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Bibliotheksdienst Heft 4, 1996

Untersuchungen zu den Zeitschriften medizinischer Hochschulbibliotheken mittels der Online-Recherche-ZDB

Volker Johst

1. Einleitung

Wenn es, wie in Berlin, an einem Ort drei medizinische Hochschulbibliotheken gibt, nämlich

- die Zentralbibliothek der Charité (11/118),
- die Medizinische Bibliothek des Universitätsklinikums "Benjamin Franklin" (188/897),
- die Medizinische Bibliothek des Virchow-Klinikums (188/150),

so ist es im Interesse der Nutzer in den drei Klinika dringend erforderlich, die Mitnutzung von Zeitschriften, die nur in einer oder in zwei der drei Bibliotheken vorhanden sind, möglichst unbürokratisch und schnell zu organisieren. Erfahrungsgemäß überlappen sich zwar die Zeitschriftenbestände medizinischer Hochschulbibliotheken in einem gewissen Umfange, doch verfügen sie (in Abhängigkeit von der Geschichte, der Struktur und der Fächervielfalt der einzelnen Klinika) immer auch über einen erheblichen Sonderbesitz. Da es hierzu bisher aber keine genauen quantitativen Analysen gab, war es Anliegen dieser Untersuchung, mit Hilfe der Online-Recherche-ZDB u. a. die folgenden Fragen zu beantworten:

Zu Vergleichszwecken haben wir die Untersuchung auf drei weitere Hochschulbibliotheken ausgedehnt: die Bibliothek der Medizinischen Hochschule Hannover (354), die Medizinische Zentralbibliothek der Universität Magdeburg (Ma 14) und die Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster (6 M).

Wir wollten am Gesamtvergleich der sechs Bibliotheken beispielhaft zu klären versuchen, in welchem Umfange diese über einen identischen und einen Sonderbesitz an Zeitschriften verfügen und welche Schlußfolgerungen sich hieraus für eine lokale und für die überörtliche kooperative Nutzung der jeweils nur einmal vorhandenen Titel im Rahmen eines "Internen Leihverkehrs" medizinischer Hochschulbibliotheken ergeben.

2. Methodik

Nach dem folgenden Verfahren wurden in der Recherche-ZDB für alle sechs untersuchten Bibliotheken vergleichbare Teilmengen der vorhandenen Zeitschriften ermittelt (Retrievalsprache Grips):

(1) find sg=11I118 [bzw.: find sg = 188I897 usw.]
(2) find 1 and dt=j
(3) find 2 and cc=(720;740;800;860;870;890)
(4) find 3 not pe=?

Mit dem Suchschritt 1 wurde stets zuerst die Anzahl der Bestandsnachweise insgesamt ermittelt (SG = Bibliothekssigel), mit Suchschritt 2 wurde auf den Dokumententyp (DT) "Zeitschrift" eingeengt, Suchschritt 3 begrenzt inhaltlich auf Zeitschriften der Medizin und ihrer wichtigsten Grenzgebiete (CC = ZDB-Fachnotationen) und Suchschritt 4 eliminiert die nicht mehr erscheinenden Zeitschriften aus der Ergebnismenge (PE = letztes Erscheinungsjahr). Lediglich im Falle der Medizinischen Bibliothek des Virchow-Klinikums mußte diese Suchstrategie noch erweitert werden, denn über 200 Titel dieser Bibliothek sind in der ZDB bisher nicht unter dem Sigel 188/150, sondern unter dem Sigel der Universitätsbibliothek der Freien Universität (= 188) mit dem Vermerk "Aufst. Klinikum RV" verzeichnet1). Diese Titel sind mit einem Stringsearch (st = klinikum/ber) aus der Gesamtmenge der in 188 vorhandenen medizinischen Zeitschriften "herausgefiltert" und zu den 878 Titeln unter 188/150 addiert worden. Mittels der logischen Operatoren "or", "and" und "not" sind sodann aus den resultierenden Teilmengen der sechs Bibliotheken die verschiedenen Vereinigungs-, Schnitt- und Restmengen gebildet worden worden.

3. Ergebnisse
3.1. Berliner Hochschulbibliotheken

Mittels dieses Verfahrens konnten die folgenden Teilmengen für die drei medizinischen Hochschulbibliotheken in Berlin ermittelt werden (Stand vom 6. 2. 1996):

-  11/118:	1.198  Titel
- 188/897: 1.003 Titel
- 188/150: 980 Titel.

Faßt man diese Teilmengen mittels des logischen "Oder" zusammen, so ergibt sich, daß in den drei Bibliotheken insgesamt 1908 Titel vorhanden sind. Die Abb. 1 zeigt, wie sich diese 1908 Zeitschriften auf die drei Universitätsklinika verteilen. Es fällt sofort auf, daß nur ein kleiner Teil davon (22%) in allen drei Bibliotheken vorhanden ist, während der größere Teil (55%) nur einmal vorkommt. Der "Sonderbesitz" überwiegt also den gemeinsamen Besitz erheblich; zu letzterem gehören natürlich die wichtigsten medizinischen Querschnittszeitschriften (American journal of medicine, British medical journal, Journal of the American Medical Association, Lancet, New England journal of medicine u. a.) und die führenden und vielbenutzten Zeitschriften der großen theoretischen und klinischen Fachgebiete der Medizin (American heart journal, American journal of obstetrics and gynecology, Biochemistry, Brain research, British journal of surgery, Cancer, Journal of pysiology u. a.). Untersucht man nun, wie sich die nur einmal vorhandenen Zeitschriften auf die drei Universitätsklinika verteilen, so ergibt sich das in Abb. 2 dargestellte Bild. Daß sich immerhin 45% dieser Titel in der Zentralbibliothek der Charité befinden, hängt sicher mit der Vielzahl der hier bisher vertretenen theoretischen und klinischen Fächer zusammen; die beiden anderen Klinika sind nicht so groß und stärker klinisch ausgerichtet. Beim Vergleich der Anzahl der jeweils nur in einer Bibliothek vorhandenen Zeitschriften muß man natürlich berücksichtigen, daß sich hierunter auch die nicht mehr fortlaufend bezogenen und einige weniger wichtige bzw. selten benutzte Titel befinden.


Abb. 1: Verteilung medizinischer Zeitschriften auf die drei Berliner Universitätsklinika (n= 1908)


Abb. 2: Verteilung der nur einmal vorhandenen Zeitschriften auf die drei Berliner Universitätsklinika (n= 1052)

Im folgenden seien einige Beispiele für häufig gewünschte Zeitschriften genannt, die nur einmal vorhanden sind:

11/118:

Analytical cellular pathology
Cancer genetics and cytogenetics
Cardiovascular pathology
Current opinion in neurobiology
Human mutation
Journal of autoimmunity
Journal of magnetic resonance imaging
Molecular microbiology
Protein science
Virus research

188/897:

Annals of clinical biochemistry
Cellular immunology
Clinical radiology
Dermatologic surgery
Experimental neurology
International journal of neurobiology
Journal of clinical monitoring
Journal of intensive care medicine
Pharmacology and therapeutics
Resuscitation

188/150:

American journal of otolaryngology
Clinical nuclear medicine
Diagnostic cytopathology
Gynecological endocrinology
International ophthalmology clinics
Journal of clinical gastroenterology
Journal of infection
Journal of orthopaedic research
Respiratory medicine
Vascular surgery.

3.2. Übrige Hochschulbibliotheken

Für die übrigen drei Hochschulbibliotheken ergaben sich die folgenden Teilmengen (Stand vom 6. 2. 1996):

- 354  :  1.562  Titel
- Ma 14: 838 Titel
- 6 M : 1.483 Titel.

Addiert man diese Titel zu den insgesamt in Berlin vorhandenen 1908 Zeitschriften hinzu, so ergibt sich für die untersuchten sechs Hochschulbibliotheken die schon recht beträchtliche Gesamtmenge von 2989 Titeln! Mit anderen Worten: Jede hinzukommende medizinische Hochschulbibliothek erhöht durch ihren spezifischen "Sonderbesitz" das Gesamtvolumen verfügbarer Zeitschriften. Auch hier haben wir untersucht, wie sich diese 2989 Titel auf die sechs Bibliotheken verteilen (Abb. 3). Der Anteil der überall vorhandenen Zeitschriften liegt jetzt nur noch bei 8% und es sind immerhin noch 46% aller Titel jeweils nur in einer Bibliothek vorhanden; bei den restlichen 46% handelt es sich um die 2 - 5mal vorhandenen Titel. Analysiert man die Verteilung der 1373 nur einmal vorhandenen Zeitschriften auf die sechs Bibliotheken, so ergibt sich das in Abb. 4 dargestellte Bild. Es fällt auf, daß die Bibliotheken in Hannover und Münster den relativ umfangreichsten "Sonderbesitz" haben (zusammen immerhin 57%!), während die Anteile der vier übrigen Bibliotheken niedriger sind und sich nicht so stark unterscheiden.


Abb. 3: Verteilung medizinischer Zeitschriften auf die verglichenen sechs Hochschulbibliotheken (n= 2989)


Abb. 4: Verteilung der nur einmal vorhandenen Zeitschriften auf die verglichenen sechs Hochschulbibliotheken (n= 1373)

4. Zusammenfassende Betrachtung

Die dargestellten Ergebnisse bestätigen, daß sich die Zeitschriftenbestände medizinischer Hochschulbibliotheken in Deutschland tatsächlich nur wenig überschneiden und jede einzelne der untersuchten Bibliotheken über einen erheblichen "Sonderbesitz" an Zeitschriften verfügt. Es kann extrapoliert werden, daß mit jeder weiteren Hochschulbibliothek, die in diese Analyse einbezogen würde, die Anzahl der insgesamt verfügbaren biomedizinischen Zeitschriften noch zunähme. Hieraus lassen sich nach unserer Meinung u. a. die folgenden Schlüsse ziehen:

1.) In Berlin sollten sich die drei hier ansässigen Hochschulbibliotheken auch weiterhin großzügig und schnell Kopien aus den Zeitschriften zu Verfügung stellen, die hier nur ein- oder zweimal vorhanden sind. Bereits 1994 vereinbarten die Medizinische Bibliothek des Universitätsklinikums "Benjamin Franklin" und die Zentralbibliothek der Charité, einander auf der Basis der Gegenseitigkeit und ohne Berechnung Bestellungen von Zeitschriftenaufsätzen per Telefax zu übermitteln und die fertigen Kopien per Fachpost zuzustellen. Seit September 1995 beteiligt sich auch die Medizinische Bibliothek des Virchow-Klinikums an diesem "Internen Leihverkehr". Ferner sollten sich die drei Berliner Bibliotheken bei Abbestellungen von Zeitschriften so abstimmen, daß ein Wegfall von nur einmal vorhandenen Titeln künftig verhindert wird und Streichungen nach Möglichkeit nur bei den mehrfach vorhandenen Titeln erfolgen.

2.) 1995 konnte der ursprünglich auf die zwei genannten Berliner Bibliotheken beschränkte "Interne Leihverkehr" zunächst auf sieben und schließlich auf insgesamt zwölf medizinische Hochschulbibliotheken ausgedehnt werden, worüber hier später in einem eigenen Beitrag berichtet werden soll. Es wäre wünschenswert, wenn sich weitere Hochschulbibliotheken, deren Bestände möglichst lückenlos und ohne den einschränkenden Vermerk "nicht leihverkehrsrelevant" in der ZDB verzeichnet sein sollten2), diesem internen Kopienbereitstellungsdienst anschlössen: Denn auf diese Weise könnten nicht nur die vorhandenen Ressourcen besser genutzt und die Bereitstellungsfristen spürbar verkürzt werden, sondern es würden auch der Deutsche Leihverkehr und die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZBM) entlastet. Selbstverständlich ergäbe auch die Summe der Zeitschriftentitel sämtlicher Hochschulbibliotheken niemals den Umfang der Bestände der ZBM (Anzahl der fortlaufend bezogenen Titel 1995: 8000) - doch könnten diese Bibliotheken über einen erweiterten "Internen Leihverkehr" ihre natürliche Filter- bzw. "Vorwerk"-Funktion gegenüber der ZBM verstärken.

1) Seit 1995 gehört das Virchow-Klinikum nicht mehr zur Freien Universität Berlin, sondern als eigene Medizinische Fakultät zur Humboldt-Universität. Die in der ZDB enthaltenen Bestände der Medizinischen Bibliothek des Virchow-Klinikums werden deshalb in diesem Jahre "umgesigelt" und erhalten künftig das Sigel 11/150. Bei dieser Gelegenheit werden auch die noch unter dem Sigel 188 mit dem Vermerk "Aufst. RV Klinikum" enthaltenen Bestände das neue Sigel erhalten.

2) Einige Teilnehmer am "Internen Leihverkehr" benutzen noch die Mikrofiches-Gesamtausgabe der ZDB als Bestellgrundlage. In dieser sind aber bekanntlich die als "nicht leihverkehrs-relevant" gekennzeichneten Bibliotheken nicht enthalten. Das trifft z. B. für die Medizinische Zentralbibliothek des Universitätsklinikums Leipzig (Sigel: 15/292), die auf Grund dieses "Handicaps" leider vorerst nicht am "Internen Leihverkehr" teilnehmen kann. Es erhebt sich ohnehin die Frage, wie zweckmäßig die Unterscheidung in "leihverkehrsrelevant" bzw. "nicht leihverkehrsrelant" überhaupt noch ist - zumal sie in der CD-ROM-ZDB zwar noch erkennbar, aber praktisch schon aufgehoben ist.


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