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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 99

Drei Monate bei den Library & Information Services Swansea

Erfahrungen aus einer walisischen Universitätsbibliothek

Ulrike Seedorf

Wie kann man nur drei Monate seines Praxissemesters in der regenreichsten Stadt Großbritanniens verbringen ?

An das Wetter habe ich mich während meines Praktikums bei den "Library and Information Services" an der University of Wales Swansea nicht gewöhnen können, wohl aber an die Gastfreundschaft der Waliser.

Swansea1) (walisisch: Abertawe), mit etwa 231.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt in Wales und zugleich Geburtsstadt des Dichters Dylan Thomas, wurde während des 2. Weltkriegs stark beschädigt und ist 1969 nach dem Wiederaufbau von der Town zur City aufgestiegen. Auch wenn in Swansea kaum jemand Walisisch spricht, ist es Vorschrift, daß alle öffentlichen Schilder, also auch Wegweiser in der Bibliothek zweisprachig (in Englisch und Walisisch) ausgewiesen sind.

Während meines Aufenthalts bekam ich dank eines interessanten Praktikums-plans einen vielfältigen Einblick in nahezu alle Servicebereiche der Bibliothek, die im Folgenden dargestellt werden sollen.

1. Hintergrund

Die Universität Swansea ist Teil der University of Wales, zu der Aberystwyth, Bangor, Cardiff und Lampeter gehören. Die University of Wales Swansea, gegründet 1920, gehört zu den jüngeren Universitäten Großbritanniens.

1937 wurde der heutige Altbau der Bibliothek auf dem Campus errichtet. Da der Platz nicht ausreichte, kam in den sechziger Jahren ein Neubau hinzu. Aus dieser Zeit stammt auch das meiste Mobiliar in der Bibliothek.

Der Name "Library and Information Services Swansea" geht aus der schrittweisen Zusammenlegung von Rechenzentrum und Bibliothek Mitte der neunziger Jahre hervor.

1.1 Fakten

Library and Information Services Swansea (LIS)

Bestand

700.000 Medieneinheiten

3.500 Zeitschriftenabonnements

Personal

130

LIS Budget 1998/99

3.293.556 brit. Pfund

Studentenzahl

ca. 10.000

Anschrift

University of Wales Swansea
Singleton Park
Swansea
SA2 8PP
Great Britain

Webadresse

http://www.swan.ac.uk/lis

2. Organigramm

Der Aufbau der Library and Information Services (kurz: LIS) zeigt, daß die Mitarbeiter in verschiedenen Teams organisiert sind. Das Management Team setzt sich aus dem Direktor Christopher West und fünf weiteren Mitgliedern zusammen, denen jeweils mehrere Teams unterstellt sind.

LIS gliedert sich in fünf große Bereiche: Zu den Public Services gehören u.a. die Ausleihe, die Information und die Fernleihe.

Die Bibliographic Services setzen sich aus der Buchbestellung, der Periodikabearbeitung, der Buchbinderei, der Bestandsverwaltung, dem Einstellen der Bücher und dem Rechnungswesen zusammen. Zu den Branch Libraries gehört die Natural Sciences Library und das Archiv auf dem Campus, während die Education Library und die South Wales Miners Library auf dem zweiten Campus der Universität, Hendrefoelan, untergebracht sind. Die Morriston Campus Library befindet sich auf dem Gelände des Krankenhauses Morriston.

Der vierte Bereich ist die IT (Information Technology)-Seite von LIS, die sich in den Netzwerk-Service, den System-Service, die Netzwerk-Anwendungen und das Telefon-System gliedert.

Dem Management Team gehört auch eine Leiterin der Trainingsabteilung an, die für studentische Einführungsveranstaltungen und für die Weiterbildung des Personals zuständig ist.

3. Public Services Team

3.1 Information Desk und Helpdesk

Im Library & Information Centre, das direkt auf dem Campus liegt, gibt es zwei zentrale Anlaufstellen für Benutzer.

Am Information Desk versuchen die Bibliothekare, die Fragen der Leser möglichst direkt zu beantworten. Kommen sie z.B. mit einer fachspezifischen Frage einmal nicht weiter, werden sie an die "Subject Teams" verwiesen.

Dagegen wird am Helpdesk Studenten sofort geholfen, wenn diese z.B. Probleme beim Einloggen in einen der Open Access-PCs haben.

Außerdem laufen am Helpdesk alle Anrufe von Fakultäten zusammen, die Computerprobleme haben. Eine Software hilft, um die Probleme schnell zu erfassen und nach Dringlichkeit abzuarbeiten.

3.2 Issue Desk 2)

Wieviele Medieneinheiten ein Undergraduate, ein Postgraduate oder das Universitätspersonal maximal ausleihen darf, ist genau geregelt (z.B. 8 Bücher für einen Undergraduate.) Ein Undergraduate darf die meisten Bücher bis zu drei Wochen, ein Postgraduate bis zu zwölf Wochen behalten.

Wird ein ausgeliehenes Buch von einem anderen Benutzer vorbestellt, erfolgt eine automatische Benachrichtigung per E-Mail oder Post, und die Rückgabefrist wird verkürzt.

Doppelexemplare von Büchern können eine Woche lang ausgeliehen werden (One Week Loans). Daneben gibt es eine Short Loan Collection für stark nachgefragte Medien, die von 9 bis 16 Uhr tagsüber, oder nach 16 Uhr bis zum folgenden Tag 10 Uhr ausgeliehen werden können.

Falls die Bibliothek geschlossen ist, können Rückgabe-Bücher von den Benutzern in eine Bücherbox eingeworfen werden.

3.3 Öffnungszeiten

Während des Semesters hat das Library and Information Centre montags bis freitags von 9 bis 22 Uhr, samstags bis 17 Uhr und sonntags von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Es gibt sogar Überlegungen, die Öffnungszeiten weiter auszudehnen, und zwar bis zu 24 Stunden täglich. Nach den Kürzungen im Budget ist dieses jedoch im folgenden Haushaltsjahr 99/00 noch nicht möglich.

3.4 Interlibrary Loans

Die Interlibrary Loans von LIS sind Teil des nationalen Systems, das von der British Library koordiniert wird. Die meisten Anfragen werden über ein altes, aber sehr effektiv arbeitendes Computersystem direkt an das "British Library Document Supply Centre" geschickt.

3.5 Subject Teams3)

In LIS gibt es fünf Subject Librarians in der Hauptbibliothek, dem Library and Information Centre, drei weitere sind auch Leiter einer Branch Library.

Die Subject Librarians sind nicht auf ein Fach spezialisiert, sondern betreuen mehrere Fachbereiche. Das Arts Team beispielsweise berücksichtigt Geschichte, Amerikanistik, Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Musik, Philosophie und Walisisch.

Neben der Katalogisierungstätigkeit versuchen die Subject Teams, auf die Bedürfnisse der Studenten und Professoren ihrer Fachbereiche einzugehen, indem sie an vielen gemeinsamen Sitzungen teilnehmen. Außerdem gewährleisten sie die Verfügbarkeit von Kursmaterialien oder auch von Mehrfachexemplaren. Daneben geben die Subject Librarians regelmäßig Einführungen in fachspezifische CD-ROM-Datenbanken, aber auch allgemeine Einführungen z.B. in HTML oder stellen eine Internet-Linksammlung für ihre Studenten zusammen.

4. Bibliographic Services

4.1 Book Orders

Das vom Book Orders Team bearbeitete Material besteht aus Monographien, Standing Orders und Schenkungen.

Monographien werden von den einzelnen Departments ausgewählt. Am Anfang jedes neuen Haushaltsjahres wird jeder Fachbereich darüber informiert, wieviel Geld ihm aus dem Bibliotheksetat zugeteilt wird. Zusätzlich wird ein Bibliotheksrepräsentant in jedem Department benannt, über den die Buchbestellungen abgewickelt werden.

Für jede Bestellung muß ein kleines Formular ausgefüllt werden, das an das Library and Information Centre geschickt wird, in dem das Book Orders Team arbeitet. Dort werden die Informationen im eigenen OPAC geprüft und die bibliographische Daten teilweise ergänzt. Dann wird darüber entschieden, an welchen der Lieferanten die Bestellung geschickt wird.

Im integrierten Bibliothekssystem (zur Zeit noch Libertas, ab August Endeavor) wird die Bestellung dann mit allen verfügbaren Daten eingegeben bzw. ein bereits vorhandener Datensatz aus einer externen Datenbank in das Libertas-System heruntergeladen. Für Lieferanten, die schon EDI (Electronic Data Interchange) benutzen, geht die Bestellung direkt über den Computer. Nach dem Eingang der bestellten Monographie wird zunächst die Rechnung überprüft, und nach Vergabe einer "accession number" wird das Buch an die Katalogisierungsabteilung (Subject Teams) weitergegeben. Die Rechnung geht an die Rechnungsstelle der Universität.

Zu den Standing Orders von LIS gehören Loseblattsammlungen und einzelne Bände einer Serie. Zwar wird für die Standing Orders eine zusätzliche Kartei geführt, die Erwerbung erfolgt jedoch ohne Bestellschein über den Computer.

Schenkungen werden von verschiedenen Institutionen oder Privatpersonen angenommen und ähnlich wie Monographien behandelt.

4.2 Periodika

Die Hauptbibliothek bezieht zur Zeit etwa 2.700 Periodika, die Branch Libraries etwa 800. Ca. 59% der Periodika werden über Blackwell und Swets UK bezogen. Die restlichen 41% der Periodika gehen direkt von den Verlagen ein.

Als bibliographische Grundlage für die Bestellungen gelten u.a. der BUCOP (British Union Catalog of Periodicals), Ulrich's International Periodicals Directory, KIST (Keyword Index to Serial Titles) und die World List of Scientific Periodicals.

5. Branch Libraries und sonstige Serviceeinrichtungen

Während meines Praktikums bekam ich auch Einblicke in mehrere Branch Libraries und andere Serviceeinrichtungen der Library and Information Services.

5.1 Recording Centre for the Blind4)

Das Recording Centre for the Blind bereitet das benötigte Kursmaterial (Vorlesungsskripte, Bücher, Aufsätze) für blinde bzw. sehgeschwächte Studenten so auf, daß sie es in ihrer gewünschten Form studieren können.

Das Recording Centre for the Blind wurde 1995 vom heutigen Education Minister Großbritanniens David Blunkett eröffnet und befindet sich auf dem Campus der Universität. In drei schallgedämpften Aufnahmestudios, ähnlich jenen im Royal National Institute for the Blind,5) werden akademische Texte von Studenten (auch Austauschstudenten für ausländische Sprachen) oder Bürgern von Swansea auf Kassette gesprochen.

Da die Aufnahmen sehr lange dauern, wird immer häufiger der Brailleservice (Umwandlung von Material in die Blindenschrift Braille6)) des Recording Centres, vor allem für kurze Texte in Anspruch genommen. Dazu benötigt man eine Software, die beispielsweise Word-Dateien in Braille umwandelt. Über einen Spezial-Drucker wird die Schrift dann erzeugt.

6. Education Library und South Wales Miners' Library

Die Education Library und die South Wales Miners' Library befinden sich auf dem zweiten Campus der Universität.

Die Education Library richtet sich hauptsächlich an die Studenten der erziehungswissenschaftlichen Fakultät und ist durch ihre große Sammlung an Vorbereitungsmaterialien bei den angehenden Lehrern und Lehrerinnen sehr beliebt.

In der South Wales Miners' Library befindet sich die "South Wales Coalfield Collection",7) eine Archivsammlung, die einen sozialen, ökonomischen und historischen Einblick in das Südwales des 19. und 20. Jahrhunderts vermittelt.

Das Material wurde von den einzelnen Bergarbeitersiedlungen, die oft eine Bibliothek hatten, zusammengetragen. Dazu gehören vor allem Broschüren, Poster, Banner, Kassetten, Zeitungsausschnitte und Protokolle der South Wales Miners' Federation. Fotos und Manuskripte werden dagegen im Archiv der Hauptbibliothek aufbewahrt. Wegen der räumlichen Trennung und aufgrund von Platzmangel gibt es Bestrebungen, ein neues Gebäude auf dem Hauptcampus der Universität zu errichten, um darin die Sammlungen zu vereinen.

In der South Wales Miners' Library werden vor allem Anfragen von Bürgern beantwortet, die z.B. über einzelne Gruben etwas erfahren wollen, in denen ein Vorfahr gearbeitet hat. Einen Überblick über die Sammlung vermittelt auch eine Datenbank, die über das Internet einsehbar ist.

7. Publikationen8)

Einmal im Semester informiert ein buntes Faltblatt "Inform" alle Mitarbeiter und Postgraduates über neue Informationsdienstleistungen, LIS-Projekte und alle Veränderungen innerhalb von LIS. Diese Publikation ist auch online abrufbar.

Der Direktor gibt einmal monatlich ein internes Informationsblatt "LISten" heraus, in dem hauptsächlich über Sitzungen, Konferenzen und über Veränderungen im Personalwesen informiert wird.

Im jährlich veröffentlichten "Quality Systems Handbook" werden ausführlich Ziele und Strategien der Library and Information Services für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. Durch den Vergleich von Leistungsindikatoren der letzten drei Haushaltsjahre (z.B. Ausleihzahl geteilt durch die Anzahl aller Studenten), werden wichtige Veränderungen angezeigt, die deshalb den strategischen Fünf-Jahres-Plan, der jährlich aktualisiert wird, beeinflussen. Im Handbuch werden auch die Ergebnisse der letzten Benutzerumfrage erläutert, die bei den Planungen ebenfalls berücksichtigt werden.

Darüber hinaus bietet LIS eine Vielzahl von Publikationen an, wie z.B. einzelne Guides für die Branch Libraries oder Hilfestellungen für einzelne Datenbanken.

8. Open Acces Computing

Im Library und Information Centre befinden sich ca. 120 PCs für die Studenten. Zusätzlich sind in drei weiteren Schulungsräumen ca. 90 PCs installiert. Die Computer sind durch Novell Netware vernetzt und bieten aktuelle Programme sowie den Zugang ins Internet an. An einem Computer ist auch das Scannen von Bildern und Texten möglich.

In den Branch Libraries gibt es weitere PCs für das Open Access Computing.

9. OPAC und CD-ROM

Nach zwölf Jahren wird das integrierte Libertas-Bibliothekssystem durch Voyager der US-Firma Endeavor9) ersetzt. Dieses neue, integrierte, web-gestützte System wurde von einem Konsortium aus fünf Universitätsbibliotheken in Wales gekauft. Durch zahlreiche Schulungen, z.B. die Umstellung von UK Marc auf US Marc10) wird das Personal auf die Implementierung des neuen Systems vorbereitet.

Auch das CD-ROM-System wird durch ein neues web-basiertes System IRIS ausgetauscht. Das soll den Zugriff auf elektronische Datenbanken im Internet erleichtern.

10. Schulungen

Im LIS Centre auf dem Campus finden regelmäßig Einführungskurse in Themen wie HTML, Word, Pegasus, Diskussionslisten, Internet allgemein und Suche im World Wide Web statt. Darüber hinaus können Studenten und Universitätspersonal an Seminaren und Prüfungen zum Erlangen der European Computer Driving Licence11) teilnehmen.

11. Fazit

Durch meinen umfangreichen Praktikumsplan konnte ich nicht nur nahezu alle Bereiche der Library and Information Services kennenlernen, sondern ich nahm an zahlreichen Sitzungen, auch außerhalb Swanseas, z.B. in Aberystwyth teil. Positiv überrascht war ich darüber, daß ich von den Mitarbeitern voll in die Betriebsabläufe integriert wurde und alle an meinem Wohlergehen interessiert waren.12)

1) Informationen zur Stadt Swansea und Umgebung unter http://www.swansea.gov.uk

2) Ausführliche Library Regulations sind zu finden unter http://www.swan.ac.uk/lis/regulations/library.htm

3) Ziele der Subject Services Teams http://www.swan.ac.uk/lis/publications/ssaims.htm

4) Eine übersichtliche Darstellung des Recording Centre for the Blind findet man unter http://www.swan.ac.uk/lis/rfbc/index.htm

5) Das Royal National Institute for the Blind ist die größte britische Organisation für Blinde. Nähere Informationen dazu auf der Homepage http://www.rnib.org.uk

6) Alles über den Erfinder Louis Braille und seiner Schrift unter http://www.rnib.org.uk/wesupply/fctsheet/aboutbm.htm

7) Die Datenbank der South Wales Coalfield Collection ist unter http://www.swan.ac.uk/swcc/ erreichbar.

8) Die wichtigsten Publikationen von LIS werden auf folgender Seite angeboten: http://www.swan.ac.uk/lis/publications

9) Homepage der Firma Endeavor : http://www.endinfosys.com http://www.endinfosys.com/. Das System Voyager wurde kürzlich von der Library of Congress ausgewählt.

10) MARC Standards auf der Seite http://lcweb.loc.gov/marc/

11) Informationen zur European Computer Driving Licence (ECDL) auf Seite http://www.ecdl.de/

12) Das Praktikum in Swansea fand im Rahmen meines Praxissemesters der Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Bibliothek und Information, vom 1.3. bis zum 31.5.99 statt. Danken möchte ich vor allem dem Direktor der Library and Information Services Swansea Christopher West, der mir diesen unvergeßlichen Aufenthalt ermöglicht hat.


Stand: 06.08.99
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