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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7, 99

Recherchestrategien in elektronischen Datenbanken

Inhaltliche Elemente der Schulung von Informationskompetenz (nicht nur) an Universitätsbibliotheken

Thomas Hapke

1. Einleitung

Die massenhafte Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien in Wissenschaft und Hochschule, Wirtschaft und Verwaltung erfordert und ermöglicht neue Wege des Lernens und Lehrens. Die zeitliche Dynamik der Technologien, aber auch der Wissenschafts- bzw. Wissensentwicklung, erzwingt geradezu Konzepte lebenslangen Lernens. Universitäten und Hochschulen müssen ihre Absolventen auf diese Problematik vorbereiten. Dieses "neue" Lernen, das individuell, aber auch in Gruppen stattfinden kann, benötigt entsprechende elektronische, gedruckte und menschliche Ressourcen. "Resource based learning" benötigt als Lernort einen Platz, in dem neben den Möglichkeiten von Still- und Gruppenarbeitsplätzen auch die entsprechenden gedruckten und elektronischen Ressourcen angeboten werden: die Bibliothek.1) Mitarbeitende in Bibliotheken, besonders auch Fachreferenten, können sich hier als "menschliche Ressource" einbringen.

Die Fähigkeit zum effektiven Gebrauch elektronischer Informationsquellen, in der Regel Datenbanken, wird eine der Grundvoraussetzungen für offenes, selbstbestimmtes Lernen zukünftiger Studenten- und Schülergenerationen sein. Offenes, selbstbestimmtes Lernen wird aus einer pädagogisch-didaktischen Perspektive hinsichtlich dreier Grunddimensionen (Selbstregulation, Individualisierung, Interaktion) auf unterschiedlichen Ebenen des Lernhandelns (Lernsituation, Lernorganisation, Lernprozeß) beschrieben.2) Dieser Beitrag versucht, erste inhaltliche Elemente eines entsprechenden Curriculums für einen Kurs "Informationskompetenz beim Umgang mit elektronischen Datenbanken" vorzustellen. Durch Hilfe zur Selbsthilfe sollen die Kunden durch diesen Kurs in die Lage versetzt werden, Recherchemöglichkeiten und -grenzen der meisten elektronischen Datenbanken selbsttätig erkunden zu können. Gerade die Erkundung von Datenbanken (database exploration) ist eine neue Form von Fähigkeit, die im Rahmen von "Hypermedia Literacy" neben anderem (information search and retrieval, authoring skills, user skills) gelernt werden muß.3) Die inhaltlichen Teile dieses Kurses sind sicher nichts Neues, jedoch ist der Blick auf diese Inhalte ein didaktischer.

 

2. Ein Grundkanon zur Schulung von Informationskompetenz ?!

Benutzerschulung in Bibliotheken kann sich heute nicht mehr auf Schulungsangebote für den eigenen Online-Katalog oder vorhandene einzelne CD-ROM-Datenbanken beschränken. Die Vielfalt der Such-Oberflächen der CD-ROM-Datenbanken wird übertroffen von der Vielfalt der im Internet, oft sogar kostenfrei, zur Verfügung stehenden Datenbanken, wie Bibliothekskataloge, Suchmaschinen, Aufsatzdatenbanken u.a. Die rasante technische Entwicklung überrascht den Internet-Benutzer immer wieder mit neu konzipierten Oberflächen als Benutzerschnittstellen, an deren alte Version man sich gerade erst gewöhnt hatte.

Darauf bezogene, zeitgerechte Schulungsangebote müssen grundsätzliche Einsichten und Praktiken zur Recherche in elektronischen Datenbanken vermitteln und dem Kunden Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen. Die Kunden müssen "Handwerkszeuge" kennenlernen, um sich bei Bedarf selbst mit einer Datenbank auseinandersetzen zu können. Sie müssen in der Lage sein, selbst "Fragen" an die Datenbank zu stellen. Diese "Fragen" nach der Umsetzung von grundsätzlichen Konzepten beim Information Retrieval in Datenbanken im speziellen Einzelfall erfolgt ausgehend vom Aufbau einer gewissen theoretischen Vorstellung von Strukturen elektronischer Informationsdienste sowie vom Datenbank-Aufbau und Information Retrieval, wie sie in Schulungsveranstaltungen vermittelt werden kann. Bei diesen Kursen sind vor allem die Gemeinsamkeiten der Recherchen in den einzelnen Instrumenten hervorzuheben. Daneben helfen strukturierte Überblicke über die Welt der wissenschaftlichen Information bzw. das weltweite Informationsangebot bei der Auswahl und Beurteilung der Nützlichkeit spezifischer Datenbanken weiter.

Die hier vorgestellten, sicherlich nicht neuen Elemente der Schulung von Informationskompetenz (Abb. 1 und Abb. 2) sollen dazu beitragen, eine Art Grundkanon von Zielen und Inhalten zur Diskussion zu stellen. Dabei werden auch einige methodische Anmerkungen gemacht. Zweimal wurden vom Autor mittlerweile im Rahmen der internen Weiterbildung der TU Hamburg-Harburg Kurse unter dem Titel "Recherchestrategien in elektronischen Datenbanken - Bibliothekskataloge, Aufsatz-Datenbanken und Internet-Suchmaschinen" durchgeführt,4) an dem vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter teilgenommen haben. Wichtig ist die Bewußtmachung der häufig nur intuitiv genutzten sogenannten "information skills", was in der Regel schon ein wesentlicher Schritt des Lernprozesses ist.5) Die hier beschrieben Grundelemente dieses zweimal dreistündigen Kurses sollen im nächsten Teil dieses Beitrages inhaltlich weiter erläutert und ausgefüllt werden.

Die mögliche Zukunft von Bibliotheken als "Teaching Libraries" begründet die verstärke Notwendigkeit einer solchen Diskussion. Sicher können solche Kenntnisse auch über Konzepte des "Distance Learning" im Bereich "Information Literacy" vermittelt werden.6) Auch die neugegründete Expertengruppe Schulung der DBI-Kommission Benutzung und Information wird ja in diesem Sinne arbeiten.

Grobziele

1.

Entwicklung der Fähigkeit, angemessene und geeignete Werkzeuge zur Recherche nach Informationen lokalisieren, auswählen und benutzen zu können.

2.

Bewußtwerdung des großen Angebotes an wissenschaftlichen Informationsmitteln

3.

Entwicklung der Fähigkeit, diejenigen Quellen auszuwählen, die den eigenen Informationsbedarf bezüglich Forschung, Studium und Arbeit befriedigen können

4.

Selbständige Erarbeitung des praktischen Umgangs mit textorientierten Datenbanken aller Art

Abbildung 1: Grobziele der Schulung von Informationskompetenz

 

Kognitiv-theoretische Ziele

Ziel

Inhalt

  • Ermöglichung der Datenbankauswahl durch Kenntnis der wichtigsten Informationsmittel
  • Verständnis der Struktur wissenschaftlicher Information und deren Beziehung zu den spezifischen Informationsbedürfnissen

Die Welt der wissenschaftlichen Information

Verständnis des elektronischen Informationsmarktes

Struktur des elektronischen Informationsmarktes

Verständnis, daß eine Recherche im wesentlichen ein Vergleich zwischen Repräsentationen vom Informationsbedarf (Suchbegriffe) und vom Datenbankinhalt (Zeichenfolgen in Dokumenten in der Datenbank) ist

Ablauf des Rechercheprozesses

Modellhaftes Verständnis der Vorgänge beim Retrieval in Datenbanken

Veranschaulichung der physikalischen Datenbankstrukturen (Modell) mit Datensatz-Datei und Indexdateien

Verstehen, daß jede Recherche eine Gratwanderung zwischen Zu-Viel- und Zu-Wenig-Finden darstellt.

Relevanz

Handlungsorientierte Ziele

Ziel

Inhalt

Fähigkeit durch Anwendung des Survival Guides, Recherchemöglichkeiten und -grenzen der meisten elektronischen Datenbanken selbsttätig zu erkunden

Survival Guide

Für ein gewähltes Thema ein Konzept-Diagramm zu entwickeln und dieses in eine Boolesche Recherche umzusetzen

Konzeptdiagramm

Unterscheidung und Bewertung der verschiedenen Typen von Informationsmitteln im Internet bezüglich Inhalt, Wert und Anwendung

Internet-Such-Matrix

Abbildung 2: Feinziele der Schulung von Informationskompetenz

 

3. Inhalte für kognitiv-theoretische Lernziele

3.1 Die Welt der wissenschaftlichen Information und die Struktur elektronischer Informationsdienste

Die Datenbankauswahl erfordert neben der Kenntnis des potentiellen Datenbankangebotes einen Überblick über die wichtigsten wissenschaftlichen Informationsmittel und deren Stellenwert im Rahmen des Forschungsprozesses. Die hier vorgestellte Abbildung 3 stellt die wichtigsten Typen wissenschaftlicher Informationsmittel und deren Auftreten in den Zusammenhang des zeitlichen Ablaufes eines Forschungsprojektes. Dabei soll die Länge der Pfeile die Zeit repräsentieren, in der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt in diesem speziellen Informationsmittel potentiell publiziert werden. So werden die ersten Ideen und Forschungsanträge eines Forschungsprojektes vielleicht im Internet oder in Form eines Reports veröffentlicht. Erst danach folgen mehr formale primäre Informationsmittel wie Patente, Kongreßveröffentlichungen oder Zeitschriftenaufsätze, die die ersten konkreten Ergebnisse des Projektes vorstellen. Über all diese primären Informationen wird dann in sekundären Informationsmitteln berichtet, einerseits in der Form, daß Datenbanken die primäre Information verzeichnen, andererseits daß z.B. Reviews über die Ergebnisse berichten und damit weiterverbreiten. Erst weit nach Ende eines Forschungsprojektes tauchen diese Ergebnisse dann vielleicht in Nachschlagewerken oder Lehrbüchern auf. Eindeutige, quantitative Schlußfolgerungen sollten allerdings aus dem Diagramm nicht gezogen werden.

Neben dem Unterschied zwischen primären und sekundären Informationsmitteln kann anhand dieses Diagramms auch der wichtige Hinweis auf die klassische Unterscheidung von selbständig (Büchern, Dissertationen, Zeitschriften,...) und unselbständig erschienenen Informationsmitteln (Zeitschriftenaufsatz, Kongreßpaper) erfolgen. Nur so kann bei der Datenbankauswahl die richtige Entscheidung getroffen werden.

Der Hinweis, daß jede Form der wissenschaftlichen Literatur sekundärer Art ist, in dem Sinne, daß wissenschaftliche Arbeit immer auf anderen Vorgängerarbeiten aufbaut, ermöglicht einen einfachen Zugang zum Thema Zitierung und Zitatanalyse wissenschaftlicher Literatur.

Abbildung 3: Die Welt der wissenschaftlichen Information: Präsenz der Ergebnisse eines Forschungsprojektes in Informationsmedien7)

Für den an fachlich orientierter Suche Interessierten, der außerhalb des eigenen Fachgebietes sucht, ist als erster Einstieg oft ein knapper Überblick über vorhandene Hilfsmittel hilfreich, der exemplarische konventionelle Informationsmittel (Enzyklopädien, Lexika, Literaturführer), fachspezifische Datenbanken und Internet-Ressourcen (Subject Trees usw.) vorstellt.8)

Weiterhin ist es am Anfang sicher sehr hilfreich, den Lernenden die Struktur des wissenschaftlichen Informationsmarktes bewußt zu machen (Abb. 4). Tendenzen, daß z.B. in Zukunft der Datenbankproduzent oft auch gleich dem Datenbankanbieter ist, können hier angeschnitten werden, ebenso, daß gleiche Datenbanken oft bei verschiedenen Anbietern durchaus in unterschiedlicher Aufbereitung und unterschiedlichem Design angeboten werden können.

Dokumente

Formen wissenschaftlicher Literatur

Zeitschriftenartikel, Kongreßbeiträge, Bücher, Forschungsberichte, Chemische Daten, Finanzdaten, Statistiken, Geschäftsberichte, Elektronische Dokumente im Internet

Datenbankproduzenten

sammeln und ordnen die Information und erstellen eine Datenbank

Chemical Abstracts Service, Umweltbundesamt, Bibliotheksverbünde, Universitätsbibliotheken

Datenbank

 

Chemical Abstracts, Umplis, Online-Katalog einer Bibliothek, Verbundkataloge

Datenbankanbieter (Hosts)

ermöglichen den Zugriff auf die Datenbanken über

STN, Dialog, Bibliotheksverbünde

Telekommunikationsnetzwerke

 

Telefon, Internet

Informationsvermittler

bereiten Fragestellungen ihrer Endkunden auf und führen verschiedene Datenbankrecherchen durch

Professionelle Informationsspezialisten wie z.B. Fachreferenten an Uni-Bibliotheken oder kommerzielle Information Broker

Endkunden

Studierende, Forschende

Sie selbst

Abbildung 4: Struktur des elektronischen Informationsmarktes9)

 

3.2 Der Rechercheprozeß, Datenbanken und Information Retrieval

Nach diesem eher objektbezogenem Einstieg ist es sinnvoll, sich mit dem grundsätzlichen Aufbau von Datenbanken vertraut zu machen. Dabei hilft das bekannte Diagramm zum Ablauf des Information Retrieval (Abb. 5) klar zu machen, daß eine Recherche in einer elektronischen Datenbank nicht mehr ist als ein Vergleich: ein Vergleich von Suchbegriffen des Recherchierenden mit den in der Datenbank enthaltenen Begriffen in den Beschreibungen der Texte (Metadaten) oder in den Texten selbst. Dabei müssen beide Seiten die "gleiche Sprache sprechen". In einer englischsprachigen Datenbank mit deutschen Begriffen zu suchen, führt in der Regel zu keinem Treffer. Dies wäre auch die richtige Stelle, um auf die Bedeutung von kontrolliertem Vokabular für die Recherche hinzuweisen.

Abbildung 5: Ablauf des Recherche-Prozesses10)

Hilfreich zur Veranschaulichung der physikalischen Datenbankstruktur als Mittel der didaktischen Reduktion ist eine kleine Modell-Datenbank mit Datensatz-Datei und Index-Datei (Abb. 6 und 7), anhand derer, natürlich nur sehr vereinfacht, grundlegende Abläufe bei Recherchen deutlich werden können. Deutlich wird hier auch der hierarchische Aufbau textorientierter Datenbanken, der durch die folgende Aufzählung von der größten zur kleinsten Einheit charakterisiert werden kann: Host, Cluster, Datenbank, Datei (Datensatz-Datei, Registerdateien), Datensatz (Record), Datenfeld (Field), Datenfeld-Wiederholungen, Datenfeld-Paragraphen, Datentyp, Sätze, individuelle Begriffe oder zusammenhängende Begriffe (bound phrases).

Abbildung 6: Datensatz-Datei der Modelldatenbank11)

Abbildung 7: Index-Datei der Modelldatenbank

Die Datensatz-Datei der Modell-Datenbank enthält sechs Datensätze, die jeweils nur aus zwei Datenfeldern bestehen, einem Titel-Feld und einem Deskriptoren-Feld. Die aus diesen Datensätzen im Modell entstehende Index-Datei listet alle Wörter der Datensätze in einem Alphabet auf. Lediglich nicht sinntragende Wörter, sogenannte Stop-Wörter, fehlen hier. Hinter jedem Wort im Index wird angezeigt, in welchem Datensatz, in welchem Datenfeld und an welcher Stelle im Feld sich dieses Wort befindet. Die Suche nach dem Wort "chemistry" ergibt also vier Treffer (Datensätze 2,3,4,6), die Suche nach "soil" fünf Treffer (Datensätze 1,2,3,4,5).

Auch die Veranschaulichung der Booleschen Operatoren ist hier möglich. So ergibt die Und-Verknüpfung von "chemistry" und "soil" genau drei Treffer (Datensätze 2,3,4). Grundlegend ist an dieser Stelle noch einmal auf den Unterschied der Booleschen Operatoren mit dem Alltagsgebrauch der Konjunktionen "und" und "oder" hinzuweisen. Eine kleine amüsante Analogie12) hilft dabei, daß man sich dieses Unterschiedes bewußt wird und dieser auch in der Praxis in Erinnerung bleibt:

Bestellt man in einem normalen Restaurant Suppe und Salat, bekommt man beides serviert. Im Booleschen Restaurant erhält man stattdessen eine Art "Salatsuppe" (In der französischen Küche soll es so etwas geben!). Ordert man Suppe oder Salat im Alltag, erhält man eines von beiden, im Booleschen Restaurant werden einem alle vorhandenen Suppen und Salate gleichzeitig serviert. Nur der Nicht-Operator ist in beiden Restaurants gleich: Sowohl im normalen als auch im Booleschen erhält man auch keine Suppe, wenn man keine bestellt hat.

Erste kleine "Rechercheaufgaben" an der Modelldatenbank machen auch auf Möglichkeiten der Feld-Suche aber auch den Einsatz von Kontext- oder Näherungs-Operatoren mit dem Spezialfall Phrasensuche deutlich. Bei Kontext- und Phrasen-Suche von zwei Wörtern werden in der Modell-Datenbank die Stellen ausgewertet, an der sich die jeweiligen Wörter im Datenfeld befinden. So ergibt die Suche nach "soil chemistry" zwei Treffer (Datensätze 2,3).

Ohne eine konkrete Datenbank zu benutzen, läßt sich der Umgang mit Treffermengen bei realen Recherchen auch durch kleine Aufgaben der folgenden Art üben:

Ordnen Sie folgende Suchanfragen nach der Größe der zu erwartenden Treffermengen! (Mit dem Näherungsoperator (l) erhält man Treffer, bei denen die gesuchten Wörter im gleichen Datenfeld stehen, mit dem Operator (a) Treffer, bei denen die Suchbegriffe unmittelbar nebeneinander stehen, wobei aber die Reihenfolge egal ist.)

Teil A
1) boden? (a) schwermetall?
2) boden? or schwermetall?
3) boden? (l) schwermetall?
4) boden? and schwermetall?

Teil B
1) solid? waste?
2) solid? (a) waste?
3) (solid waste)/de
4) solid? (l) waste?
5) solid? and waste?

 

3.3 Relevanz-Überlegungen als Teil der Bewertung einer Recherche

Die Begriffe Relevanz und Präzision verdeutlichen noch einmal die Gratwanderung zwischen Zu-Viel- und Zu-Wenig-Finden bei jeder effektiven Recherche und können bei der Betrachtung des Stellenwertes der eigenen Ergebnisse hilfreich sein. Deren mathematische exakte theoretische Definition verschleiert ein wenig die stark subjektive Komponente der Frage "Was ist ein relevantes Dokument?", was vor allem heißt: "Was suche ich überhaupt?" Vor jeder Recherche sollte eine klare Vorstellung über die Ziele vorhanden sein. Reichen einem 5 bis 10 "gute" Zitate oder ist man eher auf Vollständigkeit bedacht. Als kleine Faustregel kann man sich merken: Wenn alle Suchergebnisse exakt das gewünschte Thema treffen, also relevant sind, so sind höchstwahrscheinlich noch viele Zitate zum Thema durch die Suchstrategie nicht erfaßt worden. Umgekehrt: Je vollständiger die Suche werden soll, um so mehr irrelevante Artikel (Ballast) sind in der Treffermenge enthalten.

 

Relevante Dokumente

Nicht-relevante
Dokumente

Gefundene Dokumente

a

b

Nicht gefundene Dokumente

c

d

Abbildung 8: Relevanz und Vollständigkeit

 

4. Inhalte für handlungsorientierte Lernziele

4.1 Der "Survival Guide"

Ein "Survival Guide"13) zur Recherche in elektronischen textorientierten Datenbanken (Abb. 9) soll nun beim Vertrautwerden mit einer konkreten Datenbank helfen. Er faßt Überlegungen zur Datenbankauswahl, zum Datenbankaufbau und zur Suchlogik zusammen.

1.

Konzept-Diagramm

Was suche ich überhaupt? Was sind die wichtigsten Konzepte meines Themas?

2.

Datenbankinhalt

Welche Informationsmedien bzw. Literaturformen wurden für die Datenbank ausgewertet? Benutze ich eine Volltext- oder eine Referenz-Datenbank?

3.

Formen des Dialogs mit der Datenbank

Muß ich eine spezielle Kommandosprache verwenden oder ist die Suche menügeführt? Gibt es neben der einfachen Suche auch eine erweiterte Suchmöglichkeit?

4.

Datenbank-Aufbau

Welche Register bzw. Indices, welche speziellen Suchfelder sind in der Datenbank vorhanden?

5.

Suchbegriffe

Welche Suchbegriffe liefert mir mein Konzept-Diagramm? Synonyme? Abkürzungen? Flexionen? Welche Trunkierungen, Wildcards (?$*) sind möglich (rechts, links, im Wort)? Problem der Umlaute und Sonderzeichen? Sprache der Suchbegriffe?

6.

Freitext oder kontrolliertes Vokabular ?

Was ist vorteilhafter für mein Thema? Ist bei der Suche die Verwendung freier Suchbegriffe günstiger oder lohnt es sich mit kontrolliertem Vokabular (Schlagwörter-Subject Headings-Descriptoren, Klassifikationen-Classification Codes) zu suchen?

7.

Suchlogik

Welche Suchlogik ist bei der Recherche möglich? Boolesche Logik (und, oder, nicht) oder Best-Match-Methode? Klammersetzung nötig?

8.

Kontext-, Nachbarschafts- oder
Stellungsoperatoren, Phrasensuche

Welche Möglichkeiten bietet die Datenbank in diesem Bereich? Kann ich Suchbegriffe suchen, die z.B. direkt nebeneinander oder in einem Datenfeld stehen müssen?

Abbildung 9: Survival-Guide zur Recherchen in elektronischen, textorientierten Datenbanken14)

Eine klare fachliche Vorstellung und Vertrautheit mit dem Thema sollte vor der Entwicklung einer Suchstrategie selbstverständlich vorhanden sein. Man halte sich immer in Erinnerung: Die Maschine sucht nur nach Zeichenfolgen und nie nach Bedeutungen. Synonyme, grammatikalische Endungen, Abkürzungen usw. müssen für eine annähernd vollständige Suche berücksichtigt werden.

Zur Auswahl der Suchbegriffe hilft oft ein sogenanntes Konzept-Diagramm (Abb. 10), das die wichtigsten Teil-Konzepte eines Themas herausarbeitet und zu jedem Teilkonzept die Synonyme, verwandten Begriffe, Abkürzungen usw. ermittelt. Dieses Konzept-Diagramm muß sicherlich nicht bei jeder Recherche explizit aufgeschrieben werden. Trotzdem gelingt es damit leichter, den eigenen Gedankenablauf bei einer Recherche zu strukturieren. Bei der Formulierung des Thema hilft es oft, sich vorzustellen, wie ein genau das Thema erfassender Titel eines Aufsatzes lauten könnte. Für die Boolesche Suche werden die im Konzept-Diagramm in den Spalten untereinander stehenden Begriffe mit "oder" und dann die Spalten jeweils mit "und" verknüpft. Klammersetzung ist hier, wenn möglich, sinnvoll, da die Rangfolge der Operatoren in verschiedenen Systemen durchaus unterschiedlich sein kann. Die Verwendung von Platzhaltern bzw. Wildcard-Symbolen vereinfacht die Oder-Verknüpfung von Begriffen, die mit gleichen Zeichenfolgen beginnen.

Disposal of
harzardous wastes in Germany

 

cleanup toxic wastes Hamburg
dumping industrial wastes Lower Saxony
recycling PCB Berlin
incineration dioxins

 

Abbildung 10: Beispiel für ein Konzept-Diagramm

Die im Survival Guide zusammengetragenen Fragestellungen bei der Durchführung einer Recherche bzw. zur Benutzung einer bestimmten Datenbank spielen bei Recherchen mit Internet-Suchmaschinen ebenso eine Rolle wie bei "klassischen" Instrumenten (Bibliothekskataloge, Aufsatz-Datenbanken, u.a.).

 

4.2 Recherchen im Internet

Das Interesse am Internet und das oft zu beobachtende Gefühl der Hilflosigkeit bei der Recherche sollte genutzt werden, um grundlegende Informationskompetenz zur Datenbankrecherche zu vermitteln. Die Literatur zur Recherche im Internet ist mittlerweile kaum noch übersehbar.15) Gerade an Suchmaschinen lassen sich die Fragen aus dem Survival Guide sinnvoll anwenden. Im Vergleich mit den klassischen bibliographischen Datenbanken sind neben den speziellen Suchfeldern auch die Möglichkeiten einer nicht-booleschen Recherche (Best-Match-Suche) neu, die in der Regel auf der Auswertung statistischer Algorithmen hinsichtlich Worthäufigkeit beruht. Bei den Suchfeldern bietet z.B. die "Link-Suche" eine Möglichkeit des Vergleiches dieser Suche nach einem Zitat in einer anderen WWW-Seite mit den klassischen Citation Indexes des Instituts for Scientific Information. Neben Best-Match-Methoden als Erweiterung des Booleschen Retrievals sollten hier auch weitere spezielle Suchverfahren, wie z.B. das "Refine" bei Altavista, nicht unerwähnt bleiben. Wichtig bei der Besprechung von Suchmaschinen im Internet ist auch die Erwähnung von dem, was man mit Hilfe der Suchmaschinen im Internet nicht findet: z.B. dynamisch generierte Seiten, Dateien im PDF-Format, Seiten in Intranets, kommerzielle Ressourcen, die nur bestimmten Domains zur Verfügung stehen oder über spezielle Passwörter zu erreichen sind.

Die Unterscheidung und die damit verbundene Kenntnis der wechselseitigen Vor- und Nachteile von in der Regel automatisch erstellten Angeboten der Suchmaschinen und den sogenannten thematischen Verzeichnissen (Subject Trees) ist ebenfalls ein Essential bei der Vermittlung von Recherchestrategien im Internet. Diese Subject Trees bieten meist eine relativ grobe Klassifikation an und werden oft auch noch mit intellektueller Arbeit erstellt. Dafür enthalten sie nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem gesamten WWW-Angebot, in der Regel aber sehr relevante Seiten zum Einstieg in ein Themengebiet.

Grundsätzlich lassen sich alle heutzutage verfügbaren Datenbanken über kurz oder lang als Internet-Datenbanken beschreiben. Ein Beispiel für eine didaktisch sinnvolle, mögliche Strukturierung des Angebotes bietet die Internet-Such-Matrix (Abb. 11) ausgewählter Datenbanken und anderer Informationsdienste:

 

Suchmaschinen

Subject Trees

Meta-Informationsdienste

Universell

Altavista, Hotbot, Lycos

BUBL, Yahoo,
Virtual Library

Meta-Crawler

Sprachliche Einschränkung

Fireball

Dino, Web.de, Yahoo.de, Deutsche Datenquellen, Gerhard

MetaGer

Fachliche Einschränkung

Chemfinder, Ariadne

Chemie.de, SOSIG, Deutscher Bildungsserver, DBI Clearinghouse

Argus Clearinghouse, Magellan

Spezielle Quellen:

 

 

 

Bibliographische Quellen

Preprint- und Report-Server, Patent-Server, Freie bibliographische Datenbanken, VD17,, GBV-Datenbanken

HBZ-Liste: Deutsche Bibliotheken Online

KVK

News-Gruppen

Dejanews

 

 

E-Mail-Adressen

www.suchen.de, www.whowhere.com

Mailing-Listen: Liszt

 

Dateien auf FTP-Servern

SINA

 

 

Abbildung 11: Internet-Such-Matrix16)  

5. Resümee

In diesem Beitrag wurde der Versuch gemacht, einerseits grundlegende inhaltliche Elemente einer Vermittlung von Informationskompetenz bei Datenbankrecherchen herauszuarbeiten, andererseits dem praktisch Lehrenden Hilfen für die eigene Praxis anzubieten.

Die Tragfähigkeit des Konzeptes, speziell des "Survival Guides", erweist sich dann als sinnvoll, wenn Lernende anhand dieser Werkzeuge in die Lage versetzt werden, sich selbst, aber auch im Rahmen der Schulung etwa in Partner- oder Gruppenarbeit, den Umgang mit einer spezifischen Datenbank zu erarbeiten, ohne nur "Quick & Dirty"-Recherchen zu machen. Das Internet bietet die Möglichkeit, verschiedenste Datenbanken vielfältiger Art zu nutzen.

1) Im Rahmen des britischen IMPEL2 (IMpact on People of Electronic Libraries) Projektes (Monitoring Organisational and Cultural Change - a project in the Supporting Studies category of the Joint Information Systems Committee (JISC) eLib programme based at the Department of Information and Library Management, and Information Services Department University of Northumbria at Newcastle) ist gerade dies besonders hervorgehoben worden (Siehe auch die URL: http://ilm.unn.ac.uk/impel/, hier z.B. Mauren Jackson, Sandra Parker: Resource based learning and the impact on library and information services. http://ilm.unn.ac.uk/impel/rblrng.htm.

2) Open learning and distance education with computer support / Gerhard Zimmer, Dieter Blume (Eds.).Nürnberg: BW Bildung und Wissen Verlag und Software, 1992.

3) Nach J.L. Lemke: Hypermedia and higher education, in: Computer networking and scholarly communication in the twenty-first-century university / ed. by Teresa M. Harrison and Timothy Stephen. Albany, NY : State University of New York Press, 1996, S. 215-231. Hier S. 223 ff.

4) Siehe http://www.tu-harburg.de/b/hapke/recherch/tuhhkurs.html.

5) Barry, Christine A.: Information skills for an electronic world : training doctoral research students, in: Journal of Information Science. 23(1997), S. 225-238.

6) Siehe z.B. das aus meiner Sicht phantastische, sowohl hinsichtlich Inhalt als auch Aufbereitung, europäisch-schwedische Projekt EDUCATE http://educate.lib.chalmers.se/ mit dem Nachfolgeprojekt DEDICATE.

7) Verändert nach: James, Stuart: Using literature. Chichester: Wiley, 1987. (Analytical chemistry by open learning).

8) Siehe zum Beispiel für das Fach Chemie unter http://www.tu-harburg.de/b/hapke/chemie.html.

9) Nach: Keitz, Saiedeh von; Keitz, Wolfgang von; Gerlach, Hubertus: Modernes Online-Retrieval : der Weg zu den Wissensspeichern der Welt am Beispiel der DIALOG-Datenbanken. Weinheim [u.a.]: VCH, 1993. S. 5.

10) Verändert nach Ulrike Steffens: Information Retrieval : Grundlagen, Systeme und Integration. Bibliothek 21 (1997) 54-58.

11) Idee nach Geraldene Walker, Joseph Janes: Online retrieval : a dialogue of theory and practice. Englewood, Co: Libraries Unlim., 1993. Hier: S. 28 ff.

12) Nach: Donald A. Barclay: Teaching the standard features of electronic databases. S. 57-75. In: Teaching electronic information literacy : a how-to-do-it manual / ed. by Donald A. Barclay. New York: Neal-Schuman, 1995. Hier: S. 65.

13) Eine Fundgrube für Anregungen und aus meiner Sicht eine der besten Beschreibungen zu Suchstrategien in elektronischen Datenbanken, von der auch viele Anregungen für meine eigene praktische Arbeit entstammen, ist von Doug Morton: An Introduction to Searching Electronic Databases in der University of Waterloo Electronic Library. URL: http://library.uwaterloo.ca/libguides/cdrom/introsrch.html.

14) Siehe auch die URL: http://www.tu-harburg.de/b/hapke/recherch/survival.htm.

15) Als ein sehr gutes Beispiel sei hier das Buch von Ulrich Babiak: Effektive Suche im Internet : Suchstrategien, Methoden, Quellen. - 2. Aufl. - Cambridge: O'Reilly, 1998 erwähnt.

16) Zur Information über die einzelnen Datenbanken mit Hilfe der entsprechenden URLs siehe die WWW-Version dieser Tabelle unter http://www.tu-harburg.de/b/hapke/internet/suche.htm


Stand: 28.06.99
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