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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 9, 2000

Lizenzprobleme in Großbritannien

Bibliotheken und Universitäten klagen vor Copyright Tribunal

Helmut Rösner

 

1998 schlossen die Copyright Licensing Agency (CLA) und das Committee of Vice Chancellors and Principals (CVCP) der britischen Universitäten (etwa der deutschen Rektorenkonferenz vergleichbar) einen Lizenzvertrag über die Nutzung und das Fotokopieren von urheberrechtlich geschützten Materialien in britischen Hochschulen ("Higher Education" - HE). Dieser Vertrag wird als Higher Education Copying Accord (HECA) bezeichnet. Statt die Nutzung von Lehr- und Forschungsmaterialien zu erleichtern, hat der HECA-Vertrag jedoch für die britischen Hochschullehrer und Studenten vielfältige Zugriffsprobleme sowie pädagogische und finanzielle Probleme hervorgerufen.

Eine Arbeitsgruppe, die sich mit Urheberrechtsfragen im Hochschulbereich befasst (Copyright in Higher Education Workgroup - CHEW), will die Aufmerksamkeit auf diesen Fall lenken. Die vorrangigen Aufgaben der im Januar 2000 gegründeten CHEW bestehen in der Analyse der Umstände, unter denen das Copyright die Hochschulausbildung beeinträchtigt, und in der Erarbeitung von Alternativen zu den gegenwärtig geltenden Bestimmungen.

Die von den britischen Universitäten und Hochschubibliotheken initiierte "HECA-Kampagne" wird auf der folgenden Web-Seite dargestellt: http://www.law.warwick.ac.uk/ncle/copyright/heca_campaign.html.

Die CHEW hat im April 2000 eine "Resolution on the Future of the Higher Education Copying Accord and The Need to Regain Control Over Academic Publication" veröffentlicht, mit der sie die Hochschullehrer, Universitäten, betroffenen Organisationen und Srudentenverbände auffordert, an einer geeinsamen Kampagne mitzuwirken, die vor allem vier Ziele verfolgt:

  1. Über die HECA-Lizenz neu zu verhandeln, wobei die Unterscheidung zwischen dem "Fair practice"-Kopieren für Ausbildungszwecke und dem kommerziellen Raubkopieren wieder zur Geltung kommen soll;
  2. Auf die Verlage einzuwirken, dass aus subskribierten Zeitschriften zustimmungs- und vergütungsfrei kopiert werden darf;
  3. Bei den Fachzeitschriften zu erreichen, dass sie die wissenschaftlichen Autoren - als Voraussetzung für die Veröffentlichung - nicht mehr zur Abtretung aller ihrer Rechte an die Verlage zwingen;
  4. Im Verein mit den wissenschaftlichen Vereinigungen darauf hinzuwirken, dass die Hochschulautoren wieder die Kontrolle über ihr geistiges Eigentum erlangen.

Über die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit diesem landesweiten Lizenzvertrag berichten in einer über EBLIDA verbreiteten E-Mail Alan Story (University of Kent at Canterbury) und Denis Heathcote (Universitätsbibliothek der University of Greenwich):

Als bedeutendste Entwicklung in der Lizenzierung für "Higher Education" (HE) und "Further Education" (FE) in den letzten zehn Jahren hat der Rektoren-Ausschuss CVCP vor kurzem die Copyright Licensing Agency (CLA) informiert, dass er beim Copyright Tribunal (CT) die Bestimmungen, Kosten und Bedingungen künftiger Lizenz- und HECA-Verträge festlegen lassen will. Nach den Bestimmungen des britischen Urheberrechtsgesetzes (Copyright Design and Patents Law) von 1988 ist das Tribunal befugt, die Bestimmungen solcher Copyright-Lizenzsysteme zu verändern oder zu bestätigen, wie sie durch die CLA wahrgenommen werden. Wenn das CT entscheidet, den Antrag des CVCP aufzugreifen, werden Kostenstruktur und Bestimmungen der bestehenden Lizenz, die im Januar 2001 ausläuft, solange weiter gelten, bis das Tribunal seine Entscheidung getroffen hat. Die CT-Entscheidung ist dann bindend für beide Seiten, obgleich jede Seite die gerichtliche Überprüfung der Rechtsfragen beantragen kann.

Die zur Zeit geltende Dreijahres-Lizenz, vereinbart 1998, schränkt die Rechte der Nutzer stärker ein als alle vorhergehenden Vereinbarungen. Der Einsatz ist hoch für die CLA. Die verschiedenen CLA-Lizenzen im Bildungssektor machen 90 Prozent der Einnahmen aus und sind das größte Copyright-Lizenzsystem in Großbritannien neben dem Musik-Copyright-System. Letztes Jahr sind die Einnahmen von CLA aus dem HE-Bereich um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Nur 10 Prozent der Einnahmen aus dem Fotokopieren von urheberrechtlich geschützten Materialien stammen aus Regierung und Wirtschaft. Der CVCP will in Kürze seine formelle Klageschrift in diesem Fall einreichen, um zu erreichen, dass das Tribunal umfassend die Stückkosten, Seitenpreise, Zugang, Ausnahmen, Bestimmungen über Kurspakete, das DACS-Protokoll und andere Punkte überprüft.

Dieser Vorgang unterscheidet sich von den meisten anderen Fällen, die dem Tribunal vorgetragen werden, vor allem dadurch, dass die Autoren zahlreicher urheberrechtlich geschützter und lizenzierter Materialien - vorwiegend Universitätsangehörige wie Dozenten, auch britische - zugleich die Hauptnutzer dieser Materialien sind.

Schiedsstellen wie das Copyright Tribunal gehen in zahlreichen Ländern dem möglichen Missbrauch von Urheberrechten aufgrund der Monopolstellung von Verwertungs- und Lizenzierungsgesellschaften nach, wohl wissend, dass freier Zugang und Nutzung von Wissen und Information unbedingt im öffentlichen Interesse liegen. In diesem Sinne spielt also das britische Tribunal die gleiche Rolle wie andere staatliche Behörden, die die Versorgung mit Wasser, Elektrizität, Fernsehen oder Eisenbahn regeln. Die Entscheidung des CVCP, die Prüfung der Lizenzbestimmungen auf das CT zu übertragen, stellt einen schweren Rückschlag für die CLA dar und kennzeichnet die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Lizenz in der gesamten Gemeinschaft der Higher Education - von geldknappen Studenten, die sich die hohen Copyright-Abgaben für Kurspakete nicht leisten können, über Dozenten, die an der bestmöglichen Lehre gehindert werden, bis hin zu den Universitätsverwaltungen, die Kosten und Nutzen der aktuellen Einrichtungen hinterfragen. Copyright-Abgaben, die zumeist an die Verleger gehen, betragen häufig 70 Prozent der Gesamtkosten eines Kurspaketes.

Kürzlich sagte Peter Shepherd, der Hauptgeschäftsführer des CLA, in einer weit verbreiteten Erklärung, er erwarte "ein glattes und schmerzloses Rollover" von der vorhandenen Lizenz zur folgenden, aber tatsächlich hat sich während der letzten Jahre in der HE-Gemeinschaft Unzufriedenheit über die gesamte Philosophie, die tägliche Handhabung und die Kosten des aktuellen Systems entwickelt. Die Meinungsverschiedenheiten wurden verschärft durch die restriktive Einstellung der CLA gegenüber dem nach dem "Fair dealing"-Prinzip erlaubten Fotokopieren und durch ihre einseitige Änderung der Lizenz, wonach angeblich Abbildungen in lizenzierten Publikationen ausgeschlossen sind, so dass eine zusätzliche Lizenz und Zahlung an die CLA notwendig würden (das sog. DACS-Protokoll).

Anfang Juli änderte die CLA ihren Kurs, indem sie anbot, die Einführung dieser zusätzlichen DACS-Lizenz hinauszuschieben, bis die Hauptlizenz im Januar 2001 erneuert wird. Dieses Angebot war jedoch an die Bedingung geknüpft, dass der CVCP die Erneuerung der Hauptlizenz ohne wesentliche Änderungen, aber mit einer Aufstockung (Nachzahlung) für künstlerische Werke akzeptiert. Beobachter betrachten dies lediglich als einen Versuch, die Universitäten in einer Vereinbarung zu binden, für die sie bereits eindeutig Neuverhandlungen von der CLA gefordert haben. Die Entscheidung des CVCP, die Lizenzbedingungen dem Tribunal zu übertragen, war daher die einzige mögliche Antwort angesichts der fortdauernden Unnachgiebigkeit der CLA. Ein CVCP-Sprecher forderte vor kurzem eine grundlegende Überprüfung des gegenwärtigen Systems. Die Entscheidung des CT über die Klageschrift des CVCP wird wahrscheinlich auch wichtige Rahmenbedingungen für den Bereich der "Further Education" schaffen, da die hier gültige Lizenz eng an der HE-Lizenz orientiert ist.

Der CVCP wird vertreten von Baker McKenzie, eine große, auch international tätige Anwaltskanzlei. Henry Carr, QC, ein Urheberrechtsspezialist, hat die Klageschrift vorbereitet und wird sie dem CVCP noch vor der Verhandlung vorstellen.


Zusammengestellt nach Informationen der Copyright in Higher Education Workgroup / CHEW, mitgeteilt von Alan Story (Kent Law School, Eliot College, University of Kent Canterbury, Kent CT2 7NS. E-Mail: a.c.story@ukc.ac.uk) und Denis Heathcote (Library and Information Services, University of Greenwich. E-Mail: D.Heathcote@greenwich.ac.uk).


Stand: 01.09.2000
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