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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 99

 

Zettels Traum:

Digitalisierung von Zettelkatalogen in der ULB Sachsen-Anhalt und ihre Visualisierung im Internet

Gerald Lutze, Heiner Schnelling, Reinhard Worch
 

1. Die Ausgangslage

Die Katalogsituation der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) entspricht derjenigen vieler alter Bibliotheken, die von Band- über unterschiedliche Zettelkataloge ins Online-Zeitalter gelangt sind. Die Hallenser Situation reflektiert aber auch die besonderen Probleme, die sich hier zum einen ergeben durch das einschichtige Bibliothekssystem der Martin-Luther-Universität (dessen räumliche Zersplitterung in Form zahlreicher Zweigbibliotheken nur schrittweise abgebaut werden kann), zum anderen durch die Aufgabe der ULB, den Zentralkatalog des Landes Sachsen-Anhalt zu führen.

Allein in der Zentrale der ULB befindet sich eine ganze Reihe von konventionellen Katalogen: zunächst der überwiegend handschriftlich geführte Alphabetische Katalog der Bestände bis 1929 (auf größeren Zetteln als das internationale Format, päckchenweise durch ein Band zusammengehalten - daher der Name "Strumpfbandkatalog" - und in Kapseln aufbewahrt), sodann die beiden Alphabetischen Kataloge der Bestände von 1930 bis 1974 (nach PI geordnet) sowie von 1975 bis 1990 (nach RAK) im internationalen Zettelformat. Bestände ab 1991 sind in PICA (GBV) und damit im lokalen OPAC nachgewiesen.

Weiterhin finden sich noch folgende Formalkataloge in der Zentrale der ULB: der Zentralkatalog des Landes Sachsen-Anhalt sowie der Hochschulschriftenkatalog. Wie der Alphabetische Katalog haben sie einen PI-Teil bis 1974 sowie einen RAK-Teil von 1975 bis 1990. Ab 1991 werden Hochschulschriften ebenso im Verbund nachgewiesen wie Aufnahmen für den Zentralkatalog. Die in Form eines Zettelkatalogs geführten Sachkataloge in der Zentrale der ULB umfassen einen Schlagwortkatalog (1945-1990) sowie einen Systematischen Katalog (1962-1990, bis auf weiteres nicht benutzbar).

Erwähnt werden müssen die zahlreichen in den Zweigbibliotheken der ULB vorhandenen formalen und sachlichen Zettelkataloge, wobei die letzteren sehr heterogen sind. Diese Zettelkataloge wurden durchweg zu Beginn des Jahres 1999 abgebrochen - mit Ausnahme der Kataloge in wenigen Literaturstandorten der ULB, die noch nicht an das Universitätsnetz angeschlossen sind -, weil die übrigen über die erforderliche Ausstattung mit den für Benutzer und Mitarbeiter erforderlichen Endgeräten verfügen.

Einen konventionellen Gesamtkatalog der Bestände der ULB (Zentrale plus Zweigbibliotheken) hat es bis 1990 nicht gegeben. Die Bestände der Zweigbibliotheken bis 1990 sind vielmehr im Gesamtkatalog Sachsen-Anhalt nachgewiesen, der wiederum nicht die Bestände der ULB-Zentrale enthält.

Die Katalogsituation der ULB wird über alle diese Faktoren hinaus noch dadurch kompliziert, daß die ULB am Projekt Altbestandserschließung der DFG teilnimmt, das sämtliche Bestände bis zum Erscheinungsjahr 1850 im GBV nachweisen wird. Die ULB wird ihre Arbeit in diesem Projekt voraussichtlich im Jahr 2002 beenden. Es läge dann der kuriose Fall vor, daß nur die Bestände bis 1850 sowie ab 1990 im OPAC nachgewiesen wären. Eine der Sache nach sinnvolle Fortsetzung des DFG-Retrokonprojekts für die Phase über 1850 hinaus hat aber die DFG für die ULB ebenso ausgeschlossen wie für die anderen an dem Projekt beteiligten Bibliotheken.

So wünschenswert der Nachweis des Gesamtbestandes im OPAC wäre - der ULB ist es aus eigenen Personal- oder Sachmitteln nicht möglich, die Retrokonversion ihres Bestandes der Jahre 1850-1990 in einem vertretbaren Zeitraum zu bewältigen. Es mußte daher nach Ersatz- oder Überbrückungslösungen gesucht werden. So werden Bücher, die noch nicht im OPAC enthalten sind, vor der Ausgabe an den Benutzer retrokonvertiert, so daß allmählich der nachgewiesenermaßen benutzte Bestand in den OPAC gelangt. Darüber hinaus war aber nach einer Lösung zu suchen, die

 
2. Das Ziel

Dem Beispiel anderer Bibliotheken folgend (ZLB Berlin, UB Heidelberg, UB Leipzig, BSB München) hat sich die ULB daher für die Digitalisierung der Zettelkataloge in ihrer Zentrale entschieden (Ausnahmen waren der Strumpfbandkatalog sowie der Systematische Katalog, der ohnehin nicht zur Benutzung bereit steht). Der Alphabetische Katalog, der Zentralkatalog, der Hochschulschriftenkatalog (alle jeweils in zwei Teilen) und schließlich der Schlagwortkatalog umfaßten ca. 4,5 Mill. Zettel. In diesem Projekt wurden auch noch zwei kleinere Zettelkataloge der UB Magdeburg digitalisiert, so daß insgesamt ein Volumen von 4,8 Mill. Zetteln (in 4.037 Katalogkästen) zu bearbeiten war. Aus haushaltstechnischen Gründen mußte das Projekt bis zum Ende des Jahres 1998 abgeschlossen werden. Der Finanzrahmen lag bei DM 500.000, die aus HSP III-Mitteln stammten. An dieser Stelle sei dem Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt für die Unterstützung unseres Projekts gedankt.

Es bestand von vornherein Übereinstimmung zwischen allen Projektbeteiligten, daß dieser Finanzrahmen eine manuelle Erfassung von größeren Teilen der Zettel nicht erlauben würde. Verzichtet wurde auch auf eine OCR-Option, da eine nicht unbeträchtliche Menge von Zetteln handschriftlich vorlag und das Schriftbild bzw. die Druckqualität insgesamt eine Verarbeitung durch OCR nicht zugelassen hätte (z. B. handschriftliche Einträge auf der Rückseite von Zeitungsausschnitten). Das Verfahren sah vielmehr eine Kombination von image scanning mit der manuellen Erfassung von Leitkarten vor. Diese Texte (bzw. im Schlagwortkatalog sachlich geeigneter Karten, s.u.) sollten in einer Übersichtsliste von Suchbegriffen gespeichert werden. Zu jedem dieser Suchbegriffe sollten die Scans der hinter der Leitkarte plazierten Zettel abgelegt werden. Auf die Eingabe eines Suchbegriffs durch den Benutzer sollte eine Auflistung der Suchbegriffe ("Einsprungpunkte") in der alphabetischen Umgebung des vom Benutzer eingegebenen Begriffs erfolgen. Der Benutzer sollte dann den passenden Begriff aus der Übersichtsliste wählen und an dieser Stelle mit dem Blättern beginnen können, bis die gewünschte Stelle im Katalog erreicht wäre. Das Verfahren, das so unter anderem in der UB Leipzig gewählt worden ist, erinnert durchaus an die Suche in einem konventionellen Zettelkatalog: So wie im digitalisierten Katalog (Image-Katalog) ein Suchbegriff aus der Übersichtsliste zu wählen ist, muß ein entsprechender Schub im Zettelkatalog gewählt werden. Und so wie in diesem Schub zu blättern ist, muß auch im Image-Katalog geblättert werden.

Für das Projekt ebenso wichtig wie die Verbesserung der Katalog- war aber auch die Verbesserung der Benutzungssituation. Der bisherige Bestell- und Ausleihvorgang in der Zentrale der ULB entsprach dem Beispiel einer klassischen Magazinbibliothek: Wer ein Buch ausleihen wollte, mußte für Literatur bis Erscheinungsjahr 1990 in der Bibliothek in verschiedenen Zettelkatalogen suchen. Nach Ausfüllen der Leihscheine konnte der Leser frühestens nach zwei Stunden die bestellte Literatur abholen; in vielen Fällen bedeutete das einen zweiten Aufenthalt in der Bibliothek. Für Literatur aus späteren Jahren ist die elektronische Bestellkomponente über den OPAC realisiert.

Durch die Digitalisierung der Zettelkataloge sollte die Benutzungssituation auch dadurch verbessert werden, daß eine elektronische Bestellung der in den Zettelkatalogen gefundenen Titel möglich wird. Der Benutzer sollte direkt durch Eingabe seines Namens und seiner Benutzernummer ein Buch bestellen können. Im Hauptmagazin der ULB-Zentrale sollte das Bild des Katalogzettels nebst den Benutzerangaben ausgedruckt werden und als Leihschein dienen. Diese Bestellmöglichkeit muß sich aus naheliegenden Gründen auf die Bestandsnachweise der ULB-Zentrale beziehen, nicht aber auf den Zentralkatalog.

 
3. Das Pflichtenheft

In einem Pflichtenheft wurden folgende Bedingungen festgelegt, die das Endprodukt erfüllen sollte:

Die Software sollte benutzerfreundlich, übersichtlich und leicht zu bedienen sein. Die Images sollten über ein Register recherchierbar sein. Diesbezügliche Forderungen waren:

Aufgrund der bereits vorhandenen Hard- und Software des Bibliothekssystems wurde eine Portierung in eine Sybase-Datenbank und die Internet-Anbindung über den WebOpac favorisiert. Die Portierbarkeit der Software sollte in der ULB Halle am bestehenden Netzwerk (Hardware- und softwareseitig) nachgewiesen werden.
 

4. Die Realisierung

Die Projektmittel konnten erst im Juni 1998 zugewiesen werden. Der Auftrag wurde Anfang August an die Firma MIKRO-Univers GmbH (Berlin) vergeben, die spezialisiert ist auf Scannen, OCR/ICR sowie Mikroverfilmung und bereits mehrere Projekte der für Halle wichtigen Art erfolgreich erledigt hatte (unter anderem in der UB Leipzig). Mit dem Auftragnehmer wurde zur effizienten Produktgestaltung ein Prototypabgleich bzw. eine Beta-Test-Version vereinbart. Notwendige Änderungen waren damit in gewissem Umfang während der Realisierungsphase realisierbar. Teile des Alphabetischen Katalogs der ULB dienten als Prototyp.

Zwischen Ende August und Anfang Dezember wurden die genannten Zettelkataloge sukzessiv in Berlin gescannt (und danach in einem Ausweichmagazin der ULB aufgestellt). Eingesetzt wurden Kodak Digital Science Scanner 3500 im Zweischichtbetrieb. Nach einer mehrwöchigen Testphase in den Abteilungen Auskunft und Ortsleihe wurden die Kataloge am 8.3.1999 freigeschaltet und sind seither über die Homepage der ULB erreichbar.

Die begleitenden Arbeiten durch Mitarbeiter der ULB bezogen sich zunächst auf die Erstellung des Pflichtenheftes und die netztechnische Anbindung der gescannten Kataloge. Weiterhin mußte der Schlagwortkatalog durch Einlegen von Quasi-Leitkarten redaktionell aufbereitet werden: Ein rein mechanisches Indizieren jedes 50. Images konnte nicht in Frage kommen; vielmehr mußte nach dem nächstliegenden Hauptschlagwort bzw. nach geeigneten Unterschlagworten gesucht werden. Die Kataloge wurden vor der Digitalisierung nicht auf ihre formale Korrektheit geprüft (evtl. vorhandene "Nester" wurden in Kauf genommen). An eine Kumulierung etwa der vom Regelwerk passenden Teile der Formal-Kataloge wurde nicht gedacht. Ein ganz wesentlicher Punkt bestand in der Formulierung von Benutzungshilfen.

Die Hardware-Ausstattung für die Archivierung und Nutzung der digitalisierten Kataloge umfaßt zwei Compaq ProSignia 200 M4300/300 Server. Sie sind mit jeweils vier 18Gbyte SCSI-3 UW Festplatten ausgerüstet. Derzeit sind die Server über Ethernet angebunden, vorgesehen ist eine Anbindung über Fast-Ethernet.
 

5. Das Ergebnis

Die Akzeptanz gegenüber dem Projekt war sowohl von Mitarbeiter- wie auch Nutzerseite von Anfang an groß. Das betrifft die Recherche- ebenso wie die Bestellfunktion.

Im folgenden sollen einige typische Web-Seiten der digitalisierten Zettelkataloge dokumentiert werden (Abbildungen nur im Heft). Bitte recherchieren Sie selbst unter der URL: http://www.bibliothek.uni-halle.de/

 
6. Die Zukunft

Wie geht es jetzt weiter? Die Zettelkataloge sind auf dem Stand abgebrochen worden, den sie zum Zeitpunkt des Scannens hatten. Sämtliche Neuzugänge der ULB - auch antiquarische - werden auschließlich in PICA nachgewiesen und durch BK sowie RSWK erschlossen. Meldungen zum Zentralkatalog werden unabhängig vom Erscheinungsjahr nur noch in PICA nachgewiesen. Werden Bücher aus den gescannten Katalogen bestellt, erfolgt eine retrospektive Katalogisierung in PICA. Nach einer etwa halbjährlichen Erprobungsphase soll entschieden werden, ob zum Zeitpunkt der Retrokonversion die entsprechenden Links aus dem Image-Katalog gelöscht werden. Damit erscheinen die Bilder der Katalogzettel nicht mehr.

Die gescannten Kataloge werden in der ULB als Behelf gesehen, der die retrospektive Katalogisierung nicht ersetzen kann. Sie stellen eine - verglichen mit den Kosten der retrospektiven Katalogisierung - preiswerte Übergangslösung dar. Es bleibt bei Zettels Traum: Der gesamte Bestand der ULB (Zentrale plus Zweigbibliotheken) ist im GBV enthalten, denn nur in einer solchen Systemumgebung sind alle Recherchemöglichkeiten verfügbar, die von einem OPAC erwartet werden müssen. Es sei indessen an dieser Stelle ausdrücklich vermerkt, daß der Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt in seiner Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfung der ULB das Projekt in genau diesen Rahmenbedingungen bestätigt hat.


Stand: 07.05.99
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