Cornelia Rickert/Christian Herrmann
Hinweis: Die hier aufgeführten Abbildungen können aus technischen Gründen nicht abgebildet werden.
Im Frühjahr 1997 wurde im Rahmen des praktischen Teils der Referendarausbildung an der Universitätsbibliothek Tübingen eine Umfrage mit Hilfe eines detaillierten Fragebogens und der Bitte um aussagekräftige Beispiele durchgeführt. Befragt wurden 95 größere wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland.
Die Wahl fiel auf größere wissenschaftliche Bibliotheken (d.h. Universitäts-, Landes- und Staatsbibliotheken), weil hier in der Regel eine besser ausgestattete finanzielle und personelle Basis für die Öffentlichkeitsarbeit vorhanden ist. Gegenstand der Untersuchung ist die graphische Gestalt, weil hierin das Konkretum, Konzentrat und die Konstante der individuellen Öffentlichkeitsarbeit einer Bibliothek am prägnantesten zum Ausdruck gebracht wird.
I. Motivation
Das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsarbeit - auch eines Dienstleistungsbetriebes - scheint zu wachsen. Obwohl die Bibliothek die "Ware" Information nicht unter kommerziellen Gesichtspunkten anbietet, hat sie auf einen gesteigerten Informationsbedarf zu reagieren. Angesichts eines immer unüberschaubar werdenden Informationsangebotes, kommt der Bibliothek gleichsam eine Lotsen- und Orientierungsfunktion zu. Das Signet dient dazu, sich als den adäquaten und erfolgsversprechendsten Vermittler dieser notwendigen Funktion darzustellen. In dem nach Inhalten, Qualität und Form plural strukturierten Medienmarkt gilt es, ein eigenständiges Profil der Bibliothek herauszuarbeiten. Dies scheint um so mehr notwendig zu sein, als ein gewisser Trend zur Aufnahme privatwirtschaftlicher Werbeträger in den bibliothekarischen Bereich zu beobachten ist.
Im Hinblick auf die ungünstige Entwicklung finanzieller Zuweisungen und haushaltspolitischer Spielräume trägt das Signet dazu bei, die Bedeutung des Tuns einer Bibliothek vor Augen zu führen und darüber Rechenschaft vor dem Staat und vor dem Benutzer abzulegen.
Ein Bemühen um die graphische Gestaltung bibliothekarischer Öffentlichkeitsarbeit nimmt in den 1990er Jahren zu1). Dies ist zum einen auf die gesteigerten technischen Möglichkeiten der Gestaltung zurückzuführen. Zum anderen soll möglicherweise dem Zug der Zeit Rechnung getragen werden, der dem äußeren Erscheinungsbild verstärkt Bedeutung zumißt. Nur selten (18,9%) erfolgt eine bloße Namensnennung der Bibliothek ohne jede graphische Gestaltung. Zumeist (68,9%) wird ein eigener Etat für die Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt2).
Als Indizien für die Wichtigkeit der Thematik sind zu werten einerseits die hohe Rücklaufquote (70,3%) bei diesem Umfrageprojekt. Andererseits kommt das Streben nach Perfektion, mit der die gewünschte Aussage in visueller Form transparent gemacht werden soll, in dem häufigen Heranziehen professioneller Graphiker (41,9%) zum Ausdruck3).
II. Umsetzung
Als Kriterium für die Beurteilung der Umsetzung der genannten Intentionen läßt sich formulieren: kommt zum Ausdruck, daß es sich erstens um eine Bibliothek überhaupt und zweitens um eben diese Bibliothek in ihrer unverwechselbaren und individuellen Identität handelt? Das Problem früherer Darstellungen der Thematik4) besteht darin, daß zu wenig auf den Zielpunkt der Spezifizität abgehoben wird. Es ist keineswegs so, daß nur drei Hauptformen (Gebäudeabbildung, Symbole für Buch und Bücher, Initialen der Bibliotheken) von Selbstdarstellungssymbolen vorkommen. So werden andere graphische Zeichen ohne Bezug zum Buch verwendet; ferner kann z.B. der Farbgebung eine Aussagekraft zukommen.
Zur Klassifizierung der Beispiele bietet sich das Modell konzentrischer Kreise bzw. enger werdender Schnittmengen an.
1. Kreis: Selbstdefinition über das gesamtuniversitäre Signet
Diese Selbstdarstellungsvariante ist nur unter Hinzufügung einer Namensnennung der Bibliothek und insofern als Ganzes von Signet und Schriftzug eindeutig. Es wird nicht ein über die Funktion, Appendix oder Segment der Universität zu sein, hinausgehendes Selbstverständnis expliziert. Man kann zugestehen, daß durch dieses Verfahren die Reibungslosigkeit und Funktionstüchtigkeit der Beziehung von Zentralbibliothek und Universität betont wird. Dabei wird nicht genügend bewußt gemacht, daß Universitätsarbeit nicht ohne das Reservoir an Medieneinheiten stattfinden könnte, das in der Zentralbibliothek aufbewahrt und bereitgestellt wird. Die nichtuniversitären Benutzer bleiben unberücksichtigt. Man versucht möglicherweise erst gar nicht, in der Spannung zwischen Instituts- und Zentralbibliotheken bzw. Lehrstühlen und Fachreferenten, die juristischen und finanziellen Gewichte zugunsten der Zentralbibliothek zu verlagern - und dies durch ein entsprechendes Äußeres zumindest als Anspruch hervorzuheben. Es wird nicht in graphischer Gestalt vor Augen geführt, worin die Funktion für die Universität besteht, d.h. man erwartet ein Insiderwissen, das mit der verbalen Chiffre "Universitätsbibliothek" etwas anfangen kann.
Gleichwohl können auch in dieser abgeleiteten Weise bestimmte Aussagen über die Bibliothek gemacht werden. So sind z.B. die Bestände der Universitätsbibliothek Koblenz-Landau (Abb. 1) auf die an zwei Standorten befindlichen jeweils vier Fakultäten ausgerichtet. Ähnliches ließe sich von den Geistes- und Naturwissenschaften in ihrem Miteinander sagen (UB Bochum) (Abb. 2).
2. Kreis: Erkennbarkeit der Funktion "Bibliothek" durch eine eigenständige graphische Chiffre
b) In stärkerem Maße wird in einer rein typographischen Gestaltung der Charakter als Bibliothek im Unterschied zu anderen mit Büchern beschäftigten Instanzen manifest. Als bekanntestes Beispiel hierfür ist das Signet der LuHB Darmstadt (Abb. 4) zu nennen. Die aus Buchstaben zusammengesetzte Chiffre "B'thk" läßt sogleich an die Vokabel und Funktion "Bibliothek" denken. Damit korrespondiert, daß in der ausführlichen Namensnennung der Bestandteil "Bibliothek" optisch hervorgehoben ist. Man kann zu Recht die Thematik der Informationsvermittlung mitschwingen sehen7). Aber die Einsicht, daß es sich gerade um diese Bibliothek handelt, entsteht erst durch die Einbeziehung des erläuternden Schriftzugs8).
3. Kreis: Herausarbeitung der Invidualität einer Bibliothek
b) Andere Bibliotheken versuchen, ihr Spezifikum durch die Wiedergabe einmaliger Dienstleistungsakzente darzustellen. So verbirgt sich hinter dem von der UB Konstanz ins Bild gesetzten Koala-Bären (Abb. 6) ein vom Verbalen ins visuelle übertragenes Kürzel für das "KOnstanzer AusLeih-und Anfragesystem". Das Problem dieser Zeichen besteht in ihrer Überholbarkeit. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung können modernere Methoden ältere ersetzen und somit das Signet obsolet machen10).
c) Häufig erfolgt die Selbstdarstellung durch Verwendung der Silhouette des Hauptgebäudes (Abb. 7). Der Vorteil liegt in der Einmaligkeit und damit Unterschiedenheit sowohl dieses Gebäudes als auch des Signets.
Nicht beachtet wird dabei, daß oft noch andere Institutionen in demselben Gebäude untergebracht sind. Zudem setzt die Wiedererkennbarkeit von Bibliothek und Signet Ortskenntnisse voraus.
d) Das Höchstmaß an Spezifizität wird erreicht, wo man mehrere der genannten Elemente kombiniert und so gleichsam eine Schnittmenge mehrerer Kreise bildet.
Die Deutsche Bibliothek bringt durch drei verschiedenfarbige (rot, blau, grün), parallel angeordnete Striche nicht nur den Buchbezug, sondern auch die nur für sie geltende Simultaneität dreier Standorte zum Ausdruck (Abb. 8).
Die SUB Göttingen bezieht sich auf das Land (stilisiertes Niedersachsenroß, rot), das Buch und das Nebeneinander ihrer Aufgaben als Staats- und Universitätsbibliothek (Initialen) (Abb. 9). Die UB Mannheim füllt ihre Initialen mit den für das Stadtbild kennzeichnenden Planquadraten aus (Abb. 10).
Die LB Schwerin kombiniert die Initialen des Bundeslandes (Mecklenburg-Vorpommern), den Buchbezug und die Kathedralenform für die Stadt allgemein und den Bibliotheksstandort im besonderen (Abb. 11).
Die Bibliothek der TU München vereinigt in ihrem Signet die Kürzel für TUB, München (M), Buchbezug und Chipform für den technoiden Charakter (Abb. 12).
In allen diesen Fällen ist ein induktiver Erkenntnisweg möglich, der ohne Einbeziehung des ausführlichen Schriftzuges schrittweise aus dem Signet allein erschließen kann, worum es sich bei der dabei symbolisierten Institution handelt. Durch die intellektuelle Eigenleistung bei der Entschlüsselung des Signets könnte der Memorierbarkeitsgrad gesteigert werden. Andererseits dürfte die hohe inhaltliche Komplexität dieser Signetgruppe der werbestrategisch intendierten Spontaneität der Rezeption entgegenwirken.
Die überwiegende Anzahl der Befragten (58,1%) verbindet mit der äußeren Gestaltung der Erkennungssymbole eine bestimmte inhaltliche, programmatische Aussage. Durch die Wiedererkennbarkeit des Signets soll die Bibliothek mitsamt ihrer Benutzerschaft gleichsam wie durch ein Banner, ein Feldzeichen, eine Regimentsfahne zu einer "corporate identity" zusammengeschmiedet werden. Die von vielen Befragten (45,9%) als Ziel veranschlagte "corporate identity" wird ergänzt und zugleich begründet durch das Streben nach Modernität (20,3%), eigenständigem Profil (18,9%), Ausdruck der Traditionsverbundenheit (17,6%) sowie von Dienstleistungsakzenten (10,8%).
Wenn man fragt, wie dieses Ziel am ehesten erreicht werden kann, lassen sich verschiedene Vermutungen anstellen. Das entscheidende Kriterium dürfte die räumliche und zeitliche Konsequenz und Durchgängigkeit der Anwendung der entsprechenden Symbolik sein. So gaben zwar 67,6% der Befragten an, das Signet auf dem Briefkopf zu verwenden; 64,9% gilt für die Infoblätter, 56,8% für Publikation und 55,4% für die Homepage. Dem stehen magere Werte von jeweils 17,6% für Umschlag und Stempel sowie 37,8% für den Benutzerausweis gegenüber. Als besonders wirkungsvoll dürfte sich das offensive Hinaustragen des Signets über das Areal der Bibliothek und des Benutzerkreises hinaus in die Öffentlichkeit erweisen. So verwendet z.B. die UB Münster ihr Signet auf Visitenkarten, Tragetaschen, Regenschirmen und Fahnen oder die UB/TIB Hannover auf Disketten, Mousepads und dem Bibliotheksauto. Als ungünstig dürfte sich herausstellen, mehrere Zeichen nicht gemeinsam, sondern nach Anlaß und Ort getrennt zu verwenden11). Ähnliches läßt sich über die Verwendung eines eigenständigen Signets lediglich zu temporären Anlässen sagen (6,8%).
Darüber hinaus wird sich die Art und Weise der Gestaltung auf die Bindekraft eines Signets auswirken. Je stärker die Eigenständigkeit der Bibliothek betont werden kann, was nicht zuletzt in der Spezifizität des Signets zum Ausdruck kommt, desto größer wird die Identifikationsmöglichkeit mit der Institution sein. Es ist zu erwägen, ob nicht in die Gestaltung des Signets die Mitarbeiter in einer weitergehenden als nur akklamatorischen Form einbezogen werden sollten. Auch hier gilt, daß die aktive Mitwirkung am Zustandekommen des Signets die Akzeptanz und Vertrautheit mit diesem fördert.
Im Bereich privatwirtschaftlicher Werbung hebt man auf die Wirkung visueller Eindrücke ab. Von daher liegt die Vermutung nahe, daß eine nonverbale Gestaltung der graphischen Selbstdarstellungsmittel eingängiger sein dürfte. Hierbei wird über den Intellekt hinaus der Bereich sensualer Wahrnehmung angesprochen. Um die ausgeführten Tendenzen verifizieren zu können, wäre eine statistische Untersuchung der Benutzerreaktion erforderlich. Dies ist jedoch nur in 1,4% der Fälle so geschehen.
Für die anstehenden Neukonzeptionierungen der graphischen Selbstdarstellunssymbole wäre ein Ausgleich zwischen den Zielen der Exklusivität der Zuordnung und der Eingängigkeit des Signets anzustreben.
1) So gaben z.B. die BSB München, ULB Saarbrücken, UB Dortmund, LB Coburg an, ein neues Signet entwerfen zu wollen. Die FLB Gotha hat innerhalb von fünf Jahren zweimal das Signet gewechselt. Die SB Bamberg und die ULB Jena verfügen über das Signet erst seit wenigen Jahren. Eine Novellierung des Signets erfolgte in der UB Heidelberg, UB Tübingen, UB München und LB Potsdam.
2) Daneben wurde als weitere Finanzierungsform für Öffentlichkeitsarbeit genannt: Zuschüsse von privater Seite (z.B. Stiftungen): 17,6%; andere Finanzierungen: 14,9% (z.B. Sachmitteletat; Zuschüsse bei besonderen Ausstellungen; Förderverein der Bibliothek; Einnahmen aus Kopierstelle).
3) In 24,3% der Fälle wurde das Signet durch eigenes Bibliothekspersonal erstellt. 12,2% der Bibliotheken verwenden ein überliefertes Symbol. 8,1% der Bibliotheken haben das Signet auf andere Art und Weise angefertigt.
4) Häußer, Jörg-Dieter (u.a.), Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlicher Bibliotheken: Erfahrungen und Empfehlungen aus dem Darmstädter Modellversuch. Berlin 1982. S. 100-103 und S. 116-129; Buchreport 11 (1980). Heft 6 (8. Febr.), S. 23.
5) Als ein Sonderfall kann die UB Passau angesehen werden, die das von den öffentlichen Bibliotheken gebrauchte Buchsymbol übernommen hat.
6) Häußer, Öffentlichkeitsarbeit, S. 101
7) Häußer, Öffentlichkeitsarbeit, S. 103
8) So erscheint es als ein Widerspruch, wenn einerseits gesagt wird, dieses Signet sei "unverwechselbar, weil es unter den bekannten Bibliothekssignets nichts Vergleichbares gibt" (Häußer, Öffentlichkeitsarbeit, S. 103), andererseits eingeräumt wird: "es wird ja auch nie ohne die offizielle Erläuterung auftreten" (ebd. S. 127). Auch der Vorschlag, das Darmstädter Signet könne Modellcharakter haben (ebd. S. 103: "Das Signet kann auch von anderen Bibliotheken verwendet werden"), unterläuft das Streben nach exklusiver Selbstdarstellung.
9) Die LBZ SH Flensburg verwendet das in den Landesfarben gehaltene ÖB-Symbol.
10) Ein Beispiel für Dienstleistungsakzente im Signet bietet auch die UB/TIB Hannover (Bestellschein mit abgeknickter Ecke der Direktlieferdienste).
11) Die persönliche Frage, ob man auswendig und spontan das Signet des VDB wiedergeben könne, beantworteten nur 35,1% der Befragten positiv. Dieses aufschlußreiche Ergebnis dürfte auf die bisher noch uneinheitliche Verwendung des Logos zurückzuführen sein. Nach neuesten Informationen soll das neue Signet künftig in sonst seltener Konsequenz angewandt werden.