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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 99

Bibliotheken in den neuen Bundesländern:

zu ihrer Situation in den Jahren 1992 und 1998. Ein Vergleich aus der Sicht eines amerikanischen Bibliothekars.

Thomas D. Kilton

Als Fachreferent für deutsche Literatur und Sprachgeschichte an der Universität von Illinois (USA) hatte ich jahrelang die Aufgabe, Bücher und Zeitschriften aus der DDR auszusuchen, und auch Tauschbeziehungen mit unseren Partnerbibliotheken in der DDR aufrechtzuerhalten. Auf diese Zeit schaue jetzt sehr gern zurück, denn diese Arbeit war für mich eine Herausforderung, die ich mit Genugtuung und Freude annahm. Und obwohl unsere Sammlungen von DDR-Literatur im Vergleich mit denen von einigen Nachbaruniversitäten, wie zum Beispiel der Universität von Wisconsin, nicht überragend waren, hielten wir doch Schritt in der Anschaffung der wichtigsten ostdeutschen Veröffentlichungen. Die Dienstleistungen von Lieferanten wie Buchexport Leipzig und unserem westdeutschen Lieferanten, Otto Harrassowitz, ermöglichten die Erwerbung vieler Monographien und Zeitschriften, aber darüber hinaus mußte die Auswahl individueller monographischer Titel vorwiegend durch mich erfolgen. Zu diesem Zweck waren bestimmte bibliographische Hilfsmittel des Verlagswesens der DDR wirklich darauf ausgerichtet, ausländischen Fachreferenten den Erwerbungsprozeß zu erleichtern. Ein Beispiel für die Bücherauswahl war die vom Zentralantiquariat Leipzig herausgegebene "NOVA: Vorankündigungen" ein einzigartiges und unentbehrliches Hilfsmittel, in dem all die neuesten Angebote mit hilfreichen Annotationen versehen waren - ein Merkmal, das heute in fast allen ähnlichen, umfangreichen Listen der gesamten Verlagsproduktion irgend eines Landes der Welt fehlt. Um sich auch näher mit dem ostdeutschen Verlagswesen bekanntzumachen, konnte man natürlich auch die Verlage sowie die Leipziger Buchmesse besuchen. Aber die Beziehungen amerikanischer Bibliothekare zu Vertretern des ostdeutschen Bibliothekswesens waren, im Gegensatz zum Verlagswesen, eher kompliziert. Man konnte sich zwar über das Bibliothekswesen der DDR mittels des Zentralblatts für Bibliothekswesen gut informieren, aber der unmittelbare Kontakt zu ostdeutschen Kollegen durch enge, regelmäßige, berufliche Zusammenarbeit war in den meisten Fällen wegen politischer Spannungen zwischen Ost und West sehr selten, wenigstens bis in die Mitte der achtziger Jahre. Man vergißt auch oft, daß vor 1971, dem Jahr der endgültigen amerikanischen Anerkennung der Oder-Neiße Linie, überhaupt keine diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der DDR existierten.

Besuche in ostdeutschen Bibliotheken im Frühling 1992

Natürlich waren die Ereignisse um die deutsche Wiedervereinigung herum ein deutliches Anzeichen, daß amerikanische und ostdeutsche Bibliotheken nach einer Unterbrechung von fast 50 Jahren endlich engere Beziehungen zueinander anknüpfen könnten, und dies hauptsächlich durch Besuche und Austausch von Bibliotheksdirektoren und anderen Mitarbeitern dieser Bibliotheken, ob wissenschaftliche oder öffentliche. Die Möglichkeiten für erweiterte Tauschpartnerprogramme, die Teilnahme an gemeinsamen Verbundkatalogsinitiativen, Diskussionen über gemeinsame Probleme, Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge und neue Partnerschaften schienen verheißungsvoll und waren, wenigstens vom Standpunkt der amerikanischen Bibliotheken höchst wünschenswert. Daher war für mich im Herbst 1991 die Einladung von der American Library Association zusammen mit dem United States Information Service, eine sechswöchige Reise in die neuen Länder anzutreten, um Kontakte mit einigen Universitäts-, Landes- und öffentlichen Bibliotheken herzustellen, eine zwar unerwartete doch äußerst erfreuliche Überraschung. Sicherlich gab es schon lange vor der deutschen Wiedervereinigung berufliche Kontakte zwischen ostdeutschen und nordamerikanischen Bibliotheken, auch durch persönliche Besuche, aber die Anzahl solcher Beziehungen war verhältnismäßig gering. Frederick Lynden z. B., der Direktor für Bestandsaufbau an der Brown University, hatte schon Mitte der achtziger Jahre engen Kontakt mit Prof. Dr. Karl-Heinz Jügelt, dem damaligen Direktor der UB Rostock, durch wiederholte Besuche. Ein weiterer Fall ist Gail Hueting von der University of Illinois Library. Zur selben Vor-Wende-Zeit hat sie, um Forschungen über das ostdeutsche Verlagswesen betreiben zu können, persönliche Kontakte mit den Leitern einiger ostdeutscher Verlage (z.B. Reclam, Leipzig, und Buchverlag Der Morgen, Berlin) hergestellt und sich gleichzeitig mit einigen Bibliotheken in der DDR als Benutzer bekanntgemacht.

Der spezifische Zweck meiner Besuche sollte es sein, berufliche Kontakte in diesen Bibliotheken anzuknüpfen, gemeinsame Probleme zu erörtern durch Gespräche und Vorträge und an der Übergabe einer Anzahl von Truppenbibliotheken der aus Westdeutschland abziehenden amerikanischen Streitkräfte an einige ostdeutsche Bibliotheken teilzunehmen. Die Bestände dieser geschenkten Sammlungen waren inhaltlich nicht am Militärwesen orientiert, sondern betrafen viele Bereiche der Sozial- und Geisteswissenschaften mit einer Fülle von aktuellen Nachschlagewerken. Weil sich das amerikanische Mortenson Center for International Library Programs ausgerechnet in meiner Universitätsbibliothek befand, gab es hier Hoffnungen, daß auch eventuell eine Fortführung solcher Kontakte unabhängig von irgendwelchen weiteren Initiativen der American Library Association oder des United States Information Service möglich wäre. Die Direktorin dieses Center, Prof. Dr. Marianna Tax Choldin, hat sofort den Wunsch geäußert, Verbindungen zwischen der University of Illinois Library und Bibliotheken der neuen Bundesländer anzuknüpfen. Kollegen aus den Bibliotheken der neuen Länder sollten voraussichtlich auch unsere Bibliothek besuchen mit finanzieller Unterstützung des Mortenson Centers. Weil die Größe der Sammlungen der UB von Illinois an dritter Stelle rangiert unter den Universitätsbibliotheken in den USA (jetzt über neun Millionen), hatte unsere Bibliothek schon immer ausländischen Besuchern eine Fülle an fachlichen Schwerpunkten und vielseitigen Dienstleistungen anbieten können. Außerdem zählt unsere School of Library and Information Science schon seit Jahren zu den besten Nordamerikas nach Bewertungen, die in den Zeitschriften Library Journal sowie U.S. News und World Report zusammengestellt worden sind.

Meine sechswöchige Reise in die neuen Länder ist dann im folgenden Frühjahr vom 25. April bis zum 5. Juni 1992 zustandegekommen. Während dieser Zeit besuchte ich die Regionalbibliothek Neubrandenburg, die Universitätsbibliothek Greifswald, Außenstelle Neubrandenburg (heute die Fachhochschule Neubrandenburg), die Universitätsbibliothek Rostock, die Stadtbibliothek Rostock, die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, die Universitätsbibliothek Greifswald, die Stadtbibliothek Greifswald und die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) einschließlich der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle. Bei jedem Besuch traf ich mich mit den Leitern und Mitarbeitern der Bibliotheken zu informellen Gesprächen, und überall hielt ich Vorträge über die wichtigsten und auch kontroversesten Themen und Probleme des aktuellen Bibliothekswesens in den USA. Die Gesprächsthemen sowie die Vorträge schlossen u. a. die folgenden Themen mit ein: den allgemeinen Stand der EDV-Entwicklungen (Retrokonversionsprojekte, Vernetzungen innerhalb der Verbünde, usw.), typische Modelle für den Bestandsaufbau an wissenschaftlichen Bibliotheken, die Arbeit der American Library Association, der Kampf öffentlicher Bibliotheken gegen jede Zensur seitens religiöser Extremisten, Dienststellungen und Gehälter der Mitarbeiter in den Universitätsbibliotheken und vielfältige Probleme, die unsere Bibliotheken mit denen der neuen Bundesländer teilten, z.B. die Notwendigkeit, Bestände auszulagern, unzureichende finanzielle Quellen für Abonnements von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die Beziehungen der Fachreferenten zu den Fakultätsmitgliedern, die Struktur der Universitätsbibliotheken, Modelle für die Finanzierung dieser Einrichtungen und schließlich die Anwendung bestimmter Managementsysteme für die Verwaltung von Universitäts- und anderen wissenschaftlichen Bibliotheken.

Positive sowie negative Auswirkungen der Wende

Von meinen Gastgebern wiederum erfuhr ich im Frühjahr 1992 vieles über den aktuellen Stand des deutschen Bibliothekswesens, natürlich mit einer Betonung der unzähligen Veränderungen seit der Wende. Selbstverständlich habe ich mich für wichtige Veränderungen in der Struktur und Verwaltung der Bibliotheken vor und nach der Wende interessiert: die Rolle der Bibliotheksverbände sowohl vor als auch nach der Wende, die Stellung öffentlicher Bibliotheken innerhalb der Bezirke der DDR (z.B. die Bezirksbibliotheken der Vorwendezeiten gegenüber den Regionalbibliotheken nach der Wende), Dienstleistungen für Jugendliche und bestimmte Veränderungen für die Sammelschwerpunkte der wissenschaftlichen Bibliotheken als Folge der Wende. Z. B. der Beginn von Erwerbungen zur Unterstützung neuer Fachbereiche in den Sozialwissenschaften, und umgekehrt die Reduzierung der Erwerbungen in weniger betonten und im wesentlichen abgeschafften Sachgebieten, wie den Marxismus/Leninismus. Obwohl sich viele der Mitarbeiter mir gegenüber positiv zu den neuen Verhältnissen äußerten, beklagten sich auch viele über Dinge, die sie als Versäumnisse des neuen Systems betrachteten. Über die Reduzierung der Arbeitskräfte in den Bibliotheken haben sich viele kritisch geäußert und in manchen Fällen waren sie über das, was sie als exzessiv lange dauernde Evaluierungen der Ehrenkommission betrachteten, deprimiert. Vor allem fehlte vielen unter den neuen Verhältnissen ein gewisses Gefühl der Pflege, der Zugehörigkeit, des Zusammenseins und der Sicherheit innerhalb der Bibliotheksgemeinde, die es zu DDR-Zeiten gegeben hätte. In den Universitäts- und Landesbibliotheken bin ich keinen überzeugten Verteidigern des alten politischen Systems und des Standes des Bibliothekswesens innerhalb dieses Systems begegnet. Aber in einer Stadtbibliothek fehlten der Leiterin ganz und gar viele Eigenschaften der alten Ordnung. Man mußte auf jeden Fall die beeindruckende Renovierung und Vergrößerung dieser Bibliothek, die sie von sich aus schon vor der Wende äußerst wirksam geleitet hatte, sehr loben.

1992: Probleme und Unzulänglichkeiten

Vom Standpunkt eines ausländischen Bibliothekars war ein offensichtlicher Nachteil der Wende die Einstellung vieler aus DDR-Zeiten stammenden Fachzeitschriften und monographischer Schriftenreihen, die westliche Bibliotheken jahrzehntelang durch den Tausch erworben hatten. Manche Fachreferenten, mit denen ich sprach, haben mich sofort auf diese Tatsache aufmerksam gemacht. Beispiele für solche Titel sind die Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe und die Mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Durch meine Gastgeber konnte ich mich auch mit vielen Besonderheiten ihrer Bibliotheken bekanntmachen, wie zum Beispiel den verschiedenartigen Klassifikationssystemen der Fach- oder Seminarbibliotheken, die, zu meinem Erstaunen, auch innerhalb eines einzigen Bibliothekssystems angewendet wurden und die in absehbarer Zeit Hindernisse für die Erfassung der Einträge in die geplanten Online-Kataloge verursachen müßten.

Sehr bedauerlich fand ich die auffälligen Bestandslücken an westlicher Literatur aus den 40er bis 80er Jahren, besonders die politischen, philosophischen, oder historischen Inhalts, die entweder aus Mangel an finanziellen Ressourcen oder wegen der Zensur zu DDR- und NS-Zeiten nicht bezogen worden waren. Auffallend war auch der Rückstand in der Entwicklung von OPACs und anderen neuen Technologien (wie z.B. der Mangel an Computerarbeitsplätzen und Kopiergeräten), die oft schlechten Magazinverhältnisse und der vernachlässigte Zustand der Arbeitszimmer, Katalogräume und Informationsstellen. Dazu kam noch der Zerfall von brüchigen Büchern und Zeitschriften in den Magazinen, was unter anderem der Luftverschmutzung durch den jahrzehntelangen Gebrauch der Braunkohle zuzuschreiben war. Und die Aufstellung der Bestände in Regalen oder auch in Kartons ließ oft viel zu wünschen übrig, besonders wo die Verhältnisse eng und unzugänglich waren, wie z.B. auf den Dachböden der Mecklenburgischen Landesbibliothek oder in einigen Räumen der Franckeschen Stiftungen in Halle.

Wenn irgendein Bedarf wirklich offensichtlich war, so war es dieser Mangel an Platz und der demzufolge dringende Bedarf an neuen Bauten. Die exzessiv vorhandenen zahllosen Duplikate der vollständigen Werke von Marx, Engels, Lenin usw., die in den Vorwendezeiten in schon überfüllten Seminarbibliotheken zu viel Platz eingenommen hatten, waren zum Wohl der sonstigen Bestände bis 1992 im Verschwinden, und viele Mitarbeiter waren dabei, andere überflüssige Titel auszusondern, um Platz für neue Anschaffungen zu machen. Im Vergleich mit den Öffnungszeiten amerikanischer Bibliotheken ließen die Öffnungszeiten der Fachbibliotheken und der Magazine abends sowie an den Wochenenden viel zu wünschen übrig. Es wurde mir aber öfter erzählt, man strebe längere Öffnungszeiten an, die aber aus Mangel an finanzieller Unterstützung noch nicht zu realisieren waren. Von den berüchtigten sogenannten "Giftschränken" aus DDR-Zeiten, wo politisch sensible Veröffentlichungen aus dem Westen unter Verschluß gehalten wurden, hatte ich selbstverständlich gehört, und bis 1992 waren einige noch nicht ausgeräumt worden. Darum hatte ich die Gelegenheit, auch ein paar solcher faszinierenden Verstecke zu besichtigen. Aber wegen der wiederholten Bestrebungen in Amerika seitens der Christlichen Fundamentalisten, eine Zensur gegen Publikationen auszuüben, die ihren Moralauffassungen nicht entsprechen, fühle ich mich als amerikanischer Beobachter nicht berechtigt, die damalige Situation in der DDR rigoros zu verurteilen.

Positive Beobachtungen

Was mir postiv in diesen Bibliotheken auffiel, war die Ordnung, die überall zu herrschen schien in Bezug auf jede Art von Datensatzhaltung, und die durchaus ordentlichen und offenbar leistungsfähigen Erwerbungsabteilungen, Katalogisierungsabteilungen und Informationszentren. Besonders schienen die Arbeitsverfahren im Geschäftsgang ordentlich ausgeführt zu sein, obwohl die allgemeine Abwesenheit elektronischer Hilfsmittel zur Ausführung dieser Arbeiten auf einen dringenden Nachholbedarf an moderner technischer Ausrüstung hindeutete.

Und obwohl manche Mitarbeiter viele Beschwerden über ihre Bezahlung (besonders in Bezug auf Vergleiche mit entsprechenden Eingruppierungen und Gehältern in den alten Bundesländern) und auch über ihre Umwelt zu äußern hatten, hatte ich den Eindruck, daß sie gleichzeitig ihren entsprechenden Arbeitsstellungen sehr verbunden waren.

Im Vergleich mit dem typisch amerikanischen Verwaltungssystem kam mir der hierarchische Managementstil von hoch oben für meine Perspektiven vielleicht ein bißchen zu autoritär und pyramidenförmig vor, aber dafür verhältnismäßig frei von dem typischen amerikanischen Bestehen der Mitarbeiter auf eine Beteiligung an fast jeder Entscheidung, jeder Frage und an jedem Gremium, von Beschäftigungen mit dem Haupthaushalt bis zu strategischen Plänen für zukünftige Anbauprojekte oder Erwerbungsprogramme. Deswegen schien mir diese Managementstruktur viel leistungsfähiger und berechenbarer zu sein als die Struktur in unseren Bibliotheken, wenigstens im Falle der extremsten Beispiele in bestimmten amerikanischen wissenschaftlichen Bibliotheken. Nur fand ich es bedauerlich, daß die Direktoren der deutschen Bibliotheken, obwohl sie normalerweise die Mitgliedschaft im Bibliotheksausschuß ihres Universitätssenats besitzen, in dieser Rolle nicht stimmberechtigt sind.

Faszinierend und auch unerwartet kamen mir manche Gemeinsamkeiten vor, die diese Bibliotheken aus ihrem DDR-Erbe heraus eindeutig mit unseren Bibliotheken teilten, ironischerweise im Gegensatz zu entsprechenden Prozessen und Handlungsweisen in westdeutschen Bibliotheken. Als Beispiele seien genannt die Vereinheitlichung der Klassifikationssysteme in den öffentlichen Bibliotheken (schon seit 1950 für die DDR) und die Vereinbarung zur Koordinierung der Verwaltung von Hauptbibliotheken und Seminarbibliotheken an den Universitäten, eine Tatsache, die, wie ich erfuhr, auf die 3. Hochschulreform von 1968 in der DDR zurückgeht.

Obwohl bis Frühjahr 1992 die meisten aus DDR-Zeiten stammenden Probleme in den Bibliotheken zwar noch nicht überwunden waren, konnte man doch erste Resultate der Hilfe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, privater Einrichtungen wie der Volkswagen-Stiftung, und der einzelnen Länder zur Beschaffung von EDV-Ausstattungen schon bemerken. An manchen Universitätsbibliotheken, wie z.B. Halle-Wittenberg, standen etliche CD-ROM-Produkte, wie die Modern Language Association International Bibliography, den Professoren und Studenten schon zu Verfügung. Und nicht nur auf den Gebieten der elektronischen Datenverarbeitung waren Fortschritte zu sehen. Ein Beispiel war der sehr beeindruckende und einladende "Turm" der Regionalbibliothek Neubrandenburg, wo schöne Bücherregale und Lesetische neu hinzugekommen waren, um eine große Sammlung amerikanischer Literatur unterzubringen, die als Geschenk einer geschlossenen US Army Base in Westdeutschland vor kurzem eingetroffen war.

Gegenbesuche ostdeutscher Kollegen in Urbana: 1993-1998

Infolge meiner Besuche im Jahr 1992 wurden im folgenden Jahr acht Bibliothekare aus wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken der neuen Bundesländer von der USIS eingeladen, führende Bibliotheken in einigen Städten der USA zu besuchen: Washington, D.C., Atlanta, Austin (Texas), San Francisco, Chicago, Urbana-Champaign und New York City. Sie kamen aus öffentlichen Bibliotheken in Brandenburg, Dresden, Chemnitz, Neubrandenburg und Magdeburg. Eine Fachreferentin aus der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Dr. Dorothea Sommer, war auch mit in dieser Gruppe. Von ihr erschien kurz darauf ein sehr inhaltsreicher und informativer Artikel über diese Besuche im Bibliotheksdienst1). Weil in diesem Artikel die Zusammenhänge von amerikanischen Verbundkatalogen, Digitalisierungsprojekten, Bibliotheksverbünden und besonderen Dienstleistungen so wirksam zusammengefaßt dargestellt wurden, habe ich auch sehr oft diesen Artikel konsultiert. Die Besuche dieser Kollegen aus den neuen Ländern waren für ihre Kollegen hier in Urbana ein durchaus bereicherndes Ereignis. Insbesondere boten sie uns Gelegenheit, durch Gespräche über neue Entwicklungen in den Bibliotheken der neuen Länder direkt informiert zu werden. Obwohl man dauernd Artikel über Entwicklungen in ausländischen Bibliotheken lesen kann, sind es vor allem bestimmte sachliche Bemerkungen in solchen Gesprächen, die einem am längsten klar im Gedächtnis bleiben. Viele Veranstaltungen für die deutschen Gäste, wie Führungen durch die Universitätsbibliothek sowie die Stadtbibliothek von Urbana, wurden von dem Mortenson Center betreut.

Im folgenden Sommer 1994 waren die Direktoren von zwei wichtigen Bibliotheken der neuen Länder als Mortenson Associates auch hier zu Gast: Dr. Milan Bulaty von der Humboldt-Universität und Prof. Dr. habil. Joachim Dietze von der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Diese beiden Direktoren hielten Vorträge zum Stand ihrer Bibliotheken und sie hatten die Gelegenheit, verschiedene Digitalisierungsprojekte der University of Illinois Library sowie die School of Library and Information Science zu besichtigen. Vier weitere Mortenson-Gäste waren Dr. Peter Hoffmann, Direktor der Universitätsbibliothek Rostock (April 1996), Dr. Elmar Krause von der Humboldt-Universitätsbibliothek (Juni 1997), Dr. Helmut Voigt von der Humboldt-Universitätsbibliothek (Oktober 1998) und Frau Christiane Schmiedeknecht, Direktorin der Universitätsbibliothek Erfurt (Oktober 1998). Dr. Hoffmann hielt einen Vortrag über neue Entwicklungen in den wissenschaftlichen Bibliotheken der neuen Länder am Beispiel der UB Rostock, mit einer Diavorführung über die Neubauten, EDV-Projekte und Renovierungen des Magazins sowie vieler Fachbibliotheken in der UB Rostock.

Fortdauernde Beziehungen zu den Bibliotheken in den neuen Ländern

Bis zum Jahre 1995 hatte sich eine Partnerschaft zwischen der University of Illinois und der Humboldt-Universität entwickelt, und aufgrund dieser Beziehung wurde ich von der UB der Humboldt-Universität eingeladen, im Oktober 1995 zwei Vorträge an der Humboldt-Universität zu halten. Als Fortsetzung solcher Kontakte aufgrund der Illinois-Humboldt-Partnerschaft hielten dann zwei weitere Fachreferenten meiner Bibliothek (Gail Hueting, 1996 und Aaron Trehub, 1997) gleichfalls Vorträge an der Humboldt-Universität. Die zwei von Herrn Trehub gehaltenen Vorträge ("Die Entstehung und Verbreitung des World Wide Webs" und "Die Bibliothek als Zentrum für die Herstellung neuer Online-Ressourcen") waren längere Zeit auf der Homepage der UB der Humboldt-Universität zu lesen.

Es gibt seit der Wende aber auch andere amerikanische Bibliothekare aus anderen US- und kanadischen Bibliotheken, die nützliche berufliche Kontakte mit ehemals ostdeutschen Bibliotheken aufgenommen haben. Ein wichtiges Beispiel ist der Fachreferent für die Geisteswissenschaften an der University of Pennsylvania, Stephen Lehmann, der, wie in meinem vorhergegenden Fall 1992, im Frühjahr 1993 gleichfalls vom United States Information Service an die Universitätsbibliotheken von Jena, Leipzig, und Dresden geschickt wurde, um Vorträge zu halten über leistungsfähige Methoden zur Beschaffung lieferbarer sowie vergriffener Monographien und Zeitschriften aus den USA. Herr Lehmann hat auch über den Stand der neuesten Dienstleistungen in amerikanischen Bibliotheken gesprochen.

Wiederholung meiner Besuche von 1992 im Sommer 1998

Allgemeine tEindrücke

Durch Unterstützung der UB Rostock, der Bibliothekarischen Auslandsstelle des Deutschen Bibliotheksinstituts, des Midwest Consortiums for International Programs und des Mortenson Centers hatte ich die Gelegenheit, im Juli 1998 dieselben Bibliotheken, die ich 1992 besuchte hatte, wiederzubesuchen, mit Ausnahme der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Anschließend hatte ich die Gelegenheit, auch die UB der Humboldt-Universität wiedersehen zu können. Von Dr. Peter Hoffmann, Leiter der UB Rostock, wurde ich Ende 1997 eingeladen, Vorträge in Rostock sowie an der UB Göttingen zu halten, und im Zusammenhang mit diesem Aufenthalt sollte ich auch die UB Greifswald, die Bibliothek der Fachhochschule Neubrandenburg, die Regionalbibliothek Neubrandenburg, die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern und schließlich die Stadtbibliothek Rostock besuchen.

Da meine Besuche der ostdeutschen Bibliotheken im Frühjahr 1992 schon anderthalb Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung stattfanden, waren praktisch gesehen die Auswirkungen der erst im Frühjahr 1991 beschlossenen Programme zur Beseitigung des riesigen Nachholbedarfes dieser Bibliotheken damals noch kaum zu spüren. Ich habe schon einige positive Auswirkungen erwähnt, die bereits 1992 zu sehen waren, aber solche Leistungen waren verhältnismäßig gering im Vergleich mit dem enormen Fortschritt, der bis 1998 hinzukam. Die in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie erschienenen Artikel zu dieser Zeit bezüglich der Fördermaßnahmen des Bundes sowie der Länder bietet dem ausländischen Beobachter einen klaren Einblick in die umfangreiche und komplizierte Planung, die in den frühen neunziger Jahren ausgeführt wurde. Ich beziehe mich hierin auf die strategischen Planungen des Wissenschaftsrates, des Deutschen Bibliotheksverbandes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (das Hochschulbauförderungsgesetz sowie etliche Sonderprogramme, wie das Förderprogramm "Modernisierung und Rationalisierung"), der Landtage der einzelnen Länder und privater Unternehmen (Volkswagen, Siemens, usw.). Vor allem die "Berichte und Mitteilungen" aus Heft 2, Band 38 der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (März/April 1991)2) faßt die vielen Vorhaben verschiedener Förderungsprogramme zusammen, wie zum Beispiel die des Bibliotheksausschusses der DFG, der Volkswagenstiftung und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Bibliothekswesen" zur Einbeziehung wissenschaftlicher Bibliotheken der neuen Bundesländer in diese Initiativen.

Im großen und ganzen war ich sehr beeindruckt von dem Fortschritt, der in all diesen Bibliotheken in der Zeit zwischen 1992 und 1998 zustande gekommen war. Über die Präsenz neuer technologischer Produkte und Verfahren (OPACs, Retrokonversionsprojekte, Computerarbeitsplätze für Benutzer usw.), neue Bauten für Arbeitszimmer, Fachbibliotheken und Magazine sowie schön renovierte und sanierte ältere Bibliotheksgebäude konnte ich als zurückkehrender Besucher nur staunen. Eine besonders wertvolle Errungenschaft dieser Bibliotheken seit 1992 ist ihre Teilnahme an führenden Verbünden, wie dem Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV). Die kurzzeitig ab 1991/92 entstehenden kleineren Verbünde, typisch aus alten und neuen Bundesländern bestehend (wie z.B. der Norddeutsche Verbund), obwohl ursprünglich zu zweckmäßigen Funktionen ausgedacht, waren bereits 1996 im GBV zusammengeschlossen worden. Für einen ausländischen Beobachter bedeutet diese rapide Leistung, daß Versuche zur eventuellen Erlangung eines bundesweiten deutschen Zentralkatalogs (wie OCLC oder RLIN für die USA) schon im Gange sind.

Anwendungen tder tneuen tTechnologien tund tAusstattungen

Der Fortschritt in neuen technologischen Anwendungen ist auf allen Gebieten zu merken: neue OPACs, Zugang zu Volltextdatenbanken von Zeitschriftenartikeln, neue Verbundsysteme mit Dokumentlieferdiensten (wie GBV-Subito), die Retrokonversion der Katalogeinträge älterer Bestände, die Zunahme der Anzahl von Computerarbeitsplätzen sowohl für die Benutzer als auch für die Mitarbeiter der Bibliotheken, und die Automatisierung der Ortsleihe und Fernleihe mit den Vorbereitungen für die automatische Ausleihverbuchung. Der hohe Stand, auf den die Großrechner und Web-Server gebracht worden sind, steht oft im Gegensatz zur elektronischen Ausstattung westdeutscher Bibliotheken. Als ich in der UB Rostock beispielsweise Vorführungen von Digitalprojekten in Urbana über das Internet gab, war die Antwortzeit ebenso schnell, als wenn ich dieselbe Vorführung zu Hause gegeben hätte. Ich habe schon lange den Eindruck gehabt, daß mancher deutsche Bibliothekar eine falsche Vorstellung von der technologischen Überlegenheit amerikanischer Bibliotheken gegenüber ihren europäischen Partnern hegt, was in manchen Fällen eher umgekehrt ist. Ein klares Beispiel ist meine eigene Bibliothek, die noch keine World-Wide-Web Version von ihrem OPAC besitzt, wenn auch im Moment dieses Ziel für den Sommer 1999 avisiert ist. Die meisten Bibliotheken in den neuen Ländern besitzen schon einen so funktionierenden OPAC und darüber hinaus sind viele, wie die Universitätsbibliotheken von Rostock und Greifswald, mit der vollen Retrokonversion ihrer Bestände schon beschäftigt. Schließlich war ich von einigen einzigartigen Digitalisierungsprojekten sehr beeindruckt, wie zum Beispiel das Projekt in der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern zur Erschließung und Annotation von Zeitungsartikeln, die von regionalen Ereignissen und Persönlichkeiten handeln. Nachdem diese Einträge erfaßt sind, werden sie in den OPAC dieser Bibliothek eingegeben und dadurch auch den Benutzern des OPACs des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes durch Schlagwörter sowie Autor- und Titelmerkmale zugänglich gemacht.

Die Erweiterung und neue Ausstattung vieler Leseräume in diesen Bibliotheken hat eine Zunahme an Computerarbeitsplätzen für die Benutzer ermöglicht, und einige neue Zimmer, die nur für Computerarbeitsplätze gedacht sind, bieten dem Benutzer eine besonders angenehme Arbeitsatmosphäre. Ein Beispiel dafür ist das direkt hinter dem Haupteingang zur Hauptbibliothek der Humboldt-Universität gelegene einladende, weiträumige Zimmer, das ausschließlich dem Gebrauch von Computern gewidmet ist.

Neue tBauten

Obwohl der Mangel an Platz in diesen Bibliotheken keineswegs überwunden ist, besonders im Falle der Fachbibliotheken an den Universitäten, sind weitreichende Verbesserungen seit 1992 überall bemerkbar. Die Renovierungen der Regionalbibliothek Neubrandenburg, wo nicht nur die Zentralbibliothek, sondern auch die Stadtteilbibliotheken und Kinderbibliotheken ein neues Gesicht bekommen haben, sind bezeichnend. Dazu zählen auch die Neubauten der Universitätsbibliotheken in Rostock und Greifswald (z.B. die Ortsleihe und die neuen Quartiere für die Fachbibliotheken der Geisteswissenschaften in Rostock oder das neue Magazingebäude mit Freihandaufstellung in Greifswald). Die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern hat seit 1992 merklich mehr Platz für die Unterbringung wertvoller Bestände. Neue Bauten für die Unterbringung der musikalischen Handschriften und anderer Veröffentlichungen ihrer Kade-Musikbibliothek sind Beispiele. Viele dieser Verbesserungen sind Zeugnisse der schnellen Wandlung der aus DDR-Zeiten stammenden Bibliotheken in modern ausgestattete Räume mit ebenso praktisch wie ästhetisch entworfenen Einrichtungen.

Andere tVerbesserungen tund tVeränderungen

Zu einer vollständigen Liste der positiven Veränderungen im Bibliothekswesen der neuen Länder zählen, meiner Meinung nach, vor allem die folgenden Hauptleistungen: die Teilnahme dieser Bibliotheken an bundesweiten Programmen, wie zum Beispiel den DFG-Sondersammelgebietsplänen; die Verlängerung der Öffnungszeiten in der Ortsleihe, in Informationsstellen und anderen Dienststellen; die Versuche, die Klassifkationssysteme in den Zweigbibliotheken innerhalb eines einzelnen Bibliothekssystems zu vereinheitlichen, die Verbesserungen der Infrastruktur einzelner Bibliotheken (Neubauten sowie Renovierungen von existierenden Anlagen sowohl für die Benutzer als auch für die Mitarbeiter); die Schaffung neuer Sammelschwerpunktpläne innerhalb einzelner Bibliotheken, die den wissenschaftlichen Erfordernissen der Nachwendezeit entsprechen; Anfänge für die weitreichenden Versuche, die gravierenden Lücken in Materialien aus dem Westen für die Jahre 1939-1990 nachzuholen; eine lebhafte Beteiligung der östlichen Bibliotheksdirektoren an Landes-, Bundes- und weltweiten (einschließlich der IFLA) Bibliotheksinitiativen und schließlich die erfolgreiche Einführung von EDV-Anwendungen auf allen Gebieten der Dienstleistungen dieser Bibliotheken (imponierende Web-Seiten im Falle der meisten Bibliotheken, leicht zu benutzende OPACs, Zugang zu digitalisierten Volltextausgaben von laufenden Zeitungen und Zeitschriften und integrierte Softwarepakete, deren Komponenten die Prozesse in den Katalogisierungs- und Erwerbungsabteilungen vereinfachen und beschleunigen).

Das Engagement der Direktoren und Mitarbeiter dieser Bibliotheken an führenden bundesweiten Bibliotheksprogrammen deutet klar auf ein fruchtbares Zusammenwirken zwischen West- und Ostbibliothekaren. Zum Beispiel,

Dr. Peter Hoffmann, Direktor der Bibliothek der Universität Rostock, ist zur Zeit Mitglied des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Und die zunehmende Teilnahme von Bibliothekaren aus den neuen Ländern an vielen Ausschüssen und Gremien des Deutschen Bibliotheksverbandes, des Vereins deutscher Bibliothekare, des Vereins der Diplombibliothekare und des Verbandes der Assistenten ist ein zusätzliches Zeichen dafür, daß das Konzept "West gegenüber Ost" immer mehr im Rückgang begriffen ist. Mit amerikanischen Verhältnissen verglichen, besonders in Bezug auf wissenschaftliche Bibliotheken, scheint dennoch die allgemeine Teilnahme der Mitarbeiter an solchen bundesweiten Ausschüssen prozentmäßig gering zu sein.

Abschließende Bemerkungen

Die Infrastruktur der Länder der ehemaligen DDR scheint dem Besucher aus Amerika viel besser zu funktionieren, als man es aus den aus Deutschland stammenden politischen Berichten schließen möchte. Der Gast aus Illinois, der durch die Landstraßen Mecklenburgs gefahren ist, begegnete einer Fülle von Dörfern, die bei weitem schöner gepflegt und in besserem Zustand sind als viele ähnliche Dörfer und Städte in seinem Bundesstaat oder in anderen Bundesstaaten der USA. Hoffentlich wird dennoch die immer noch erhebliche Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern möglichst rasch beseitigt werden können. Selbstverständlich sind viele der enormen Erfolge in den Bibliotheken der neuen Länder zum großen Teil den west- aber auch ostdeutschen Steuerzahlern zu verdanken. Aber wie dem auch sein mag, der Bedarf nach erweiterten finanziellen Mitteln zur Erwerbung notwendiger Materialien, Arbeitsstellen und Platz zur passenden Unterbringung der Bestände dieser Bibliotheken ist trotz der Erfolge seit 1992 noch ersichtlich vonnöten.

Als Vertreter unserer deutschen und amerikanischen Bibliotheken können wir nur die gegenseitige Hoffnung hegen, daß unsere Politiker (Abgeordnete, Bürgermeister, Universitätskanzler, usw.) sich immer mehr genötigt sehen, ihre jeweiligen Bibliotheken mit den nötigen finanziellen Mitteln zu versorgen, die sie dringend benötigen. Und dafür muß sehr häufig die wenigstens hier irrtümliche Ansicht seitens der Universitätsbehörden, Ministerpräsidenten und Bürgermeister bekämpft werden, daß diese Bibliotheken mit weniger Einkommen gedeihen können. Sie rechtfertigen ihr Handeln (bewußt oder unbewußt) durch die Annahme, daß erstens ein erheblicher Prozentsatz des verzeichneten Wissens im Internet enthalten ist, woraus sie folgern, daß traditionelle gedruckte Bücher von immer weniger Bedeutung sind, und zweitens, daß solche "Information" weniger Verwaltungsaufwand benötigt, als es vor dem "Informationszeitalter" der Fall war. Sicher müssen derartige Fehlschlüsse bekämpft werden, wie Michael Gorman, der Mitherausgeber der Anglo-American Cataloging Rules es wiederholt in überzeugenden Artikeln und Büchern getan hat. Gorman unterscheidet bewußt zwischen den Konzepten "Information" (kurze Tatsachen, Statistiken, kleine Artikel, usw.) und "Verzeichnetem Wissen" (längere, exkursive Artikel und Monographien) und warnt vor der zunehmenden Neigung unserer Bürokraten, von denen die Bibliotheken abhängig sind, diese nicht auseinanderhalten zu können3). Vor allem in den Stadtbibliotheken habe ich auf meiner Reise 1998 durch Gespräche mit den Bibliotheksleitern den Eindruck gewonnen, daß der Wille der regierenden Bürgermeister, ihre Bibliotheken mit ausreichenden Mitteln zu versorgen, äußerst unterschiedlich ausgeprägt ist. Das ist natürlich auch hier in Amerika öfter der Fall, aber man will hoffen, daß die Beweggründe der deutschen Bürokraten aus weniger naiven Vorstellungen stammen, als dies hier so oft der Fall ist.

Es ist zu hoffen, daß die Zusammenarbeit zwischen amerikanischen Bibliotheken und Bibliotheken der neuen Bundesländer noch weiter gefördert wird in den kommenden Jahren. Die gegenseitigen Besuche sollen beiden Gruppen von Bibliotheken auf die Dauer zugutekommen. Diese Beziehungen können aber auch mittels andauernder gegenseitiger Teilnahme an Programmen, wie das German Resources Project (ein Zusammenwirken zwischen dem GBV und ARL - the Association of Research Libraries, Washington, D.C.), weiter gedeihen. Durch solche Teilnahme können wir von gegenseitigen Verbesserungen in der Fernleihe sowie vom gegenseitigen Zugang zu Ariel- und Faxsendungen von Zeitschriftenartikeln profitieren. Auch die gegenseitige Kooperation an gemeinsamen Sammelschwerpunktgebietsprojekten ist eine verheißungsvolle Möglichkeit.

1) Sommer, Dorothea (Dr.): "Bibliotheken in den USA - ein Reisebericht." BIBLIOTHEKSDIENST 28:2 (1994), S. 155-174.

2) Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 38:2 (März-April) 1991, S. 182-202.

3) Crawford, Walt, and Gorman, Michael. Future Libraries: Dreams, Madness, and Reality. Chicago and London: American Library Association, 1995.


Stand: 10.02.99
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