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Bibliotheksdienst Heft 8/9, 96

Einige Anmerkungen zum Bibliothekswesen in der Republik Südafrika


Caren Jansen, Thomas Rößner

Die Republik Südafrika verfügt über ein weites Netz von Bibliotheken in allen Landesteilen, wobei entsprechend der Bündelung von Wirtschaft und Bevölkerung in den Großräumen Johannesburg und Kapstadt die meisten Einzelbibliotheken konzentriert sind. Träger der Bibliotheken ist zumeist die öffentliche Hand, es existieren aber auch eine Reihe von Privatbibliotheken. Zur Zeit sind knapp 10.000 Beschäftigte im Bibliothekswesen tätig, wovon etwa ein Viertel ausgebildete Bibliothekare sind. Der gesamte Bestand in den südafrikanischen Bibliotheken wird auf etwa 50 Millionen bibliographische Einheiten geschätzt.

1. Nationalbibliotheken

Historisch bedingt ist die Existenz von zwei Nationalbibliotheken: in der ehemaligen britischen Kapkolonie die Südafrikanische Bücherei (South African Library) in Kapstadt und in der ehemaligen Burenrepublik Transvaal die Staatsbibliothek (State Library) in Pretoria. Die Aufgaben beider Bibliotheken sind fast identisch. Sie sammeln alle Publikationen aus und über Südafrika, koordinieren die internationale Fernleihe, erstellen und veröffentlichen die südafrikanische Nationalbibliographie sowie bewahren und restaurieren landesweit die historisch wertvollsten Bestände. Perspektivisch sollen beide Bibliotheken zu einer Südafrikanischen Nationalbibliothek vereinigt werden.

Die Südafrikanische Bücherei verfügt über verschiedene wertvolle Spezialsammlungen. Die Sammlung Africana umfaßt ältere und aktuelle Schriften mit Afrikabezug, historische Zeitungen aus der Kolonialperiode und alte Reisebeschreibungen. Verschiedene bemerkenswerte Schriften in Afrikaans und ihrer kapholländischen Vorgängersprache, Bilder aus der Anfangszeit der Fotografie sowie illustrierte Bücher sind weitere Sammelobjekte. Die Dessinian-Sammlung besteht hauptsächlich aus etwa 4.500 klerikalen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die größten Schätze der Staatsbibliothek sind die Kartensammlung, die Smithsonian-Sammlung mit dem größten Bestand US-amerikanischer Dokumente in Afrika, die Bibliothekswissenschaftliche Sammlung sowie eine Sammlung von Drucken.

Eine ebenfalls bedeutende Einrichtung ist die Bibliothek des Parlamentes in Kapstadt. Als eine Handbibliothek steht sie hauptsächlich der Regierung und den Abgeordneten zur Verfügung. Sie verfügt u.a. über Bestände auf den Gebieten öffentliche Verwaltung, Wirtschaft und Politik, Finanz- und Rechtswesen sowie Soziologie. Besonders wertvoll sind komplette Sätze der Niederschriften von Debatten des Englischen Parlamentes aus der Zeit von Simon de Montfort (um 1208 bis 1265), von Gesetzen und Anordnungen der holländischen bzw. britischen Kolonialverwaltung oder die gesammelten Werke von Lenin, Stalin, Marx, Hitler und Mussolini. Erwähnenswert ist auch eine technisch besonders ausgerüstete Abteilung innerhalb der Parlamentsbibliothek, in der die kostbarsten Bibliotheksschätze des Landes restauriert und konserviert werden.

2. Wissenschaftliche Bibliotheken

Kennzeichnend für die 88 wissenschaftlichen Bibliotheken an südafrikanischen Universitäten und Fachschulen ist ihre ausgesprochene Spezialisierung nach Sachgebieten. Kompetente Fachbibliothekare sind jeweils für einen Spezialbereich zuständig, um den Lesern schnelle und zuverlässige Hilfen geben zu können. Die Fachbibliothekare spielen eine Hauptrolle bei der Buchauswahl und der Quellenarbeit, der ständigen Vervollkommnung des Buchbestandes und der Koordination der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Studenten.

Die Bibliothek der Universität von Südafrika (UNISA) in Pretoria ist wohl die bedeutendste und modernste Einrichtung dieser Art in Afrika. Da die UNISA eine Fernuniversität ist, hat ihre Bibliothek für das Lehrpersonal und die etwa 130.000 Studenten ganz spezifische kommunikative Aufgaben im Studienprozeß. So können Lehrbücher und Studienmaterialien direkt von hier und von sechs Außenstellen im Land sowie in Windhuk (Republik Namibia) bezogen werden. Der Bestand ist vollständig im Computerkatalog gespeichert. Wichtige Abteilungen sind die für Nachschlagewerke und Lexika, für Audiovision oder für Periodika. Spezialsammlungen mit Nachlässen von Wissenschaftlern vervollständigen den Bestand. Dem großen Zuspruch Rechnung tragend, wurde 1987 ein neues Bibliotheksgebäude mit einer Kapazität für rund 4,5 Millionen bibliographische Einheiten auf etwa 27.000 m² Regalfläche und 143 km Regallänge eingeweiht.

Die beiden wichtigsten der 370 weiteren Spezialbibliotheken, die aus privaten und teilweise öffentlichen Mitteln finanziert werden, sind u.a. die des CSIR (Council for Scientific and Industrial Research) und des HSRC (Human Sciences Research Council). Mit der modernsten Telekommunikations- und Computertechnik ausgestattet, bieten beide Bibliotheken ausgezeichnete Arbeitsmöglichkeiten und direkten Zugang zu anderen wissenschaftlichen Einrichtungen und Bibliotheken in aller Welt. Andere wissenschaftliche Bibliotheken sind solche mit Spezialisierung auf Recht, Musik, Medizin oder Technik, die aber der Öffentlichkeit nur teilweise zugänglich sind.

3. Öffentliche Bibliotheken

Bis zur Neugliederung der provinzialen Verwaltung im Jahr 1994 arbeiteten in Südafrika vier provinziale Bibliotheksdienste, die den jeweiligen Provinzverwaltungen zugeordnet waren. Die Provinzen waren in eine bestimmte Anzahl von "Bibliotheks-Regionen" aufgeteilt, die ihren jeweiligen Einzugsbereich zu bedienen hatten. In jeder dieser "Bibliotheks-Regionen" gab es mindestens eine kleine Bibliothek in kommunaler Trägerschaft. Die provinzialen Bibliotheksdienste schaffen die benötigten Bücher an und verteilen sie an die jeweils zugeordneten Bibliotheken. Da Südafrika nun aus neun Provinzen besteht, wird dieses Anschaffungs- und Verteilungsystem gegenwärtig revidiert. Die provinzialen Bibliotheksdienste sind nicht für die Bibliotheken einiger Großstädte (z.B. Johannesburg, Kapstadt, Pretoria [vgl. Punkt 4], Durban oder Pietermaritzburg), die über eigene Stadtbibliotheken verfügen, zuständig. Insgesamt gibt es in Südafrika knapp 700 Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft.

4. Die Stadtbibliothek Pretoria

Am Beispiel der Stadtbibliothek Pretoria soll nun kurz konkret auf die Arbeit einer zugleich alten und neuen öffentlichen Bibliothek eingegangen werden. Ihre Anfänge liegen im Jahr 1875. Das mag für europäische Länder, in denen oft eine Jahrhunderte alte Tradition kommunaler Bibliotheken besteht, kurz sein. Aber 120 Jahre sind in der 'modernen' südafrikanischen Geschichte eine sehr lange Zeit.

Im Jahr 1895 wurde der Bestand der Stadtbibliothek Pretoria in den der Staatsbibliothek überführt. Die fusionierte Einrichtung war daher lange Zeit zugleich National- und kommunale Bibliothek. Am 1.7.1964 wurde die Stadtbibliothek Pretoria wieder eigenständig. Seit dieser Zeit ist auch der Stadtrat von Pretoria für die Verwaltung und die Finanzierung zuständig.

Trotz dieser neuen Rechtslage waren bis zum Jahr 1993 die Bestände der Stadtbibliothek weiterhin in einem Seitenflügel der Staatsbibliothek untergebracht. Die räumlich sehr beengten Verhältnisse erschwerten lange Zeit die Arbeit. Daher wurde es von den Nutzern und den heute 142 Mitarbeitern der Hauptbibliothek (einschließlich ihrer Außenstellen in den Stadtbezirken) sehr begrüßt, als am 17. November 1993 die Stadtbibliothek in einem neuen Gebäude im Stadtzentrum von Pretoria feierlich wiedereröffnet wurde. Die Stadtbibliothek Pretoria gehört heute in ihrer technischen Ausstattung mit zu den modernsten Bibliotheken in ganz Südafrika. Auch für Interessenten aus Europa dürfte ein Besuch dieses neuen Anziehungspunktes der südafrikanischen Hauptstadt lohnenswert sein.

Die Bibliothek hat über einen Bestand von rund einer Million bibliographischer Einheiten, den jährlich etwa 400.000 Leser nutzen. Durchschnittlich werden ca. fünf Millionen Bücher im Jahr ausgeliehen. Trotz der insgesamt großzügigen Auslegung der Bibliothek führt der zunehmende Bildungshunger, besonders unter den bisher benachteiligten Bevölkerungsgruppen, oft zu einer hoffnungslosen Überfüllung des Lesesaals oder zu längeren Wartezeiten bei der Buchausgabe. Dies trifft übrigens generell auch für alle anderen Bibliothekseinrichtungen im Lande zu.

Die Pretoriana-Sammlung

Ein anderes Problem scheint gelöst. Viele Jahre wurden nämlich Zeugnisse und Stücke zur Stadtgeschichte und Stadtentwicklung unsortiert in Kisten oder einfach in Schränken aufbewahrt. Es gab keine Möglichkeit zur ordentlichen Unterbringung. Zwar bestand die Sammlung zur Stadtgeschichte, Pretoriana genannt, schon längere Zeit, sie fristete aber nur ein Schattendasein. Mit dem Umzug in das neue Gebäude wurden diese unhaltbare Situation beseitigt. Die Pretoriana-Sammlung verfügt nun über spezielle Räumlichkeiten. Diese einzigartige, lokal auf Pretoria ausgerichtete Sammlung besteht aus Büchern, Broschüren, Prospekten, Zeitungsausschnitten, Postkarten, Fotos und anderen wertvollen Objekten wie zum Beispiel Orden oder Medaillen. Das Sammelspektrum ist außerordentlich breit. Neben historischen Dokumenten werden auch Schriften über die aktuellen Geschehnisse in und um Pretoria einbezogen. Hier stehen u.a. Informationen zur regionalen Stadtentwicklung, über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten oder berühmte Persönlichkeiten der Stadt und vieles mehr zur Einsicht bereit. Besonders hilfreich für die Nutzer ist es, daß die Auskünfte über Pretoria ständig aktualisiert werden und jederzeit verfügbar sind. Sie betreffen zum Beispiel Informationen über die Abteilungen der Stadtverwaltung, Bildungsangebote, Tourismus- und Erholungsmöglichkeiten oder auch Bemühungen zur Verringerung der Umweltbelastung, um nur weniges zu nennen. Dafür werden täglich alle lokal verfügbaren Informationen (Medien, öffentliche Verlautbarungen usw.) ausgewertet, per Computer gespeichert und den Nutzern zugänglich gemacht.

Den Hauptleserkreis der Pretoriana-Sammlung bilden Schüler, Studenten und Wissenschaftler. Sie können einen Computerkatalog zur Titelauswahl und Quellensuche nutzen. Alle Sammelobjekte sind wissenschaftlich nach Schlagwörtern geordnet, die über Computer abgerufen werden können.

Im Bestand befinden sich mehrere Kostbarkeiten. Eine besondere Rarität ist ein Originalstadtplan von Pretoria aus dem Jahr 1857/58, welchen der berühmte städtische Landvermesser Du Toit noch eigenhändig zeichnete. Auch ist ein in den sechziger Jahren in England erworbenes Miniaturbuch zu bewundern, welches Bilder aus der "guten alten Zeit" enthält. Ein Bild zeigt die historische Kirche am Kirchplatz (Church Square), die schon 1882 abgerissen wurde, dem Platz aber noch heute den Namen gibt. Ebenso können Straßenbahnenthusiasten fündig werden. Es gibt nämlich ein Büchlein über "Regeln und Vorschriften des Straßenbahnverkehrs" aus dem Jahr 1919 und zudem einige alte Straßenbahnfahrkarten zu bestaunen. Vor allem die älteren Bürger von Pretoria erinnern sich gern an die Straßenbahnen, die leider dem "Fortschritt" zum Opfer fielen.

Sogar für Anhänger des Britischen Königshauses ist gesorgt. In einer Souvenirbeilage der "Pretoria News" wird der Besuch des Prinzen von Wales in Pretoria im Jahr 1925 gewürdigt. Weitere Erinnerungsstücke zeugen vom Besuch der Britischen Königsfamilie in Pretoria im Jahre 1947. Erwähnt seien nur die Speisekarte sowie die Gästeliste eines Empfangs des Bürgermeisters von Pretoria zu Ehren der Gäste.

Zur Schau gestellt sind weiterhin verschiedene Erinnerungsstücke, Gedenkmünzen und Gastgeschenke in speziellen Vitrinen. Darunter befindet sich auch ein Teller des Bürgermeisters von Bonn, ein Geschenk anläßlich des 100. Geburtstages von Pretoria im Jahr 1955. Jüngere Erwerbungen stehen im Zusammenhang mit der feierlichen Amtseinführung von Präsident Mandela, die im Mai 1994 in Pretoria zelebriert wurde.

Des weiteren bezeugen Postkarten und mehr als 6.000 Fotos das sich ständig verändernde Gesicht der Stadt und das Leben der Pretorianer in Vergangenheit und Gegenwart. Die Pretoriana-Sammlung ist außerdem auch eine Fundgrube für Ahnenforscher. Dabei kann man unter anderen Antworten auf folgende Fragen finden: Wann kamen die ersten Siedler aus Holland oder Deutschland? Wo befanden sich die ersten europäischen Missionsstationen? Seit wann gibt es eine Deutsche Schule und welche Aufgaben hat sie?

5. Zukunftsabsichten und Ausblick

Neben diesen Tätigkeiten richtet sich das Augenmerk der Stadtbibliothek auf ein neues Vorhaben. Die Pretoriana-Sammlung könnte nämlich den Grundstock für ein künftiges Stadtmuseum bilden, wo dann wirklich alles, was mit Pretoria zusammenhängt, gesammelt, archiviert und wissenschaftlich aufbereitet wird. Dies würde auch den Unterschied zwischen einer Bibliothek, die sich eigentlich mehr auf das geschriebene Wort konzentrieren sollte und einem Museum, das umfassendere Aufgaben zu erfüllen hat, ausmachen. Bis es aber das Stadtmuseum gibt, wird in der Pretoriana-Sammlung weiterhin alles das aufbewahrt, was es wert zu sein scheint.

Nach dem politischen Wandel in Südafrika kam es zu einer Eingemeindung von bis dahin unter anderer Verwaltung stehenden Vororten. Der territoriale Einzugsbereich der Stadtbibliothek Pretoria und besonders auch die Aufgabenfelder der Pretoriana-Sammlung vergrößerten und veränderten sich. Die heutigen Stadtbezirke Mamelodi und Atteridgeville, in denen überwiegend schwarzafrikanische Bürger wohnen, spielten bislang bei den Sammelaktivitäten nur eine marginale Rolle. Deren Geschichte spiegelt sich daher noch wenig in der Pretoriana-Sammlung wider. Obwohl mündliche Überlieferungen existieren, ist nur wenig schriftlich belegt. Aus diesem Grund gibt es zur Zeit verschiedene Bemühungen von Mitarbeitern der Pretoriana-Sammlung und Wissenschaftlern einer Großforschungsstätte, solche Lücken zu schließen. So befragt man gegenwärtig vor allem ältere Bürger dieser Stadtteile. Die Ergebnisse sollen später publiziert werden und den Bestand der Pretoriana-Sammlung ergänzen. In diesem Zusammenhang wäre die Stadtbibliothek Pretoria über weitere Informationen und Kontakte mit Bibliotheken, Museen oder anderen Interessenten aus Europa sehr dankbar. Vielleicht kann dieser kurze Bericht dazu auch einen Anstoß geben.


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