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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 98

Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin - zwei Bibliotheken werden eins


Claudia Lux

Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ist ein Ergebnis der Wiedervereinigung Deutschlands. Sie entstand im Oktober 1995 aus der 1901 gegründeten Berliner Stadtbibliothek in Berlin-Mitte und der nach der Teilung Berlins 1954 im Westteil eröffneten Amerika-Gedenkbibliothek.

Zwei Bibliotheken mit ähnlichen Zielen in ihren jeweiligen Anfangsjahren: einer Orientierung am amerikanischen Modell der Public Library. Im Gegensatz zur AGB gaben die politischen Entwicklungen der Stadtbibliothek nie die Chance, diese Vorstellungen zu realisieren. So hatten beide Bibliotheken kurz vor der Vereinigung unterschiedliche Ausprägungen: eine Magazinbibliothek mit Lesesaal und eine Freihandbibliothek.

Einen Tag nach dem 9. November 1989, dem Tag der Maueröffnung, war die zuvor vielbesuchte Berliner Stadtbibliothek wie leergefegt und die Amerika-Gedenkbibliothek überfüllt.

Diese Situation zwischen beiden Bibliotheken änderte sich seitdem zwar ein wenig, aber nicht grundsätzlich. Zwei ungleiche Schwestern versuchten sich daher mit verschiedenen Konzepten der Vereinigung, nachdem sie zur Stiftung Zentral- und Landesbibliothek fusionierten.

Öffentliche und zugleich wissenschaftliche Bibliothek

Die Stiftungsgründung schreibt die Aufgabe vor, aus den vereinigten Bibliotheken eine öffentliche wissenschaftliche Bibliothek für Berlin zu bilden. Als Zentralbibliothek soll die ZLB die Funktion der großen Öffentlichen Bibliothek Berlins wahrnehmen und gleichzeitig als Berliner Landesbibliothek die regionale Versorgung mit allgemein wissenschaftlicher Literatur für breite Bevölkerungskreise abdecken. Dienstleistungen für die Öffentlichen Bibliotheken der selbständigen bezirklichen Bibliothekssysteme, die Sammlung des Pflichtexemplars für Berlin sowie regionalkundliche und regionalbibliographische Aufgaben gehören ebenfalls dazu.

Für die Literaturversorgung in Berlin entspricht dies den Aufgaben der Stufe drei innerhalb der vierstufigen Literaturversorgung und umfaßt die Öffentliche Großstadtbibliothek ebenso wie die Landesbibliothek als wissenschaftliche Universalbibliothek.

Damit sind Aufgaben der großen Öffentlichen Bibliothek und der wissenschaftlichen Bibliothek gleichzeitig wahrzunehmen. Es bietet die Chance, daß dem Nutzer gleichzeitig verschiedene Bestandstiefen präsentiert werden könnten, aus denen er wählen kann. Dies erfordert allerdings eine entsprechende Konzeption für beide Häuser.

Ein Konzept der Fächerkonzentration

Die komplexe Aufgabenstellung für die Stiftung ZLB und die Notwendigkeit, eine Vereinigung des Personals von Ost und West für die gemeinsame Zielstellung zu erreichen, benötigt Zeit für Überlegungen und Erprobungsschritte, für Diskussionen und Korrekturen. Das Jahr 1997 wurde für den Beginn dieser Prozesse in der ZLB genutzt.

Seit Frühjahr 1997 steht die Richtung fest: Um eins zu werden, schließen beide Teile ihre Bestände zusammen und teilen die Fächer auf die beiden Häuser auf. Ziel dieser Maßnahme ist es, den beiden Häusern der ZLB ein bestimmtes Kernprofil zu geben, wobei das Angebot im Umfeld und die Synergieeffekte zwischen den Fächern grundsätzlich beachtet werden. Besondere Bedingungen durch die Unterschiede der Häuser sind einzubeziehen. Für einige Mitarbeiterinnen bedeutet dies, mit ihrem Fach ins andere Haus zu ziehen.

Solange ein gemeinsamer Neubau nicht realisierbar ist, wird mit dieser neuen Konzeption eine einheitliche Bibliothek entwickelt.

Ergebnis einer sinnvollen Fusion soll auch sein, kurzfristig einen gewissen Ausgleich in der Benutzung beider Bibliotheken zu erringen. Da Freihandbereiche attraktiv sind und gerne und häufig genutzt werden, wird ein großer Freihandbereich im Haus Berliner Stadtbibliothek geschaffen. Der Lesesaal, der gegenwärtig nur sehr selten voll besetzt ist, wird für dieses Konzept genutzt. Damit kann in beiden Häusern ein nahezu gleich großer Freihandbereich angeboten werden.

Mittelfristig soll im Haus Berliner Stadtbibliothek ein etwas kleinerer Lesesaal an anderer Stelle eingerichtet werden, um diesen Bedarf auch zukünftig zu befriedigen. Dies ist wichtig, da die neue Rolle als Landesbibliothek mit Aufbewahrungspflicht wahrzunehmen ist. In diesem Zusammenhang werden Drucke bis 1955, die sich häufig durch schlechte Papierqualität auszeichnen und besonderer Bestandserhaltung bedürfen, zukünftig den historischen Sondersammlungen zugeordnet und nur für die Präsenzbenutzung zur Verfügung gestellt.

Je ein Haus für Kulturwissenschaften und Naturwissenschaften

Die Reorganisation der Medienbestände der ZLB weist dem Haus Amerika-Gedenkbibliothek die Kulturwissenschaften und dem Haus Berliner Stadtbibliothek die Naturwissenschaften mit Recht und Wirtschaft als Kernprofil zu.

Das Haus Amerika-Gedenkbibliothek behält die inzwischen multimediale Kinder- und Jugendbibliothek bei den Kulturwissenschaften, während im Haus Berliner Stadtbibliothek die traditionsreiche Historische Sondersammlung und die aus Ost und West im Zentrum für Berlin-Studien zusammengeführten Berlin-Bestände verbleiben.

Ziel der Reorganisation ist die folgende Angebotspräsentation mit den bezeichneten Kernfächern, die bis Ende 1998 in dem jeweiligen Teil der ZLB realisiert werden soll.

Haus Amerika-GedenkbibliothekHaus Berliner Stadtbibliothek
Kulturwissenschaftliches ProfilNaturwissenschaftliches Profil
LiteraturMathematik (+)
Sprachen, Reise, General InterestInformatik, Multimedia (+)
Geschichte, MilitärwissenschaftenTechnik (+)
Soziologie, PolitikNaturwissenschaften (+)
Pädagogik, PsychologieMedizin
Religion, PhilosophieSport (+)
Publizistik, Kommunikationswiss.Landund Forstwirtschaft (+)
Musikbibliothek (+)Business-Bibliothek mit Wirtschaft (+) und Recht
Kunst, Theater
Videos (Spielfilm u. zu Kulturwiss.)Videos (zu Technik u. Naturwiss.) (+)
Artothek (+)Zentrum für Berlin-Studien
Haus Amerika-GedenkbibliothekHaus Berliner Stadtbibliothek
Kinderund JugendbibliothekHistorische Sondersammlungen
Allgemeine InformationAllgemeine Information
PressePresse

Die mit (+) bezeichneten Bereiche sind neu in der Freihandpräsentation im jeweils anderen Haus. Das Haus Amerika-Gedenkbibliothek präsentiert die Musikbibliothek und die Artothek als größere neue Bereiche. Das Haus Berliner Stadtbibliothek bietet als Freihandbestand mehrere naturwissenschaftliche und technische Fächer und eine Business-Bibliothek.

Die bisherigen Sonderbereiche Ärztebibliothek und Rechtsbibliothek (ehemalige Ratsbibliothek) werden ebenfalls in Freihandbereiche verlagert und garantieren dadurch bessere Öffnungszeiten und besseren Zugang, ohne daß sie ihre speziellen Serviceleistungen damit einschränken müssen.

Die Allgemeine Information ist häuserübergreifend organisiert, ebenso wie Erwerbung, Katalogisierung und Benutzung. Durch das Berliner Pflichtexemplarrecht erhält die ZLB spezielle naturwissenschaftliche und medizinische Produktionen Berliner Verlage und kann damit eine neue Qualität des Bestandes anbieten.

Die ZLB im bibliothekarischen Umfeld

Hinter der angedachten Neukonzeption stehen auch bestimmte äußere Bedingungen sowie die Zuordnung und Tradition bestimmter Fächer.

In Berlin-Mitte wird die Bibliothek der Humboldt-Universität mit dem Umzug der naturwissenschaftlichen Fächer in den südöstlichen Teil Berlins nach Adlershof 1998 beginnen. Die Neuorganisation der ZLB bietet in Mitte einen Ersatz für die Nutzer durch Konzentration von naturwissenschaftlichen und technischen Fächern im Haus Berliner Stadtbibliothek.

Die im Umfeld Berlin-Mitte ebenfalls konzentrierten Behörden und Verbände sollen im Zuge der Hauptstadtentwicklung den besonderen Service der Business-Bibliothek mit den Fächern Recht und Wirtschaft nutzen können. Die seit Jahrzehnten aktiv agierende Ärztebibliothek behält ihr Klientel des medizinischen Fachpersonals durch besondere Dienstleistungen und erweitert ihre Auswahl auf das allgemeine Gesundheitsinteresse. Durch ihre Einbindung in den neuen Freihandbereich im Haus Berliner Stadtbibliothek wird das räumliche und zeitliche Angebot verbessert.

Der Bereich Artothek wird aus sachlichen Erwägungen dem jetzigen Bereich Fine Arts im Haus Amerika-Gedenkbibliothek zugeordnet, der auch Kunst enthält. Die Musikbibliotheken beider Häuser werden vereinigt und zunächst in einem Bereich der Halle, später vielleicht auf einer gesonderten Etage im Haus Amerika-Gedenkbibliothek untergebracht. Die neue Plazierung verspricht einen höheren Umsatz der Musik-Medien. Die zentrale Lage mit mehreren direkten U-Bahn-Linien in Kreuzberg ermöglicht die leichte Erreichbarkeit dieser wichtigen, offen zugänglichen Musikbibliothek für ganz Berlin.

Dennoch ist der Wegzug aus Mitte für die dort aktiven Nutzer der Musikbibliothek zunächst schmerzlich, wenn auch die kurzen U-Bahn-Verbindungen zum Haus Amerika-Gedenkbibliothek dies ausgleichen können. Andererseits ist die Musikbibliothek der Staatsbibliothek zu Berlin im Haus Unter den Linden zusammengezogen, die - zwar mit anderem Charakter - dennoch zumindest für Musikwissenschaftler einen gewissen Ersatz bietet.

Andererseits ist die Herausnahme der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Medizin, Recht und Wirtschaft aus dem Haus Amerika-Gedenkbibliothek ein tiefer Einschnitt in die Benutzungsgewohnheiten des Umfelds der Bibliothek. Die ZLB erhofft sich aber dadurch eine Veränderung der einseitigen Belastung im Haus AGB, in das täglich zwischen 5.000 und 8.000 Besucher kommen, die das Haus eigentlich nicht mehr aufnehmen kann.

Vorbereitungen werden gegenwärtig abgeschlossen

Die Vorbereitungen für eine solche Vereinigung von Fachbeständen erfordern eine gemeinsame Systematik und Signaturenvergabe, gemeinsame Kataloge und gemeinsame Geschäftsgänge. Viele Detailentscheidungen dazu wurden im Jahr 1997 getroffen und weitere werden 1998 laufend erarbeitet.

Auf Grundlage der AGB-Systematik wird durch eine Überarbeitung eine gemeinsame ZLB-Systematik bis Sommer des Jahres für alle Bereiche fertiggestellt sein.

Die Umarbeitung aller Bestände ist dabei nicht möglich und auch nicht vorgesehen, da der Zeitaufwand, wie zur Zeit im Zentrum für Berlin-Studien erkennbar, zu hoch ist. Wichtiger ist die straffe Organisation der Retrokonversion der Kataloge und Erfassung der Bestände für die elektronische Ausleihe.

Der Beginn der Reorganisation ist für das erste Halbjahr 1998 angesetzt mit dem Ziel, in diesem Jahr mindestens die geplanten Freihandbereiche zu realisieren und einen Teil der fachlichen Bestände und die zuständigen Mitarbeiterinnen aus beiden Häusern den jeweiligen Hausprofilen zuzuordnen.

Natürlich können nicht alle 2,2 Millionen Medien der ZLB Freihand aufgestellt werden, daher sollen in den jeweiligen Magazinbereichen ebenfalls die häuserspezifischen Fächer vertreten sein. Dies sichert auch eine schnelle Versorgung der Nutzer. Die Raumkapazitäten im Haus Amerika-Gedenkbibliothek werden nicht vollständig ausreichen. Daher dient hier das Haus Berliner Stadtbibliothek als Außenmagazin, aus dem der Nutzer innerhalb von 24 Stunden kurzfristig diejenigen Medien geliefert bekommen soll, die den wenigen Fächern des kulturwissenschaftlichen Bereiches angehören, die ihren Gesamtbestand nicht im Haus AGB unterbringen können.

Für den Nutzer bedeutet diese Neukonzeption in der ZLB, daß er die Universalbibliothek nicht mehr allein an einem Ort findet, sondern sie auf zwei Häuser verteilt erlebt. Dies ist ein Nachteil. Dafür erhält er aber durch die Synergieeffekte des Bestandes aus beiden Bereichen ein breiteres und tieferes Angebot in den Wissensgebieten, die ihn interessieren, und er kann sich leichter im Bestand der Häuser orientieren.

Die öffentliche Bekanntgabe der Reorganisation der Medienbestände der ZLB für die Nutzer beginnt jetzt. Die Gesamtmaßnahme wird voraussichtlich ein Jahr in Anspruch nehmen.

Der Veränderungsprozeß in den Häusern hat begonnen.

Da eine Bibliothek in zwei Häusern kein Idealzustand für eine Bibliothek ist, muß natürlich langfristig nach einer weitergehenden Perspektive gesucht werden. Dazu gibt es inzwischen eine gute Idee: die Zentral- und Landesbibliothek mit einem Neubau auf dem Schloßplatz in Berlin-Mitte.


Stand: 10.03.98
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