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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 97

Die Lieferbereitschaft von Dokumentlieferanten im Fokus


Martin Karlowitsch

1. Ausgangssituation und Ziel der Untersuchung

Das Angebot der elektronischen Bestellung bei kostenpflichtigen Dokumentlieferanten 1) tritt - forciert durch den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien - verstärkt neben die konventionelle Fernleihe,2) die lange Zeit den einzigen Weg der Beschaffung von in Bibliotheken lokal nicht verfügbarer Literatur darstellte. Bevor die Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung derartiger Wege der Literaturbeschaffung in den bibliothekarischen Alltag diskutiert werden können,3) ist es sinnvoll, sich ein Bild über die Lieferbereitschaft der neuen Anbieter zu machen, um zu prüfen, ob diese halten, was sie versprechen.4) Hierbei soll insbesondere die passive Fernleihe fokussiert werden, da die über diesen Weg ausgedrückten Literaturwünsche eventuell auch über elektronische Bestellvorgänge befriedigt werden könnten.

Der skizzierten Fragestellung liegt die These zugrunde, daß sich - dem Postulat der Wirtschaftlichkeit5) folgend - rein kommerzielle Anbieter darauf beschränken werden, "Standardtitel" vorzuhalten, die ein hinreichend großes Nachfragepotential vorweisen. Gängigen bibliothekarischen Erfahrungen folgend, daß ein hoher Prozentsatz der Fernleihbestellungen als Literaturwünsche auf Spezial- bzw. Sondergebieten zu charakterisieren ist, wäre somit die Lieferbereitschaft der rein kommerziellen Dokumentlieferanten mit elektronischen Bestellmöglichkeiten und somit auch deren Einsatzmöglichkeit zur Fernleihunterstützung eingeschränkt. Außerdem muß skeptisch vermutet werden, daß bei der elektronischen Bestellung innerhalb von Bibliothekskooperationen in Deutschland seltener nachgewiesene Titel auch in Form der neuen Angebote nur schwer zu beschaffen sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß viele Dokumentlieferanten mit elektronischer Bestellmöglichkeit ihr Angebot auf Zeitschriftenartikel beschränken und daß gleichzeitig aber z. B. in der ULB Düsseldorf der Monographienanteil an der passiven Fernleihe in der Vergangenheit bei ca. 45 % per annum lag.

Weiterhin gilt es zu beachten, daß die Vielzahl der Dokumentlieferanten mit elektronischer Bestellung geprägt ist von stark differenzierten Recherche- und Bestellvorgängen,6) die vom Besteller jeweils erlernt und beherrscht werden müssen. Je mehr neuartige Vorgänge in bestehende Abläufe integriert werden, desto stärker werden die Umstellungsprobleme sein, wodurch die Effizienz des neuen Angebotes beeinträchtigt wird. Somit ist eine Auswahl und Beschränkung der eventuell permanent in den bibliothekarischen Alltag einzubindenden Dokumentlieferanten sinnvoll. Das erste Auswahlkriterium sollte idealerweise die Lieferbereitschaft bilden, da ein Einsatz eines nur wenige Literaturwünsche erfüllenden Anbieters die Inkaufnahme großer Umstellungsprobleme nicht rechtfertigt.7)

Beide dargelegten Argumente - zum einen die These der eingeschränkten Lieferfähigkeit und zum anderen die Suche nach einem Auswahlkriterium - legen eine Analyse der potentiellen Lieferbereitschaft der verschiedenen Dokumentlieferanten mit dem Angebot der elektronischen Bestellung nahe. Faßt man die bisherigen Ausführungen zusammen, so lassen sich drei Fragen formulieren, auf die mit einer derartigen Analyse Antworten gefunden werden sollten:

2. Der Rahmen der Analyse: Das Projekt COMBI

Die hier vorzustellende Untersuchung ist Teil des Projekts COMBI (Controlling und Marketing für wissenschaftliche Bibliotheken) in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.8) Dieses seit dem 1.9.1995 laufende, zweijährige Projekt des Deutschen Bibliotheksinstitutes wird vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gefördert und in Kooperation mit der Bibliothek der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fachbereich Buch und Museum durchgeführt. Ziel ist die Konzeption und Implementierung einer praxiswirksamen Marketingstrategie für Hochschulbibliotheken, um deren besondere Dienstleistungsangebote in dem sich wandelnden Informationsmarkt eindeutig zu positionieren und zu etablieren. Hier ist es eine besondere Herausforderung, die bibliothekarischen Dienstleistungen auf die aktuellen Anforderungen von Lehre, Forschung und Studium abzustimmen. Diesen Prozeß wird COMBI mit Hilfe von Controlling-Instrumenten begleiten und soll unter Einbeziehung der Erkenntnisse des Non-Profit-Marketing eine Konzeption für die Gestaltung des zukünftigen Bibliotheksmanagements zum Ergebnis haben. Der Einsatz der Methoden und Instrumente des Controlling ist dabei notwendig, um die in der Strategiefindung formulierten Handlungsalternativen auf ihre Vorteilhaftigkeit hin zu untersuchen.

Die bisherigen Aktivitäten im Projekt COMBI waren vornehmlich geprägt von einer für eine Marketingstrategieentwicklung notwendigen Situationsanalyse. In einer umfangreichen und in einigen Punkten methodisch neuartigen Befragung der Benutzer der ULB Düsseldorf konnten 1.365 Fragebögen verteilt werden, von denen 1.112 ausgefüllt zurückgegeben wurden. Dabei wurde die Literaturverfügbarkeit in der ULB Düsseldorf als ein Unzufriedenheit verursachender Problempunkt identifiziert.9) So monierten 44 % der Befragten, ihre Literatur fast immer oder jedenfalls oft nicht zum gewünschten Zeitpunkt erhalten zu haben. Dieses Problem spiegelt sich auch in der Bewertung von insgesamt 22 Leistungsmerkmalen der ULB Düsseldorf wider: Die Literaturverfügbarkeit erzielte die fünfthöchste Unzufriedenheitsrate. Dies ist um so bedeutender, als daß zwei Angebote einen noch schlechteren Wert erzielten, die nur schwer zu ändern sind (Gruppenarbeitsräume) bzw. deren Änderung nicht im unmittelbaren Einflußbereich der ULB Düsseldorf liegt (Kopierangebot). Gleichzeitig erhielt innerhalb einer großen Gruppe eventuell neu einzuführender bibliothekarischer Leistungen die schnelle, unkonventionelle Beschaffung von in der ULB Düsseldorf nicht verfügbarer Literatur gegen Gebühr die zweithöchste Priorität. Damit wurde ein Fokus der Projektarbeit von COMBI auf die Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg gelegt, deren Einsatz das Problem der Nichtverfügbarkeit eventuell beheben kann.

Die sich anschließenden Analysen thematisierten sowohl die Leistungserstellungs- als auch die Leistungsverwendungsseite. Bei letzterer wurde mit der Anwendung eines im deutschen bibliothekarischen Raum bis dato noch nicht eingesetzten Instruments der Marktforschung - der Conjoint-Analyse10) - die Preisbereitschaft der Nutzer für Dokumentlieferungen über einen elektronischen Bestellweg erforscht. Auf der Leistungserstellungsseite wurde dahingegen in einem ersten Schritt die potentielle Lieferfähigkeit dieser Dokumentlieferanten ermittelt, die im folgenden genauer vorgestellt wird.

3. Vorstellung des Untersuchungsdesigns
3.1. Auswahl der Dokumentlieferanten

Die bereits angedeutete Differenzierung in Monographien- und Zeitschriftenbestellungen schlägt sich in der Wahl der zu analysierenden Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg nieder: Auf Grund eines Mangels an Alternativen wurden Literaturwünsche in Form von Monographien im Verbundkatalogmodul (VK95) von DBI-Link11) recherchiert. Von Monographietiteln, bei denen England als eindeutiges Erscheinungsland identifiziert werden konnte, wurde angenommen, daß sie beim British Library Document Supply Centre (BLDSC) über das DBI-Link-Modul VK95 zu bestellen seien. In diesem Falle wurde demnach eine theoretische Lieferbereitschaft angenommen, ohne allerdings zu vernachlässigen, daß eine tatsächliche Bestellung in einem solchen Falle immer eine ungewisse "Blindbestellung" ist. Erfahrungen im - an anderer Stelle zu erörternden - Service Center der ULB Düsseldorf12) rechtfertigen dieses Vorgehen.

Als Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg im Falle von Zeitschriftenaufsätzen wurden die DBI-Link-Module BSER13), KNAW14) und ZDB1, das nordrhein-westfälische Zeitschriftenschnellbestellsystem JASON sowie der amerikanische Anbieter UnCover gewählt. Ausschlaggebend für diese Wahl war primär die Möglichkeit der kostenlosen Recherche15) in den von diesen Anbietern vorgehaltenen Datenbanken, da eine derartige Serviceleistung von der ULB Düsseldorf zunächst als Voraussetzung gesehen wird, um das Angebot von Online-Lieferanten kurzfristig im Rahmen der Projektarbeit von COMBI gezielt an die Nutzer weiterzugeben. Auf eine detailliertere Unterscheidung der verschiedenen Teilnehmer an den deutschen DBI-Link-Modulen (VK95 und ZDB1) wurde verzichtet, da nicht die spezielle Lieferbereitschaft einzelner Bibliotheken ermittelt werden sollte. Vielmehr war Ziel der Untersuchung - wie oben dargelegt - die Gewinnung von Aussagen über die generelle Lieferbereitschaft von Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg.

3.2 Ablauf der Analyse

Um bei den zu untersuchenden Literaturwünschen eine hohe Affinität zu der gewöhnlichen Literaturnachfrage im Rahmen der passiven Fernleihe zu erzielen, wurde täglich eine zufällige Stichprobe aus allen Fernleihscheinen gezogen. Diese Stichprobe wurde unter Berücksichtigung der Literaturart jeweils in allen oben vorgestellten Online-Datenbanken recherchiert.

Unter Düsseldorfer Rahmenbedingungen können bereits bei einer Stichprobe von 384 Fernleihscheinen Aussagen hinsichtlich der Lieferbereitschaft für alle Fernleihen eines Jahres mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % getroffen werden. Die gezogene Stichprobe wurde in allen geeigneten Datenbanken recherchiert, da vergleichende Aussagen über die Lieferbereitschaft einzelner Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg gewonnen werden sollten. Dieses Ziel hätte nicht erreicht werden können, wenn jeder Literaturwunsch in jeweils nur einer Datenbank auf Verfügbarkeit geprüft worden wäre. Außerdem hätte ein solches Verfahren das Problem nach sich gezogen, daß ex-ante nicht objektiv zu begründen gewesen wäre, in welcher Datenbank welche Bestellung zu recherchieren sei.

Um dem Anfall der Fernleihbestellungen im Verlauf eines Jahres Rechnung zu tragen sowie Verzerrungen auf Grund temporär auftretender Massenbestellungen in dem speziellen Forschungsbereich eines bzw. weniger Bibliotheksnutzer zu nivellieren und eine hinreichend große Vielfalt von Literaturwünschen in die Analyse integrieren zu können, wurde täglich nur jeder zehnte Fernleihschein auf einen Bestandsnachweis bei den ausgewählten Dokumentlieferanten recherchiert. Durch dieses Vorgehen erstreckte sich die Analyse über etwas mehr als zwei Monate vom 5.8.1996 bis zum 9.10.1996.

4. Darstellung der Untersuchungsergebnisse

In diesem Zeitraum wurden insgesamt 1.853 Zeitschriften- und 1.991 Monographiebestellungen als Fernleihen abgegeben, so daß der Anteil der Monographien entgegen dem der Vergangenheit entsprechenden Wert von ca. 45 % bei rund 52 % lag. Diese Verteilung der Literaturwünsche auf Monographien und Zeitschriften läßt gemäß den einleitenden Überlegungen eine eingeschränkte potentielle Lieferbereitschaft der untersuchten Dokumentlieferanten mit elektronischer Bestellmöglichkeit erwarten.

4.1. Generelle potentielle Lieferbereitschaft

Von den insgesamt 384 in allen Online-Datenbanken recherchierten Fernleihbestellungen konnte in 294 aller Fälle ein Nachweis in mindestens einer Datenbank gefunden werden. Somit wäre bei einer konsequenten Abwicklung dieser Fernleihen über die jeweiligen Dokumentlieferanten nur in 23,4 % Fällen der Weg über die konventionelle Fernleihe zwingend gewesen; vorausgesetzt die potentielle Lieferbereitschaft stimmt mit der tatsächlichen Lieferfähigkeit überein. Bezogen auf das Fernleihvolumen eines Jahres in der ULB Düsseldorf hätte dies die Konsequenz, daß gut 23.700 der 30.800 Bestellungen über Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg erledigt werden könnten.

Die Tatsache, daß trotz des außergewöhnlich hohen Monographienanteils mehr als drei Viertel aller Literaturwünsche in der Datenbank mindestens eines Online-Anbieters nachgewiesen werden konnte, zeigt bereits, daß die Einbindung derartiger Angebote in die passive Fernleihe durchaus ihre Berechtigung hat. Vorab sollte aber untersucht werden, inwieweit die potentielle Lieferbereitschaft je nach Literaturart differiert.

4.2. Die potentielle Lieferbereitschaft in Abhängigkeit von der Literaturart

Von den 199 Monographiebestellungen konnten 65 weder bei einem DBI-Link-Teilnehmer im VK95 nachgewiesen werden noch als wahrscheinlich erfolgreiche "Blindbestellung" bei dem BLDSC charakterisiert werden, während für 127 und somit für mehr als zwei Drittel aller Monographiebestellungen eine potentielle Lieferbereitschaft ermittelt wurde.

Eine - die eingangs formulierte Hypothese bestätigende - noch stärkere potentielle Lieferbereitschaft zeigt sich bei den Zeitschriftenbestellungen. Hier ließ sich in knapp 86 % aller Fälle (bei 160 von 185 Fernleihbestellungen) mindestens ein Nachweis in den Datenbanken der untersuchten Dokumentlieferanten finden, so daß bei lediglich 14 % (also 25) der Fernleihbestellungen in dem Untersuchungszeitraum von 2 Monaten die konventionelle Fernleihe hätte genutzt werden müssen; wieder vorausgesetzt, daß die potentielle Lieferbereitschaft auch eine tatsächliche Lieferfähigkeit ist.

Die potentielle Lieferbereitschaft ist demnach sowohl bei Zeitschriftenbestellungen, aber mit 67 % auch bei den Monographiebestellungen als recht hoch zu charakterisieren. Dieser Befund legt die Integration derartiger Wege der Literaturbeschaffung in die alltägliche Bibliothekspraxis nahe. Dennoch sollte auf Grund der Vielfalt an verschiedenen Anbietern auf dem Gebiet der Zeitschriftenartikel eine detaillierte Untersuchung dieser erfolgen, um vor dem Hintergrund der heterogenen Such- und Bestellvorgänge die Anzahl der zu integrierenden Zeitschriften-Dokumentlieferanten reduzieren zu können.

4.3. Fokussierung der potentiellen Lieferbereitschaft einzelner Dokumentlieferanten bei Zeitschriftenartikeln

Da jeder Fernleihschein der gezogenen Stichprobe im Untersuchungszeitraum in jeder relevanten Datenbank recherchiert wurde, bietet es sich an, zunächst die absoluten Häufigkeiten der Bestandsnachweise bei den einzelnen untersuchten Anbietern zu betrachten. Dabei lassen sich drei Klassen bilden: Hohe potentielle Lieferbereitschaft (nahezu oder in mehr als zwei Dritteln aller Fälle) weisen die ZDB1 und die BSER auf; eine mittlere potentielle Lieferbereitschaft (mehr als ein Drittel aller Fälle) zeigen JASON und UnCover, während die potentielle Lieferbereitschaft der KNAW als gering zu bezeichnen ist (weniger als ein Drittel aller Fälle). Diese Ergebnisse mit den absoluten und relativen Werten werden in der folgenden Tabelle zusammengefaßt.16) Diesen Werten wird die Anzahl der in den jeweiligen Datenbanken vorgehaltenen Zeitschriften gegenübergestellt, da sich die ermittelten Lieferbereitschaftsgrade zum Teil aus der Datenbasis erklären.17)

Tab. 1: Die potentielle Lieferbereitschaft bei Zeitschriftenaufsätzen differenziert nach Lieferanten bezogen auf alle Zeitschriftenbestellungen
Tab. 1

Verdeutlicht wird das Ergebnis, wenn man die Anzahl der Bestandsnachweise in den einzelnen Datenbanken ins Verhältnis zu den 160 online nachgewiesenen Titeln setzt. Durch diesen zusätzlichen Schritt wird die bisherige Grundgesamtheit der Zeitschriftenbestellungen um die ausschließlich über die Fernleihe abzuwickelnden Titel reduziert. Somit kann die Aussagekraft der ermittelten Lieferbereitschaftsgrößen erhöht werden, da die Angaben auf die Titel beschränkt werden, die auch tatsächlich über elektronische Bestellwege beschafft werden können. Hier erreicht die KNAW eine potentielle Lieferbereitschaft von 22,5 %, während der "Spitzenreiter", die Teilnehmer am DBI-Link-ZDB1-Modul, 86,9 % aller online nachgewiesenen Titel als bestellbar vorhalten. Die vollständigen Werte lassen sich der nachstehenden Abbildung entnehmen:

Abb. 1: Die Bestandsnachweise der online bestellbaren Zeitschriftentitel differenziert nach Lieferanten

Abb.1

Diese Ergebnisse könnten zu dem Schluß führen, daß z. B. die potentielle Lieferbereitschaft der KNAW so niedrig ist, weil ihr Literaturbestand stark auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisiert ist, für das es innerhalb des Untersuchungszeitraumes nur eine geringe Nachfrage gab. Wäre dies der Fall, so würde sich ein Spezialbestand - bei Gültigkeit der eingangs formulierten These der Konzentration auf Standardwerke seitens der kommerziellen Dokumentlieferanten und der Problematik der Beschaffung selten nachgewiesener Titel bei Bibliothekskooperationen - dadurch auszeichnen, daß Literaturwünsche, die diesen Spezialbestand betreffen, auch nur dort nachgewiesen werden können. Diese Schlußfolgerung läßt sich jedoch nicht aufrechterhalten, da in mehr als 88 % aller Fälle ein Titel bei mehr als einem Lieferanten als bestellbar ermittelt werden konnte, wie die folgende Abbildung darlegt:

Abb. 2: Einfach- und Mehrfachnachweise der online bestellbaren Zeitschriftentitel

Abb.2

Diese Tatsache führt zu der Erkenntnis, daß es - auf Grund der scheinbar fehlenden ausgeprägten Spezialisierung der einzelnen Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg - im bibliothekarischen Alltag sinnvoll ist, sein Angebot an die Nutzer auf wenige Anbieter zu beschränken. Damit würde der besonderen Problematik der differenzierten Recherche- und Bestellvorgänge Rechnung getragen. Um bei einer solchen Selektion die richtige Entscheidung zu treffen, sollte die potentielle Lieferbereitschaft verschiedener Lieferanten-Kombinationen untersucht werden. So konnten z. B. 83 % aller gewünschten Zeitschriftentitel entweder bei einem DBI-Link-Teilnehmer der ZDB1 oder in der BSER oder bei beiden nachgewiesen werden, was 98 % aller online ermittelten Bestandsnachweise ausmacht. Die Ergebnisse aller 2er-Kombinationen aller untersuchten Anbieter werden tabellarisch dargestellt.18)

Tab. 2: Analyse verschiedener Lieferanten-Kombinationen hinsichtlich ihrer potentiellen Lieferbereitschaft

Tab. 2

5. Schlußfolgerungen

Die durchweg hohe potentielle Lieferbereitschaft der Dokumentlieferanten mit elektronischem Bestellweg - insbesondere im Zeitschriftenbereich - legt es nahe, über die Integration dieser Angebote in den bibliothekarischen Alltag nachzudenken und Konzepte zur reibungslosen Einbindung zu entwickeln. Um vor dem Hintergrund der hier gewonnenen Ergebnisse Aussagen zu dem "Ob" und dem "Wie" einer bibliothekarischen Nutzbarmachung dieser Dokumentlieferanten treffen zu können, sind weitere Untersuchungen anzustellen, deren Inhalt hier nur skizziert werden soll:

  1. Besteht auf Nutzerseite ein Bedarf nach einer Dokumentlieferung unter Ausnutzung der elektronischen Bestellung, d. h. nach einer Verkürzung der Zeiten im passiven Fernleihverkehr?
  2. Wie kann dieses neue Angebot dem Nutzer vermittelt werden, damit es hinreichend Akzeptanz gewinnt?
  3. Welche aufbau- und ablauforganisatorischen Änderungen induziert die Integration eines derartig neuen Angebotes in den bibliothekarischen Alltag?
  4. Welche kostenmäßigen Auswirkungen sind damit verbunden?
  5. Können die anbietenden Bibliotheken und Unternehmen auch dann noch in der von ihnen postulierten Geschwindigkeit ihre Aufträge abwickeln, wenn die neue Dienstleistung im großen Umfang genutzt wird und in der Praxis regulär neben den Fernleihweg tritt?
  6. Diesen hier aufgeworfenen Fragen wird in der weiteren Projektarbeit im Rahmen von COMBI nachgegangen.

1) Bei den vielen Dokumentlieferanten mit elektronischer Bestellmöglichkeit sollten generell zwei Arten unterschieden werden: Zum einen solche, die als Informationsdienstleister im Wettbewerb ihren Literaturbestand kommerziell "vermarkten" und zum anderen Bibliothekskooperationen, die untereinander gegen Erhebung einer Gebühr die elektronische Bestellung anbieten.

2) Vgl. stellvertretend für viele DFG (1994), S. 377 ff. oder Freyschmidt (1994), S. 1661 ff.

3) Für Osswald und Koch besteht die wesentliche Aufgabe für die Bibliothek in der "Ermittlung, Selektion und Bewertung sowie der Integration dieses Angebotes in ihr Bereitstellungs- und Dienstleistungskonzept". Vgl. Osswald/ Koch (1994), S. 10 - 11. Ähnlich spricht sich auch die DFG (1994), S. 384 ff., für die Nutzung von Dokumentlieferanten im Bibliotheksalltag aus.

4) Mit der gleichen Fragestellung befassen sich im deutschsprachigen Raum Hoffmann (1996) sowie speziell für amerikanische Anbieter Mancini (1996).

5) Nach dem Postulat der Wirtschaftlichkeit soll ein gegebenes Ziel mit minimalem Einsatz (Minimumprinzip) oder aber mit gegebenem Einsatz ein möglichst hohes Ziel (Maximumprinzip) erreicht werden. Vgl. Wöhe (1990), S. 1.

6) Vgl. z. B. die Beschreibungen der Recherche- und Bestellabläufe in JASON, DBI-Link und UnCover bei Olliges-Wieczorek (1995), S. 100 f., S. 110 ff. und S. 113 ff.

7) In einem nächsten Schritt müßten dann weitere Auswahlkriterien bei den ermittelten Dokumentlieferanten mit hoher potentieller Lieferbereitschaft über elektronische Bestellwege zu Rate gezogen werden. Von großer Bedeutung hierbei wird der durchschnittlich von jedem Anbieter geforderte Preis für die Lieferung sein.

8) Eine ausführliche Vorstellung von Projektidee und -inhalt findet sich bei Bilo (1996), S. 125 ff.

9) Dabei ist zu beachten, daß die Literaturverfügbarkeit immerhin mit einer Note von 2,54 (bei einer Skala von 1 bis 5) bewertet wurde. Wenn hier also von einem "Problempunkt" gesprochen wird, so ist dies stets relativ zu den anderen von der ULB Düsseldorf angebotenen Leistungen zu sehen.

10) Vgl. zur grundsätzlichen Idee der Conjoint-Analyse und zur Möglichkeit ihrer Anwendung in Bibliotheken Bilo/ Makoski/ Müller (i.V.), S. 60 ff.

11) DBI-Link ist ein vom Deutschen Bibliotheksinstitut angebotener Service, der es registrierten und angemeldeten Nutzern erlaubt, nach der Recherche in verschiedenen Datenbanken den gefundenen Titel bei bestimmten Bibliotheken gegen eine von diesen festgesetzte Gebühr online zu bestellen.

12) Das Service Center der ULB Düsseldorf ist ein allen Nutzern zugänglicher Bereich, in dem sie einerseits über die Angebote der Dokumentlieferung über elektronische Bestellwege informiert werden und in dem ihnen andererseits diese Angebote auch zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden.

13) Die Datenbank BSER ist der Nachweis über die im British Library Document Supply Centre in Boston Spa gehaltenen Zeitschriften und Serien.

14) Die Datenbank KNAW ist der Nachweis der in der Bibliothek der königlich-niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften in Amsterdam gehaltenen Zeitschriften.

15) Der Terminus "kostenlos" soll nicht vernachlässigen, daß die reine CPU-Zeit beim DBI zu bezahlen ist. Er bringt aber zum Ausdruck, daß im Gegensatz zu anderen Anbietern bei den Untersuchten keine Gebühr für die generelle Nutzung der Datenbanken zu entrichten ist.

16) Die Abkürzung "abs." steht für "absolut".

17) Der Datenbestand bei der ZDB1 umfaßt 832.716 Zeitschriften. Dennoch wurde das Feld leer gelassen, da dieser Datenbestand aus insgesamt 3000 deutschen Bibliotheken stammt, an denen zum Zeitpunkt der Untersuchung nur 15 an DBI-Link teilgenommen haben. Damit verringert sich die Anzahl der via ZDB1 bestellbaren Titel um einen bis dato unbekannten Anteil. Dahingegen sind die 74.713 bei JASON angegebenen Titel dort auch bestellbar. Der Datenbestand von JASON umfaßt insgesamt 209.483 Titel (Stand: April 1996) und ist eine nordrhein-westfälische Teilmenge der ZDB1.

18) Die Abkürzung "BN" steht für "Bestandsnachweise" und charakterisiert alle 160 online nachgewiesenen Titel.

Literaturverzeichnis:

Bilo, Albert: Information als Ware. Kosten- und leistungswirksames Marketing für Hochschulbibliotheken. In: Wefers, Sabine (Hrsg.), 85. Deutscher Bibliothekartag in Göttingen 1995, Die Herausforderungen der Bibliotheken durch elektronische Medien und neue Organisationsformen, Frankfurt/ Main, 1996, S. 125 - 135.

Bilo, Albert/ Makoski, Roman/ Müller, Uta: Die kostentechnische Seite des Dienstleistungsangebotes von Hochschulbibliotheken. In: Wefers, Sabine (Hrsg.), 86. Deutscher Bibliothekartag in Erlangen 1996, i.V., S. 57 - 68.

DFG: Dokumentlieferung für Wissenschaft und Forschung. Perspektiven zur weiteren Entwicklung. In: ZfBB, 41. Jg., 1994, Heft 4, S. 375 - 392.

Freyschmidt, Günther: Beschaffung von Zeitschriftenaufsatzkopien über Internet. In: BIBLIOTHEKSDIENST, 28. Jg., 1994, Heft 10, S. 1661 - 1671.

Hoffmann, Florian: Elektronische Dokumentlieferung an der Universitätsbibliothek der TU-Harburg. Aus dem Internet: http://www.tu-harburg.de/b/flo.htm.

Mancini, Alice Duhon: Evaluating Commercial Document Suppliers: Improving Access to Current Journal Literature. In: College & Research, 57. Jg., 1996, Heft 2, S. 123 - 131.

Olliges-Wieczorek, Ute: Ausgewählte Probleme der nehmenden Fernleihe und Dokumentlieferung in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der ULB Münster, Hausarbeit zur Prüfung für den Höheren Bibliotheksdienst, Köln, 1995.

Osswald, Achim/ Koch, Traugott: Internet und Bibliotheken - Ein einführender Überblick. In: ZfBB, 41. Jg., 1991, Heft 1, S. 1 -29.

Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 17. Auflage, München, 1990.


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