Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 99

Spannende Zeiten

Ein Jahr Leitbild-Entwicklung in der UB/TIB Hannover

Dorothee Nürnberger

 

Die Ausgangssituation

Im Sommer 1998 wurde in der Universitätsbibliothek und Technischen Informationsbibliothek Hannover (UB/TIB) mit der Entwicklung eines Leitbildes begonnen. Hintergrund war u.a. die im Februar 1997 durchgeführte Evaluation der TIB als Blaue-Liste-Einrichtung durch den Wissenschaftsrat mit im Januar 1998 erfolgter positiver Stellungnahme. Im Zusammenhang damit erarbeitete die TIB ein "Konzept für die Bibliotheksentwicklung"; ein Aspekt dieses Konzeptes war die Erstellung eines Leitbildes.

Im Juli 1998 fand die erste projektbezogene Besprechung statt, Mitte März 1999 wurde das Leitbild verabschiedet. Die achteinhalb Monate, die dazwischen lagen, waren aufregend (in jeder Beziehung), ereignis- und arbeitsreich. Die eigentliche Arbeit hat jedoch erst jetzt richtig begonnen - mit der Entwicklung operativer Maßnahmen zur Umsetzung des Leitbildes im Arbeitsalltag der UB/TIB. Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses; beendet sein wird er voraussichtlich nie, denn auch das Leitbild wird immer wieder neuen Anforderungen angepaßt werden müssen.

Die Eckdaten

Die UB (als hannoversche Universitätsbibliothek für die technisch-naturwissenschaftlichen Fachbereiche) und die TIB (als deutsche Zentrale Fachbibliothek für Technik und Grundlagenwissenschaften) bilden eine organisatorische und räumliche Einheit, sind jedoch finanziell getrennt (UB: Land Niedersachsen; TIB: Bund [30%] und Länder [70%]). Beide Bibliotheken zusammen verfügen über einen Bestand von 4,9 Mio. Medieneinheiten und einen Erwerbungsetat von 13 Mio. DM. Die TIB erwirtschaftet mittels Verkauf ihrer Dienstleistungen jährlich Einnahmen in Höhe mehrerer Millionen DM, die zu 30% der TIB verbleiben. Personalstellen gibt es 236 (UB: 87,5; TIB: 148,5), die 1998 aufgrund von Teilzeitarbeit 268 Mitarbeitern entsprachen. Die UB/TIB ist mittlerweile auf vier Gebäude verteilt (drei am Standort Welfengarten, ein Außenmagazin); zur UB gehören darüber hinaus drei Fachbereichsbibliotheken in verschiedenen Stadtteilen Hannovers.

Für eine Einrichtung dieser Größenordnung und Komplexität in Organisation und Verwaltung setzt eine Maßnahme wie die Leitbild-Entwicklung eine sorgfältige und auch straffe Planung voraus. Von Anfang an war klar, daß eine professionelle, externe Prozeßbegleitung hinzugezogen werden sollte. Einen guten und kompetenten Partner fanden wir im "TEAM 3", einer Hamburger Unternehmensberatung.1) Die Finanzierung (insgesamt rd. 10.000 DM) konnte aus den Eigeneinnahmen der TIB bestritten werden.

Der Entwicklungsprozeß

Am 1. Juli 1998 wurden in einem ersten Gespräch zwischen "TEAM 3" und der UB/TIB (Direktion, Verwaltungsleiter, Direktionsassistentin, Personalrat und Frauenbeauftragte) ein Verfahrenskonzept und ein ungefährer Zeitplan erarbeitet. Weiteres Ergebnis des Gesprächs war, daß als ein Herzstück des Leitbild-Entwicklungsprozesses ein mehrtägiger Workshop mit 30 Personen stattfinden sollte.

Zunächst wurde die geplante Leitbild-Entwicklung mit der "Arbeitsbesprechung" diskutiert, einem monatlich tagenden Gremium der UB/TIB (Direktion, Abteilungs- und Dezernats-/Sachgebietsleiter, Fachreferenten, Mitarbeitervertreter, Personalrat, Frauenbeauftragte). Kurz darauf wurde für alle Mitarbeiter eine Betriebsversammlung abgehalten, auf der zunächst erläutert wurde, was überhaupt ein Leitbild ist und warum für die UB/TIB eines entwickelt werden sollte; weiterhin wurden der Zeitplan und die geplante Vorgehensweise etc. vorgestellt. Für alle gedruckten Informationen, die im Zusammenhang mit dem Leitbild im Hause verteilt wurden, wurde ein eigenes Leitbild-Logo entwickelt. Im September 1998 wurden die Teilnehmer für den Workshop ermittelt: acht Personen qua Amt, zwölf Kollegen aus dem Kreis der "Arbeitsbesprechung", zusätzlich zehn Mitarbeiter "von der Basis", die (von den Mitarbeitern) aus allen Bereichen des Hauses gewählt wurden.

Der Workshop

Der Workshop fand vom 3.-5. November 1998 (von Donnerstagmittag bis Samstagmittag) unter Moderation zweier Trainerinnen von "TEAM 3" in der UB/TIB statt. Mittels verschiedener Moderations- und Arbeitstechniken (Metaplan, Übungen nach Edward de Bono, Gruppenarbeit, Rollenspiele) wurden in einer angenehmen und äußerst produktiven Atmosphäre die Kernaussagen für den ersten Entwurf eines gemeinsamen Leitbilds für UB und TIB erarbeitet. Die Zwischen- und Endergebnisse des Workshops wurden auf Wandzeitungen festgehalten, anhand deren in der Woche nach dem Workshop in drei Informationsveranstaltungen allen anderen Mitarbeitern Gelegenheit gegeben wurde, sich über den Verlauf des Workshops zu orientieren und sich die Ergebnisse erläutern zu lassen. Die Veranstaltungen hatten großen Zulauf. Die Materialien und während des Workshops aufgenommene Fotos wurden in Form einer internen Ausstellung ausgehängt. Zusätzlich wurden die Wandzeitungen auf PC erfaßt und als Workshop-Protokoll in ausreichender Zahl vervielfältigt und zur Mitnahme ausgelegt.

Am Ende des Workshops hatten alle Teilnehmer den ersten Grob-Entwurf unterschrieben und aus ihren Reihen Mitglieder für die zukünftige Projektgruppe benannt. Aufgrund ihrer Funktion waren in der Gruppe die Direktion und der Personalrat vertreten; die weiteren Mitglieder stammten aus den verschiedensten Bereichen der UB/TIB. Die Projektgruppe sollte maximal zehn Personen umfassen. Da es mehr Interessierte gab, waren einige Kandidaten bereit, stattdessen in der später geplanten Koordinierungsgruppe mitzuarbeiten, die die praktische Umsetzung des Leitbildes zur Aufgabe haben sollte.

Projektgruppe und Workshop-Teilnehmer praktizierten während des gesamten weiteren Prozesses ausdrücklich Gesprächsbereitschaft zu allen aufkommenden Fragen.

Die Arbeit der Projektgruppe

Bis Mitte Dezember 1998 tagte die Projektgruppe mehrmals, um aufgrund der Workshop-Materialien den ersten ausformulierten Leitbildentwurf zu erarbeiten. Parallel dazu wurde ein Fragebogen erstellt, der zusammen mit dem Leitbildentwurf an alle Mitarbeiter verteilt wurde, um ein möglichst breites Meinungsspektrum zu erhalten. Der Fragebogen umfaßte eine DIN A4-Seite; der erste Teil der Fragen zielte auf redaktionelle Rückmeldungen zum Leitbildentwurf, der zweite auf konzeptionelle Vorschläge im Sinne der Frage "Was muß sich in der UB/TIB ändern, damit das Leitbild Wirklichkeit wird"?

Die Rücklaufquote betrug 31,7%, ein Ergebnis, das zu kontroversen Diskussionen im Hause führte. Bei der Auswertung wurde zunächst unterteilt nach redaktionellen Aussagen zum Leitbildentwurf und nach konzeptionellen Äußerungen; letztere wurden zur Auswertung durch die später geplante Koodinierungsgruppe gesammelt. Die redaktionellen Änderungs-/Ergänzungsvorschläge wurden diskutiert und in den Entwurf eingearbeitet, das Leitbild dann auf der Betriebsversammlung am 18. März 1999 in der neuen Form noch einmal vorgestellt und verabschiedet. Danach wurde es vervielfältigt und an alle Mitarbeiter verteilt. Die äußere Form der Printausgabe wurde bewußt so gewählt, daß das Leitbild sich von alltäglichen Veröffentlichungsformaten unterscheidet und die Aussagen in optimaler Form zur Geltung kommen (DIN A4-Querformat, handlich vierfach Leporello-gefaltet, mit gestuftem oberen Rand). Das Leitbild ist über die Homepage der UB/TIB verfügbar [http://www.tib.uni-hannover.de, dort unter "Aktuell"]. Es wird auch im Benutzungsbereich der Bibliothek ausgehängt.

Die Arbeit der Projektgruppe ist inzwischen beendet, die Koordinierungsgruppe hat ihre Arbeit aufgenommen und begonnen, Arbeitsgruppen zu einzelnen Problembereichen einzusetzen (zunächst die AGs "Gremien und innerbetriebliche Kommunikation" , "Fort- und Weiterbildung" sowie "Reorganisation der Dokumentlieferung"), die innerhalb einer befristeten Zeit Vorschläge für konkrete Umsetzungsstrategien erarbeiten und in einen Bibliotheksentwicklungsplan einmünden lassen sollen.

Fazit

Die Erstellung eines Leitbilds ist - wenn sie ernstgenommen und nicht "top down" verordnet wird - eine ebenso wichtige wie spannende und sensible Aufgabe, die nicht "nebenher" erledigt werden kann. Sie ist unverzichtbar für die Beantwortung der Frage, wie es mit der Institution weitergehen soll, wenn angestrebt wird, daß wirklich alle dort arbeitenden Personen an einem Strang ziehen, sich denselben Zielen verpflichtet fühlen und ihre Kraft in die Erreichung dieser Ziele investieren. Sie wird automatisch zu einer Standortbestimmung, die ermutigend bestätigen kann, daß man in vielem schon auf dem richtigen Weg ist, die jedoch auch offenlegen wird, daß es in einigen Bereichen noch ganz anders aussieht. Sie bindet eine Menge Kräfte und weckt teilweise Ängste (vor Unbekanntem und Veränderung) und Argwohn. Gleichzeitig wird ein enormes Potential an Ideen, Engagement und Aufbruchstimmung freigesetzt, das unbedingt und nach Möglichkeit sofort genutzt werden sollte.

Während des Prozesses der Leitbilderstellung sollte stets bewußt bleiben, daß das eigentlich Wesentliche die Umsetzung der Aussagen sein wird. Stimmige und mit Überlegung gewählte Formulierungen sind gut und wichtig, ausschlaggebend aber ist, was in absehbarer Zeit spürbare Realität wird. Die Zeit für die reine Erstellung des Leitbild-Textes sollte eher straff als zu großzügig bemessen sein. Es ist ohne Zweifel außerordentlich wichtig, möglichst viele Mitarbeiter zu erreichen, und Phasen für Rückmeldungen, Diskussionen und Modifikationen sind unerläßlich. Entsteht jedoch erst einmal der Eindruck, daß "nur herumgeredet" wird und "ja doch mal wieder nichts passiert", ist die Akzeptanz des Leitbildprozesses sofort rückläufig.

Sind die Mitarbeiter für Fragen und Vorgänge im Sinne des Leitbilds erst einmal sensibilisiert, werden nicht nur die alltäglichen Arbeitsabläufe, sondern insbesondere die Personen in verantwortlichen Positionen in ihren Entscheidungen und Aktionen täglich an den Leitbildaussagen gemessen. Ob das Leitbild den gewünschten Schub an Motivation und Innovation bringt, entscheidet sich genau an dem sensiblen Punkt zur Umsetzung.

Wir ziehen in der UB/TIB eine positive Bilanz des ersten Leitbild-Jahres. Selten wurde so viel und intensiv, heftig und lebendig, konstruktiv und gewinnbringend kommuniziert. Es ist ein sensibilisiertes Arbeitsgefühl entstanden, das ein großes Erneuerungspotential birgt. Wir haben gelernt: wir machen schon vieles gut; aber manches noch nicht. Wir haben erkannt, was sich bewährt hat und woran wir also festhalten sollten, was wir ad acta legen müssen, und wo wir neue Wege, Verfahren und Verhaltensweisen brauchen. Vor allem aber haben wir gemeinsam verbindlich formuliert, welche Ziele wir erreichen wollen und was auf dem Weg dorthin wichtig ist.

(Weitere Informationen und Unterlagen stellen wir gern bereit.)

1) "TEAM 3" - Beratung, Training, Moderation. Sabine Bürgermann / Margit Rehmund-Hess; Am Grenzgraben 6, 22393 Hamburg. Tel.: (0 40) 64 08 94 94. Frau Bürgermann und Frau Rehmund-Hess erschienen der UB/TIB aufgrund der Kombination von Referenzen aus anderen als bibliothekarischen Bereichen und der Tatsache, daß Frau Rehmund-Hess zusätzlich zu ihrer Ausbildung als Personaltrainerin über Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit als Diplom-Bibliothekarin verfügt, als Partnerinnen besonders geeignet; dies bestätigte sich.


Stand: 06.08.99
Seitenanfang