11   Schlußfolgerungen für Verlage, Buchhandlungen
      und Bibliotheken

Die vorliegenden und hier zitierten Marktanalysen geben so unterschiedliche Erwartungen zur Entwicklung der Beschäftigtenzahlen wieder, daß sie weder insgesamt noch jede für sich als Basis für eine eigene Schätzung genutzt werden können.
Es wird deshalb hier darauf verzichtet, absolute Zahlen oder prozentuale Wachstumsraten für die Beschäftigung in Verlagen, Buchhandlungen und Bibliotheken in den nächsten fünf Jahren zu nennen. Die Wirkungsweise der einzelnen Faktoren auf die Beschäftigung insgesamt und auf Teilmärkte konnte jedoch klar herausgearbeitet werden. Damit ist es möglich, Aussagen über Tendenzen der Beschäftigungsentwicklung zu treffen und abzuschätzen, ob es zu einem Wachsen der Arbeitsplätze kommen wird oder ob netto mit einer Abnahme zu rechnen ist. Es wird dabei auch möglich sein, die Stärke des Wachstums bzw. der Abnahme von Arbeitsplätzen einzuschätzen und Angaben darüber zu machen, unter welchen Bedingungen die bestmögliche Entwicklung erreicht werden kann.

 

11.1   Verlage

Der Anteil an elektronischen Publikationen besonders in der Fachinformation wird stärker zunehmen, als noch vor zwei Jahren gerade durch deutsche Verlage und den Börsenverein vorausgesagt. Neuere Schätzungen gehen von einem Wachstum bis zum Jahre 2010 von 62% bei den elektronischen Medien und einer Abnahme um 12% bei den gedruckten Publikationen aus. Die Verfasser halten auch diese Schätzung für zu niedrig. Wissenschaft, Forschung, Bildung und Wirtschaft erwarten, daß auch die bisher in gedruckten Zeitschriften vermittelten Informationen künftig ähnlich schnell und umfassend verfügbar sind wie die Vielzahl der schon jetzt im Netz angebotenen.
Nach einer aktuellen Umfrage nutzen in Deutschland bereits 52% der Entscheider in leitender Position das Internet täglich, um gezielt Informationen zu beschaffen. Darunter sind hauptsächlich Produktinformationen und aktuelle Nachrichten. Intensive Nutzer des Internet nutzen auch Fachzeitschriften intensiv.
So wird derzeit schon die überwiegende Zahl der Fachzeitschriften zum Bibliothekswesen elektronisch mit Volltexten angeboten. Diese Umstellung ist – wie bereits hier nachgewiesen - unbedingt erforderlich, um Fachinformation und speziell Zeitschriften auch künftig finanzieren zu können. Die jetzt weitgehend praktizierte Parallelität von gedruckten und elektronischen Texten wird sich für eine Übergangszeit von längstens 5 Jahren noch halten.
"Im Internet werden jene Unternehmen am erfolgreichsten sein, die 100 Prozent ihrer personellen und finanziellen Ressourcen aufs digitale Publizieren konzentrieren können ... wer seine Zeit zwischen dem Betrieb eines traditionellen Medienunternehmens und dem einer Internet-Publikation aufteilen muß, wird am Ende nur noch die Schlusslichter der reinen Internet-Unternehmen sehen." (Spiegel online; http://www.spiegel.de/druckversion/0,1588,40960,00.html)
Gelingt es in dieser Zeit, eine akzeptable Preispolitik durchzusetzen und weitgehend zur Finanzierung über Abonnements zurückzukehren, wird die Planungssicherheit für die Verlage entscheidend verbessert und der Substitionsprozeß zugunsten der elektronischen Medien beschleunigt. Dies gilt auch für Nachschlagewerke, Statistiken, Bibliographien und Kataloge.
Etliche elektronische Publikationen erscheinen schon jetzt ohne Mitwirkung der Verlage. Dies ist jedoch nur möglich, weil ihre Finanzierung nicht über Verkaufserlöse erfolgen muß. Bei allen Publikationen, die auf Finanzierung durch Verkauf und/oder Werbung angewiesen sind, wird auch künftig die Professionalität der Verlage allen anderen Bemühungen überlegen sein. Hinzu kommt, daß der Wert von Qualität der Information im Chaos des Internets immer mehr an Bedeutung gewinnt. Eine Auflistung einzelner Quellen hilft dabei kaum weiter, da diese morgen schon gelöscht sein können oder sich als Fehlinformation erweisen.
Wichtiger sind Anlauf- oder Einstiegspunkte für die Recherchen, bei denen man sicher sein kann, daß Vollständigkeit angestrebt und Qualität gesichert wird. Diese Leistung kann kein Autor erbringen und auch keine Gruppe von Wissenschaftlern, die neben ihrer Forschungstätigkeit einen Server betreiben.
Allerdings reicht – wie hier schon ausgeführt – eine reine Abbildung der gedruckten Publikation im Netz nicht aus, um die Zukunft der Verlage und der Mehrzahl der Arbeitsplätze zu sichern: Aus den Produkten müssen Dienstleistungen mit einem Mehrwert entstehen, der nur oder überwiegend durch Verlage erreicht werden kann.
Die Konzentrationsprozesse in der Fachinformation werden sich fortsetzen. Da die Möglichkeiten der horizontalen Konzentration weitgehend ausgeschöpft sind, wird es verstärkt zu vertikalen Prozessen kommen, die für die Verlage einen geringeren Arbeitsplatzverlust bringen als die Zusammenschlüsse innerhalb einer Branche.
Die Produktivitätsreserven sind bei der Umstellung auf elektronische Medien relativ hoch. Bei der Herstellung entfallen Druck und Binden; der Vertrieb braucht kein aufwendiges Vertreternetz und Transporte. Ausgehend von der jetzigen Kostenstruktur werden mindestens die Hälfte der Herstellungskosten entfallen; liefert der Autor bereits internetfähige Texte gehen die Herstellungskosten sogar gegen Null. Auch die Vertriebskosten reduzieren sich erheblich, so daß die Gesamtkosten um bis zu 40% vermindert werden und ein entsprechender Abbau von Arbeitsplätzen erfolgen wird.
Zusätzliche Arbeitskräfte werden für die Aufbereitung der Inhalte (contents) benötigt. Diese müssen jedoch vollkommen andere Qualifikationen haben als die Mitarbeiter aus Herstellung und Vertrieb, so daß zwar rechnerisch eine teilweise Kompensation der Arbeitsplatzverlustes eintritt, faktisch aber dadurch die Arbeitslosenquote kaum vermindert werden kann.
Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen unterstützen die notwendigen Umstrukturierungen im Verlagsbereich. Die Rahmenbedingungen können kaum günstiger sein, seitdem die Informationsgesellschaft im Zentrum des politischen Interesses steht. Die Verlage sollten deshalb künftig große Anstrengungen unternehmen, Anteile der öffentlichen Förderprogramme zur Bewältigung der notwendigen Strukturanpassungen zu nutzen.
Auch bei Nutzung aller Möglichkeiten und Marktchancen wird die Zahl der Beschäftigten im Verlagsbereich nicht wachsen, sondern leicht abnehmen. Entscheidend sind hier die Produktivitätszuwächse.
Sollte es nicht gelingen, die hier beschriebenen Dienstleistungen schnell zu entwickeln und anzubieten, wird das Abwandern von Publikationen zu anderen Anbietern nicht zu verhindern sein. Weitere Arbeitsplatzverluste wären die Folge.

 

11.2   Buchhandel

Die unsicherste Position am Online-Markt hat der Buchhandel. Er ist außerdem besonders stark gefährdert durch die Substitutionseffekte der Neuen Medien und des Internet.
Elektronische Publikationen auch als Verlagsprodukte können im Netz weltweit jedem Interessenten zur Verfügung gestellt werden. Der Buchhandel als Vermittler und Lieferanten wird dazu nicht mehr benötigt.
Da das Verbraucherbudget für den Kauf von Büchern und Informationen nicht beliebig erhöht werden kann, gehen dem Buchhandel die Umsätze mit elektronischen Zeitschriften und Nachschlagewerken, die die gedruckten Publikationen ersetzen, verloren. Weitere Verluste entstehen durch die Verkäufe, die Internet-Buchhandlungen in wachsenden Maße an sich ziehen und solche, die über große Ketten am mittelständischen Buchhandel vorbei erzielt werden. Würde in einer solchen Situation die Buchpreisbindung fallen, wäre dem mittelständischen Buchhandel die wirtschaftliche Basis entzogen.
"Die Großen wachsen, die Kleinen sterben und die Schnellen gehen ins Internet."
In dieser Situation kann nur eine Konzentration auf individuell zugeschnittene Dienstleistungen den zu erwartenden starken Arbeitsplatzverlust graduell ausgleichen. Dazu bedarf es aber einer Qualifizierungsoffensive, die im Buchhandel derzeit noch nicht zu erkennen ist.
Auch hier sind die politischen Rahmenbedingungen gut. Die Bundesregierung verteidigt die Buchpreisbindung, weil sie den kulturellen Wert eines flächendeckenden Netzes von Buchhandlungen erkannt hat. Auch die Fördermittel der EU und des Bundes stehen im Prinzip dem Buchhandel offen. Sie auch einzuwerben kann allerdings nicht Sache einer mittelständischen Buchhandlung sein. Hier ist der Börsenverein gefragt sich viel intensiver als bisher als Koordinierer und Projektträger zu engagieren.
Gelingt die Orientierung auf die neuen Dienstleistungen nicht, ist mittelfristig ein starker Arbeitsplatzverlust zu befürchten.

 

11.3   Bibliotheken

Bibliotheken haben die Aufgabe ihre jeweilige Benutzerschaft mit den benötigten Informationen zu versorgen, unabhängig davon auf welchen Informationsträgern sich diese befinden. Ihr grundsätzlicher Auftrag (Sicherung der Informations- und Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG) erstreckt sich deshalb auch auf die Bereitstellung der elektronischen Medien bzw. des Zugangs zu ihnen. Ihre Kernfunktionen ändern sich dabei nicht: Diese Medien sind aufzufinden, auszuwählen, zu beschaffen, zu erschließen und zu archivieren. Selbstverständlich unterscheiden sich die dazu notwendigen Arbeitsvorgänge und Arbeitstechniken im Vergleich zu denen, die bei gedruckten Materialien notwendig sind. Sie sind jedoch kaum weniger arbeitsintensiv und vor allem nicht vollständig zu automatisieren. Auch bei gedruckten Materialien bedienen sich die Bibliotheken schon heute der Recherche in elektronischen Nachweisen zur Beschaffung und in kooperativ geführten Datenbanken zur Erschließung. Für den Benutzer geöffnete Kataloge (OPACs) und Dokumentliefersysteme, die die benötigten Dokumente direkt auf den Bildschirm des Bestellers liefern, entlasten die Bibliotheken von aufwendigen Recherchen und Ausleihvorgängen (so ist durch Kostenrechnung nachgewiesen, daß eine elektronische Recherche, Bestellung und Lieferung weniger als ein Viertel der Kosten einer konventionellen Lieferung im Fernleihverkehr verursacht).
Produktivitätsreserven sind also bereits weitgehend ausgeschöpft. Die Ermittlung elektronischer Quellen ist wegen des herrschenden Chaos im Internet nicht weniger aufwendig als das Auffinden gedrucketer Dokumente. Hier helfen auch die hochgerühmten Suchmaschinen nicht weiter, denn neueste Untersuchungen weisen nach, daß sie nur noch zwischen 10% und 16% der "publicly indexable" Seiten erfassen. "Wissenschaftliche Informationsquellen machen nach Zählung von Steve Lawrence und C. Lee Giles gerade 6% der WWW-Seiten aus – die Chance, in diesem Bereich mit Hilfe einer Suchmaschine fündig zu werden, ist verschwindend niedrig und mehr oder weniger zufällig." (Hilberer, Thomas: Über die Zugänglichkeit der Informationen im Internet : die Rolle der Bibliotheken. – In: Bibliotheksdienst 33 (1999) 9, S. 1545-1546; http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/bd_art/bd_99/99_09_10.htm)
Nur Beratung und Schulung der Benutzer sowie thematisch aufgebaute Sammlungen von Internetquellen können hier weiterhelfen. Der Arbeitsaufwand dazu bleibt hoch und die Tätigkeiten erfordern zusätzliche Qualifikationen.
Ungelöst, aber dringend zu lösen, ist das Problem der Archivierung von elektronischen Publikationen. Auch hier unterscheidet sich der Arbeitsaufwand kaum von dem, der für die Erhaltung gedruckter Medien aufgewendet werden muß. Er kann sogar höher sein, wenn wegen der Flüchtigkeit elektronischer Medien die Erhaltungsmaßnahmen nach dem jeweiligen Stand der Technik erneut durchzuführen sind. Lediglich verwaltende und transportgebundene Arbeitsvorgänge (Ausleihe, Rücknahme, Transport von/ins Regal) entfallen. Die hier freiwerdenden Mitarbeiter lassen sich nicht auf zusätzlich entstehende Arbeitsplätze in der Beschaffung oder Erschließung versetzen, da hier völlig andere Qualifikationen gefordert sind.
Die Benutzerberatung wird künftig einen hohen Stellenwert einnehmen. Hier erfüllen die Bibliotheken eine Aufgabe, die der Gesellschaft insgesamt und der Wirtschaft im besonderen zugute kommt: Sie vermitteln Kenntnisse und Fähigkeiten ohne die eine erfolgreiche Vermarktung elektronischer Produkte nicht möglich ist.
In allen Hochschulbibliotheken ist das Internet den Benutzern zugänglich. In 694 Orten in Deutschland bieten Öffentliche Bibliotheken diese Leistung an. Ihre Zahl nimmt dank der Förderprogramme einzelner Länder und des Bundes ständig zu (Pressemitteilung des Deutschen Bibliotheksverbandes vom 29.9.99; http://www.bdbibl.de/dbv/akt/akt_023.htm).

An der Entwicklung der Informationsgesellschaft heraus wird es also kaum zum Stellenabbau, aber auch nicht zu einem nennenswerten Wachstum der Arbeitsplätze in Bibliotheken kommmen. Das setzt allerdings die Bereitschaft der Unterhaltsträger voraus, Bibliotheken in gleicher Weise wie bisher zu unterstützen. Anzeichen dafür gibt es im neuesten Förderprogramm des Bundes, der 120 Millionen DM zur Digitalisierung von Bibliotheksbeständen vorsieht sowie bei einigen – hier bereits erwähnten Förderprogrammen der Länder.
Dagegen steht die Schließung des Deutschen Bibliotheksinstituts, das gerade in der jetzigen Umbruchsphase als Koordinator, Projektträger und Veranstalter von Fortbildungsveranstaltungen dringend benötigt wird.
Größere Kooperation als bisher ist zwischen Verlagen, Buchhandlungen und Bibliotheken gefordert, denn es kann gelingen, durch Addition von Professionalität neue Formen von Dienstleistungen gemeinsam zu entwickeln, die Ertrag für alle Glieder dieser Wertschöpfungskette und erheblichen Mehrwert für den Kunden und Nutzer erbringen.

 


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