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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 97

Beschaffungsmanagement in deutschen Bibliotheken

Margot Wiesner*

1. Der Markt

1.1 Die Produzenten

Um Mechanismen für eine erfolgreiche Erwerbungspolitik zu entwickeln, ist es unumgänglich, sich profunde Kenntnisse über den Markt und dessen Gesetzmäßigkeiten anzueignen. Ergebnisorientierte Geschäftsverhandlungen setzen voraus, die Arbeitsweise des Partners zu kennen, aber auch die Zwänge, in die er eingebunden ist. Der Markt, das ist vor allem das Zusammenspiel dreier Hauptakteure: der Produzenten, der Händler und der Kunden.

Um welche Größenordnungen geht es, wenn wir den Literaturmarkt reduzieren auf die für wissenschaftliche Bibliotheken relevante Produktion? Der LISU-Index für die amerikanische Buchproduktion, der auf der Blackwell-Datenbank basiert, bezieht 1996 28.000 Titel für 1,2 Millionen US-Dollar ein. Der korrespondierende Index für die britische Produktion enthält für 1996 12.600 Titel im Wert von £ 473.000,-. Der Harrassowitz-Preisindex für die deutsche wissenschaftliche Buchproduktion umfaßt im Jahre 1995 20.540 Titel für rund 1,8 Millionen DM.

Würde eine Bibliothek alle für den akademischen Bedarf infragekommenden monographischen Neuerscheinungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Österreichs und der Schweiz erwerben wollen, müßte sie alleine für diesen geographischen Ausschnitt rund fünf Millionen DM ausgeben.

Die Produktionszahlen steigen stetig, bei Monographien und Zeitschriften, bei gedruckten und Nichtbuchmaterialien. Die Schere zwischen dem Angebot und den finanziellen Möglichkeiten der Bibliotheken öffnet sich immer weiter. Fazit:

  1. Wir brauchen ausgefeiltere Selektionskriterien, die durch Kaufprofile gestützt werden, um aus der wachsenden Fülle an Neuerscheinungen immer weniger, aber das Richtige auszuwählen.
  2. Wir müssen noch mehr als bisher auf Preise und Kosten achten, um die zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich zu nutzen.
Welche Faktoren bestimmen den Preis? Bei der Buchproduktion sind es die Herstellungskosten, Autorenhonorare, Gemeinkosten und die Auflagenhöhe. Entscheidend für die Kalkulation sind jedoch häufig Zuschüsse, beispielsweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder ähnlichen Einrichtungen. Es gibt Verlage, die ihre Produktion im Vorankündigungsdienst der Deutschen Nationalbibliographie grundsätzlich ohne Preisangaben anzeigen, weil sie zum Zeitpunkt des Eintrags noch nicht sicher sind, ob die beantragten Zuschüsse bewilligt werden oder nicht. Das Ausbleiben von Fördermitteln kann den Buchpreis spürbar in die Höhe treiben oder das Erscheinen ganz verhindern.

Häufig haben Bücher nicht nur einen Preis, sondern mehrere. Das geographische Preissplitting ist immer noch üblich. Es bedeutet, daß ein Inlandspreis und ein Exportpreis festgelegt werden, die erheblich voneinander abweichen können. Gravierend sind auch die Unterschiede zwischen der gebundenen und der Paperbackausgabe. Für den Differenzbetrag könnte ein Bibliotheksbuchbinder broschierte Ausgaben oft zweimal binden.

Basis für Preisvergleiche und die Beobachtung der Preisentwicklung kann nur der Originallistenpreis sein - aber welcher, wenn es Parallelausgaben und mehrere Preise für den gleichen Titel gibt? Bei einer Recherche in Global Books in Print oder ähnlichen Quellen läßt sich leicht feststellen, ob die amerikanische oder die englische Parallelausgabe preiswerter ist und ob Paperbackausgaben angeboten werden. Zu welchem Endpreis die Titel schließlich erworben werden können, hängt jedoch vom Bezugsweg ab.

Es läßt sich eine Tendenz beobachten, daß der durchschnittliche Umfang der Bücher geringer wird. Dies mag einer der Gründe dafür sein, daß die Preise für die wissenschaftliche Buchproduktion in den letzten Jahren nur moderat gestiegen sind. Das gilt nicht für die Zeitschriften, die in Deutschland 1996 um 7,5 % teurer waren als im Vorjahr, in USA, Großbritannien und den Niederlanden um etwa 10 %. Am gravierendsten war der Preisanstieg in der Medizin und in den Naturwissenschaften.

Die Kalkulation von Zeitschriftenpreisen hängt zu einem großen Teil von Anzeigeneinnahmen ab. Im Gegensatz zu Büchern spielen Autorenhonorare auf der Ausgabenseite kaum eine Rolle. Bei den Abonnementpreisen ist auch in Deutschland ein starker Trend zu erkennen, den Nutzungsaspekt in den Vordergrund zu stellen. Daraus ergibt sich die in USA seit langem übliche Atomisierung der Preise nach

Eines der Ziele dieses Preisbildungssystems ist es, private Nutzer durch niedrige Abonnementspreise zum Kauf zu motivieren. Die Bibliotheken werden in der Regel mit der höchsten Preisstufe bestraft, weil sie auftragsgemäß die Möglichkeit der Vielfachnutzung bieten, besonders durch Kopieren.

Es waren in erster Linie die deutschen Wissenschaftsverleger mit einer englischsprachigen naturwissenschaftlichen Produktion, die diese Methode übernahmen, um gegenüber der internationalen Konkurrenz bestehen zu können.

Ein wichtiges Hilfsmittel zur Preisbewertung ist die Anzahl der Seiten (nicht der Hefte) pro Jahrgang. Natürlich reichen formale Kriterien allein nicht aus, um den Wert einer Zeitschrift für die Forschung zu messen. Es ist jedoch dringend notwendig, das Preis/Leistungsverhältnis bei Zeitschriften kritischer unter die Lupe zu nehmen und nicht mehr jeden Preis zu akzeptieren.

Erfreulicherweise haben einige Bibliotheken Zeitschriften des englischen MCB-Verlages trotz ihrer inhaltlichen Qualität abbestellt, weil die Preise weder durch Produktionskosten noch durch die Marktsituation zu rechtfertigen sind.

Online-Zeitschriften werden in den nächsten Jahren einen höheren Komfort für die Benutzung bringen, aber keine Entlastung für die Finanzen der Bibliotheken. Die Kalkulation der Zeitschriftenverleger geht überwiegend von der gedruckten Ausgabe aus. Für den Zugriff auf die elektronische Version müssen zwischen 15 % und 30 % als Aufpreis bezahlt werden. Ich kenne keine Bibliothek, die dafür zusätzliche Mittel erhält. Also wird es wieder Abbestellungen geben.

Bei CD-ROMs sind es nicht die Herstellungskosten, die entscheidend ins Gewicht fallen, sondern Kosten für die Generierung und Indexierung der Datenbank und die Entwicklung der Retrievalsoftware. Um Urheberrechtsansprüche abzugelten, müssen Lizenzgebühren an Datenbankhersteller und Softwareentwickler entrichtet werden. Diese Kosten fließen in den Preis ein.

Die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M. registrierte kürzlich bei Dissertation Abstracts on Disc einen Preisanstieg von rund 50 %, der von University Microfilms International nicht mit gestiegenen Produktionskosten, sondern nur mit dem Wert der Datenbank begründet wurde. Eine Umfrage unter den anderen deutschen Abonnenten ergab, daß nur in einem Fall eine Abbestellung in Erwägung gezogen wurde.

Der Markt wird durch die Nachfrage bestimmt. Wenn wir diese Nachfragemacht nicht nutzen, haben wir kein Recht, über Preise zu klagen. Die einzige Waffe, die uns zur Verfügung steht, ist Kaufverzicht.

1.2 Die Lieferanten

Ich beklagte mich unlängst bei der früheren Mitarbeiterin eines großen Library Suppliers über die mangelnde kaufmännische Qualifikation von Erwerbungsbibliothekaren. Sie meinte darauf, sie fände die Bibliothekare richtig nett. Es seien Leute, die nicht genügend Ellenbogen hätten, um sich in der freien Wirtschaft zu behaupten. Genau dies müssen wir aber tun, so professionell wie möglich.

Unsere direkten Partner sind die Händler. Die Wahl des Bezugsweges bestimmt über die Kosten, die wir für die Produkte zu zahlen haben. Der Endpreis ist in vielen Fällen nicht mit dem vom Produzenten festgelegten Verkaufspreis identisch.

Bei den Lieferanten ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen dem traditionellen Buchhandel mit Ladengeschäft und Lager und spezialisierten Bibliothekslieferanten, die Versandbuchhändler sind. Es ist immer noch üblich, die inländische Produktion beim Händler am Ort zu kaufen, aber es besteht dafür keine Notwendigkeit. Der klassische Buchhändler steht in Konkurrenz zum Library Supplier. Er kann diesen Wettbewerb auf Dauer nur bestehen, wenn er die gleiche oder eine bessere Leistung genau so kostengünstig erbringt. Da für den Ladenbetrieb eine völlig andere Logistik und Personalqualifikation benötigt werden als für den Rechnungsverkauf, müssen die verschiedenen Betriebszweige getrennt werden, um effizient und leistungsorientiert zu arbeiten. Es ist eine unternehmerische Entscheidung, diesen Weg zu gehen und er lohnt sich nur, wenn der Umsatz es rechtfertigt.

Zu den Library Suppliern gehören eine Handvoll bekannter Namen, aber auch etliche kleinere Firmen, die sich recht gut auf dem Markt behaupten, und Spezialisten, die Literatur aus buchhändlerisch wenig erschlossenen Regionen besorgen.

Abhängig vom Firmensitz, der Leistungsfähigkeit des Händlers und dem Umsatzvolumen entstehen vor allem beim Bezug ausländischer Literatur unterschiedliche Kosten. Die Kostenfaktoren sind mehr oder weniger beeinflußbar:

  1. Inlandspreis:
    In den Genuß des Inlandspreises kommt eine Bibliothek vor allem, wenn sie direkt bei einem Händler im Herstellungsland einkauft. Bei der angloamerikanischen Produktion gilt als Leitlinie, daß die Bücher im allgemeinen in USA preiswerter sind. Das trifft nicht immer zu. Es empfiehlt sich daher, einen Lieferanten zu wählen, der sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Großbritannien einen Firmensitz hat und ihn mit der Steuerung der Bestellungen (Order Splitting) zu beauftragen. Da beim Zeitschriftenbezug der Direktversand vom Verlag zum Endabnehmer üblich ist, sind die höheren Exportpreise nur vermeidbar, wenn die Hefte an eine Agentur im Versendungsland adressiert und Verzugszeiten in Kauf genommen werden.

  2. Rabatte:
    Rabatte werden von manchen Bibliothekaren wie Trophäen gesammelt. Dabei muß sehr genau geprüft werden, von welchem Grundpreis der Rabatt abgezogen wird. Wir sollten die Discountschraube sehr vorsichtig drehen. Das Unterbieten im Preisbereich verschärft den Verdrängungswettbewerb und verschlechtert das Dienstleistungsniveau. Marktmacht besitzen bedeutet auch, Verantwortung für einen gesunden Markt zu haben, zu unserem Vorteil.

  3. Aufschläge:
    Aufschläge sind bei Produkten, die außerhalb des Buchhandels oder in Kleinverlagen erschienen sind, zu tolerieren, wenn der Händlerrabatt weniger als 25 % beträgt. Einige Lieferanten pflegen eine Mischkalkulation und liefern auch die graue Literatur zum Originalpreis. Diese Rechnung geht für den Händler nur auf, wenn auch das Auftragspaket gemischt ist und die minderrabattierte Literatur nicht überwiegt.

  4. Kalkulierte Preise:
    Bei der Besorgung von Literatur aus Ländern mit einer hohen Inflationsrate oder wenn der durchschnittliche Buchpreis in keinem Verhältnis zu den Kosten steht, muß ein kalkulierter Endpreis auf Dollar- oder DM-Basis akzeptiert werden. Die Art der Kalkulation sollte vom Lieferanten erklärt werden.

  5. Versandkosten:
    Ab einer bestimmten Umsatzhöhe ist die kostenlose Lieferung (aus USA per Luftfracht) inzwischen zum Standard geworden.

  6. Zoll:
    Alle Staaten, die das Protokoll von 1976 zum Nairobi-Abkommen unterzeichnet haben, erheben auf die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters keinen Zoll. In der EU wurde diese Regelung mit der Zollbefreiungsverordnung von 1983 bekräftigt.

  7. Umsatzsteuern:
    Alle Waren sind beim Überschreiten der nationalen Grenzen von der Umsatzsteuer des Ausfuhrlandes entlastet und müssen mit der inländischen Umsatzsteuer belastet werden (steuerlicher Grenzausgleich). Bei Direktbezug aus dem Ausland muß darauf geachtet werden, daß der ausländische Steuerbetrag tatsächlich herausgerechnet wurde. Beim Bezug über einen Händler im Inland ist es diesem freigestellt, ob er die Umsatzsteuer auf den Preis aufschlägt oder ob er sie als enthalten erklärt und damit auf einen Teil seines Händlerrabatts verzichtet.

  8. Bankgebühren:
    Die Kosten für die Überweisung gehen in der Regel zu Lasten der Bibliotheken. Die Höhe der Gebühren hängt von dem beauftragten Bankinstitut ab, auf dessen Wahl die Bibliothek im allgemeinen keinen Einfluß hat. Überweisungen an ausländische Lieferanten sind besonders teuer, auch wenn sie DM-Konten in Deutschland unterhalten. Je stärker die Bestellungen gestreut werden, um so mehr fallen die Bankgebühren ins Gewicht.

  9. Umrechnungskurse:
    Wenn ausländische Produkte in der Zahlungswährung berechnet werden, ist der Umrechnungskurs zu beachten. Manche Lieferanten kalkulieren einen Risikozuschlag ein, weil zwischen dem Bezahlen der Verlagsrechnung und dem Zahlungseingang durch die Bibliothek Kursschwankungen eintreten können. Bei relativer Kursstabilität empfiehlt es sich, den Tageskurs zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung zugrunde zu legen.

  10. Kosten der Lieferanten:
    Im Buchhandel wird nur im Erfolgsfall, also für die Lieferung bezahlt, im Gegensatz zu anderen Branchen. Vor einigen Monaten bestellte ich den Kundendienst, weil die automatische Uhr in meinem Elektroherd nicht mehr funktionierte. Der Handwerker klemmte das Kabel ab und verlangte DM 160,-. Wenn ein Buchhändler für eine Bibliothek einen Titel aus Haiti bestellt und nach wiederholtem Mahnen als nicht lieferbar meldet, hat er erhebliche Kosten gehabt, die er aber laut Handelsbrauch nicht weiterberechnen darf. Wir wollen zu unseren Gunsten hoffen, daß es so bleibt.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Gebühren, die die Agenturen für die Besorgung der Zeitschriften berechnen. Anders als bei den amerikanischen Kollegen ist das regelmäßige Einholen von Angeboten in deutschen Bibliotheken nicht üblich. Die Kollegen scheuen den Arbeitsaufwand. Regelmäßige Leistungskontrollen wirken sich jedoch positiv auf die Geschäftskultur aus.

Das Verfahren ist tatsächlich mit einiger Mühe verbunden, weil eine saubere Ausgangsbasis gefunden werden muß, um die Angebote vergleichen zu können. Einige der wichtigsten Grundlagen sind:

Wenn Bibliothekare von Kosten reden, beziehen sie die Kosten für die interne Verwaltung gewöhnlich nicht mit ein. Diese Denkweise ändert sich trotz Globalisierung der Haushalte nur langsam. Ein Händler, der zwar hohe Rabatte gewährt, aber dessen Lieferungen und Rechnungen zeitaufwendige Korrekturen und Recherchen verursachen, ist ein teurer Lieferant. Die Dienstleistungen der Händler sind als Kostenfaktor einzubeziehen. Sie können kostensenkend wirken, auch wenn sie eventuell bezahlt werden müssen. Die Serviceangebote der Bibliothekslieferanten decken ein umfassendes Spektrum ab:

1.3 Die Kunden

Nach der Untersuchung der Angebotsseite soll die finanzielle Situation der Bibliotheken kurz beleuchtet werden. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt etwa 3.000 wissenschaftliche Bibliotheken. Deren jährliche Ausgaben belaufen sich auf mindestens 650 Millionen DM. Etwa die Hälfte dieser Mittel wird für ausländische Literatur verwandt.

Die regelmäßig von Rolf Griebel und Ulrike Tscharntke durchgeführte Analyse zur Etatsituation der wissenschaftlichen Bibliotheken bezieht nur die 83 großen Institutionen ein, die allerdings die Hälfte der Gesamtausgaben bestreiten. Nach der letzten Untersuchung lag das Etatvolumen der erfaßten Bibliotheken in den alten Ländern 1995 um 1,6 % unter dem des Vorjahres. Fast die Hälfte der Universitätsbibliotheken verfügte 1995 über weniger Etatmittel als 1994. 50 % bis 60 % des Etats sind für Zeitschriftenabonnements gebunden, obwohl seit 1991 kaum eine wissenschaftliche Bibliothek von Abbestellaktionen verschont blieb. Die Diskrepanz zwischen den Rahmendaten auf dem Literaturmarkt und der Etatentwicklung führt zu einem fortschreitenden Kaufkraftschwund.

Besonders prekär ist die Situation im Bereich der Lehrbuchsammlung. Von 37 untersuchten Bibliotheken in den alten Ländern gaben 1995 nur acht mehr als die vom Wissenschaftsrat empfohlenen DM 20,- jährlich pro Student aus. In 20 Bibliotheken lagen die Ausgaben unter DM 10,-.

Bei stagnierenden Etats und steigenden Kosten kommt der Etatverteilung als Steuerungsinstrument für den Bestandsaufbau besondere Bedeutung zu. In den einschichtigen Bibliothekssystemen muß dafür ein Konsens zwischen den zuständigen universitären Gremien erreicht werden. Laut einer Untersuchung im Jahre 1994 existieren in 60 % der einschichtigen Bibliothekssysteme Kontingentierungsmodelle, die für die Ermittlung des Bedarfs in einzelnen Fächern bestimmte Parameter zugrunde legen. Die restlichen Bibliotheken verteilen die Mittel nach tradierten Quotierungsgewohnheiten, die sich an den Ist-Ausgaben des Vorjahres orientieren.

In den zweischichtigen Bibliothekssystemen gibt es nach der erwähnten Umfrage fast keine Kontingentierungsmodelle, die auf nachvollziehbaren Verteilungskriterien beruhen. Gewöhnlich werden als Vergleichsgröße die Ausgaben anderer Bibliotheken nach den Angaben in der Deutschen Bibliotheksstatistik herangezogen.

Als Grundlage für ein Verteilungsmodell kann der in Bibliotheken '93veröffentlichte "Finanzbedarf der Bibliothekssysteme der Universitäten" dienen, der jedoch örtlichen Gegebenheiten angepaßt werden muß. Ausleihauswertungen werden bislang kaum als Verteilungskriterium herangezogen.

Insgesamt sind die Etatsteuerungsmechanismen in den deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken nicht sehr stark entwickelt.

Parallel zu der seit fünf Jahren anhaltenden Etatkrise wurden die ersten Globalhaushalte eingeführt. In schlechten Zeiten sind wir geneigt, hier eine Bedrohung für die Erwerbungsetats zu wittern. Objektiv betrachtet tut sich die Chance auf, sich haushaltsrechtlicher Zwänge zu entledigen. Allerdings werden hohe Anforderungen an das Verhandlungsgeschick und das Durchsetzungsvermögen der Bibliotheksleiter gestellt.

2. Die Erwerbung als Teil eines Dienstleistungsbetriebs

Erwerbungsarbeit muß zielgerichtet sein. Das bedeutet, zu den günstigsten Kosten den Anforderungen verschiedener Benutzergruppen inhaltlich und in angemessener Frist zu genügen. Es liegt in der Verantwortung der Bibliothekare, die zur Verfügung stehenden Mittel so anzulegen, daß eine optimale Erfüllung ihres Auftrags gewährleistet ist.

Den Herausforderungen durch die neuen Medien, der Marktentwicklung und der Haushaltskrise kann nicht mit tradierten Organisationsstrukturen begegnet werden. Erwerbungsbibliothekare müssen jetzt mehrere Schritte gleichzeitig tun:

In der vor uns liegenden Zeit wird von Erwerbungsmitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität und Engagement verlangt und kluges Management von den Führungskräften. Die Triebfeder sollte eine von allen Beteiligten getragene Zieldefinition sein.

Da zunehmend Kosten-Nutzen-Überlegungen in der Bibliotheksverwaltung Einzug halten, liegt es nahe, Vergleiche zur Beschaffungsmethodik in Wirtschaftsunternehmen zu ziehen. Klaus Bichler weist in seinem Buch "Beschaffungs- und Lagerwirtschaft" darauf hin, daß die Beschaffung eine unternehmerische Grundfunktion darstellt, die bei richtigem Einsatz wesentlich den Unternehmenserfolg mitbestimmt. Aus dem Einkauf wird in modernen Betrieben Beschaffungsmanagement, für das Bichler folgende Aufgabenschwerpunkte zusammenstellt:

Dies sind auch die zentralen Aufgaben eines modernen Erwerbungsbetriebs, die bisher allerdings weder durch konventionelle Organisationsformen noch durch automatisierte Erwerbungssysteme gestützt werden.

Die Erwerbungsmodule integrierter Bibliothekssysteme sind im allgemeinen Subsysteme des Katalogisierungsmoduls. Kaufmännische, haushaltstechnische und Management-Funktionen, sowie Aspekte des internationalen Handelsverkehrs sind nur schwach entwickelt. Schnittstellen zur Einbandverwaltung, zu den Kassen und zum Buchhandel fehlen.

Ob eine Zeitschrift als Print- oder Onlineversion oder ob sie gar nicht mehr abonniert wird, muß künftig in Abstimmung zwischen Fachreferat, Erwerbung und Benutzung entschieden werden. Die dafür benötigten Daten über Preisentwicklungen, Besorgungskosten oder Ausleihfrequenzen muß das EDV-System liefern.

Zielgerichtet zu arbeiten heißt auch, die Kosten des Verwaltungsaufwands realistisch einzuschätzen und gegebenenfalls als Dienstleistung einzukaufen. Hier eine personalpolitisch und finanziell richtige Entscheidung zu treffen, erfordert neue Arbeitsformen mit einem erheblichen Maß an innerbetrieblicher Kommunikation und professioneller Zusammenarbeit mit den Geschäftspartnern. Die dafür notwendigen Managementdaten sind aus den existierenden Systemen nur unzureichend zu ermitteln.

Modernes Erwerbungsmanagement muß alle möglichen Organisationsformen berücksichtigen: Outsourcing, Bestellkatalogisierung und elektronischen Geschäftsverkehr mit dem Buchhandel. Die optimale, kostengünstigste Lösung wird für jede Bibliothek etwas anders aussehen und sie wird sich erheblich von der Erwerbungsarbeit der letzten Jahrzehnte unterscheiden.

Erwerbungsbibliothekare müssen in Zukunft Beschaffungsmanager sein, die sich in Marktgesetzen auskennen und Verhandlungs- und Managementtechniken beherrschen. Auch die sogenannte virtuelle Bibliothek benötigt im Hintergrund Verwaltungsfachleute mit Sachkenntnis und organisatorischem Geschick.

Wir brauchen für die Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben neue, bessere Systeme und neue, kreativere Bibliothekare.

Quellenangaben

Approval Program Coverage and Cost Study. 1995/96. - Blackwell, NA - 1996. - 65 S.

Bichler, Klaus: Beschaffungs- und Lagerwirtschaft. 6., überarb. Aufl. - Wiesbaden : Gabler 1992. - 252 S. (Moderne Wirtschaftsbücher) ISBN 3-409-30766-4

Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände: Bibliotheken '93. Strukturen - Aufgaben - Positionen. - Berlin : Deutsches Bibliotheksinstitut, 1994. -VI,182 S. ISBN 3-87068-445-3

Checkliste für die Auswahl von Lieferanten ausländischer Monographien. 2., überarb. Ausg. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1992. - 25 S. (Arbeitshilfen) ISBN 3-87068-418-6

Checkliste für die Wahl und Bewertung von Zeitschriftenlieferanten. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1994. - 98 S. (Arbeitshilfen) ISBN 3-87068-466-6

Griebel, Rolf, Andreas J. Werner u. Sigrid Hornei: Bestandsaufbau und Erwerbungspolitik in universitären Bibliothekssystemen. - Berlin : Deutsches Bibliotheksinstitut 1994. - 135 S. (dbi-materialien; 134) ISBN 3-87068-934-X

Griebel, Rolf u. Ulrike Tscharntke: Etatsituation der wissenschaftlichen Bibliotheken in den alten und neuen Bundesländern 1996. In: ZfBB, 43(1996)6, S. 525-577.

Griebel, Rolf u. Margot Wiesner: Harrassowitz-Preisindex. Zeitschriften. In: Bibliotheksdienst, 30(1996)12, S. 2043-2051.

Sumsion, John: Average Prices of British Academic Books. July to December 1996. - Loughborough: University, Library and Information Statistics Unit 1997. - 17 S. (LISU British Academic Book Prices Report; 20) ISBN 0-948848-91-X; ISBN 0261-0302

Sumsion, John: Average Prices of USA Academic Books. July to December 1996. Loughborough: University, Library and Information Statistics Unit 1997. - 17 S. (LISU USA Academic Book Prices Report; 20) ISBN 0-94888848-92-8; ISSN 0951-8875

Wiesner, Margot: Bibliotheken - ungeliebte Kunden? - In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 161(1994)48, S. 31-36

Wiesner, Margot u. Rolf Griebel: Harrassowitz-Preisindex für die wissenschaftliche Buchproduktion. - In: Bibliotheksdienst, 31(1997)1, S. 71-78

Wiesner, Margot: Merkpunkte zum Einholen von Zeitschriftenangeboten. - In: Bibliotheksdienst, 30(1996)2, S. 255-257.

* Referat auf dem Internationalen Bibliothekssymposium am 22. März 1997 in Leipzig


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