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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 2000

Bibliothekarische Ausbildung im Umbruch

Wolfgang Jänsch

 

1. Derzeitiger Stand

"Panta rhei" sagten die alten Griechen, und damit war nahezu ein Modewort kreiert für einen Sachverhalt, den es sicher seit Jahrtausenden gab und hoffentlich weiter geben wird: die Veränderung. Und gerade jetzt befinden wir uns wieder mal - oder vielleicht besser: weiterhin - im Umbruch.

Die Techniken und Technologien, die im Bereich des Bibliothekswesens zur Verfügung stehen, ändern sich so rasant, dass Lehr- und Lernkonzepte kaum Schritt halten können. Es besteht zum einen die Gefahr, dass - kurzfristigen Tendenzen folgend - nur noch auf schnell veraltendes Wissen Wert gelegt wird. Die grundsätzlichen Verfahren und Prinzipien, das sogenannte "Grundlagenwissen", werden überhäuft vom aktuellen "Neuheitswissen". Zum anderen besteht die Gefahr, dass den neuen Entwicklungen folgend die Abschlussbezeichnungen der Absolventen und auch die Berufsbezeichnungen ständig wechseln und zwischenzeitlich niemand mehr weiß, was eigentlich der Ausbildungsinhalt eines bestimmten, vor wenigen Jahren realisierten Studiengangs war.

Diese Entwicklungstendenz verstärkt sich nun noch dadurch, dass die herkömmlichen Ebenen der Tätigkeiten, sowie sie gerade in verbeamteten Berufen des Bibliothekswesens gegeben waren (also einfacher, mittlerer, gehobener, höherer Dienst) zukünftig immer weniger streng getrennt vorhanden sind. Allein der seit wenigen Jahren kreierte FAMI (Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste) sollte ja ursprünglich die geteilte Assistentenausbildung ablösen. Dann liest man aber in den Aufgabenprofilen:

  1. Beschaffung, Erwerbung, Übernahme von Informationen, Medien und Unterlagen
  2. Erschließung der Medien und Informationen
  3. Medien- und Informationsvermittlung, einschließlich Kundenberatung und Auskunftsdienst
  4. Verwaltungsaufgaben, Betriebsorganisation, Statistik.

Somit werden bei Problemen der inhaltlichen Erschließung sogar Tätigkeitsfelder des höheren Dienstes angesprochen; auch die Aufgaben der Betriebsorganisation dürften zumindest für den gehobenen oder höheren Dienst passen.

Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nichts gegen anspruchsvolle Berufsbilder einzuwenden, aber es ist durchaus gefährlich, wenn in einen Beruf alle Tätigkeiten der unterschiedlichen Graduierungsebenen hineingelegt werden sollen. Damit werden arbeitsteilige Tätigkeiten verhindert und es besteht die Gefahr, dass weniger hoch bezahlte Angestellte alle Tätigkeiten in der Bibliothek realisieren sollen, die sogar bis hin zu den Leitungstätigkeiten reichen. Sicher wird eine Bibliothek unter dem Aspekt der knappen Mittel gern schauen, wie Einsparungen erreichbar sind. Es ist auch seit Jahren eine Tendenz zu beobachten, dass für den gehobenen Dienst ausgebildetes Personal auch für Leitungstätigkeiten eingesetzt wird. Dies klingt zwar erfreulich unter dem Aspekt der Transparenz des Bildungsweges (eigentlich hier mehr des Tätigkeitsweges), es ist aber nicht mehr so erfreulich, wenn damit die Qualität der Arbeit der Bibliothek - hauptsächlich im Bereich der inhaltlichen Erschließungstätigkeit und damit verbunden im Bereich der Erbringung vielschichtiger fachlicher Informationsleistungen - und die gute Leitungstätigkeit der Bibliothek eingeschränkt wird. Die fachliche Qualifizierung des erschließend tätigen Personals sollte weiterhin auf der Absolvierung eines einschlägigen Fachstudiums basieren.

Für die Tätigkeiten des höheren Dienstes sollte somit weiterhin die erfolgreiche Beendigung eines Fachstudiums und die Qualifizierung auf dem Gebiet Bibliothekswesen (sicher inklusive Information/Dokumentation) unerlässlich sein. Damit müssten auf jeden Fall zwei Fächer studiert werden. Da dies bei naturwissenschaftlich-technischen Fächern durch die Absolvierung eines Erststudiums meist nicht möglich ist, muss ein Zusatzstudium (in diesem Falle eben auf dem Gebiet Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesen [BID]) angeschlossen werden. Im geisteswissenschaftlichen Bereich könnte ein Zweifachstudium (ein Fach davon müsste dann die BID-Fachrichtung sein) durchgeführt werden.

Wenn in dieser Art weiterhin ausgebildet werden soll - und aus der Sicht des Autors auch unbedingt ausgebildet werden muss -, dann ist auch unbedingt eine Reform der Ausbildungsinhalte erforderlich. Dies soll weiter unten beschrieben werden.

Wenn weiterhin angenommen wird, dass die dreigeteilte Ebene der beruflichen Tätigkeiten (mittlere, gehobene, höhere) bestehen bleiben soll, so müssen für den "gehobenen Dienst" weiterhin die methodisch-technologischen Tätigkeiten im Vordergrund der Ausbildung stehen.

Auf jeden Fall zeichnet sich in den drei Ebenen ab, dass nicht nur verbeamtete Ausbildungsgänge zukünftig bestehen werden. Einige neue Bundesländer machen schon gar keine Verbeamtung mehr und auch in einigen alten Bundesländern wird über das Aufgeben (und/oder auch über "die Aufgaben") des höheren Dienstes intensiv nachgedacht. Neue Berufsbezeichnungen werden auch hier gewählt. Man denke nur an "Informationsmanager" (klassischer gehobener Dienst zuzüglich Knowledge-Management und digitale Publikationstätigkeit), "Mediendokumentar" (klassischer gehobener Dienst zuzüglich "Medieneinrichtungsorientiertheit"), "Wissensmanagement", "Informationswirt". Einige Ausbildungsstätten denken sogar über eine Medienausbildung an einer speziellen "Medienschule" nach. An Curricularrevisionen wird an den Ausbildungsstätten anscheinend zur Zeit intensiv gearbeitet.

Mit diesen Erkenntnissen ist zwar belegbar, dass inhaltliche Veränderungen in den Studiengängen durchgeführt werden, eine eindeutige "Ebenenzuordnung" lässt sich daraus nicht ableiten. Bestenfalls kann belegt werden, dass es sich bei den Veränderungen der Abschlussbezeichnungen nicht um "alten Wein in neuen Schläuchen" handelt, sondern dass wirkliche Veränderungen der Inhalte und auch der Ziele stattgefunden haben. Nur bleibt die Frage offen, ob damit nun auch sofort eine Veränderung der Abschlussbezeichnungen vorgenommen werden muss. Man stelle sich nur vor, dass zukünftig Diplom-Physiker, Diplom-Chemiker oder Juristen - oder welche Hochschulabschlussbezeichnung auch immer - sich genötigt fühlen, ihre Absolventen neu zu titulieren. Das "Neu-Titulieren" gewinnt anscheinend durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien inflationären Charakter. Was steht eigentlich dem entgegen, dass ein "Diplom-Bibliothekar" ein solcher bleibt, auch wenn er nun E-Mail, Internet, SGML, HTML... etc. - ja den PC sowieso (vielleicht auch zukünftig nicht mehr, wenn es dann den PC als solchen nicht mehr gibt), beherrscht. Allein aus der inhaltlichen Veränderung der Ausbildung sollte eine Titulierungsänderung also nicht hergeleitet werden, sonst würde es zu sehr zur "eierlegenden Wollmilchsau" hingehen.

 

2. Äußere Einflüsse

Deutschland befindet sich mit seinen Studien- und Ausbildungsgängen zweifelsohne zunehmend im internationalen Kontext. Dies bedeutet, dass die Ausbildungsgänge (und möglichst auch die Abschlussbezeichnungen) harmonisiert werden sollten. Wenn nun schon harmonisiert wird (meist wird "harmonisiert" ja EU-bezogen verstanden), dann sollte aber an weltweite Kompatibilität gedacht werden. Die Kultusministerkonferenz (KMK) versucht, hier Einfluss zu nehmen; national hat man aber meist den Eindruck, dass es sich um ein "Hinterherziehen" handelt und weniger um eine aktive, vorwärtstreibende und mitbestimmende Rolle. Zwei Entwicklungen müssen eindeutig bedacht sein:

  1. Bachelor und Master werden gängige Titulierungen
  2. European Credit Transfer System (ECTS) wird Bewertungsverfahren.

Immer wieder stellt man in der Literatur aber fest, dass anscheinend Bachelor und Master halbherzig eingeführt werden. Manche möchten den ach so anerkannten (ist er das wirklich?) deutschen Diplom-Ingenieur - bitte schön zumindest wenigstens diesen - doch erhalten. Dies wird wohl nicht so gehen. Allzu einfach wird dann angenommen, dass der Bachelor doch eigentlich völlig gleich dem "Dipl.(FH)" sei. So einfach geht es mit Sicherheit nicht. Da Studienzeiten an deutschen Hochschulen generell zu lang sind, muss der Bachelor ein kurzer, eigenständiger (!!) Abschluss sein. Die überaus große Mehrzahl der Absolventen der Hochschulen (egal, ob Universität oder noch so bezeichnete FH) wird diesen, und für den meisten Teil der Absolventen eben auch nur diesen, Abschluss erlangen.

Für das Fachgebiet Bibliothekswissenschaft, Information und Dokumentation heißt das, man sollte sich auf diese Abschlussbezeichnung konzentrieren, und man sollte hier den technologisch-methodischen Aspekt in den Vordergrund der Ausbildung stellen. Ein Klammerzusatz könnte die vertiefte Ausbildungsorientierung ausweisen. Wo bleiben nun aber die theorieorientierten Ausbildungsteile, jene, welche die Fachdisziplin weiter entwickeln? Jene, bei denen die Forschungsarbeit im Zentrum der Betrachtung steht? Hierfür steht ein zweiter Studiengang bereit, der Masterstudiengang.

Demzufolge sollten dann aber recht wenige Ausbildungsplätze und somit auch Ausbildungsstätten für den zusätzlichen Masterstudiengang bereitstehen. In Deutschland scheint jedoch gegenwärtig jede Hochschule mehr darauf zu schauen, dass sie den "Master..." einführt. Für die BID-Fachdisziplin wäre das fatal. Später werden nur relativ wenige "theorieorientiert" ausgebildete Master benötigt. Schwer ist hierzu die Angabe von Zahlen. Der Autor dieses Artikels wagt eine Schätzung für Deutschland: Auf schätzungsweise jährlich 200 - 300 BID-Absolventen des Bachelorstudienganges sollten vielleicht 20 - 30 Absolventen eines darauf aufbauenden, theorieorientierten Masterstudiengangs kommen. Vielleicht wären aber auch schon 10 - 15 völlig ausreichend.

Gerechterweise muss hierbei berücksichtigt werden, dass nicht alle Absolventen in der gedachten/geplanten Tätigkeitsebene landen. Je mehr die Informationstätigkeit in alle anderen Fachdisziplinen eindringt, um so mehr kann ein solcherart ausgebildeter Absolvent natürlich auch in anderen Tätigkeitsfeldern wirksam werden. Es ist verblüffend festzustellen, dass viele der Absolventen des Institutes für Bibliothekswissenschaft (IB) der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in der Industrie oder in Software-Entwicklungsfirmen eine (oft durchaus sehr gut bezahlte) Anstellung finden.

Ein weiterer, internationaler Aspekt ist aber zu bedenken. Die Einführung des ECTS-Systems erzwingt nahezu eine Modularisierung der Studieninhalte. Hier muss jedoch vor voreiligen Hoffnungen gewarnt werden. Schon jetzt zeigt sich, dass die ECTS-Noten in einzelnen Ländern unterschiedlich umgesetzt werden. Die Einteilung von A bis F ist noch weitestgehend einheitlich vorhanden. Diese "Buchstaben-Noten" werden aber häufig noch mit sehr individuellen Zusätzen (z. B. noch "+" oder Ziffern "1", "2" etc.) versehen. Wenn dann Leistungen von Hochschulen anderer Länder anerkannt werden sollen, dann muss häufig sehr intensiv der Ausbildungsinhalt betrachtet und individuell eine Äquivalenznote festgelegt werden. Hierzu wäre dringend zu wünschen, dass wenigstens die deutschen Hochschulen als Bewertungsskala nur A ... F ohne jeden Zusatz verwenden würden. Das IB der HU verfährt für den Magister-Fernstudiengang Bibliothekswissenschaft bereits so.

Die inhaltliche Auskleidung der Module muss international und national unterschiedlich sein. Das ist durchaus nicht negativ, denn dadurch können Schwerpunktsetzungen erfolgen. Außerdem gestattet sie den Studierenden, ganz unterschiedliche Ausbildungsgänge zu realisieren. Der Vorteil ist für die Studierenden eindeutig. Für die Ausbildenden ergeben sich damit aber einige große Probleme, die derzeitig noch weitestgehend ungelöst sind:

  1. Jedes Modul muss sehr autonom sein.
  2. Es müssen viele Module parallel angeboten werden.
  3. Die Teilnehmerzahl je Modul sinkt.

All das führt zu einer höheren Belastung der Ausbildungseinrichtung. Eine niedrige Studierenden-Quote pro Modul ist zwar ggf. bildungsmäßig effizient, jedoch keineswegs bildungs-ökonomisch. Den Ruf nach mehr Lehrkräften kann man damit zwar bestens belegen, allein: kein Politiker und keine Universitäts-Leitung werden ihn hören wollen, geschweige denn den Wunsch erfüllen. Die Lösung kann nur heißen: Synergieeffekte nutzen.

Solche Synergieeffekte können darin bestehen, dass

Diese Wege können leider nur hinreichend große Ausbildungsinstitutionen beschreiten. Auf jeden Fall wird die Studienfachberatung für die Studierenden zunehmend wichtiger, aber auch komplizierter. Eine gute Studienfachberatung wird damit die Basis, um den Studierenden überhaupt erst günstige "Modulfolgen" aufzuzeigen und "studierbare Varianten" anbieten zu können. Die individuelle Vielfalt ist auf jeden Fall so groß, dass durch solche zu präferierenden "Bildungslinien" keine gravierende Einschränkung erfolgt.

Unter Beachtung der aufgezeigten Prämissen soll nun ein Realisierungsvorschlag dargestellt werden.

 

3. Wie es sein könnte

Grundsätzlich wird im folgenden Vorschlag nicht mehr von einer Verbeamtung ausgegangen; wenn im Folgenden dann doch von mittleren, gehobenen... etc. Tätigkeitsebenen gesprochen wird, dann ist immer die Ebene der Tätigkeit gemeint, nicht jedoch eine Verbeamtung. Sollte im Einzelfall doch eine Verbeamtung gemeint sein, so wird dann auch expressis verbis darauf hingewiesen.

Vorausgesetzt sei weiterhin, dass die Assistentenausbildung im BID-Bereich durch die FAMI-Ausbildung ersetzt ist. Hiermit ist dann die mittlere Tätigkeitsebene abgedeckt.

Anschließend gibt es für die gehobene Tätigkeitsebene zwei Varianten für die Bachelorausbildung:

  1. B. A. - Fachrichtungen BID
  2. B. A. - irgendein anderes Fach

Der B. A. der Fachrichtungen BID müsste dann methodisch-technologisch orientiert ausgebildet werden.

Für die höhere Tätigkeitsebene gibt es drei Varianten:

  1. MA (Magisterzweifachstudium)
    Bibliothekswissenschaft als eines von 2Hauptfächern könnte mit einem beliebigen weiteren Hauptfach kombiniert werden. Die derzeitige Nebenfachausbildung am IB sollte entfallen.
    Es kann aber angenommen werden, dass es sich bei der Magisterausbildung um einen Studiengang handelt, der zukünftig in seiner Bedeutung verliert, da dem neuen Modell (Bachelor und Master) gefolgt werden wird.
  2. M. A. (Master of Arts - ohne Klammerzusatz)
    Dies sollte ein theorieorientierter (!) Studiengang der Bibliotheks- und Informationswissenschaft sein, der auf einem B. A.-Abschluss der Fachrichtung BID aufsetzt.
    Dies wäre also dann der sogenannte konsekutive Studiengang. Das bedeutet, dass eine Fachdisziplin vom Grundtenor her bestimmend für sowohl Bachelor als auch Masterausbildung ist. Der Masterteil gewinnt mithin den Charakter eines Aufbaustudiums.
  3. M. A. (Master of Arts - mit Klammerzusatz LIS [für Library and Information Science])
    Das sollte ein praxisorientierter (!) Studiengang der Bibliotheks- und Informationswissenschaft sein, der auf einem B. A.-Abschluss oder einem beliebigen anderen Hochschulabschluss beliebiger anderer Fachrichtungen aufsetzt.
    Dies ist also bewusst kein konsekutiver Studiengang. Der Masterteil gewinnt mithin den Charakter eines Zusatzstudiums.

Mit solch einem Konzept wird klar, dass nur ein Teil der Module (geschätzt vielleicht 30%) für die Master/Magister-Studiengänge identisch bei 2. und 3. und somit zur Erringung von Synergieeffekten sein könnten.

Wo ist nun der höhere Dienst geblieben? Dieser spiegelt sich total in der oben genannten Variante 3 wider. Ein fachrichtungsmäßig beliebiges Studium wurde in dem grundständigen Erststudium realisiert und der bibliothekswissenschaftliche/informations-wissenschaftliche Teil zusätzlich studiert. Derzeitig bezieht sich die Referendarausbildung allerdings weitestgehend mehr auf "bibliotheksorientierte"' Sachverhalte. Auch die/der "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" wird z. Z. in dieser Art am IB ausgebildet.1 Zwar wird mit der Verleihung des akademischen Grades "Wissenschaftliche Bibliothekarin"/"Wissenschaftlicher Bibliothekar" auch gleichzeitig die englischsprachige Übersetzung mit übergeben (PG-MLS für Postgraduated Master of Library Science), aber auch damit wird ja auf Library Science orientiert.

Für die Auskleidung des unter 3. genannten Studienganges besteht der größte derzeitige Handlungsbedarf in einer Überarbeitung.

Die inhaltlichen Schwerpunkte könnten wie folgt sein:

  1. Ziele und Aufgaben des Bibliotheks- und Informationswesens
  2. Bibliotheken als Infrastruktureinrichtungen für Wissenschaft und Gesellschaft; Entwicklung des modernen Bibliothekswesens; Wissenschaftsorganisation
  3. Management von BID-Einrichtungen
  4. Informationstechnik als (bibliothekarisches) Organisationsmittel
  5. Theorie und Methodik der Informationswissenschaft
  6. Bestandsaufbau; Deakquisition
  7. Bestandserschließung
  8. Bestandsvermittlung
  9. Informationsproduktion und -vermittlung
  10. Informationswirtschaft/Informationsmarkt
  11. Kommunikationswissenschaft/Kommunikationsstrategien
  12. Bibliothekstechnik
  13. historische Grundlagen des Bibliotheks- und Informationswesens
  14. fremdsprachige Fachterminologie
  15. Multimediale Technologien.

Somit wäre dann dieser Studiengang sowohl auf die konventionellen bibliothekarischen Belange orientiert, aber auch auf die Notwendigkeit der Einbindung modernster Informations- und Kommunikationstechniken zur Informationsermittlung und Informationsverarbeitung gerichtet. Die bisherige Referendarausbildung würde ganz bewusst die modernen Informationstechniken als Ausbildungsgegenstand mit integrieren, und der nicht verbeamtet eingerichtete Studiengang würde auch in der formalen Bezeichnung des Abschlusses ("M.A. [LIS]") dem Anspruch der Ausbildungsinhalte gerecht werden. Solange in Deutschland in einigen Bundesländern noch einige Referendare benötigt werden, könnte die Ausbildung wie aufgezeigt stattfinden. Für die Abnahme der Abschlussprüfungen an der Universität wären die berufenen Lehrkräfte ohnehin befugt und für die Abnahme einer Staatsprüfung können sie durch ministerielle Berufung ermächtigt werden. Rein inhaltlich wäre die Ausbildung nahezu identisch (z. B. "Beamtenrecht" als Lehrgegenstand könnte bei den "freien" Studenten entfallen).

Prinzipiell ist eine Laufbahnprüfung im Bereich des Bundesministeriums des Innern für die Einstellung in den höheren Bibliotheksdienst bereits heute nicht mehr grundsätzlich erforderlich, da mit der Sechsten Verordnung zur Änderung der Bundeslaufbahnverordnung vom 15.4.1999, Bundesgesetzblatt, I, 1999, S. 706-710 eingerichtet wurde, dass eine Einstellung für den höheren Bibliotheksdienst auch ohne Laufbahnprüfung erfolgen kann.

Das an der HU angebotene Fernstudium entspricht dem, nach dieser Veränderung der Laufbahnordnung geforderten, Zusatzstudium auf dem Gebiet des Bibliothekswesens.

Der zeitliche Aufwand für eine solche Ausbildung wäre noch abzuschätzen. Hierzu kann auf die Erfahrungen mit dem postgradualen Studiengang Bibliothekswissenschaft am IB zurückgegriffen werden. Dieser Studiengang wird bekanntlich in Fernstudienform durchgeführt und dauert zwei Jahre. Um hinreichend die oben geforderten Anteile zu berücksichtigen, müsste er, die Konsultationsstundenanzahl betreffend, etwas ausgedehnt werden. Gleichzeitig müssten neue Medien (z. B. Kompaktvorlesungen auf Video und CBT) genutzt werden, um den Konsultationen stärker den Charakter von wechselseitigen Konsultationen zu lassen und nicht "Vorlesungsstoffvermittlung" durchzuführen.

Ganz analog könnte aber auch der Referendarausbildungsgang über zwei Jahre erfolgen. Bisher dauert er mit einem Jahr Theorie und einem Jahr Praxis ebenfalls zwei Jahre. Gestritten wird über die Einbindung des Theoriejahres. In Entwürfen wird bisher folgende Aufteilung vorgesehen: 1/2 Jahr Theorie -> 1 Jahr Praxis -> 1/2 Jahr Theorie. Eine Tendenz zum Verschachteln von Theorie- und Praxisanteilen ist unverkennbar. Hier sollte man besser total konsequent auf die gleiche Abfolge wie im postgradualen Fernstudium orientieren. Also je Monat 2 bis 3 Konsultationstage. Dann sollte der Arbeitgeber noch mehrere Selbststudientage gestatten. Die restliche Zeit wäre mit praktischer Tätigkeit in der Bibliothek anzufüllen. Dieses Verfahren hätte den großen Vorteil, dass Theorie und Praxis wirklich ständig verzahnt sind, dass eine Fernstudienform realisiert wird und dass genügend Zeit für Selbststudienanteile gesichert ist.

Wenn so verfahren wird, dann ist damit das bildungspolitisch viel geforderte "duale System der Ausbildung" absolut realisiert. Gerade dieses duale System ist nicht nur eine derzeitige Tendenz, sondern es ist sowohl bildungsökonomisch als auch bildungsstrategisch die günstigste Ausbildungsart. Ganz praktisch verfahren ja bereits jetzt schon die offiziell als Direktstudenten an der Universität eingeschriebenen Studenten nach diesem Prinzip. Der Vorteil obigen Verfahrens wäre aber, dass die Praxisanteile ganz gezielt mit den Ausbildungsinhalten verknüpft sind und die Studierenden nicht ggfs. völlig artfremde praktische Tätigkeit (allein zur Deckung ihres Lebensunterhaltes) durchführen. Bereits jetzt wird geschätzt, dass über 50% der Direktstudenten irgendwie während des Studiums "jobben".

Der gute Nebeneffekt des dualen Studiums der Bibliothekswissenschaft wäre auch noch, dass die Ausbildungsbibliotheken enger mit der Universität verknüpft werden. Somit könnten wechselseitig positive Einflüsse stattfinden. Die Praxis würde ganz direkt auf Ausbildungsinhalte Einfluss nehmen können und die an der Universität theoretisch gewonnene Erkenntnis könnte effizient in der Praxis erprobt werden. Theorie-Forschungsgebiete könnten schneller ausgemacht werden und gleichzeitig könnte die Praktikabilität theoretisch erworbenen Wissens erprobt werden. Dem dualen System der Ausbildung gehört mit Sicherheit die Zukunft, und der Bereich Bibliothekswissenschaft wäre absolut zur Erprobung prädestiniert, da er ja eigentlich schon langjährige Erfahrung in dieser Richtung hat.

 

4. Verbleibende Probleme

Das vorgestellte System der Ausbildung auf dem Gebiet der Bibliothekswissenschaft gestattet eine zweistufige Ausbildung.

Zunächst wird der erste berufsqualifizierende Hochschulabschluss (B. A.) erreicht. Der weitaus größte Teil der Absolventen geht danach in die Praxis. Die Forderung nach kurzen Ausbildungszeiten ist erfüllt. Dieses Studium sollte für die Studierenden kostenfrei bleiben. Relativ wenig Studierende werden irgendwann ein Masterstudium aufnehmen. Dieses zweite Studium würde dann kostenpflichtig sein. Zur Finanzierung sollten vielfältigste Formen genutzt werden. Bei dem unter 3. präferierten System der dualen Ausbildung könnte eine Finanzierung den Studierenden selbst zugemutet werden; sie sind ja ständig "on the job". Diese Art der Ausbildung könnte sowohl im "theorieorientierten" als auch im "praxisorientierten" Masterstudiengang durchgeführt werden. Dazu müsste der "theorieorientierte" konsekutive Studiengang ebenfalls dual veranlagt sein. Studienorganisatorisch ließe sich das auf den Erfahrungen mit dem Magisterfernstudium Bibliothekswissenschaft aufbauend realisieren. Da bei dem theorieorientierten Masterstudium nur ein Fach studiert wird, könnte bei dualer Ausbildung der Student gleichzeitig für seinen Lebensunterhalt in einem Job tätig sein, wenn das ganze Studium analog einer Fernstudienform angelegt ist.

Bei dem praxisorientierten Studiengang ist oftmals bereits während des Studiums eine Tätigkeit in der jeweiligen Ausbildungseinrichtung (also in einer BID-Einrichtung) realisiert. Diese jeweilige Praxiseinrichtung könnte ggf. die Kosten der Ausbildung ganz oder zumindest teilweise übernehmen. Für den Fall einer vorgesehenen Referendarprüfung besteht die Kostenfrage nicht; hierbei befindet sich der Auszubildende ja bereits in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Maßgabe der Teilnahme an den Studienteilen.

 

5. Schlussfolgerungen

Insgesamt gesehen wird man mit dem dargestellten Ausbildungskonzept mehreren Aspekten gerecht:

Es kommt nun darauf an, dass diese Vorstellungen möglichst breit in der Fachöffentlichkeit diskutiert werden und dass dann eine zügige Umsetzung in der Ausbildungspraxis stattfindet.

Für Hinweise ist der Autor dieses Beitrages sehr dankbar.

 

1 Vgl. Jänsch, Wolfgang: Postgradualer Studiengang der Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin nun im Routinebetrieb. Bibliotheksdienst 34 (2000) 4, S. 547-554.


Stand: 31.05.2000
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