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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 2000

Telearbeit, Chance oder Risiko?

Tagung über Einsatzmöglichkeiten der Telearbeit für den bibliothekarischen Dienstleistungsbereich

Annette Kustos, Jörg Nitzsche

 

In den angenehmen Räumen der "Wolfsburg" in Mülheim/Ruhr fand am 20. und 21. September 2000 ein HBZ-Seminar zum Thema "Telearbeit für Bibliotheken" statt, das von Barbara Lison, Direktorin der Stadtbibliothek Bremen, moderiert wurde.

Der Einsatz von Telearbeit für und in Bibliotheken erfordert die Berücksichtigung einer großen Zahl sehr unterschiedlicher Faktoren, die von betriebswirtschaftlichen Überlegungen über individuelle, institutionelle und informationstechnische Qualifikationsanforderungen bis hin zu juristischen Regelungen reichen.

Die nationalen und internationalen Referenten der Tagung - eingeladen waren ein Beratungsunternehmen für Telearbeit, ein Arbeitgeber, eine dänische Bibliothek mit dem Angebot eines 24-Stunden-Auskunftsdienstes, eine telearbeitende Arbeitnehmerin, ein Personalrat und ein Beratungsunternehmen aus dem Projekt "New Book Economy" - berichteten entsprechend aus sehr unterschiedlichen Perspektiven über Chancen, Erfahrungen, Grenzen und Möglichkeiten der Telearbeit. Dies spannte einen weiten Bogen, der den Informationsbedarf der Teilnehmer mehr als befriedigte und den Reiz dieses Seminars ausmachte. Am Ende stand ein sehr komplettes und vielschichtiges Bild über die Einsatzmöglichkeiten der Telearbeit als Organisationsform der Zukunft für Dienstleistungen in Bibliotheken.

Claudia Rudolph, Diplom-Betriebswirtin vom Online-Forum Telearbeit1 (OnForTe) aus Bremen, definierte zunächst Telearbeit für die Tagung als "jede auf Informations- und Kommunikationstechnik gestützte Tätigkeit, die ausschließlich oder zeitweise an einem außerhalb der zentralen Betriebsstätte liegenden Arbeitsplatz verrichtet wird. Dieser Arbeitsplatz ist mit der zentralen Betriebsstätte durch elektronische Kommunikationsmittel verbunden". Diese Definition räumt nicht nur mit der falschen Gleichsetzung der Telearbeit mit dem Heimarbeitsbegriff der 70er-Jahre auf, sondern erklärt auch, welche Faktoren sich fördernd oder hemmend auf den Einsatz von Telearbeit auswirken.

Der Preisverfall im EDV-Bereich und die dadurch möglich werdenden Veränderungen in der Arbeitswelt verbessern die Chancen zur Telearbeit. Die mit neuen und unbekannten Arbeitsformen einher gehenden Befürchtungen und Unsicherheiten wirken sich dagegen eher hemmend aus.

Eine erfolgreiche Einführung der Telearbeit lässt sich dadurch erreichen, dass die in Deutschland im Vergleich zum angloamerikanischen Ausland noch recht hohe Informationsdefizite abgebaut und die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehende Chancen und Vorteile ins Bewusstsein gerückt werden.

Telearbeit wird heute überwiegend für sehr qualifizierte Tätigkeiten genutzt, bedarf allerdings einer sorgfältigen Planung und Berücksichtigung finanzieller, juristischer, psychologischer, sozialer und technischer Aspekte. Dabei muss immer der individuelle Einzelfall gesehen werden: Telearbeit ist sozialverträglich, wenn sie in die bestimmte Lebensphase eines Mitarbeiters passt und zugleich den betrieblichen Anforderungen gerecht wird.

Die Vorteile aufseiten des Arbeitgebers liegen in einer erhöhten Flexibilität, einer Produktivitäts- und Qualitätssteigerung, und nicht zuletzt ist Telearbeit ein Instrument zum Gewinnen beziehungsweise Halten qualifizierter Mitarbeiter. Sie kann sich daher selbst dann für den Arbeitgeber lohnen, wenn eine Kostenreduktion zum Beispiel durch Einsparen von Räumen mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes im Betrieb neben dem entsprechend ausgestatteten häuslichen Telearbeitsplatz nicht eintreten sollte.

Die Vorteile aufseiten des Arbeitnehmers liegen in einer größeren Selbstbestimmung, in einer erhöhten Flexibilität und verbesserten Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie in einer Kosten- und Zeitersparnis. Wichtige Voraussetzungen für die Telearbeit sind persönliche Eignung, die Fähigkeit zum selbstständigen und ergebnisorientierten Arbeiten, eine gute informationstechnische Infrastruktur, Regelungen für den Datenschutz und gegebenenfalls eine neue Organisationsstruktur.

Aber selbst unter idealen Bedingungen bestehen für die im englischen Sprachraum neuerdings "e-jobber" oder "e-worker" genannten Telearbeiter gewisse Risiken: Isolation und Karrierenachteile sowie Selbstausbeutung und der Verlust kollektiver Interessenvertretung stellen potenzielle Problemfelder dar. Telearbeit ist nicht für jeden die beste Arbeitsform: deswegen müssen die dienstlichen Tätigkeiten und betrieblichen Arbeitsabläufe nicht nur vor Aufnahme der Telearbeit analysiert, sondern auch permanent evaluiert werden.

Unter diesen Voraussetzungen kann Telearbeit für Individuum und Institution eine sehr effiziente Organisationsform darstellen, wie abschließend auch die wissenschaftliche Begleitforschung zum alternierenden Telearbeitsprojekt der Deutschen Telekom bestätigte.

Über die praktischen Erfahrungen mit der "Telearbeit im Bibliothekssystem der FU Berlin" aus Arbeitgebersicht berichtete Prof. Dr. Ulrich Naumann, Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.2

In der UB der FU Berlin erfolgt die Telearbeit am häuslichen Arbeitsplatz als alternierende Telearbeit, also mit Präsenzanteilen in der Bibliothek, mit unmittelbarem Online-Zugriff auf die betriebliche Datenverarbeitung zur Erstellung der Universitätsbibliographie.

In Ergänzung zu den Erfahrungen der Telearbeiterinnen3 kontrastierte Naumann den allgemeinen Erkenntnisstand zur Telearbeit in der Literatur mit seinen konkreten Erfahrungen.

Empirische Untersuchungen stellen immer wieder fest, dass Führungskräfte im Wesentlichen aus zwei Gründen Vorbehalte gegenüber der Telearbeit haben: sie haben zum einen Zweifel an der Produktivität der Mitarbeiter, zum anderen befürchten sie Probleme bei Kontrolle und Motivation. Die Berliner Erfahrung zeigt, dass die Produktivität nicht leidet, wenn die Bibliothek eine entsprechende datentechnische Infrastruktur zur Verfügung stellen kann.

Hinsichtlich Motivation und Kontrolle stellte Naumann fest, dass die Telearbeit einen besonderen Typus von Arbeitnehmer erfordert, der sich für seine Arbeit verantwortlich fühlen und selbstorganisiert arbeiten können muss. Das für die Telearbeit angemessene Führen durch Zielvereinbarungen ermöglicht eine sehr viel effizientere Kontrolle als das "Überwachen" der täglichen Anwesenheit am Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund ist Vertrauen wichtiger als Kontrolle, über die Zielvereinbarung hinaus wird von den Telearbeiterinnen weder eine tagebuchartige Selbstaufschreibung ihrer Tätigkeiten noch eine bestimmte Zeitorganisation gefordert.

Das Vertrauen der Kollegen, die in der Bibliothek täglich präsent sind, ist ebenso wichtig wie das zwischen Vorgesetzten und Telearbeitenden. Wird das Arbeitsergebnis der Telearbeit, das hier ja in Form der Universitätsbibliographie für jeden greifbar ist, in der Bibliothek transparent gemacht, ist für alle deutlich, dass durch Telearbeit wirklich eine für die Bibliothek sinnvolle Arbeitsleistung erbracht wird und nicht nur eine gar gnädige Vergünstigung für einzelne Mitarbeiter evtl. auf Kosten der anderen oder der Bibliothek eingeräumt wird.

Wesentlich für den Erfolg von Telearbeit ist, dass vor der Aufnahme Klarheit über die persönliche Eignung des Telearbeitenden besteht und während der Telearbeit geprüft wird, ob diese Arbeitsform der Persönlichkeit entspricht und die Erwartungen erfüllt werden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, stellt die Telearbeit nach Naumann eine sehr effiziente Organisationsform dar.

In Berlin wird daher die Telearbeit gefördert und unterstützt: durch den Erhalt des Büroarbeitsplatzes für eine jederzeitige Rückkehrmöglichkeit durch die komplette Einrichtung eines häuslichen Arbeitsplatzes und durch eine Aufwandsentschädigung. Daraus erklären sich die recht hohen Mehrkosten für die Telearbeit, die im Widerspruch zu der landläufigen Meinung von der Kostenersparnis durch Telearbeit stehen.

Naumann spricht sich damit auch gegen das Modell des flexiblen "Rollkoffermitarbeiters" nach dem Modell des "Office 21" aus, der im Großraumbüro unterwegs ist, um täglich neu seinen Arbeitsplatz zu suchen.

Weder dieser Idee noch einem Abrutschen in ungesicherte Arbeit, oder der Auflösung der Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben soll Telearbeit Vorschub leisten. Sie kann eine der möglichen Arbeitsformen sein, in der Mitarbeiter in einem normalen Beschäftigungs- oder Dienstverhältnis4 und voll in den Dienstbetrieb integriert zu den Dienstleistungen der Bibliothek beitragen. Denn, so Naumann, trotz der Kosten überwiegt der Nutzen für die Bibliothek, weil das Produkt per Telearbeit in hoher Qualität erstellt werden kann.

Das Potenzial für Telearbeit in Bibliotheken hängt nach Einschätzung von Naumann wesentlich davon ab, wie sich die Dienstleistungsaufgaben der Bibliotheken in der Zukunft entwickeln werden.

Ein Beispiel für ein zukünftiges Dienstleistungsprodukt stellte zum Abschluss des ersten Tages Jens Toft Ingemann Larsen, Bibliotheksdirektor der "Herning Centralbibliotek" in Dänemark, am Beispiel des "Bibliotheksvagten" vor.

Der "Bibliotheksvagten" ist ein momentan nach Schließung der Bibliotheken in den Abendstunden operierender, in Kürze 24-stündiger kostenloser Auskunftsservice für Bibliotheksnutzer, der kooperativ von geographisch weit auseinander liegenden dänischen öffentlichen Bibliotheken seit Oktober 1999 per Telearbeit erbracht wird. Die Bibliotheksauskunft auf Nutzeranfragen, die auch anonym gestellt werden können, erfolgt innerhalb von 24 Stunden per Internet5, Telefon oder Fax, es findet keine persönliche Begegnung mehr statt.

Ein Konsortium von acht Bibliotheken mit zirka 25 Personen betreut den Service, wobei der jeweils Diensthabende alle Anfragen nur per Internet beantwortet, von zu Hause aus oder auf Wunsch auch in der Bibliothek. Wesentliche Kriterien der Begleitevaluation betreffen die Anforderungen an die Bibliothekare, um alle Fragen mit dem Internet beantworten zu können, die Qualitätssicherung zwischen den teilnehmenden Bibliotheken und die Nutzerbedürfnisse. Die Organisationsstruktur besteht aus einer Führungs- und einer Projektgruppe; erstere ist zuständig für Politik, Finanzen und Werbung, letztere für die täglichen Arbeitsverfahren und die fachliche Debatte.

Die technische Voraussetzung für den "Bibliotheksvagten" besteht in einer nur für die Bibliothekare zugänglichen "Dienst-Homepage", auf der alle Fragen archiviert und fachliche Zuständigkeiten definiert sind. Das Ziel des Auskunftsservice besteht nicht darin, den Nutzern erschöpfende Antworten zu geben, sondern ihnen weiterführende Informationen anzubieten oder kompetente Ansprechpartner zu vermitteln. Anfänglich gab es bei den Bibliothekaren eine gewisse Angst vor schwierigen Fragen, doch die Praxis zeigt, dass überwiegend leichte alltägliche Fragen gestellt werden, die mithilfe des Internet oder vorhandenen Datenbanken beantwortet werden können.

Den zweiten Tag des Seminars eröffnete der Erfahrungsbericht einer "Telearbeiterin". Daniela Schoßau aus der Zentral- und Landesbibliothek Berlin6 war 1998 in die Telearbeit eingestiegen. Eine Familienphase sollte mit der Möglichkeit, den Beruf weiter auszuüben und mit dem Bibliotheksbetrieb in Kontakt zu bleiben, verbunden werden – persönliche Motive, die oft Grund für die Erwägung von Telearbeit sind und auch einige Teilnehmer der Tagung zu ihrer Anmeldung bewogen haben.

Die Telearbeit erfolgt alternierend, also nicht nur zu Hause, sondern jeweils hälftig in Kombination mit einer Anwesenheitsphase in der Bibliothek, in der Auskunftsdienst geleistet wird und auf nur in der Bibliothek zugängliche Ressourcen zur Klärung von komplizierteren Fällen der häuslichen Arbeit zurückgegriffen werden kann.

Das "Arbeitspaket" wird in Form von zu bearbeitenden Katalogisaten mit nach Hause genommen und in Anbindung an den Zentralrechner der ZLB abgearbeitet. Ziel ist die Retrokatalogisierung älterer Bestände der in die ZLB übergegangenen Amerika-Gedenkbibliothek.

Zeigte der Vortrag Herrn Larsens, dass auch laufende Dienste wie Auskunft durchaus in Form von Telearbeit geleistet werden können, wird hier die Eignung von abgeschlossenen Projekten, "Sonderaufgaben", die aus dem laufenden Betrieb herauszulösen sind, für Telearbeit herausgestellt.

Die Evaluierung der Telearbeit ergab eine signifikante Steigerung der Anzahl der bearbeiteten Katalogisate gegenüber früheren Arbeitsergebnissen in der Bibliothek und erwies sich auch im Vergleich mit Fremdleistungen einer beauftragten Firma (also durch Outsourcing) insbesondere angesichts der Qualität schwierigerer Katalogisate als kostengünstig.

Als Gründe der Produktivitätssteigerung nennt Frau Schoßau die Freiheit von Störungen durch den normalen Dienstbetrieb sowie den "Eigenansporn", besonders viel zu leisten und keine Katalogkarten unbearbeitet in die Bibliothek zurücktragen zu wollen. Sich dabei nicht zu überfordern ist genauso wichtig wie ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin, Zeitmanagement und Selbstorganisation. Alle Anforderungen des Privatlebens in der Familie und die Anforderungen der dienstlichen Tätigkeit müssen gut in den Alltag integriert und vor allem voneinander getrennt werden.

Sehr schnell hat sich nämlich gezeigt, dass die gerne über die Medien verbreitete Vorstellung von Telearbeit mit dem spielenden Kind im Hintergrund blanker Unsinn ist, denn qualifizierte Arbeit erfordert Konzentration und kann daher eben nicht zeitlich parallel zur Kinderbetreuung stattfinden. Deshalb hatte Schoßau anfänglich hauptsächlich abends "in Ruhe" gearbeitet, mit dem Eintritt ihres kleinen Kindes in den Kindergarten konnte dann auch regelmäßig morgens katalogisiert werden.

Vorteil der Telearbeit für Arbeitnehmer ist nach ihren Erfahrungen vor allem die Möglichkeit, die Arbeitszeit flexibler einzuteilen und dadurch z. B. Familienarbeit besser organisieren zu können. Außerdem spart man Fahrtzeiten und -kosten. Für Beschäftigte wie Schoßau, die damit eine Familienphase überbrücken wollen, ohne aus der Arbeitswelt Bibliothek auszuscheiden oder den Kontakt mit Kollegen zu verlieren, ist Telearbeit daher äußerst interessant und sollte deshalb als Arbeitsform ernst genommen werden.

Schoßau könnte sich mit dieser Arbeitsform jedoch nicht auf Dauer anfreunden, denn die Trennung von Arbeit und Beruf herzustellen ist damit schwieriger geworden, die Arbeitsbelastung nicht zu unterschätzen. So war sie mit der vereinbarten Dienstzeit und der Familienarbeit voll ausgelastet und hatte gar keine Zeit, wie im Vorhinein befürchtet, zu Hause Überstunden anzuhäufen.

Christel Luithlen, Personalratsvorsitzende im Bundesministerium für Arbeit, schildert sehr lebendig von den Konflikten, die mit der Telearbeit aufkommen. Personalräte, die verantwortungsvoll für die Belange der Beschäftigten eintreten und gleichzeitig neuen Arbeitstechniken und –formen nicht nur verhindernd gegenüberstehen wollen, betreiben eine Gradwanderung:

Es gilt, die größtmögliche Rechtssicherheit für abhängig Beschäftigte zu erhalten, aber auch sich konstruktiv an der Entwicklung moderner humaner Arbeitsformen zu beteiligen, zumal die Beschäftigten auch erwarten, dass ein Personalrat bessere Modelle für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Flexibilisierung von Arbeitszeit unterstützt. Doch Telearbeit enthält positive und negative Aspekte.

Nach eingehender interner Diskussion hat sich der Personalrat des BMA dennoch auf dieses Plateau gewagt und mit der Dienststelle 1995 zunächst für einen Modellversuch, dann aber fortgesetzt bis 30.6.2001, eine Dienstvereinbarung über Telearbeit abgeschlossen.

Nach Verhandlungen wurden die Punkte Freiwilligkeit, Rückkehrmöglichkeit, Höchstmaß an Flexibilität bei der individuellen Arbeitszeit, Vereinbarung von Zeiten für telefonische Erreichbarkeit, Bereitstellung der Arbeitsmittel und ergonomische Gestaltung im Sinne der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Dienststelle, Klärung der Kosten- und Haftungsfragen und Aufrechterhaltung der normalen Beschäftigungs- bzw. Dienstverhältnisse in die Dienstvereinbarung aufgenommen. Außerdem war dem Personalrat wichtig, dass technische und organisatorische Bedingungen geschaffen wurden, den Kontakt der Mitarbeiter in Telearbeit und vor Ort zu fördern und Überlastungen der vor Ort befindlichen und direkt ansprechbaren zu vermeiden.

Da noch keine Erfahrungen mit Telearbeit vorlagen und die Anzahl möglicher Interessierter nicht einzuschätzen war, wurde der Kreis der Teilnehmer auf Voll- und Teilzeitbeschäftigte eingeschränkt, die Kinder oder Pflegebedürftige zu Hause betreuen. Damit verband sich auch die klare Zielrichtung des PR "Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf". Die Einschränkung auf diese Gruppe muss jedoch nicht für alle Zukunft gelten. Außerdem einigte man sich auf das Modell der alternierenden Telearbeit. An der Testphase nahmen 13 Beschäftigte aus den Bereichen Schreibdienst (hier wurde offline gearbeitet), Referate und Sachbearbeitung über Anbindung an das Intranet der Dienststelle teil. Die Mehrzahl der Teilnehmenden war weiblich. Bei Angestellten wurden die Bedingungen in einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag, bei Beamten in einem Bescheid verankert.

Leider ließ sich die Dienststelle nicht darauf ein, eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts durch die Technologie-Beratungsstelle des DGB zu ermöglichen. Durch halbjährliche Zwischenberichte und Evaluation am Ende der Testphase wurden jedoch ebenfalls wichtige Erkenntnisse festgehalten.

Es wurde festgestellt, dass die Dienstvereinbarung von Arbeitnehmern und Dienststelle auch bezüglich kritischer Bestandteile eingehalten wurde, gute Arbeitsergebnisse entstanden und die flexible Gestaltung von Arbeitszeit von den Mitarbeitern, vor allen Dingen den Erziehenden, positiv bewertet wurde. Die Arbeitsabläufe funktionierten gut, die Arbeit konnte in heimischer Atmosphäre ungestört erledigt werden, was als motivationsförderlich empfunden wurde.

Nachteilig war ein gewisser Arbeitsdruck, den die Telearbeitenden auf sich selbst ausübten, die Schwierigkeit "auch noch abends zu arbeiten", die Verwischung der Trennung von Arbeit und Privatheit und das Gefühl, beruflich nicht mehr wahrgenommen zu werden.

Zudem trat bei eiligen Aufträgen das Phänomen auf, dass Vorgesetzte Hemmungen hatten, "zu Hause" beim "Tele-Kollegen" anzurufen und damit vermehrt nur präsente Mitarbeiter belasteten.

Letztlich beurteilte die Mehrheit der Beschäftigten, sowohl Telearbeitende als auch die örtlich präsenten Mitarbeiter, Telearbeit jedoch positiv, weil sie Vereinbarkeit von Familie und Beruf als besonders wichtigen Vorteil der Telearbeit betrachteten. Dies gilt allerdings im Wesentlichen für Telearbeit als Überbrückungsmodell für Familienphasen, nicht aber als Dauerarbeitsform. So hat sich die Zahl der Telearbeitenden bis heute nur unwesentlich erhöht. Eine hohe Zahl an Interessenten außerhalb des engeren Teilnehmerkreises hat sich bisher nicht ergeben.

Den Schluss der Veranstaltung bildete der hochinteressante, in der Knappheit der noch verbliebenen Zeit leider etwas zu kurz gekommene Vortrag von Ingo-Eric Schmidt-Braul, "Chief Executive" von der IBA-International Media & Book Agency, die im Rahmen des Qualifizierungsprojekts "New Book Economy" an der Entwicklung neuer Formen der Wissensvermittlung mitwirkt, um damit Unternehmen der Branche für den Strukturwandel auf dem Sektor Buch fit zu machen.7

Schmidt-Braul bettet Telearbeit in einen größeren Zusammenhang ein: Print und Publishing on Demand, Internet und E-Book bestimmen mehr und mehr das von Unternehmen der Kultur- und Informationswirtschaft zu erbringende Leistungsspektrum in Richtung Informationsmanagement. Buchhändler, Verlage aber auch Bibliotheken müssen produktorientiert arbeiten, neue Produktformen entwickeln, diese richtig im Markt platzieren und dazu neue Formen der Zusammenarbeit suchen, um ihren Platz auf dem Markt zu behaupten. Die neuen Technologien unterstützen diese Chance durch die Möglichkeit, schnelle flexible Netzwerke zu bilden, erfordern aber auch eben solche Arbeitsformen und dafür geeignete Mitarbeiter.

"Megatrends" der modernen Arbeitswelt sind nach Schmidt-Braul vernetzte Projektgruppen, die Mitarbeiter mit sich ergänzenden Kompetenzen enthalten, eine abgeschlossene Arbeitsaufgabe erledigen und sich dann wieder auflösen. Dadurch werden alte Hierarchiestrukturen zunehmend zurücktreten. Der Typus Mitarbeiter, der gebraucht wird, ist jemand, der seine sozialen, fachlichen und technischen Kompetenzen kennt und gut zu Markte tragen kann, sich bewirbt, z. B. vier Jahre an einer Sache mitarbeitet, sich schult und dann in ein neues Projekt einsteigt. Dabei muss er eine hohe Teamfähigkeit aufweisen, da er sich relativ kurzfristig in einem neuen Team etablieren muss.

Der sofort aufkommenden Befürchtung der Teilnehmerrunde, dieser lebenslangen Flexibilität könnte man wohl nur als junger Mensch gewachsen sein, während man als älterer Bewerber zurückgedrängt wird, hält Schmidt-Braul entgegen, dass gerade durch die hohen sozialen und fachlichen Anforderungen an die Mitarbeiter Bewerber mit Erfahrung besonders nachgefragt sein werden.

Vor diesem Hintergrund bildet vernetzte Telearbeit eine innovative Arbeitsform, da sie Kompetenzen aus verschiedenartigen Berufsfeldern z. B. Verleger, Bibliothekare (für den Inhalt von Produkten zuständig), Grafiker (für die Präsentation zuständig) und Informatiker (für die technische Umsetzung zuständig) als eine Art Schnittmenge schnell und flexibel miteinander verbinden kann und deshalb die Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen erleichtert. Alle Tätigkeiten und Produkte, deren Ressourcen IuK-gestützt sind bzw. die über elektronische Systeme online angeboten werden können, eignen sich für Telearbeit.

In der Bibliothek können dies abgeschlossene Projekte, z. B. die Erstellung einer Bibliographie, aber auch online durchführbare Arbeitsprozesse wie Datenbetreuung, Netzwerkadministration, Pflege und Erschließung digitaler Medien, Recherchetätigkeiten und Online-Auskunftsdienst, Textbearbeitung, Web-Site-Betreuung, Controlling und Statistik sein. Nur Dienste, die das face-to-face-Prinzip erfordern oder lokale Ressourcen benötigen kommen nicht in Betracht.

Damit ist die Einsetzbarkeit von Telearbeit in Bibliotheken wesentlich weiter gefasst als in den vorherigen Vorträgen.

Am Ende fasste Barbara Lison zusammen: Telearbeit ist eine Alternative, zur Zeit aber eher der Einzelfall. Sie eignet sich für den Arbeitnehmer, der bisher meist der Initiator ist, zur Überbrückung bestimmter Lebensphasen, ist aber weniger als Dauerarbeitsform erwünscht. Sie ist kein Ersatz für die Organisation der Kinderbetreuung, aber erleichtert sie durch flexible Arbeitszeit und spart Kosten. Am vordringlichsten ist der Wunsch, durch Telearbeit "im Beruf bleiben zu können".

Nachteile liegen in der Gefahr der Selbstausbeutung, des möglichen Karriereverlustes, der Vereinsamung und der Verwischung der Trennung Arbeit und Privatheit. Außerdem sind die Folgen für die Entwicklung der Arbeitswelt nicht einschätzbar.

Für die Arbeitgeber können Kosteneinsparungen eintreten, müssen aber nicht. Grundlage eines Erfolges sind eine gute Auswahl der Aufgabe, sichere Integrierung in die Arbeitsabläufe durch technische und kommunikative Organisation, Zielvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Telearbeiter und vor allem eine solide Vertrauensbasis. Telearbeit kann insbesondere durch den Erhalt kompetenter Mitarbeiter für die Bibliothek lohnend sein. Bisher wurden dazu klassische Arbeiten der Bibliothek in Telearbeit umgeformt.

Die wahren Chancen der Telearbeit für die Bibliotheken liegen aber möglicherweise in der Entwicklung vernetzter Arbeitsabläufe und dem Angebot innovativer Dienstleistungen.

 

1 Informationen zum vielfältigen Beratungsangebot des Online Forum Telearbeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden sich im Internet unter www.onforte.de.

2 Der vollständige Text des Vortrags "Telearbeit im Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin" steht im Internet unter http://www.ub.fu-berlin.de/service/e_publikationen/mitarbeiter/naumann/telearbeit.html.

3 Kawczynski, Sabine; Meye, Antje; Naumann, Ulrich: Telearbeit in einem Bibliographie-Projekt: Einrichtung und erste Erfahrungen. In: Buch und Bibliothek 52 (2000), S. 212-218.

4 Die Einzelheiten zur Gestaltung der Telearbeit wurden, da es sich bei den bisher zwei Teilnehmern um Beamte handelt, in Berlin in einem Bescheid festgehalten, der auch auf beamtenrechtliche Regelungen, z. B. der Arbeitszeitordnung Bezug nimmt.

5 Der Auskunftsservice ist im Internet weltweit unter www.biblioteksvagte.dk erreichbar, die Benutzerführung ist in dänischer Sprache.

6 Schoßau, Daniela: Unkonventionell vorgegangen : Erfahrungsbericht zur Telearbeit in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. In: Buch und Bibliothek 52 (2000), S. 220 - 222.

7 Informationen über die IBA finden Sie im Internet unter http://www.iba-berlin.de, über das Projekt "New book economy" unter http://www.nbe.de. Dort ist auch der gesamte Vortrag zum Thema Telearbeit abgelegt.


Stand: 15.12.2000
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