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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 99

Bestandserhaltung in der Bibliothèque Nationale de France, Paris

Bericht über einen Besuch von Mitgliedern des Unterausschusses für Bestandserhaltung des DFG-Bibliotheksausschusses

Joachim Jaenecke *)

Bestandserhaltung ist ein Thema von internationaler Bedeutung und Tragweite. Der Unterausschuß für Bestandserhaltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bemüht sich verstärkt, ausländische Erfahrungen und Entwicklungen für seine Arbeit zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang erfolgte am 11. und 12. Juni 1998 ein Besuch von Mitgliedern des Unterausschusses bei der Bibliothèque Nationale de France (BNF) und dem neuen Centre technique der BNF in Bussy-Saint-Georges. Im Mittelpunkt der Informationsreise standen dabei Fragen der Organisation, der eingesetzten Verfahren und Planungen für zukünftige Entwicklungen. Dieses Vorhaben wurde von der DFG finanziell unterstützt und von der Staatsbibliothek zu Berlin organisatorisch betreut.

Ansprechpartnerin in Paris war Frau Dr. Astrid Brandt, die bis Anfang des Jahres 1998 in der BNF bei der Abteilung Services de la Preservation wichtige planerische Aufgaben wahrzunehmen hatte und dann zum Ministère de Culture et de la Communication in Paris als Stellvertretende Leiterin der Mission de la recherche et de la technologie wechselte. Hier ist sie u.a. zuständig für internationale Kontakte. Trotz dieses beruflichen Wechsels von Frau Dr. Brandt erklärte sie sich bereit, für uns in Paris das Besuchsprogramm gemäß unseren Wünschen zusammenzustellen und uns auch für die vielen Gespräche als sehr sachkundige und kompetente Dolmetscherin zur Verfügung zu stehen.

Von deutscher Seite nahmen teil: Dr. Antonius Jammers als Vorsitzender des Unterausschusses für Bestandserhaltung und Dr. Joachim Jaenecke als Referent für Planung und Koordinierung (beide Staatsbibliothek zu Berlin), Dr. Ulrich Hohoff (Universitätsbibliothek Leipzig), Prof. Dr. Hartmut Weber (Landesarchivdirektion Stuttgart) und Dr. Ewald Brahms (DFG, Bonn).

11. Juni 1998: Besuch des Neubaus der Bibliothèque Nationale de France

Nach der Begrüßung durch Frau Dr. Brandt begann das Besuchsprogramm mit einer allgemeinen Führung eines Mitarbeiters der BNF in englischer Sprache durch den Neubau der BNF, als Standortbestimmung kurz BNF-Tolbiac genannt (altes Gebäude: BNF-Richelieu).

Der Neubau nimmt eine Gesamtgrundfläche von 7.5 ha (Ausmaße: 200 x 300 m) ein und liegt nicht weit von der Seine entfernt. Da Teile des Gebäudes unter dem Wasserspiegel liegen, ist es von einer Betonwanne umschlossen. Die vier jeweils 80 m hohen, weit sichtbaren Ecktürme dienen in den oberen Stockwerken als Magazin, in den unteren Stockwerken befinden sich Diensträume. Außerdem gibt es noch in den Tiefgeschossen Magazinräume.

Die Lesesäle verteilen sich auf zwei Stockwerke. Im oberen Stockwerk sind außer dem bibliographischen Zentrum Lesesäle für Zeitungen, AV-Medien und für die verschiedenen Fachdisziplinen ein Ausstellungsraum sowie zwei Säle für Veranstaltungen untergebracht. Es stehen 1.650 Leseplätze bei einem geplanten Lesesaalbestand von ca. 400.000 Bänden zur Verfügung. Dieser 1997 eröffnete Bereich ist jedermann ohne besondere Genehmigung zugänglich und bietet für alle Fachgebiete ein breites Angebot an Standardliteratur. Die Benutzerkarte kostet 200 FF im Jahr, ermäßigt 100 FF, die Tageskarte 20 FF. Die Lesesäle sind von Dienstag bis Samstag von 10 bis 19 Uhr und am Sonntag von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Im unteren Stockwerk befinden sich die Forschungslesesäle mit insgesamt 2.000 Leseplätzen, davon können 1.600 vorab reserviert werden. Hier sollen ab Ende 1998 ebenfalls ca. 400.000 Bände bereitgestellt werden. Die Literaturausstattung fehlt noch. Für die Benutzung der Forschungslesesäle ist ein Nachweis einer wissenschaftlichen Tätigkeit notwendig. Nur in diesen Bereichen können auch Bände aus den Magazinen bestellt und eingesehen werden. Für beide Lesesaalebenen wird die Präsenzliteratur, soweit möglich, für alle Fachgebiete in einer gesonderten Aktion neu beschafft. Ein dem Telelift ähnliches Buchtransportsystem bedient alle relevanten Teile des Gebäudes, auch die Abteilung für Bestandserhaltung. An jedem Leserplatz des Forschungslesesaals ist ein Anschluß eines mobilen PCs möglich und es besteht Zugang zum Datennetz der BNF. Jeder Lesesaalplatz ist mit einer aufwendigen Kaltlichtbeleuchtung ausgestattet. Plätze mit pultartigen Buchauflagen für großformatige und empfindlichere Bände sind fest installiert. Die Lesesäle haben jeweils eine große Fensterfront ohne besonderen Schutz gegen Lichteinfall, was für die jeweilige Südseite des oberen bzw. unteren Stockwerks problematisch sein könnte. Die Lesesäle im unteren Stockwerk bieten den Blick auf den als Park mit Bäumen und Sträuchern angelegten, großen Innenhof, der den Benutzern nicht zugänglich ist.

Es ist geplant, daß im Neubau BNF-Tolbiac alle gedruckten Materialien und AV-Medien untergebracht werden und im alten Gebäude BNF-Richelieu die Sonderabteilungen mit ihren Beständen verbleiben. Für diese Abteilungen steht dann wesentlich mehr Raum zur Verfügung als bisher. Der BNF zugeordnet sind noch die Bibliothèque de l'Arsenal und die Bibliothèque Musée de l'Opéra. Hier gibt es derzeit keine Veränderungen.

Nach der Besichtigung der beiden Lesesaalbereiche schloß sich eine Führung durch die Abteilung für Bestandserhaltung (Direction des Services de Conservation) an. Die Leiterin dieser Abteilung, Mme Catherine Gaillard, begrüßte uns und gab einen kurzen Überblick über die Gesamtorganisation der Abteilung. Sie ist auf z.Zt. fünf Standorte verteilt: Paris: BNF-Richelieu und BNF-Tolbiac, Sable sur Sarthe, Provins, Bussy-Saint-Georges. Während im alten Gebäude BNF-Richelieu schwerpunktmäßig Restaurierungsmaßnahmen und Verfilmungen für den Leserbedarf für die Sonderabteilungen im Vordergrund stehen, werden am Standort BNF-Tolbiac die neueren und aktuellen Erwerbungen falls notwendig durch die Buchbinderei mit einem Bibliothekseinband versehen. Nach dem Umzug der Druck- und Zeitschriftensammlung werden in Sable sur Sarthe auch die Sondersammlungen behandelt. Die Druck- und Zeitschriftensammlungen werden in Bussy-Saint-Georges restauriert. In Sable sur Sarthe werden bis heute vor allem Monographien des Altbestands verfilmt oder in der seit 1987 arbeitenden Anlage massenentsäuert. Hier wird z.Zt. auch eine Massendesinfektion u.a. von mit Schimmel befallenen Objekten mittels Begasung mit Ethyloxid durchgeführt - eine durchaus umstrittene Methode. Als Gegenstück zu Sable sur Sarthe werden in Provins überwiegend Zeitschriften und Zeitungen verfilmt. Es ist beabsichtigt, die jetzt noch in Provins durchgeführten Arbeiten nach Bussy-Saint-Georges zu verlegen und den Standort Provins zu schließen. In Bussy-Saint-Georges sollen sowohl künftig Massenentsäuerungen als auch Verfilmungen sowie das Umkopieren von AV-Materialien durchgeführt werden. Dort sollen auch für andere Bibliotheken und Archive Dienstleistungen erbracht werden, wenn ein französisches Massenentsäuerungsverfahren zur Verfügung steht. Es wird auch an eine Papierverfestigung gedacht.

Der Sachetat für den Gesamtbereich Bestandserhaltung beträgt gegenwärtig 45 Millionen FF (ohne Personalkosten!) bei einem Gesamtetat der BNF von ca. 800 Millionen FF. Die Abteilung für Bestandserhaltung gibt für 7 Millionen FF Mikrofilmaufträge an Firmen, für einen Wert von 3 Millionen FF führt sie die Verfilmungen in der BNF selbst durch. Hierfür stehen in Paris 30 und in Sable sur Sarthe und Bussy-Saint-Georges zusammen ebenfalls 30 Mikrofilmaufnahmegeräte zur Verfügung. Buchbindearbeiten werden jährlich in Höhe von 16,5 Millionen FF an Firmen vergeben. Monatlich werden vom Altbestand (Monographien) 1.500 Bände von Firmen neu gebunden. Dies entspricht einer Jahreskapazität von ca. 15.000 Bänden. Dazu kommen 80.000 Bände an Neuzugängen. Für Zeitschriften übernimmt die Zeitschriftenstelle der BNF die Vorbereitung der Bindeaufträge an Firmen. In der BNF-Tolbiac stehen für alle Werkstätten 4.500 m2 zur Verfügung. Zur Zeit gibt es für die präventive Bestandserhaltung 45 Arbeitsplätze; in der Langzeitplanung sind bis zu 135 Plätze vorgesehen.

In der BNF-Tolbiac werden in der Abteilung Bestandserhaltung von zentraler Stelle aus alle eingehenden Bücher mit Hilfe eines EDV-gestützten Verfahrens auf ihren Zustand überprüft und festgelegt, welche Arbeiten wo gemacht werden sollen (z.B. kleine Reparaturen sowie Einbandverstärkung im Hause, Bindeaufträge außer Haus, Entstauben, Verfilmungen, Restaurierungsmaßnahmen usw); als Basis zur Identifizierung des jeweiligen Stücks dient die Titelaufnahme aus dem OPAC, soweit vorhanden. Sie wird auf die entsprechenden Formulare für die zu erledigenden Arbeiten übertragen. Alle diese Daten werden nicht gelöscht; so kann man später noch verfolgen, wer welche Arbeiten an den jeweiligen Objekten durchgeführt hat. Die Abteilung geht für die BNF-Tolbiac von einer Jahreskapazität des Buchdurchlaufs von 350.000 Stück aus (Altbestand und 100.000 Bände Neuzugang, so daß außer dem Neuzugang auch die älteren Titel in einem relativ überschaubaren Zeitraum auf ihren Erhaltungszustand überprüft und ggf. entsprechend behandelt werden können, wenn sich diese Vorgaben realisieren lassen.

Weiterhin beschäftigt sich eine Unterabteilung ausschließlich mit der Vorbereitung von Ausstellungen und stellt z.B Sockel, Passepartouts, Halter und Beschriftungen her. Schließlich gibt es eine Werkstatt für Trockenreinigung bzw. für das Entstauben von Büchern. Es existiert eine Bindeanlage für Schnellbindungen (binnen 24 Stunden); manuelle Bindungen, Maschinenbindung, Heftungen und Klebungen werden ebenfalls durchgeführt. Notwendige Rückenschilder und Prägungen werden mittels der Katalogdaten im OPAC vorgenommen. Außerdem können maschinell in eigener Herstellung maßgenau gefertigte säurefreie Faltkartons (ohne Klebungen) produziert werden; eine automatische Buch- und Gewichtsvermessung von Bänden ist geplant. Die Vermessung von Zeitschrifteneinbänden erfolgt mittels EDV. In den Lesesälen häufig benutzte Landkarten werden im Heißsiegelverfahren in Folien eingeschweißt.

Ein 1989 begonnenes, erstes Digitalisierungsprogramm ist jetzt beendet worden. Es sind 100.000 Bücher und 300.000 Bilder voraussichtlich ab Ende des Jahres 1998 über den OPAC lesbar, die Bilder in einem gesonderten AV-Programm. Ab 1996 gibt es ein neues Digitalisierungsprogramm für sogenannte "Gallica" (http://gallica.bnf.fr). Hier soll das kulturelle Erbe Frankreichs enzyklopädisch in Auswahl im Internet angeboten werden. Ab 1999 werden ca. 50.000 Titel und Dokumente aus den Fachgebieten Geschichte, Politik, Literatur, Recht, Wirtschaft, Geographie und Wissenschaftsgeschichte abrufbar sein, Kartenmaterial jedoch nur schwarzweiß. Bei der Literatur werden Erst- oder Gesamtausgaben bevorzugt. Für das Gesamtwerk von Honore de Balzac ist z.B. die Digitalisierung von 400 Bänden vorgesehen. In der Langzeitplanung will man 300.000 Bände digitalisiert anbieten. Im Rahmen der Digitalisierung werden beschädigte Bände verfilmt. Dies betraf bisher 60.000 von 100.000 Titeln. Alle digitalen Daten werden zur Datensicherung auf DAT-Kassette gespeichert. Als neue Themen im Digitalisierungsprogramm sind vorgesehen: Reiseliteratur zu Frankreich und Afrika, Wissenschaftliche Publikationen zu Frankreich und Werke von Marcel Proust. Für urheberrechtlich geschützte Werke werden Verträge mit den Verlagen bzw. Rechteinhabern, die ausdrücklich die Genehmigung für das digitale Angebot erteilen müssen, ausgehandelt. Die Verträge haben eine Laufzeit von nur wenigen Jahren; die Nutzung eines digitalisierten Werks kann nur innerhalb der BNF erfolgen. Aktuelle Publikationen im Digitalisierungsprogramm werden übrigens nach Möglichkeit für Digitalisierungszwecke als Dubletten (auch antiquarische) automatisch "entbunden" (Abschneiden des Buchrückens) und mit Hilfe von Einzugscannern im Lohnauftrag (derzeit bei einer Firma in England) blattweise gescannt. Danach werden die Einzelblätter mit Klebebindung neu gebunden und der Band magaziniert. Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung hat diese Methode als kostengünstiger gegenüber der Digitalisierung vom Mikrofilm oder gar vom Original mit Buchscannern erscheinen lassen, wobei allerdings der Erwerb der Dublette nicht berücksichtigt wurde.

Insgesamt war der Eindruck bei diesem großen Gebäude der BNF-Tolbiac mit sehr langen Wegen sowohl für die Mitarbeiter als auch das Publikum überwältigend. Weniger überwältigend, dafür mehr als traumhaft sind für deutsche Verhältnisse die Summen, die für die Bestandserhaltung ausgegeben werden können. Auch über die großzügige technische Einrichtung und den Betriebsablauf konnten wir nur staunen. Allerdings sind von den projektierten maximal 150 Personalstellen (an allen Standorten) nur gut 30% besetzt. Dies ist der Grund, warum in vielen, teilweise schon komplett eingerichteten Arbeitsräumen, (noch) niemand arbeitet. Man geht davon aus, daß die Mitarbeiterzahl bis zum Jahresende 1998 wenigstens verdoppelt werden kann. Um aktuelle Lücken im Betriebsablauf zu füllen, behilft man sich, insbesondere im buchbinderischen Bereich, mit zunächst nur auf Zeit eingestelltem Personal.

12. Juni 1998: Besuch des Centre technique der BNF in Bussy-Saint-Georges (Marne-La-Vallee)

Mit dem Neubau der BNF-Tolbiac wurde zugleich das neue Centre technique der BNF in Bussy-Saint-Georges geplant. Dieser neu erbaute, kleine Ort liegt ca. 25 km östlich von Paris und ist mit der Vorortbahn (RER) bei einer Fahrzeit von ca. 30 Minuten z.B. ab der zentralen Station "Paris-Nation" gut zu erreichen. Allerdings liegt das Centre technique in einem kleinen Gewerbegebiet etwas abseits des Ortes nahe der Autobahn; eine Busverbindung vom Ort zum Centre technique besteht nur während des Berufsverkehrs.

Die Arbeit im Centre technique wurde 1996 aufgenommen. Hauptaufgabe wird dort sein die Restaurierung, Konservierung, Massenentsäuerung und Sicherheitsverfilmung von Materialien des 19. und 20. Jahrunderts, auch von AV-Materialien. Außer den dafür notwendigen Arbeitsräumen mit den entsprechenden Geräten gibt es noch ein vorzüglich ausgestattetes chemisch-biologisches Labor, ein Dokumentationszentrum mit einer Fachbibliothek und Leseplätzen sowie ein Schulungszentrum. Erst Ende 1998 soll die Arbeit in der Restaurierungswerkstatt mit einer geplanten Kapazität von ca. 15.000 zu behandelnden Objekten (davon 5.000 Blätter) und in der Sicherheitsverfilmung mit einer geplanten Kapazität von 5.000.000 Bildaufnahmen (einschließlich Duplizierungen), jeweils pro Jahr, aufgenommen werden. Zur Zeit sind dort insgesamt 32 Mitarbeiter beschäftigt, im Herbst soll der Personalbestand auf 50 steigen, bei einer Gesamtplanung mit 110 Mitarbeitern im Vollbetrieb. Für die Massenentsäuerung plant man, daß in etwa fünf Jahren 300.000 Bände jährlich behandelt werden können, jeweils 150.000 Bände aus der BNF und aus anderen Bibliotheken. Die dafür notwendigen Maschinen sind bisher nicht vorhanden. Eine Zusammenarbeit mit Privatfirmen bei der Massenentsäuerung ist gegenwärtig noch nicht vorgesehen. Entsäuerte Bände sollen bei Bedarf für die Benutzung zusätzlich verfilmt werden. Die gesamten Planungsvorbereitungen für die Bestandserhaltung der BNF werden in der BNF-Tolbiac getroffen. Einheitliche Richtlinien bzw. eine Gesamtplanung für die Bestandserhaltung innerhalb der BND gibt es noch nicht. Die Fachabteilungen legen in eigener Zuständigkeit fest, welche Bestände insbesondere für die Massenentsäuerung und Sicherheitsverfilmung vorgesehen sind. Vorrangig werden zur Zeit Titel konservatorisch behandelt, die sehr häufig benutzt werden bzw. die defekt sind; ausländische Titel werden ebenfalls berücksichtigt. Im Bereich der Sicherheitsverfilmung arbeiten gegenwärtig Mitarbeiter einer Privatfirma auf Zeit, da noch viele Personalstellen der BNF unbesetzt sind. An allen Standorten gibt es insgesamt 80 Verfilmungsgeräte. Während künftig in der BNF-Tolbiac überwiegend für die Bedürfnisse der Benutzung verfilmt wird, geschieht dies demnächst in Bussy-Saint-Georges im Rahmen der Bestandserhaltung. Hier verbleibt der Masterfilm (Sicherheitsfilm) in Bussy-Saint-Georges, der Printing-Masterfilm soll zur BNF-Tolbiac und Kopien davon in die Fachabteilungen oder an andere Bibliotheken gehen, je nach Bedarf. Monographien werden ausschließlich auf Mikrofiche verfilmt, Zeitschriften auf Mikrofilm. Eine Kontrolle des Inhalts und der Qualität der Verfilmungen ist vorgesehen.

Neben den Laboreinrichtungen an den Standorten BNF-Richelieu und Sable sur Sarthe steht in Bussy-Saint-Georges ein Labor mit einer Fläche von 300 m2 zur Verfügung, wo z.Zt. 3 Mitarbeiter arbeiten. Vorgesehen sind 9 Personen, die auch in den Bereichen Physio-Chemie und Mikrobiologie u.a. zu den Themen Schimmelpilz, Luftkontrolle und Desinfektion forschen sollen. Hier finden auch Papiermessungen und eine Kontrolle der im Rahmen der Bestandserhaltung verwendeten Materialien statt. Eine Qualitätskontrolle für Massenentsäuerung ist geplant. Dieses Labor soll subsidiär auch Dienstleistungen für andere Bibliotheken erbringen. Im 850 m2 großen Restaurierungsbereich arbeiten zur Zeit noch vorbereitend 5 Mitarbeiter ausschließlich mit handwerklich-traditionellen Methoden; der Personalbestand soll jedoch bis Herbst 1998 auf 20 aufgestockt werden. Hier werden zukünftig zu etwa 70% Zeitschriften und zu etwa 30% Monographien aus der BNF-Tolbiac konservatorisch behandelt. Diese Werkstatt ist für eine Kapazität von 185.000 m2 zu behandelnder Papierfläche bzw. für ca. 600.000 zu behandelnde Seiten pro Jahr ausgelegt. Diese Mengen sollen mit Anfaserungsverfahren (Langsiebanlage) und voraussichtlich mit Hilfe einer Papierspaltanlage erreicht werden.

In Bussy-Saint-Georges befindet sich auf dem Gelände des Centre technique auch noch ein großes Speichermagazin für die Pflichtexemplare (Dépôt Légal) der BNF und ein Speichermagazin des Ministère de l'Enseignement national de la recherche et de la technologie für Hochschulbibliotheken aus der Pariser Region. In Frankreich müssen vier Exemplare (bei AV-Medien nur zwei) jeder Publikation als Pflichtstück an die BNF abgegeben werden. Das erste Exemplar verbleibt in der BNF-Tolbiac, das zweite geht in das Speichermagazin nach Bussy-Saint-Georges, das dritte an eine Universitätsbibliothek in Paris und das vierte an eine Regional- oder eine Spezialbibliothek. Die im Speichermagazin aufbewahrten Bestände sind nicht für die Benutzung vorgesehen; sie dienen gewissermaßen als "Sicherheitsexemplare". Diese mit dem Barcode des Dépôt Légal versehenen Titel werden in Kästen aus Polypropylen in normierter Größe von der BNF-Tolbiac geliefert. Für Zeitschriften gibt es ein Zwischenlager für gegenwärtig ca. 50.000 Titel. Wenn ein Jahrgang einer Zeitschrift komplett vorhanden ist, erhalten die Hefte des Jahrgangs eine "Bauchbinde", die ebenfalls den Barcode des Dépôt Légal als Identifizierung trägt und sie werden, wie bei den Büchern auch, in die Kunststoffkästen verpackt. Eine Trennung zwischen Publikationen auf alterungsbeständigem Papier und solchen auf anderen Papieren oder ein entsprechender Nachweis im EDV-System erfolgt nicht. Die Kästen werden in der 8 bis 11 m hohen Regalanlage bei einem Bodenabstand von 0,50 m gestapelt. Die Temperatur im Speichermagazin beträgt 18° Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 55%. Das Speichermagazin hat eine Kapazität für 20 Jahre. Für die Aufbewahrung vornehmlich von Mikroformen gibt es einen separaten Magazinteil mit einer Kompaktanlage. Hier beträgt die Temperatur ebenfalls 18° Celsius, die Luftfeuchtigkeit ca. 40%.

Wie beim Besuch des Neubaus der BNF-Tolbiac waren auch hier viele Arbeitsräume schon eingerichtet, aber es fehlte das (noch nicht eingestellte) Personal. Gleichwohl konnte man schon jetzt einen Eindruck davon bekommen, wie später bei voller Kapazität gearbeitet wird. Auch hier sind die genannten Zahlen und Werte für deutsche Verhältnisse außerordentlich großzügig bemessen; man kann den französischen Kollegen nur wünschen, daß die gesamte Abteilung für Bestandserhaltung den Personalstand bald erreicht, der für die Durchführung der gestellten Aufgaben und Ziele auch notwendig ist. Zum Schluß seien noch einige Bemerkungen allgemeinerer Art angefügt, die in den Fachdiskussionen auch angesprochen wurden.

Ein nationales Programm in Frankreich zur Bestandserhaltung gibt es nicht. Jedoch wäre eine Aufteilung bestimmter Aufgaben an "Provinzbibliotheken" durchaus z.B. im Zusammenhang einer Verteilung von Pflichtexemplaren auf einige Spezialbibliotheken denkbar. Gleichwohl wird die BNF immer führend in der Bestandserhaltung in Frankreich bleiben, schon alleine wegen der vorhandenen, umfangreichen Technik, der geplanten Personalausstattung und der großzügigen Sachmittel-Finanzierung. Außer der BNF besitzen etwa 40 Bibliotheken wertvolle und wichtige Altbestände; sie werden bezüglich der Restaurierung und Verfilmung vom Ministerium für Kultur unterstützt. Da diese Bibliotheken in der Regel sich nicht an EROMM beteiligen, lassen sich Doppelverfilmungen nicht immer vermeiden. Seit etwa zehn Jahren gibt es ein Verfilmungsprogramm für Zeitungen, das landesweit geplant auch in den Regionen mit Unterstützung des Ministeriums für Kultur durchgeführt wird und das im wesentlichen abgeschlossen ist. Die großen allgemeinen, überregionalen Zeitungen werden von der BNF verfilmt. Hier ging man anfänglich historisch-systematisch vor, später traf man eine Titelauswahl von bedeutenden Zeitungen. In der Entwicklung befindet sich ein neues (französisches) Massenentsäuerungsverfahren, das im Centre technique eingesetzt werden soll. Nähere Informationen wurden nicht mitgeteilt.

Dieser Besuch einiger Kollegen aus deutschen Bibliotheken und Archiven bei der BNF ist für eine erste Kontaktaufnahme sehr nützlich gewesen. Wir haben einen Eindruck davon gewonnen, in welcher Weise in Frankreich und hier insbesondere in der BNF Bestandserhaltung geplant und durchgeführt wird, welch hohen Stellenwert das Thema Bestandserhaltung hat und welche finanziellen Mittel dafür bereit gestellt werden. Diese Größenordnungen sind im föderalstrukturierten Deutschland für eine Institution alleine nicht realisierbar. Gleichwohl sollte uns dies nicht entmutigen, gemeinsam mit einer Langzeitplanung und verteilten Aufgaben ein bundesweit wirksames Programm zur Bestandserhaltung zu schaffen. Eine Zusammenarbeit zwischen der BNF und einzelnen deutschen Bibliotheken und Archiven in Fragen der Bestandserhaltung kann z.B. in den Bereichen Restaurierung und Massenentsäuerung durchaus von Interesse sein, ebenso die Arbeitsergebnisse der Laboranalysen. Ein zweiter Besuch bei der BNF ist sicher lohnenswert, wenn alle Teilbereiche der Abteilung für Bestandserhaltung mit voller Kapazität arbeiten und man dann sehen kann, ob die hoch gesteckten Ziele erreicht werden.

Als Fazit der Reise kann kurz festhalten werden: Die gegenüber Deutschland anderen zentralen Bibliotheksstrukturen lassen Vergleiche kaum zu. Daß mit dem Neubau auch die "Vision" des großen Programms zur Rettung des gedruckten Erbes räumlich, ausstattungsmäßig, etatmäßig umgesetzt wurde, ist großartig. Es bleibt die Skepsis der personellen Realisierung. Bemerkenswert ist, daß bereits in dieser unfertigen Phase uns ein Einblick gewährt wurde.

* unter Mitarbeit von Frau Dr. Astrid Brandt (Paris) und der übrigen Teilnehmer.


Stand: 10.02.99
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