Internet" (7) verwendet eine fachtypische Visualisierungssoftware und wird weltweit auf mehreren Servern angeboten. Um solche Produkte müssen sich die Bibliotheken aber selbst bemühen, wenn sie sie in ihre Informationsangebote integrieren wollen.

Es lohnt sich, von hier aus einen Blick auf andere Lehr- und Lernangebote des Internets zu werfen. Unter diesen spielen Vorlesungsskripte eine besondere Rolle. Die Vielfalt dieser meist veranstaltungsbezogenen Einführungen - häufig mit multimedialen Beigaben - ist bisher noch gar nicht umfassend gesichtet und ausgewertet worden. Neben diesen gibt es Lecture Demonstrations, Worked Examples, Virtual Laboratories usw., die Visualisierungen, Simulationen u.ä. beinhalten. Sie sind unabhängig von ihrem didaktischen Anspruch bereits den multimedialen Lehr- und Lernmaterialien zuzurechnen. So gibt es im Internet mehrere interessante Anwendungen, in denen physikalische Experimente oder Modelle mit Hilfe von Java-Applets simuliert werden. Im Hinblick auf digitale Bibliotheken bedeutet dies: Deren Bausteine müssen nicht immer teure Fabrikate sein; auch etliche Findlinge im Internet-Freiland warten auf ihre Entdeckung und Verwertung.

Bestimmend für die Hochschulentwicklungsplanung (1) ebenso wie für bibliothekarische Angebote ist das genuine didaktische Potential von Multimedia. Es ist zweckmäßig, bei der Evaluierung von Angeboten und Produkten zwischen Einführungen und ergänzenden didaktischen Materialien zu unterscheiden. Gerade letztere sind hervorragend geeignet, um das Verständnis durch Veranschaulichung und interaktiven Umgang mit dem Lerngegenstand zu vertiefen. Die Anwendungsbreite soll durch folgende Beispiele illustriert werden: "Physik interaktiv" ist das verlegerische Gegenstück zu den zitierten Internet-Anwendungen. Das auf Disketten vorliegende Produkt ermöglicht wie diese - aber in größerer Breite und Ausführlichkeit - die Simulation ausgewählter physikalischer Modelle wie Billardstöße oder Wasserstoffatom. Ein Beispiel ganz anderer Art ist das komplexe, ca. 20 Stunden Material umfassende Multimedia-Produkt "Praxisbezogener Erwerb soziologischer Grundbegriffe". Dieses wird unter tutorieller Begleitung in einer Blockveranstaltung im Grundstudium Soziologie der Universität Bielefeld eingesetzt. Bei dem noch nicht abgeschlossenen Projekt geht es darum, soziologische Grundbegriffe wie "soziale Rolle", "Schicht" usw. insbesondere durch Videosequenzen anschaulich begreifbar zu machen und die Fähigkeit zur Diagnose und Analyse sozialer Tatbestände zu vermitteln. In einer Projektbeschreibung heißt es bezeichnenderweise: "Dabei soll die traditionelle Arbeit mit Texten nicht abgelöst, sondern im Gegenteil konstruktiv ergänzt werden" (5., S. 280).

Wie steht es aber im Unterschied dazu mit multimedialen Einführungen, die als Lehrbuch-Alternative anzusehen sind? Die von einflussreichen Multimedia-Protagonisten verbreitete Meinung, das klassische Lehrbuch habe ausgedient, wird von seriösen Mediendidaktikern nicht unbedingt geteilt. Die Position eines vom Autor befragten Hochschuldidaktikers (und Funktionsträgers der Arbeitsgemeinschaften für Hochschuldidaktik) lässt sich in der These zusammenfassen: "Wenngleich auch Lehrbücher ihre medialen Schwächen haben, kann nach dem derzeitigen Stand von einer Substituierung des Lehrbuchs keine Rede sein". - Es ist auch zu bedenken (aus Sicht des Autors), dass die eigentliche Qualität und Eigenart einer Lehrbuchdarstellung - sei es eine historische oder physikalische - in ihrem logischen Duktus liegt. Dieser wird durch eine multimediale Aufbereitung nicht notwendigerweise verdeutlicht und kann im Gegenteil durch ein Zuviel an Illustration und Interaktivität auch verschleiert werden. Es wundert daher nicht, wenn in dem Multimedia-Konzeptpapier der RWTH Aachen festgestellt wird, "dass die multimedialen Möglichkeiten nicht für alle akademischen Lehr- und Lernziele eine überlegene Leistungsfähigkeit für sich beanspruchen können"(3).

Desungeachtet haben multimediale Einführungen eine Reihe von Vorteilen (4):

Eine gelegentlich zu besichtigende Schwäche ist die didaktische Überstrapazierung multimedialer Gestaltungsmöglichkeiten, die überspitzt formuliert der Hypothese folgt, inhaltliches Verständnis ließe sich durch Präsentationstechniken vermitteln und das Verständnis von Zusammenhängen durch Navigationstechniken, sprich durch "Klicken" von einer Seite zur anderen (im Falle von Hypermedia).

Kommerzielle Einführungen, die hochschultauglich sind, sind im deutschen Sprachraum nicht gerade zahlreich. Es handelt sich nach Eindruck des Autors überwiegend um sog. Verbunddokumente in CD-ROM-Form, die häufig buchähnlich strukturiert sind und oft auch zusammen mit einem Buch vertrieben werden. Die Effizienz von Verlagsprodukten - wie Buch+CD-ROM-Kombinationen - wird in wissenschaftlichen Multimedia-Kreisen durchaus kritisch beurteilt. Es ist aber hier zu beachten, dass es unterschiedlich gestaltete Produkte geben soll und geben muss, die unterschiedlichen Nutzungsformen Rechnung tragen: solche, die mehr den Anforderungen der institutionalisierten Lehre Rechnung tragen - in vielen Fällen sind dies Eigenentwicklungen -, und solche, die verschiedene Formen individualisierten Lernens unterstützen - hierzu gehört der größte Teil der Verlagsprodukte.

Die Entwicklungen, insbesondere bei den "echten" Multimedia-Anwendungen, sind noch stark im Fluss. Die gegebenen Einschätzungen sollen daher nicht als Handreichungen für konkrete Erwerbungsentscheidungen verstanden werden. Diese hängen natürlich immer von der Qualität und Attraktivität des jeweiligen Produktes ab.

Wegen des Mangels an geeigneten multimedialen Einführungen wurde bei der Planung digitaler Angebote auch die Idee verfolgt, ausgewählte Lehrbücher nach Erwerb entsprechender Rechte nachträglich zu digitalisieren. Ein digitalisiertes Lehrbuch hat zwar den Vorteil der allgemeinen Verfügbarkeit, bietet aber kaum einen echten elektronischen Mehrwert (der auch nicht durch eine bloße "Verlinkung" hergestellt wird). Überdies liegen die Lizenzkosten erheblich über den Kosten einer dem Bedarf entsprechenden Aufstockung der lokalen Lehrbuchsammlungen. Das elektronische "Präsenzexemplar" wäre somit vermutlich zu teuer bezahlt. Anders liegt der Fall bei den von den Verlagen selbst vertriebenen elektronischen Versionen mit erheblichem Mehrwert. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Lehrbücher mit Nachschlagecharakter bzw. um lehrbuchartige Nachschlagewerke. Ein Beispiel hierfür ist der Titel "Dubbel: Taschenbuch für den Maschinenbau" (Springer).

Dies leitet über zu den elektronischen Nachschlagewerken mit teilweise multimedialem Charakter. Bei den Lexika, Dictionaries usw. geht der Trend eindeutig zu den elektronischen Ausgaben, die schon jetzt sehr zahlreich sind. Wegen der hohen Preise für Landeslizenzen ist bei konsortialen Beschaffungen eine Konzentration auf Bekanntes und Erprobtes unabdingbar. Auf Titel, die bisher nicht sonderlich vermisst wurden, kann in regionalen Angeboten verzichtet werden. Vergleichbares gilt für die ebenfalls auf den Markt drängenden Textsammlungen.

Hochschulübergreifende Formen der Bereitstellung

Das schon angesprochene Thema "Digitale Bibliotheken und konsortiale Angebotsformen" soll im folgenden etwas vertieft werden. Im Hinblick auf die Informationsversorgung der Hochschulen interessieren vor allem die Realisierungen auf Länderbasis. Wesentlich ist hier der Einstieg in eine flächendeckende Versorgung mit elektronischen Informationsprodukten. Für deren Angebot und Nachweis stehen effiziente und komfortable Zugangssysteme zur Verfügung, die für eine hohe Benutzungsqualität sorgen. Hinzukommen einige praktische Argumente: Ein zentrales Angebot entlastet die Einzelbibliotheken von dem häufig nicht zu leistenden Installationsaufwand. Durch die Bündelung von Erwerbungsaktivitäten lassen sich zudem vorteilhafte Konditionen aushandeln.

Das Zusammenspiel zwischen digitaler Bibliothek und den Hochschulbibliotheken ist aber auch nicht frei von Problemen. Ein kritischer Punkt ist der, welche finanzielle Priorität der digitalen Bibliothek bzw. welche Priorität deren Beschaffungen zukommen soll. Eine Rolle spielt dabei das Verhältnis zwischen den meist zentralen Haushaltsmitteln für die digitale Bibliothek und den dezentralen Erwerbungsmitteln der Hochschulbibliotheken. Beide zusammengenommen dienen der Finanzierung des bibliothekarischen Gesamtbedarfs und dürfen daher bei Kosten-/ Nutzen-Abschätzungen nicht isoliert betrachtet werden. Innovationsprämien für den Kauf elektronischer Publikationen können nicht gezahlt werden - ebenso wie es bekanntermaßen keine Teuerungszuschläge für den Bestandsschutz von Printmedien gibt. Das Verhältnis von zentralen und dezentralen Mitteln ist aber in Ordnung, wenn die Beschaffungen für digitale Bibliothek und Hochschulbibliotheken aus Benutzersicht gleichermaßen wichtig und dringlich sind. Anders ausgedrückt: Erwerbungskoordination und Mittelverteilung müssen so organisiert bzw. abgestimmt werden, dass für die Hochschulen ein optimaler Nutzen resultiert.

Besonders geeignet für konsortiale Beschaffungen sind offenkundig Titel, die dem gemeinsamen Grundbedarf zuzurechnen sind. In anderen Fällen - insbesondere bei kostspieligen Produkten - sollten Konsortialabkommen soweit wie möglich bedarfsabhängig gestaltet werden, d. h. die zugriffsberechtigten Standorte sollten entsprechend dem jeweiligen Bedarf vereinbart werden. (Ein Lackmustest für den Bedarf ist die Bereitschaft der einzelnen Hochschulbibliotheken, sich finanziell mit einem angemessenen Eigenbeitrag zu beteiligen).

Bei Titeln, die bereits lokal in elektronischer Form bezogen werden, sind Konsortialabkommen besonders geeignet, den Wechsel zu einem qualitativ besseren Produkt zu erleichtern und hierfür günstige finanzielle, ggf. auch technische Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei geht es insbesondere um den Wechsel von der CD-ROM-Version einer Datenbank zu einer Web-Version. In diesem Zusammenhang sollte bedacht werden, dass der Begriff des Bedarfs nicht nur an Inhalten festgemacht werden sollte. Zum Bedarf zählt auch der Wunsch eines zunehmenden Teils der Hochschulangehörigen, neue elektronische Angebotsformen nutzen zu können.

Zukunftsperspektiven

Zum Schluss sei noch einmal der Aspekt der studentischen Informationsversorgung aufgegriffen. Wie ist hier die künftige Entwicklung aus der Nutzerperspektive einzuschätzen? Immer mehr Studenten werden über einen eigenen Internet-Anschluss verfügen, und die Nutzung elektronischer Informationen wird zu einem normalen Bestandteil studentischen Alltags werden. Elektronische Studienmaterialien einschließlich Multimedia werden eine - bei uns erst in Ansätzen sichtbare - Breitenwirkung entfalten. Doch auch in Zukunft wird es noch gedruckte Lehrbücher geben. Das mitdenkende Lesen wird als die produktivste Form des Rezipierens auch in Zukunft durch nichts Besseres zu ersetzen sein. Auf der anderen Seite erleichtern neue Medien das Verständnis, erweitern den Erfahrungsraum und ermöglichen neue interaktive Formen des Lehrens und Lernens. Bibliotheken werden hoffentlich nicht in "Multimedia" aufgehen, aber Multimedia wird ein fester Bestandteil bibliothekarischer Angebote werden.

Referenzen:

  1. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Hochschulentwicklung durch Multimedia in Studium und Lehre. Mainz, 1998.
    <http://www.wrat.de/drucksachen/drs3536-98/drs3536-98.htm>
  2. Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen: Multimedia-Konzepte der Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. Kurzfassungen. Januar 1998.
    <http://www.wissenschaft.nrw.de/pages/unter.asp?nav=mult&page=MK/mk.asp>
  3. a.a.O., Abschnitt 1.1
  4. Als Standardwerk gilt: Schulmeister, Rolf: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme. - Bonn, 1996.
  5. Webler, Wolff-Dietrich: Multimedia: Anwendungsbezogener Erwerb soziologischer Grundbegriffe. - In: Das Hochschulwesen 44(1996), S. 280-281
  6. z. B.: Sequence analysis with distributed ressources
    <http://bibiserv.techfak.uni-bielefeld.de/sadr/>
  7. Principles of protein structure - using the Internet.http://www.biochemtech.uni-halle.de/PPS2/top.html
1) In einer Mail an die Liste Inetbib wurde das Anliegen der Digitalen Bibliothek NRW auf folgende knappe Formel gebracht: "Ein (reales) Buch: Ein Student - Ein (digitales) Buch: Tausend Studenten". Dies ist sicher richtig; allerdings hat ein Zugriff für alle auch seinen Preis. Angenommen man wollte mit Verlagsprodukten eine elektronische Musterbibliothek mit 400-500 digitalen Lehrbüchern realisieren, indem man vorhandene digitale Produkte kauft oder die Lizenzen für eine Digitalisierung erwirbt, so müßte man - nach den gegenwärtigen Preisvorstellungen der Verlage - hierfür eine Summe veranschlagen, die etwa ein Viertel des Gesamtetats aller nordrhein-westfälischen Hochschulbibliotheken ausmacht.

2) Die technischen Probleme bei der Wiedergabe "echter" Multimedia-Dokumente (s. den nächsten Absatz) sollen aber nicht heruntergespielt werden. WWW-fähige Anwendungen erfordern eine Datenübertragung im sog. Streaming Mode und Multimedia-Workstations (leistungsfähige PCs mit spezifischen Hardware- und Software-Installationen).

 


Stand: 10.11.99
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