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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7/8, 2000

Qualifiziert für das neue Jahrtausend - Forderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung

Bericht über eine Podiumsdiskussion auf dem Leipziger Kongress

Volker Roth-Plettenberg, Romana Blechschmidt

 

Im Rahmen des diesjährigen Leipziger Kongresses "Information und Öffentlichkeit" fand am 23. März 2000 als eine gemeinsame Veranstaltung der Kommission Aus- und Fortbildung des VdDB, der Kommission für Ausbildungsfragen des VDB und des Komitee Information und Qualifikation der DGI (I & Q) eine Podiumsdiskussion statt zum Thema "Qualifiziert für das neue Jahrtausend - Forderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung". Diese Podiumsdiskussion wurde von Seiten der beteiligten Verbände durch einen Fragenkatalog vorstrukturiert, der folgende Aspekte umfasste:

Die Moderation der Podiumsdiskussion lag in den Händen von Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert, Hamburg. Es war der Wille aller an der Vorplanung beteiligten Kommissionen, das Anforderungsspektrum an Aus-, Fort- und Weiterbildung im BID-Bereich so breit wie möglich wiedergeben zu können. Daher wurden als Podiumsteilnehmer sowohl Vertreter von Unternehmen und Banken gewonnen (Dr. Gundula Garbe, debis Systemhaus, Hamburg; Isabell Quitter, Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main) als auch aus dem Bereich Unternehmensberatung und Medieninformation (Jörg Nußbaumer, früher Booz Allen & Hamilton, Frankfurt am Main, jetzt Forit Internet Business Research; Günter Peters, Gruner und Jahr, Hamburg). Der Bibliothekssektor wurde von Dr. Sabine Wefers (Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Jena) und Dr. Horst Neißer (Stadtbibliothek Köln) vertreten.

Am Beginn der Podiumsdiskussion standen zwei Referate von Ute Schäfer (HBZ Köln) und Barbara Jedwabski (UB Dortmund). Frau Schäfer legte den Schwerpunkt ihrer Ausführungen auf die Wiedergabe der unübersichtlichen und in ihrer Wertigkeit nur schwer einschätzbaren Vielfalt an Fort- und Weiterbildungsangeboten für bibliothekarisch Beschäftigte. Hieraus entstand die Idee der "Zertifizierung" von Fort- und Weiterbildungsaktivitäten. Frau Jedwabski nahm diesen Faden auf und berichtete über die "Initiative Qualifizierung 2000" der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V. Mit dieser Initiative soll erreicht werden, dass die verschiedenen Fortbildungseinrichtungen im Rahmen ihrer Aktivitäten für die berufliche Fortbildung von Bibliothekaren jetzt auch spezifisch zertifizierte bibliothekarische Weiterbildung anbieten. Hierzu soll (durch Berufung) ein Zertifizierungsboard bei der BDB eingerichtet werden, das die Kursinhalte von verschiedenen Fortbildungsanbietern prüfen und Zertifikate vergeben soll. Zertifizierte Weiterbildung soll bereits im Herbst/Winter 2000 in den Bereichen "Recherchieren online", "Management in Bibliotheken" und "Öffentlichkeitsarbeit" angeboten werden. Der Lehrgang "Recherchieren online" wird aus den beiden Pflichtmodulen "Grundlagen des Recherchierens" und "Suchdienste und Datenbanken" bestehen; als Wahlmodule werden "Spezialrecherchen", "Recherchen in Öffentlichen Bibliotheken" sowie "Fachbezogene Recherchen" angeboten.

Mit Blick auf die Schwerpunkte dieser beiden Eingangsreferate lag es nahe, die Podiumsdiskussion mit dem Themenkomplex Zertifizierung beginnen zu lassen. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass auch dieser Begriff die verschiedensten Bezüge aufweist und die Podiumsredner von diesen Bezügen naturgemäß auch Gebrauch machten.

Herr Peters hielt die Einrichtung eines Zertifizierungsboards für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich des Bibliotheks- und Informationswesens im Prinzip für sinnvoll, für den Bereich der (teilweise kommerziell arbeitenden) Mediendokumentation nahm er eine eher zurückhaltende Position ein, ebenso im Bereich des Internet, dort insbesondere wegen des hohen Entwicklungstempos. Grundsätzlich sei die Vermittlung von Grundlagenwissen leichter zertifizierbar als die Vermittlung von Spezialkenntnissen, aktuelle Kenntnisse und Fertigkeiten und aktuelle Anforderungen an den Arbeitsplatz praktisch nicht. Diese müssten aus der Praxis heraus entwickelt und begutachtet werden.

Dr. Neißer hielt Zertifizierung durchgängig für sehr notwendig. Insbesondere müsse für den Dienstherrn, der einen Beschäftigten zu einer bestimmten Fort- oder Weiterbildungsveranstaltung entsenden will, erkennbar sein, welche Qualität hinter einem Schulungsangebot stecke. Daher müssten objektive Kriterien zur Beurteilung der Tauglichkeit des Angebots entwickelt werden. Nicht die Ausbilder sollten zertifizieren, sondern ihrerseits selbst zertifiziert werden.

Frau Dr. Wefers forderte, dass Fort- und Weiterbildung im BID-Bereich nicht durch diejenigen Ausbildungseinrichtungen angeboten werden sollten, die die bibliothekarische Erstausbildung anbieten würden (Stichwort Tradierung von "Bibliotheksschulschäden"). Vielmehr sei ein solcher Qualitätslevel anzustreben, der durch professionelle Methoden der Evaluierung festgelegt und laufend überprüft werden müsse, auch wenn dies schwierig sei.

Für Frau Quitter standen die Prozesse der Informationsvermittlung, insbesondere das praktische Online-Recherchieren im Vordergrund. Von daher forderte sie eine datenbankorientierte Zertifizierung für Recherchen z.B. in Lexis/Nexis, Dialog, Genios, etc.

Auch Frau Dr. Garbe hielt die Idee der Zertifizierung und der Schaffung eines Zertifizierungsboards für sehr nützlich, sah aber Schwierigkeiten in der praktischen Durchführung der Evaluation. Diese könne nur dadurch vorangetrieben werden, dass die Professionals zu einem jeweiligen Thema an einen Tisch gebracht werden.

Herr Nußbaumer wies darauf hin, dass konventionelle Feedback-Prozesse zwischen Fortbildungsanbietern und -abnehmern zu wenig genutzt würden. Außerdem sei der rasche technologische Wandel auf dem Informationssektor das Hauptproblem; die Zertifizierungsinstanzen würden hinter der Entwicklung der Praxis immer nachhinken.

Aus dem Publikum stellte Herr Depping (UuStB Köln) klar, dass der Diskussion offenbar kein einheitlicher Zertifizierungsbegriff unterliege. Zertifizierung bedeute (für ihn) eine Überprüfung des Bildungsträgers hinsichtlich der eingesetzten Verfahren der Wissensvermittlung, nicht also eine Überprüfung der Lehrinhalte selbst und schon gar nicht eine Beurteilung der Dozenten oder Benotung der fort- oder weiterzubildenden Beschäftigten.

Gerade diese Klarstellung sorgte dafür, dass in einer weiteren Diskussionsrunde auch die Inhalte der bibliothekarischen Fort- und Weiterbildung stärker in Augenschein genommen werden konnten. Das Wichtigste sei die Vermittlung der Kenntnis der Datenbanken. Auf eine verlässliche Einschätzung der Quellen komme es an. Dabei müssten wohl auch die Ausbilder selbst in einem regen Austausch von Praxis und Theorie fortgebildet werden. Im Bereich der Mediendokumentation würden beispielsweise die Fähigkeit zur Einschätzung von Informationsquellen und zum Verständnis des journalistischen Standpunktes in der Ausbildung nicht ausreichend vermittelt (Peters). Fortbildung müsse aber auch (neue) Grundlagenkenntnisse vermitteln, insbesondere für solche Mitarbeiter, deren bibliothekarische Erstausbildung schon einige Zeit zurückliege (Frau Walter, FH Köln). Fortbildungsbedarf auch in Grundlagenfächern entstehe beim heutigen Tempo der Wissensentwicklung schon unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung, sicherlich aber bereits nach fünf Jahren (Dr. Neißer). Die Inhalte der Fort- und Weiterbildung müssten insbesondere in der Vermittlung solcher professioneller Methoden und Techniken bestehen, die dazu befähigten, Serviceangebote in Bibliotheken zu steuern. Unter dem Blickwinkel der "Serviceorientierung" sei es nötig, bibliothekarische Dienste zu kreieren, zu evaluieren (Controlling) und gegebenenfalls auch einzustellen (Dr. Wefers). Aus dem Publikum wurde ergänzend eingewandt, es bestünde die Gefahr, dass eine zertifizierte Fort- und Weiterbildung zu bloßer Passivität und Anspruchshaltung (z.B. auf Höhergruppierung!) der Beschäftigten führe. Wer nicht über ein "inneres Brennen für den Job" verfüge, lasse sich auch nicht durch zertifizierte Weiterbildung zu höherer Serviceorientierung oder zu innovativen Bibliotheksdiensten bringen (Prof. Ursula Schulz, FH Hamburg).

Als weitere Inhalte der Fort- und Weiterbildung wurden die Wissensfelder "Management und Betrieb", "Information Technology" (Online-Recherchen) sowie "soziale Kompetenzen" angesprochen (Prof. Jänsch, Humboldt-Universität Berlin).

Nach einer kurzen Zusammenfassung des Themenkomplexes Zertifizierung durch die Moderatorin wandte sich die Diskussion dem Themenkomplex der Studienorganisation zu, hier insbesondere der Frage, mit welchem (akademischen) Abschlussgrad die bibliothekarische, dokumentarische oder informationswissenschaftliche Erstausbildung versehen werden solle: mit den international eingeführten Abschlüssen des Bachelor bzw. Master oder mit den deutschen Abschlüssen des Diploms bzw. des Wissenschaftlichen Bibliothekars / Dokumentars sowie des Fachangestellten für Medien und Informationsdienste. Das Podium war fast einhellig der Meinung, dass die Benennung des Abschlusses gegenüber den Lehrinhalten und der persönlichen Qualifikation der entsprechenden Absolventen zweitrangig sei. Zweifelsfrei seien Diplom-Studiengänge in Deutschland eingeführt, genössen eine hohe Wertigkeit und Akzeptanz und führten in Personalbüros im Allgemeinen nicht zu Erklärungsbedarf, was beim akademischen Abschluss des M.A. (Magister Artium) gelegentlich schon der Fall sein könne. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass Abschlussbenennungen von Studiengängen im IuD-Bereich heutzutage europaverträglich formuliert werden müssten, damit die entsprechenden Absolventen über europaweite Berufschancen verfügten (Dr. Neißer). Aus dem Publikum wurde hierzu ergänzt, dass beim Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung derzeit an einem Handbuch zur internationalen Vergleichbarkeit akademischer Abschlüsse gearbeitet werde (Hartmut Müller, DIPF Frankfurt am Main).

Mittlerweile war längst klar geworden, dass es aus zeitlichen Gründen nicht gelingen würde, den für die Podiumsdiskussion vorbereiteten Fragenkatalog im Einzelnen abzuarbeiten. Es ist daher ein besonderes Verdienst der Moderation, den Podiumsteilnehmern in einer Art "tour d'horizon" zum Abschluss wenigstens Stichworte zu den Inhalten der Ausbildung abgefordert zu haben. Diese Stichworte aus der letzten Diskussionsrunde werden nachfolgend wenigstens in Umrissen wiedergegeben.

Frau Quitter betonte die universellen Anforderungen an Informationsmanager. Hierzu zählten konzeptionelles Arbeiten (bei der Informationsvermittlung, beim Aufbau von Datenbanken, bei der Positionierung der IuD-Einrichtung im Intranet, beim Aufbau von Web-Seiten), betriebswirtschaftliches Know-how (im Consulting, bei Beratung und Schulung innerhalb des Betriebs, Organisationskenntnisse wie z.B. Projektmanagement), Kenntnisse in Personalführung (Leistungsbeurteilung, soziale Kompetenz, "soft skills", Belastbarkeit), schließlich Dienstleistungs- und Kundenorientierung (schnelles und effizientes Arbeiten, aktives Agieren, nicht nur reaktives Handeln).

Dr. Neißer hielt das Ende des Allround-Bibliothekars für gekommen und setzte sich sehr für berufliche Spezialisierung ein. Aber auch an einer Öffentlichen Bibliothek würden allgemeinbibliothekarische Grundkenntnisse benötigt. Spezialwissen könne man sich auch innerhalb des Hauses am Arbeitsplatz aneignen, z.B. in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations.

Herr Nußbaumer ergänzte aus Sicht der Unternehmensberatung, dass durch Recherche gewonnene Informationen auch bewertet und eingeordnet werden müssten. Hierzu seien spezielle Kompetenzen der Informationsbewertung zu entwickeln und in der Ausbildung zu vermitteln.

Frau Dr. Garbe forderte eine tief gehende Modernisierung des Basiswissens im IuD-Bereich in Richtung auf mehr Projektorientierung, mehr Teamarbeit, mehr soziale Kompetenz.

Frau Dr. Wefers sprach sich erneut für eine effiziente Serviceorientierung gegenüber der Klientel aus. Bibliothekarische Motivation müsse von professionellem Handeln unterlegt sein, dem z.B. auch die Grenzen des Internet bewusst seien.

Als letzter Podiumsredner betonte Herr Peters den Gedanken der Flexibilität. Bereits in der Ausbildung müsse vermittelt werden, dass man seinen Beruf nicht so beenden werde, wie man ihn begonnen habe. Vielmehr sei zu erlernen, wie der notwendige Wandel im Berufsalltag erkannt und laufend mitgestaltet werden könne.

Frau Prof. Krauß-Leichert nahm dieses Votum für größere Flexibilität gerne auf und sah darin gleichzeitig ihr Schlusswort als Moderatorin. Sie dankte abschließend allen Diskussionsteilnehmern auf dem Podium und im Publikum für ihre Beiträge zu dieser außerordentlich dichten und informativen Veranstaltung.


Stand: 01.08.2000
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