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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7/8, 2000

Neue Rechtslage bei unaufgefordert erhaltenen Medien

Harald Müller

 

Bibliothekare sehen sich immer mal wieder vor die Situation gestellt, dass auf ihrem Schreibtisch ein Buch, eine Broschüre, eine Zeitschrift, eine CD-ROM oder ein sonstiger Informationsträger landet, welchen sie überhaupt nicht bestellt haben. Sofern es sich dabei nicht um eine Pflichtablieferung gemäß den einschlägigen Gesetzen handelt, liegt rechtlich gesehen entweder eine buchhändlerische Ansichtssendung1 oder ein Angebot zum Abschluss eines Schenkungsvertrages vor. Besonders die letzte Variante bereitet den Bibliotheken nicht selten erheblichen Kummer. Denn gerade weltanschauliche, religiöse oder politische Organisationen und von einem spezifischen Sendungsbewusstsein erfüllte Personen neigen dazu, ihre eigenen Werke bevorzugt öffentlichen Bibliotheken zum Geschenk anzubieten.2 Natürlich erhoffen sie sich mit ihrer Offerte, dass die Bibliothek ihr Werk in den Ausleihbestand aufnimmt und dadurch zu einer weiteren Verbreitung des enthaltenen Gedankengutes beiträgt.

Dem Bibliothekspersonal steht es vollkommen frei, ein derartiges Angebot anzunehmen oder nicht. Sofern das Werk thematisch zum Bestand passt, kann es eingearbeitet werden. In diesem Fall wird, aus juristischer Sicht, zwischen dem Absender und der Bibliothek zumeist ein Schenkungs-, manchmal aber auch ein Kaufvertrag geschlossen.

 

1. Die bisherige Rechtslage

Sofern das unaufgefordert zugeschickte Werk nach der freien Entscheidung des zuständigen Bibliotheksmitarbeiters jedoch nicht in den Bestand aufgenommen werden soll, entsteht nach bisher geltendem Recht für die Bibliothek ein Problem. Zwar kommt zwischen ihr und dem Absender kein Vertrag zustande, weil es an der erforderlichen Willenserklärung auf Seiten der Bibliothek fehlt. Nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen stellt allein das Schweigen keine stillschweigende Annahmeerklärung dar, selbst dann, wenn der Absender erklärt, er werde Schweigen als Zustimmung bewerten. Der Absender konnte jedoch das Buch, die CD-ROM jederzeit als Eigentümer (§ 985 BGB) wieder heraus verlangen. Deshalb wurde im bibliotheksrechtlichen3 und sonstigen Schrifttum auch stets die Meinung vertreten, den Empfänger eines unaufgefordert zugeschickten Werkes treffe eine Aufbewahrungspflicht zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Erst nach deren Ablauf stehe es ihm frei, das nicht erwünschte Werk als Abfall zu beseitigen. Außerdem kann sich die empfangende Bibliothek Ansprüchen des Absenders auf Nutzungsherausgabe bzw. Schadensersatz ausgesetzt sehen.

 

2. Neue Bestimmungen im BGB

Mit Wirkung vom 1. Juli 2000 ist das Fernabsatzgesetz (FernAG) in Kraft getreten. Es sieht vor, dass der Verbraucher bei sogenannten Fernabsatzverträgen bestimmte Informationen zu erhalten hat und ohne Angaben von Gründen den Vertrag kurzfristig kündigen darf. Über mögliche Auswirkungen für Bibliotheken wird an anderer Stelle berichtet werden.

Im Zusammenhang mit dem Fernabsatzgesetz wurden auch folgende neuen Bestimmungen in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) aufgenommen:

 

3. EG-Recht und amtliche Begründung

Das neue Fernabsatzgesetz und die Änderungen im BGB (und einigen anderen Gesetzen!) setzen die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 19974 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (FARL) in deutsches Recht um. Der im vorliegenden Zusammenhang relevante Artikel 9 dieser Richtlinie lautet:

In der Bundestagsdebatte am 13. April 2000 bemerkte der Abgeordnete Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hierzu:

"Eine klare Rechtslage schafft das Gesetz auch bei unaufgefordert zugesandten Waren. Hier sollen den Verbraucher keinerlei Pflichten treffen - weder zur Rücksendung noch zur Aufbewahrung. Warum auch? Wer einem anderen etwas in der Hoffnung aufdrängt, vielleicht ein Geschäft zu machen, soll darin vom Gesetzgeber nicht auch noch bestärkt werden."

 

4. Konsequenzen für Bibliotheken

Es stellt sich natürlich die Frage, ob die neuen Rechtsvorschriften im BGB auch Auswirkungen auf den bibliothekarischen Alltag haben werden. Gerade die Frage der Aufbewahrungspflicht und ihrer zeitlichen Dauer hat seit Jahren die bibliothekarischen Gemüter beschäftigt, wie eine nicht unerhebliche Anzahl von Aufsätzen beweist.5 Bislang gingen die bibliotheksrechtlichen Experten davon aus, dass jede Bibliothek eine Aufbewahrungspflicht für unverlangte Literaturzusendungen treffe. Je nach Autor schwankte die vorgeschlagene Zeitdauer dabei zwischen sechs Monaten und bis zu drei Jahren. Erst nach Ablauf dieser Frist steht es der Bibliothek frei, die bis dahin nicht abgeholten Medien wegzuwerfen.

Aus den Gesetzesmaterialien zum Fernabsatzgesetz ergeben sich zunächst einmal einige interessante Gesichtspunkte:

Aus dem neuen § 241a BGB ergibt sich eindeutig, dass in Zukunft ein privater Verbraucher unbestellte Waren sofort (!) wegwerfen darf. Für ihn entsteht keine Aufbewahrungspflicht. Gilt diese Regelung auch für Bibliotheken?

Der neue § 13 BGB macht deutlich, dass eine Bibliothek kein Verbraucher im Sinne des Gesetzes ist, da dies nur natürliche Personen sein können. Dabei spielt es keine Rolle, dass in Bibliotheken natürliche Personen arbeiten und etwa juristisch relevante Willenserklärungen für die Bibliothek abgeben, wie z. B. beim Kauf oder der Annahme von Geschenken. Andererseits kann eine Bibliothek auch nicht so einfach als Kaufmann im Sinne der §§ 1 ff. HGB angesehen werden; deshalb wird der § 362 HGB (Schweigen auf Anträge) auf Bibliotheken keine Anwendung finden. Dies alles bedeutet, dass Bibliotheken sich nicht auf den neuen § 241a BGB berufen können. Bibliotheken dürfen auch zukünftig unverlangt zugesandte Medien nicht sofort in den Mülleimer befördern. Vielmehr gilt für sie die bisherige Rechtslage weiter: Der Absender kann die Ware gemäß § 985 BGB wieder herausverlangen, muss sie allerdings dann selbst in der Bibliothek abholen. Ein Anspruch auf Rücksendung besteht nicht.

Die bislang in der bibliotheksrechtlichen und sonstigen Literatur postulierten Aufbewahrungsfristen zwischen sechs Monaten und drei Jahren dürften aber unter dem neuen Recht nicht länger haltbar ein. Folgende Gesichtspunkte lassen eine deutliche Verkürzung solcher Aufbewahrungsfristen als geboten erscheinen:

Deshalb halte ich es für vertretbar, die Aufbewahrungsfrist für Bibliotheken bei unverlangt zugeschickten Medien auf maximal vier Wochen zu begrenzen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne darf eine Bibliothek die Waren wegwerfen, wenn sie sie weder als Geschenk annehmen möchte, noch der Absender sie wieder abgeholt hat. Unter der neuen, verbraucherfreundlichen Rechtslage halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass eine Bibliothek nach Ablauf einer Frist von vier Wochen noch befürchten muss, wegen etwaiger Schadensersatzansprüche des Absenders rechtskräftig verurteilt zu werden.

 

1 Grundlegend immer noch Hildebert Kirchner: Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, 1981. – S. 311-313.

2 Vgl. die Literaturnachweise bei Ralph Lansky, Bibliotheksrechtliche Vorschriften, Nr. 700.

3 Vgl. die Empfehlungen der EDBI-Erwerbungskommission zur Behandlung von Geschenk- und Tauschliteratur. // In: Bibliotheksdienst 34 (2000) S. 1009-1015, speziell S. 1012.

4 Amtsblatt EG Nr. L 144 vom 4. Juni 1997, S. 19-27.

5 Vgl. die bibliographischen Nachweise bei Ralph Lansky, Bibliotheksrechtliche Vorschriften, Nr. 700.

6 Vgl. Bundestag Drucksache 14/2658, S. 22.

7 Wie FN 5, S. 23 mit weiteren Literaturnachweisen.


Stand: 01.08.2000
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