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Bibliotheksdienst Heft 3, 1996

"Öffentlichkeitsarbeit für ein neues Bild des bibliothekarischen Berufes in der Gesellschaft"1)
Monika Böhm-Leitzbach, Claudia Chmielus

Die Idee

"Ach, Sie sind Bibliothekarin? - Ich lese auch gerne..." Wer von uns hat das nicht so oder so ähnlich schon gehört? Die Freude am Lesen wird von vielen Bürgern quer durch alle Altersschichten als Hobby und Freizeitvergnügen gepflegt und als "Grundbedingung" für die Berufswahl "Bibliothekar/in" angesehen. Obwohl unser Berufsalltag vielseitige Kenntnisse und flexible, konstruktive Mitarbeiter verlangt, für die Kundenorientierung und Dienstleistungszentrum keine Fremdwörter sind, hält sich hartnäckig das traditionelle Bild der Bibliothekarin, die sich belesen und still hinter ihren Büchern versteckt.

Darüber, wie Bibliothekare sich selbst sehen - oder vielleicht auch gern sehen wollen -, wurden bereits mehrere Publikationen veröffentlicht. (Einige davon beinhalten eine Sammlung von Lebensläufen skurriler Kollegen und dienen wohl eher dazu, schon vorhandene Vorurteile zu verstärken.) Wie also können wir die Verbreitung eines adäquaten Berufsbildes in der Öffentlichkeit fördern? Bei unserem Workshop ging es uns nicht um eine Nabelschau. Vielmehr wollten wir gezielt Repräsentanten aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft einladen, die über unseren Beruf informieren, um mit ihnen gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie wir unsere Arbeit als Informationsspezialisten in der Gesellschaft und für die Gesellschaft wirkungsvoll und kompetent darstellen können. Bei einer erfolgreichen Umsetzung dieser Strategien sind Auswirkungen auf die Ausbildung und damit im folgenden auf die Berufswirklichkeit nicht zu unterschätzen. In einer kürzlich erschienenen IFLA-Studie wurde festgestellt, daß sich bezüglich Status und Image der Bibliothekare in den letzten 25 Jahren nichts geändert hat, daß auch in den nächsten Jahren keine tiefgreifenden Änderungen zu erwarten sind, da selbst der derzeitige bibliothekarische Nachwuchs das herkömmliche Berufsbild internalisiert hat. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit könnte der Beruf für Schulabgänger attraktiv werden, in deren Blickfeld das Umfeld informatorischer Arbeitsplätze auf Grund ihrer "Vor-Urteile" bislang nicht gerückt war.

Der Teilnehmerkreis

Unserer Einladung folgten:

Eingeladen waren auch Vertreter der Presse. Leider konnten wir trotz mehrfacher Ansprache niemanden zur Mitarbeit gewinnen - symptomatisch? Außerdem hätten wir gerne einen Gestaltungsexperten dabei gehabt (was nützt die beste Information, wenn sie keiner freiwillig liest, weil Sie äußerlich wenig ansprechend aufbereitet ist?), aber unser Gast mußte leider kurzfristig absagen. (Wir werden das Thema dennoch weiterverfolgen!)

Der Workshop

Zunächst wollten wir von den (nicht-bibliothekarischen) Anwesenden wissen, wie sie sich den bibliothekarischen Alltag vorstellen. Die Antworten, die mittels eines Brainstormings gesammelt wurden, warfen ein breites Spektrum von meist negativen Vorstellungen auf und reichten von "grauer Maus" und "kontaktscheu" über "ordnungsliebend" bis zu "Beamtenmentalität". Ist heutzutage der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologie für eine effektive Betriebsführung die conditio sine qua non, so hat der Benutzer noch immer den Eindruck, daß die Bibliotheken "EDV-los" sind. Es herrscht das Bild vor, daß Bibliothekare mit modernen Entwicklungen der "Außenwelt" kaum in Berührung kommen und Bibliotheken Ökotope der Ruhe in einer lauten, technisierten Welt sind.

Die Bibliothekare unter den Teilnehmern kritisierten die mangelnde Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken, die Diskrepanz zwischen Ausbildung und Berufsalltag und forderten eine Änderung der tariflichen Eingruppierung des Berufstandes auf Grund der angestiegenen Forderungen an die Mitarbeiter.

Das Meinungsbild bestätigte, daß Bibliothekare und Bibliotheken nicht ausreichend in der Lage sind, sich und ihre Tätigkeitsbereiche adäquat zu vermitteln. Nun stellte sich die Frage, was unternommen werden kann, um diese - zum Teil recht weit verbreiteten - negativen Vorstellungen, die für manchen Schulabgänger entscheidendes Kriterium für seine (Nicht-)Berufswahl sind, zu revidieren. In zwei mit verschiedenen Methoden arbeitenden Kleingruppen gingen wir dieser Fragestellung nach: die eine Hälfte der Workshop-Teilnehmer beschäftigte sich mit der "optimalen Information" über den Berufsstand (Mind-Map-Technik), die andere mit den Ursachen für die Schwächen seiner Selbstdarstellung (Moderationstechnik, Kärtchenabfrage).

Die "optimale Information"

Vor allem die Vertreter aus den nicht-bibliothekarischen Sparten übten Kritik an der für Außenstehende nicht zu durchschauenden Aufsplitterung der Informationsberufe (Bibliothekare/Dokumentare/Archivare/Informationsspezialisten/..., WB/ÖB, verschiedene Dienstgrade, etc.), die ihren Niederschlag in den existierenden Informationsmaterialien findet. Sie forderten ein einziges(1!) Berufsbild für alle Informationsberufe, das zuvorderst die Gemeinsamkeiten (z.B. der Informationsvermittlung und der Dienstleistung) aufzeigen und anschließend die verschiedenen Spezialisierungsmöglichkeiten und Sparten aufführen sollte. Sie wünschten sich eine klare, stringente Darstellung mit Schwerpunkt bei der Beschreibung der berufsbezogenen Fähigkeiten. Die Arbeitsämter sollten in die Lage versetzt werden, dem Informationssuchenden aktuelle Informationen anbieten zu können. Die "Blätter zur Berufskunde" sollten ebenfalls für alle Informationsberufe gemeinsam erstellt werden!

Die "optimale Information" sollte auf der Basis einer breiteren Öffentlichkeitsarbeit die Unentbehrlichkeit der Bibliothekare und ihrer Einrichtungen in der lnformationsgesellschaft herausstellen (z. B. durch aktives Auftreten in der Öffentlichkeit vor Ort, regelmäßige Pressearbeit, Präsenz bei Messen, Nutzung von TV, Radio und Zeitung sowie Werbung für die einzelnen Institutionen) - und zwar nicht nur als Kultur-, sondern auch als Dienstleistungsunternehmen, beispielsweise für Unternehmen der Wirtschaft.

Es wurde außerdem ein zwar nur am Rande des Themas liegender, aber durchaus diskussionswürdiger Vorschlag für die Loslösung des Bibliothekars vom Image des "Buchverwalters" eingebracht: eine neue treffendere Berufsbezeichnung...

Die Schwächen der Selbstdarstellung

Die Aufarbeitung der Probleme bei der Selbstdarstellung zeigte schnell die Wechselwirkung zwischen Berufsstand und Institution Bibliothek. Das Stichwort "Corporate Identity" sollte nicht nur in der Literatur thematisiert, sondern in den Betrieben (inkl. Ausbildungsstätten!) realisiert werden. Die Teilnehmer kritisierten die Abgeschlossenheit der Bibliothekswelt nach außen ("Bibliotheken als Bewahr-Stätten") und forderten "gläserne Bibliotheken" mit mehr Pep bei der Ausgestaltung sowie Transparenz ihrer Arbeitsabläufe. Bibliotheken sollten sich als "lnformations-Center" präsentieren, ihre Multimedia-Funktionen herausstellen, kommunale Informationsnetzwerke aufbauen, ihren Nutzen für andere aufzeigen und ihre Kundenbetreuung vor Ort verstärken. Sie müssen aufzeigen, daß die Grundversorgung der Bürger mit Informationen neue Dimensionen (z. B. Info-Café mit lnternet-Anschluß) gewonnen hat. Die Gleichung "Bibliothek = langsam" muß aufgehoben werden, um die Attraktivität für neue Kundenkreise zu steigern.

Die Bibliothekare selbst sollten für ein professionelles, kompetentes Auftreten in der Öffentlichkeit explizit geschult werden. Ihr passives Verhalten muß einem aktiven Zugehen auf die Kundschaft weichen. Routinearbeiten müssen reduziert und Servicefunktionen im Bereich der Informationsvermittlung ausgebaut werden. Der Bibliothekar steht in einem politischen Raum, der ihm Aufgaben zuweist, die er nach Meinung der Teilnehmer heute leider noch nicht wahrnimmt oder doch zumindest vernachlässigt.

Eine ungemein wichtige Komponente für die Erhaltung und Erweiterung der Fachkompetenz wurde in der beruflichen Weiterbildung gesehen. Hier ist vor allem der Arbeitgeber gefragt, der die Bereitschaft zur Weiterqualifikation wecken und unterstützen muß.

In der Runde wurden ferner die Konsequenzen diskutiert, die sich aus dem hohen Frauenanteil unter den Bibliotheksmitarbeitern ergeben. Frauenarbeit hat in unserer Gesellschaft nicht die Wertigkeit von Männerarbeit, was wiederum Auswirkungen auf die tariflichen Strukturen hat. Die Karrieremöglichkeiten in den Bibliotheken der Öffentlichen Hand sind auf Grund der Wertigkeit des Berufes innerhalb des Gesamtgefüges Öffentlicher Dienst mehr als gering. Mit einem steigenden Ansehen des Berufes in der Gesellschaft und einem gemeinsamen massierten Auftreten aller Informationsberufe könnten auch Änderungen bezüglich der tariflichen Eingruppierung eher durchgesetzt werden.

Die Ergebnisse der beiden Gruppen wurden anschließend im Plenum vorgestellt.

Die Strategien

Wer kann nun - im Alleingang oder aber in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Multiplikatoren, also mit wem - was tun, um unserem Ziel, einer Verbesserung des Images, näherzukommen? Diese Frage wurde zum Abschluß von allen Teilnehmern gemeinsam diskutiert. In einem Schaubild wurden

diverse Einrichtungen gegenübergestellt, mit denen erfolgreich zusammengearbeitet werden könnte:
Die Teilnehmer sammelten Material für mögliche Aktivitäten. Verbindungslinien zwischen den einzelnen Gruppen symbolisierten die Möglichkeit einer Zusammenarbeit, die natürlich auch zwischen den Institutionen innerhalb einer Gruppe möglich und sinnvoll ist.

Einige mögliche Aktionspunkte wurden bereits erwähnt. Als Programm für die Zukunft besonders hervorheben möchten wir an dieser Stelle den Ausbau der Kontakte zur (IHK, sei es auf lokaler oder Bezirksebene. In Hinblick auf eine Erschließung neuer Arbeitsmärkte ist es ganz wichtig, potentiellen Abnehmern den Nutzen klar zu machen, der für sie durch die Besetzung einer freien Stelle mit einem Bibliothekar entsteht. Eine Voraussetzung dafür ist aber, daß die als Mittler fungierenden IHKs diesen Nutzen erkennen und weitervermitteln können. Dazu braucht es Informationen: aktuelle, übersichtliche, "lesbare" Informationen, die für sich (und uns) sprechen.

Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn die Ergebnisse des Workshops werden auf dem Bibliothekartag in Erlangen unser Thema sein. Unter dem Motto "Denn sie wissen nicht, was wir tun..." werden außerdem praxisorientierte Vorträge zu hören sein, die sich damit beschäftigen, wie effektive Öffentlichkeitsarbeit an einer Ausbildungseinrichtung bzw. an einer Bibliothek aussehen kann. Es werden Möglichkeiten der Zusammenarbeit aus Sicht einer HK aufgezeigt werden und praktische Hilfen für die Erstellung von Informationsmaterialien gegeben. Wir hoffen, wir haben Ihre Neugierde geweckt!

Das Resümee

Wir haben zahlreiche Anregungen von unseren engagiert und konstruktiv diskutierenden Gästen erhalten, - ihr Elan war selbst nach Ablauf der zur Verfügung stehenden Zeit kaum zu bremsen -, was unserer Idee, uns aus dem "inneren Kreis" herauszubewegen, recht gegeben hat. Das Thema bietet genug Zündstoff, daß sich eine regelmäßige und ausführliche Zusammenarbeit in diesem Kreis lohnen würde. Stuttgart bietet mit seiner vielfältigen Bibliothekslandschaft und der HBI eine hervorragende Infrastruktur für einen Praxistest: Eine aktive, intensive Kooperation zwischen HBI und den Bibliotheken einerseits mit dem Arbeitsamt, der IHK, dem AKI und der Gewerkschaft andererseits könnte zur Verbesserung des Images der Bibliothekare und zu einer Kenntnis des tatsächlichen Informationsangebotes der Bibliotheken führen, wodurch diese sich wiederum neue Kundenkreise (und damit potentielle Sponsoren?) erschließen könnten.

Der Kongreß

Zum Schluß möchten wir noch der Projektgruppe der HBI ein dickes Lob aussprechen: Der Kongreß, in dessen Rahmen unser Workshop stattfinden konnte, wurde von Anfang bis Ende von 12 Studentinnen und Studenten der Hochschule im Rahmen eines Projektes organisiert. Organisiert, das beinhaltete: Planung, Call for Papers, Auswahl der Redner, Strukturierung des Programms, Schriftwechsel, Einwerben von Geldern, Erstellen eines Tagungsbandes (pünktlich zum Kongreß!), Öffentlichkeitsarbeit, Betreuung des Tagungsbüros und der Veranstaltungsräume (von der technischen Ausstattung bis zur ästhetisch ansprechenden Gestaltung), Eröffnung des Kongresses, Moderation der einzelnen öffentlichen Veranstaltungen, Gestaltung des Rahmenprogramms.... Angesichts dieser Leistung scheint die IFLA-Vorhersage nur noch eine düstere Vision zu sein. Mit solch motivierten und in vieler Hinsicht kompetenten Mitarbeitern muß sich das Image von Bibliothekar und Bibliothek in den nächsten Jahren wandeln!

1) Workshop, veranstaltet von der Kommission Ausbildung und Beruf (Monika Böhm-Leitzbach, Claudia Chmielus) in Zusammenarbeit mit der Kommission Neue Technologien (Monika Cremer) anläßlich des Internationalen Kongresses "lnformationsspezialisten zwischen Technik und gesellschaftlicher Verantwortung" der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen Stuttgart vom 4. bis 5.12.1995


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