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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 4, 99

Alt macht Neu

Bibliotheksarbeit mit der Zielgruppe: Ältere Menschen

Susanne Krüger

Das zum "UNO-Jahr der Senioren" ausgerufene Jahr 1999 bietet für Öffentliche Bibliotheken Anlaß, ihre Angebote und Aktivitäten für diese Zielgruppe zu überdenken. Durch die demoskopischen Veränderungen greifen die alten Konzepte nicht mehr. Dafür haben Öffentlichen Bibliotheken die Chance, mit neuen Formen des "lebenslangen Lernens" auf die Bedürfnisse älterer Menschen zu reagieren.

Die Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen in Stuttgart bietet am 21./22.Oktober zusammen mit dem DBI ein Symposium zu diesem Thema an. Mit diesem Artikel sollen die Thematik kurz erläutert und die Themenkreise vorgestellt werden, die auf dem zweitägigen Symposium gründlich diskutiert werden. Die Verfasserin wünscht sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit interessierten Kollegen, um schon im Vorfeld Material zu sichten und Anregungen aufgreifen zu können.

Wer ist alt? Definitionsprobleme

Brisant allein schon die Frage: wer ist alt? Alt werden will jeder, alt sein niemand. "Man ist so alt wie man sich fühlt", heißt es großspurig, doch wird man aussortiert, "sieht man alt aus", unabhängig vom Lebensalter. Der Verlust der jugendlichen Attraktivität kann in einer Krise münden. Das Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß wird von einigen herbeigesehnt, die neue Möglichkeiten nutzen wollen, andere empfinden den Ruhestand als Abstellgleis. Die Reise- und Freizeitindustrie boomt, die sich den genießerischen Möglichkeiten der finanzstarken und fitten (Früh-)Rentnergeneration der "jungen Alten" (55 - 70) im 3. Lebensabschnitt widmet, während das 4. Lebensalter, die "alten Alten" (75-85) und die Hochbetagten1) von der Konsumgüterindustrie und Werbung schon wesentlich weniger beachtet werden.

Für die Öffentlichen Bibliotheken ist die Diskussion um Zielgruppe und Angebote nicht neu. 1990 fand die VBB-Tagung unter dem Motto: "So alt wie ich bin" statt und viele der angesprochenen Fragen und Vorschläge haben bis heute Aktualität2).

So ist nach wie vor die Grundsatzfrage zu stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, den "Alten" in der Bibliothek eigene Angebote zu machen.

Abschreckend wirken Präsentationen, die den Interessenten als "alt" labeln. Die Zielgruppe "ältere Menschen" ist nicht zu erreichen, wenn man sie als pauschales Gesamt begreift und nicht als heterogene Interessenten. Sobald Institutionen die Alten definieren und gezielt betreuen, ist die Gefahr groß, daß das Alter instrumentalisiert wird, eine soziale Normierung und damit Entwirklichung erfährt3).

Informations- und Medienbedürfnisse von Älteren

In der Bibliothek sollte von der Überlegung ausgegangen werden: Welche Themen stehen im Zusammenhang mit dem Älterwerden - unabhängig von einer konkreten Jahreszahl - und sprechen bestimmte Interessengruppen an, die in einem bestimmten Lebensabschnitt ähnliche Fragestellungen haben? Beispielsweise:

Thema: Zeit als Freiraum (kann sowohl als Chance als auch als Bedrohung erfahren werden)

- daraus folgt für die Bibliothek:

Informationen über:

Thema: Sicherheitsbedürfnisse Thema: Mitwirkung Thema: Neue Medien Thema: Verhältnis zu jüngeren Generationen

Thema: Pflegebedürftigkeit

Dabei geht es um Bestandsaufbau, Erschließung und Präsentation der relevanten Medien in der Bibliothek, Infothek und im Internet. Neu ist die Einrichtung von sogenannten Interessenbörsen und Tauschringen, die in kleineren Kommunen durchaus in der Bibliothek ihren zentralen Knotenpunkt etablieren können.

Die Tagungsleiterin, S. Krüger wird einen Überblick zum Thema interessenorientierte Präsentation in der Bibliothek geben.

Die Kunst, nicht zu lernen

Bei der Erarbeitung von Konzepten für das "lebenslange Lernen" ist es sinnvoll, sich zunächst zu fragen, was es uns ermöglicht, immer wieder Neues aufzunehmen. Viele ältere Leute haben Schwierigkeiten, die Idee aufzugeben, sie hätten genug gelernt und erfahren. Für den Lernspychologen Fritz B. Simons sind deshalb Wissen und Lernen Gegensätze. "Wo Wissen bewahrt wird, wird Lernen verhindert. Deshalb läßt sich Wissen auch nicht einfach vermehren wie die Größe einer Torte: Lernen zerstört Wissen, indem es verhindert, daß alte Unterscheidungen weiter vollzogen werden - nicht immer, aber immer öfter."4) Fritz B. Simons ist angefragt.

Alte Menschen und Neue Technik

Gerade im Umgang mit den Neuen Medien sind zur Zeit didaktische Konzepte gefragt. Ältere Menschen haben höchst unterschiedliche Zugangsweisen. Im Internet sind Senioren z. B. sehr aktiv und präsent: Senioren im Netz, Feier@abend - der Webtreff für ältere Menschen, SeniorenNET e.V., Seniorenweb nennen sich etwa Sites, die in erstaunlicher Fülle vorhanden sind.

Auf der anderen Seite sind viele ältere Menschen neugierig, aber gehemmt im Umgang mit Computern. Hier hat die Bibliothek eine wichtige Aufgabe, die Schwelle niedriger zu machen. PC-Einführungen unter dem Motto "Senioren schnuppern am Computer" sind deshalb in Öffentlichen Bibliotheken zur Zeit sehr erwünscht. Es gibt dabei verschiedene erfolgreiche Konzepte von professionellen bibliothekarischen Einführungsveranstaltungen bis zu generationenübergreifenden "Alt und Jung"-Projekten.

Birgit Mundlechner wird die Einführungskonzepte der Mediothek Stuttgart, die sie aus der Arbeit mit Gruppen des "Treffpunkt Senior" entwickelt hat, vorstellen. Für die Zusendung weiterer Konzepte aus anderen Bibliotheken wären wir sehr dankbar!

Von der aufsuchenden zur abholenden Bibliotheksarbeit?

Aufgrund der demoskopischen Veränderungen müssen sich auch die Konzepte der sogenannten "aufsuchenden Bibliotheksarbeit" verändern. Alte Leute bleiben, so lange es irgend geht, in der eigenen Wohnung und können ambulante Hilfe beanspruchen. Das Heim wird immer mehr zu einer letzten, immer kürzer werdenden Lebensstation. (Durchschnittliche Verweildauer 5 Monate!) Die der intensiven Pflege bedürftigen Menschen können mit den Materialien der Bibliothek nicht mehr viel anfangen. Auf der anderen Seite werden die traditionellen Heime immer mehr von Modellen des "betreuten Wohnens" ersetzt, in dem neben unabhängigen Wohneinheiten auch für Gemeinschaftseinrichtungen und ein gewisses Maß an pflegerischer Betreuung gesorgt wird. Ebenso gibt es in jeder Kommune Tageseinrichtungen für ältere Menschen, die von unterschiedlichen Wohlfahrtsorganisationen unterhalten werden. Zur Freizeitgestaltung treffen sich ältere Jahrgänge in den Altenvereinen, den Altennachmittagen der Kirchen und freien Wohlfahrtsverbände, dem Seniorentreff - meistens eine Einrichtung der VHS -, Seniorenakademien und offenen Interessengruppen. Diese Einrichtungen sind die potentiellen Partner der Öffentlichen Bibliothek.

Das hat Konsequenzen für die traditionelle aufsuchende Bibliotheksarbeit, wie sie vielerorts praktiziert wird. Z. B. in Böblingen: seit 20 Jahren existiert dort das Projekt "Bücher auf Rädern". In Böblingen steht ein VW-Bus zur Verfügung, mit dem in sechswöchigem Turnus die Heime angefahren werden. Eine bibliothekarische Fachkraft ist umgerechnet mit drei Stunden/Woche mit dem Projekt beschäftigt.

Die Ausleihzahlen zeigen, daß die Nutzung stagniert, daß Heimbewohner mit den traditionellen Printmedien immer weniger anfangen können. Die Ausleihzahlen verbieten eine merkantile Kosten-Nutzen-Analyse.

Auch in Böblingen wurde natürlich darüber nachgedacht, ob der Dienst gestrichen wird, weil auch in Böblingen die personelle Decke dünn ist und die Kollegin an anderer Stelle gebraucht werden könnte. Doch fühlt man sich in Böblingen dem Grundgesetz und den bibliothekarischen Grundsatzprogrammen verpflichtet, die besagen, daß alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen an Informationen und Dienstleistungen einer kommunalen Einrichtung partizipieren sollen. Der soziale Auftrag der kommunalen Bibliothek wurde hier bei der Einführung der Neuen Steuerungsmodelle nicht einfach vergessen.

Trotzdem ist es an der Zeit, über ein neues Konzept für die Serviceleistungen für Ältere nachzudenken. Es kommt darauf an, die Angebote der Bibliothek zum einen dort bekannt zu machen, wo sich Ältere treffen und zum anderen die Präsentation in den Räumen der Bibliothek so überzeugend zu gestalten, daß Ältere ihre Interessengebiete leicht erkennbar auffinden. Medienpakete können für Tageseinrichtungen und die Vermittler vor Ort geschnürt werden.

Die traditionellen Altentreffs finden bei Kaffeenachmittagen mit Rahmenprogramm in einer entsprechenden Einrichtung statt. Eine Bibliothek kann sich hier als Einrichtung und mit ausgewählten Medien vorstellen und selbst einen kreativen Part gestalten. "Abgeholt" werden Gruppen, die in die nächstgelegene Zweigstelle eingeladen werden etwa zu Expertengesprächen zu den obengenannten Themen oder einem unterhaltsamen Umgang mit den Medien der Bibliothek (Spielenachmittag).

Es berichten Rita Mücke, Leiterin der Böblinger Stadtbibliothek und weitere Mitarbeiterinnen des Projekts "Bücher auf Rädern". Hier sind wir sehr an einem Austausch mit anderen Bibliotheksprojekten interessiert.

Frauen altern anders

Unbestrittene Tatsache ist, daß sich die Altersstruktur der Bevölkerung im Wandel befindet. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß der Frauenanteil bei den über 60jährigen bei zwei Dritteln, bei den über 75jährigen bei drei Viertel liegt. Diese Tatsache wird oft benannt, aber hatte bisher kaum praktische Konsequenzen für die Kulturarbeit mit Älteren!

Ehrenamtlichkeit: Möglichkeiten und Grenzen

Bürgerschaftliches Engagement wird gefordert und gerade ältere Menschen sind angesprochen, ihre vermeintlich freie Zeit für Tätigkeiten, die sowohl ihrem Interesse entsprechen als auch einem allgemeinen Nutzen dienen, zu investieren. "Interessenbörsen" und "Tauschringe" sind neue Ansätze. Im Bemühen, diese Aktivitäten zu strukturieren und Netzwerke zu bilden, entstehen entsprechende "Büros". Die Stadtbücherei sollte sich hier präsent zeigen: Als Arbeitsgebiet für Mediatoren, etwa für die aufsuchende Bibliotheksarbeit oder für eine Reihe "Leser machen Programm". Bisher liegen noch wenige Erfahrungen vor, wie Ehrenamtliche als Vermittler in der Bibliothek professionell angeleitet werden können. In kleinen Gemeinden kann sich die Stadtbücherei als Knotenpunkt in einem Netzwerk der Freiwilligenarbeit profilieren!

Inga Czudnochowski-Pelz wird zu diesem Themenkomplex sprechen.

Lesen - fürs Leben gern: Vom Umgang mit Texten und älteren Menschen

Eine ehrenamtliche Initiative ist etwa das Projekt "Lesen - fürs Leben gern" des Instituts für Sozialarbeit e.V. in Frankfurt a.M. Die Initiative unter fachkundiger Leitung entwickelt literarische Programme und besucht unterschiedliche Frankfurter Einrichtungen, die Veranstaltungen für ältere Menschen anbieten.

Frau Traxler wird über die Arbeit mit Ehrenamtlichen und zu ihren Erfahrungen mit geeigneten literarischen Texten sprechen.

Aus Erfahrung lernen?

Ältere Menschen werden gerne als Zeitzeugen befragt. Diese Veranstaltungsform eignet sich sehr gut im Rahmen einer Öffentlichen Bibliothek. Doch muß die Vorbereitung gründlich und ausgereift sein, damit Veranstaltungen mit Zeitzeugen und sogenannte Erzählcafes ein Erfolg für alle Beteiligte werden.

Friedhelm Binder, Leiter des "Treffpunkt Senior" der Stadt Stuttgart hat schon viele Erzählcafes organisiert und moderiert.

Jung und Alt - Projekte

Veranstaltungen, in denen sich verschiedene Generationen begegnen und das Verhältnis zwischen Alt und Jung zum Thema wird, gelingen als Kooperationsprojekte auf Gemeindeebene. Konzept und Einzelveranstaltungen einer erfolgreichen JA-Woche werden vorgestellt.

Vorgesehene Referenten: Herr Habich, Frau Kiener, Stadtteilrunde Degerloch.

Ältere Immigranten

Ist das Thema "ältere Immigranten" in der Öffentlichen Bibliothek ein Thema? Zumindest die Altenhilfe nimmt es inzwischen zur Kenntnis und reagiert darauf, daß nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß ältere Immigranten nicht, wie ursprünglich angenommen, in ihre Heimat zurückkehren.

Falls Sie Anregungen und Ergänzungen zum Programm haben, bitte bei Prof. S. Krüger melden: E-Mail: krueger.s@hbi-stuttgart.de, Tel.: (07 11) 63 01 89, Fax: (07 11) 2 27 42 33. Anmelden können Sie sich auch schon (empfiehlt sich!) im DBI bei Frau Frankenstein: E-Mail: frankenstein@dbi-berlin.de ,Tel.: (0 30) 4 10 34-4 55, Fax: (0 30) 4 10 34-1 00.

1) Vgl. Eine Gesellschaft für alle Lebensalter. Beiträge zum Internationalen Jahr der Senioren 1999. Hrsg. vom Bundesministerium für Familie Senioren Frauen und Jugend. Stuttgart; Berlin; Köln 1998. S. 5

2) So alt, wie ich bin. Alte Menschen und Bibliotheken. Hrsg. vom Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln 1992

3) Vgl. Kübler, Hans-Dieter: Ziel oder Problemgruppe: Alte Menschen. Nachlese zur Podiumsdiskussion "Alter und Altwerden" In: So alt wie ich bin. A.a.O. S. 31

4) Fritz B. Simons: Die Kunst, nicht zu lernen. In: Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Hrsg. v. Hans Rudi Fischer. Heidelberg, 1994 S. 363


Stand: 08.04.99
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