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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 99

Bibliotheken in der Krise: Situationsbericht aus Kuba *)

Brigitte Döllgast

1. Allgemeine Situation

Der Wegfall der sowjetischen Unterstützung seit 1989 führte in Kuba zum finanziellen und wirtschaftlichen Desaster. Die Kubaner erlebten eine Versorgungskrise - von Staatschef Fidel Castro euphemistisch zur "speziellen Phase" erklärt -, die 1994 ihren Höhepunkt erreichte. Lebensmittel sind inzwischen wieder in erträglichem Umfang zu haben, Benzin ist nach wie vor knapp und für die Einheimischen nur auf Karten zu beziehen, sofern sie nicht Devisen haben.

Devisen sind der Zauberschlüssel für den Zugang zum Weltmarkt, und ihrer Gewinnung widmet sich die fieberhafte Reorganisation des Landes. Auch die Öffnung für den Tourismus, dessen Abschaffung einst eines der erklärten Ziele der Revolution war, hat allein die Funktion, die dringend benötigten Devisen ins Land zu bringen.

2. Buchmarkt

Im Zwei-Jahres-Turnus findet in Havanna eine internationale Buchmesse statt (1998 zum achten Mal). Ebenso wie die anderen Buchmessen in Lateinamerika ist auch diese eine Verkaufsmesse. Dabei wird gleich eines der Hauptprobleme des kubanischen Buchmarktes sichtbar: die meisten kubanischen Bücher sind auf der Messe wie auch in der Mehrzahl der Buchhandlungen nur gegen US-Dollar erhältlich. Diejenigen Bücher, die für kubanische Pesos zu haben sind, sind im wesentlichen Neuauflagen bereits erschienener Publikationen.

3. Bibliotheken

Für die Bibliotheken bedeutete die "spezielle Phase" in der Regel das Ende eines gezielten Bestandsaufbaus. Die seit 1990 neu in die Bibliotheken gekommenen Bücher und Zeitschriften sind entweder Schenkungen oder sie kommen, wie bei den Unibibliotheken, durch Tausch in den Bestand. Öffentliche wie Universitätsbibliotheken erhalten seit ca. zehn Jahren keine Devisen mehr für den Ankauf von im Ausland erschienen Büchern, und auch die Etats in kubanischen Pesos gingen dramatisch, teilweise auf null, zurück.

3.1 Öffentliche Bibliotheken

Die größte Öffentliche Bibliothek Kubas ist die Nationalbibliothek José Martí in Havanna. Das Personal besteht aus 330 Mitarbeitern. Der Bestand beträgt ca. 3 Mio. Bücher, wovon 2 Mio. den Referenzbestand bilden und etwa 1 Mio. Dubletten den Ausleihbestand. Die Bibliothek erhält im Regelfall von allen in Kuba erschienenen und von allen im Ausland über Kuba erscheinenden Büchern fünf Pflichtexemplare. Außerdem verfügt die Bibliothek über Sammlungen von Plakaten, Fotos und Notenmaterialien. Mit dem Videoabspielgerät, das der Bibliothek anläßlich des Papstbesuches im Januar 1998 geschenkt wurde, hofft man in der Zukunft Videovorführungen anbieten zu können (wobei zum Zeitpunkt meines Besuches freilich noch keine Videos im Bestand waren). Der Gesamtetat der Bibliothek, der den Anschaffungsetat beinhaltet, betrug für 1997 1 Mio. kubanische Pesos. Von diesem Geld wurden ausländische Bücher gekauft, soweit diese in kubanischen Buchhandlungen für kubanische Pesos erhältlich waren.

Die Bibliothek verfügt über vier PCs, zwei davon werden zur Textverarbeitung genutzt, mit den anderen zwei erstellt die Abteilung für Automatisation CD-ROMs, die dann gegen Devisen verkauft werden sollen. Bisher wurde eine CD-ROM über Kuba und eine weitere über Ché Guevara entwickelt. Die Katalogisierungsabteilung verfügt über keinen PC. Die Katalogkarten werden immer noch mit der Schreibmaschine erstellt, was selbst für Kuba ungewöhnlich ist. Gleichwohl wird in der Abteilung für Automatisation das in Kuba gebräuchliche CubaMarc entwickelt und betreut.

Die Nationalbibliothek betreut und berät außerdem die 379 öffentlichen Bibliotheken Kubas.

3.2 Universitätsbibliotheken

Jede der Bundeshauptstädte Kubas besitzt eine Universität. Die Universität von Havanna ist die größte des Landes. Die zentrale Universitätsbibliothek hat etwa 1 Mio. Bücher im Bestand und rund 500 Videos.

Das Inventarbuch der Zentralbibliothek der Universität Havanna verzeichnet für 1995 607 neue Titel, davon 370 Spenden und 180 kubanische Titel. Ein Etat für den Ankauf von Büchern stand in den letzten Jahren nicht zur Verfügung. Die Bibliothek verfügt über acht PCs. Der Bestand seit 1985 ist in CubaMarc katalogisiert. 1998 sollen zwei gespendete PCs im Lesesaal aufgestellt werden.

Die Universität Santa Clara ist die drittgrößte Universität des Landes und bietet als einzige alle Fakultäten auf Universitätsniveau (die Ingenieurwissenschaften werden in den übrigen Städten in Polytechnika gelehrt). Die Universitätsbibliothek hatte bis in die 70er Jahre hinein ca. 800 laufende Zeitschriftentitel. Jetzt sind es noch 57. Die Bibliothek besitzt acht PCs, davon sechs alte, einen 486er und einen Pentium. Internet-Anschluß ist zwar vorhanden, aber bislang nur mühsam nutzbar. Das Problem sind die überalterten Telefonleitungen. Bis Ende 1998 plant die Regierung jedoch die vollständige Modernisierung und Digitalisierung der Telefonleitungen. Für 1998 hofft die Bibliothek erstmals wieder einen Anschaffungsetat zu bekommen und zumindest einen Teil davon in Devisen. Der Gesamtetat der Universität Santa Clara soll 1998 US$ 100.000 betragen (Bedarf 1 Mio.US$). Bislang erhielt die Universität einen Etat von 12 Mio kubanischen Pesos, jedoch keine Devisen. Da der Rückstand im Bibliotheksbestand ohnehin nicht mehr aufzuholen ist, plant die Bibliotheksleitung gleich die Umstellung der Bibliothek von einer klassischen Bibliothek in ein modernes Medienzentrum und möchte daher das ihr 1998 zur Verfügung stehende Geld vorrangig nicht für Bücher, sondern für die Anschaffung weiterer PCs ausgeben. Für die 40-Jahr-Feier der am 16. März 1959 von Fidel Castro - drei Monate nach dem Sieg der Revolution - eröffneten Bibliothek im Jahr 1999 ist geplant, daß Castro sie als modernes Informationszentrum quasi nochmals einweiht.

3.3 Wissenschaftliche Bibliotheken

Nach den doch eher etwas bedrückenden Erfahrungen in den Öffentlichen Bibliotheken und den Universitätsbibliotheken ist die Situation an den Wissenschaftlichen Bibliotheken geradezu rosig.

Die Zentralbibliothek für Wissenschaft und Technologie (BNCT) ist im "Capitolio" in Havanna untergebracht. Das prachtvolle Gebäude, ein Nachbau des Capitols in Washington, gehört der "Agentur für Wissenschaft und Technologie", die zwar dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie unterstellt ist, jedoch weitgehend unabhängig operieren kann und als Eigentümerin des Capitolio dieses etwa für Kongresse und Veranstaltungen (gegen Devisen) vermietet. Ebenso werden Forschungsergebnisse der Agentur gegen Devisen verkauft. Im Capitolio befindet sich außerdem der einzige Internetprovider Kubas.

In der Bibliothek hat sich zwar wie überall der Devisenmangel der letzten Jahre niedergeschlagen. Doch seit 1997 scheinen die Mittel wieder reichlicher zu fließen. Im neu renovierten Lesesaal stehen den Benutzern zehn PCs zur Verfügung. Weitere zehn PCs bedient das Personal für Recherchen. Die Benutzung der Bibliothek ist (wie bei allen Bibliotheken Kubas) für das allgemeine Publikum kostenlos. Die 1995 neu erstellte Konzeption der Bibliothek sieht jedoch zudem einen marktwirtschaftlichen Ansatz vor. Seit Beginn dieses Jahres bietet die Bibliothek Firmen, gegen Devisen, gezielte Recherchen an. Nach Aussage des Direktors, der zwar seit über zehn Jahren im Bibliothekswesen arbeitet, jedoch nicht Bibliothekar, sondern Informatiker ist, zeigen schon über 30 kubanische Firmen Interesse an diesem Service. Als weiterer Schritt in Richtung marktwirtschaftlicher Nutzung der Bibliothek wird eine Firma Raum im Foyer der Bibliothek anmieten, um CD-ROMs zu verkaufen. Von diesen Maßnahmen erwartet man sich in diesem Jahr Einnahmen in Höhe von ca. 20.000 US$.

Nachdem Kuba in den letzten zehn Jahre auf Grund der "speziellen Phase" den Anschluß an den westlichen Forschungsstand in vielen Bereichen verloren hat, legt die Regierung den Schwerpunkt der Forschung nun allein auf das Gebiet , auf dem Kuba sich in der Lage sieht, mit der Weltspitze zu konkurrieren: Pharmakologie und Biotechnologie. Die Wissenschaftliche Bibliothek für Pharmazie des Forschungskomplexes Biomundi ist folgerichtig das Paradestück der Bibliotheken Kubas. Das Forschungszentrum ist vollständig vernetzt und von ca. 150 PCs kann man direkt auf die Bestände der Bibliothek zugreifen. Diese 150 PCs sollen etwa die Hälfte aller in Kuba an öffentlichen Einrichtungen vorhandenen PCs bilden.

3.4 Catedra Humboldt

Die Bibliothek der Catedra Humboldt gehört eigentlich in den Zusammenhang der Universitätsbibliotheken, soll aber als deutsche Spezialbibliothek gesondert behandelt werden.

Die 1991 gegründete Catedra Humboldt ist Teil der Universität Havanna. In den Räumen der Catedra findet Deutschunterricht statt. Der DAAD-Lektor hat dort sein Büro. Auf Gänge und Büros verteilt ist die Bibliothek untergebracht. Diese besteht aus rund 100 Videos und 6000 Büchern, davon 2000 Bücher aus DDR-Beständen (Literatur, Landeskunde), 1000 DaF, über 400 Übersetzungen vom Deutschen ins Spanische und ca. 3000 neuere Titel, die teilweise Schenkungen deutscher Verlage sind, teils durch Fremdfinanzierung angeschafft wurden.

Die "Bibliothek" der Catedra Humboldt ist zur Zeit leider kaum als solche zu bezeichnen, sondern lediglich eine Büchersammlung. Im Kontext der kubanischen Bibliotheken ist der Bestand zwar einzigartig aktuell, die prekäre Situation der Catedra Humboldt erlaubt aber z.Zt. nur eine beschränkte Ausleihe und keine fachgerechte Betreuung des Bestandes.

4. Bibliotheksausbildung

Man ist sich in Kuba der schwierigen Situation an den Bibliotheken durchaus bewußt. Um den Mangel der vergangenen Jahre auszugleichen, setzt Kuba ganz auf den Einsatz moderner Technologien (Datenbanken, CD-ROM). Bis zum Jahr 2000 will man die Vision der "elektronischen Bibliothek" realisiert haben. So sollen bis zu diesem Zeitpunkt auch alle in den Universitätsbibliotheken Kubas vorhandenen Bestände von 1985 an in einem Nationalkatalog erfaßt werden.

Zur Realisierung dieses Konzeptes muß sich nach den Vorstellungen des Hochschulministeriums auch die Ausbildung der Bibliothekare grundlegend verändern. Die dem Diplom-Bibliothekar entsprechende Ausbildung ist z.Zt. nur an der Universität Havanna möglich. Innerhalb der Fachrichtung "Communicacion Social" gab es bisher die Ausbildung zum Journalisten und den Studiengang "Wissenschaftlich-technische Information und Bibliothekstechnologie", der die "Diplom"-Bibliothekare für alle Bibliothekssparten ausbildete. Um die Ausbildung den neuen Anforderungen anzupassen, wird zur Zeit der Lehrplan für diesen Studiengang neu geschrieben. Bei der Diskussion um die neuen Lehrpläne wurde zeitweise erwogen, Informatiker mit dem Schwerpunkt Bibliothekswesen auszubilden (mit der Berufsbezeichnung "Informationsingenieure"). Man einigte sich jedoch auf eine eigenständige Ausbildung mit der Bezeichnung "Informationswissenschaft in der Bibliothekstechnologie".

*) Dieser Bericht entstand anläßlich einer Dienstreise nach Kuba im Februar 1998 und stützt sich auf Gespräche mit Bibliothekaren. Das daraus entstandene Bild kann daher nur als erster Eindruck gewertet werden und erhebt keinesfalls den Anspruch, eine umfassende Analyse des kubanischen Bibliothekswesens darzustellen.


Stand: 10.02.99
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